Marburger Arbeitsgespräch zum Ausstellungsprojekt „Daniel Ernst Jablonski (1660-1741)“

Marburger Arbeitsgespräch zum Ausstellungsprojekt „Daniel Ernst Jablonski (1660-1741)“

Organisatoren
Joachim Bahlcke, Lehrstuhl für Geschichte der Frühen Neuzeit, Jablonski-Forschungsstelle am Historischen Institut der Universität Stuttgart; Herder-Institut Marburg
Ort
Marburg
Land
Deutschland
Vom - Bis
05.07.2007 - 06.07.2007
Von
Roland Gehrke, Historisches Institut der Universität Stuttgart, Lehrstuhl für Geschichte der Frühen Neuzeit

Seit nunmehr fünf Jahren sind Leben und Werk des Berliner Theologen und Hofpredigers Daniel Ernst Jablonski (1660-1741) am Historischen Institut der Universität Stuttgart Gegenstand einer eigenen Forschungsstelle unter Leitung von Joachim Bahlcke. 1 Zentrales Projekt in diesem Zusammenhang ist die geplante Edition der umfangreichen Korrespondenz Jablonskis. Das Vorhaben, dem Gelehrten zu seinem 350. Geburtstag im Jahr 2010 zudem eine Ausstellung zu widmen, bot den Anlass für das Marburger Arbeitsgespräch.

Daniel Ernst Jablonski war nicht nur als reformierter Hofprediger unter den ersten drei Hohenzollernkönigen in Berlin eine in Brandenburg-Preußen anerkannte Autorität als Theologe und Prediger. Er verkörpert auch und vor allem ein universaleuropäisches Bildungsideal am Beginn des 18. Jahrhunderts, zwischen Pietismus und Aufklärung. 2 In der Nähe von Danzig geboren, unterhielt er seit seinem Studium in Oxford Zeit seines Lebens enge Verbindungen zur Anglikanischen Kirche und war darüber hinaus als Bischof des polnischen Zweigs der Böhmischen Brüder-Unität einer der wichtigsten Vermittler zwischen dem europäischen Westen und Osten.

Seine Wirkungsfelder umfassten die Wissenschaftsorganisation im Rahmen der Frühaufklärung in Berlin, wo er im Jahr 1700 zusammen mit Gottfried Wilhelm Leibniz die „Brandenburgische Sozietät der Wissenschaften“ begründete, ferner die Theologie, was sich in seinem Einsatz für eine innerprotestantische Kirchenunion und Ökumene sowie im Einfluss auf Nikolaus Ludwig Graf von Zinzendorf und die Herrnhuter Brüdergemeine ausdrückte. Als Enkel des mährischen Philosophen, Theologen und Pädagogen Johann Amos Comenius stand Jablonski mit seinem Kirchen- und Unionsverständnis, dem ausdrücklichen Festhalten an der einen allgemeinen Kirche bei gleichzeitiger Hochschätzung individueller Eigenständigkeit und Mannigfaltigkeit, seiner auf die Praxis gerichteten Frömmigkeit, seinen episkopalen und liturgischen Reformplänen und seinen darüber hinausreichenden irenischen und ökumenischen Bestrebungen tief in der Tradition der Böhmisch-Mährischen Brüderunität. Entsprechend reichten seine politischen Verbindungen nicht allein nach Westeuropa, sondern auch und vor allem nach Ostmitteleuropa (Polen, Böhmen, Ungarn, Siebenbürgen). Der produktive Autor und Übersetzer politischer und kirchlicher Literatur verfügte über ein weitverzweigtes Netz von Kontakten innerhalb der europäischen intellektuellen Elite seiner Zeit, mit der er in mindestens sechs Sprachen korrespondierte.

An Jablonskis Völker, Konfessionen und Kulturen verbindendem sowie auf Ausgleich und Friedfertigkeit zielendem Wirken lassen sich frühe Formen von religiöser Ökumene, von grenzüberschreitender Zusammenarbeit und Solidarität, von Völkerverständigung und Kulturgemeinschaft anschaulich demonstrieren. Er ist von hoher Bedeutung einerseits für den aufstrebenden brandenburg-preußischen Staat, andererseits für ein sich auf seine kulturellen Grundlagen besinnendes Europa. Jablonski unterstützte den Buchdruck in Ostmittel- und Osteuropa, vermittelte Protestanten aus dem östlichen Europa Studienplätze und Stipendien im Heiligen Römischen Reich und in Westeuropa und war tätig als Übersetzer aus verschiedenen west- und osteuropäischen Sprachen.

Gegenstand der Ausstellung, deren Eröffnung für das Frühjahr 2010 in Berlin vorgesehen ist und die später auch an anderen Orten in England, Polen, Tschechien und den Niederlanden zu sehen sein soll, werden dabei nicht nur unmittelbare biographische Stationen und direkte Beispiele des Wirkens von Jablonski sein. Es wird auch und bevorzugt darum gehen, zentrale politische, gesellschaftliche und kulturelle Probleme Mitteleuropas um 1700 in angemessener Weise zu berücksichtigen. Zur Verwirklichung des ambitionierten Vorhabens hat die Stuttgarter Forschungsstelle Kontakte zu zahlreichen weiteren Forschungsinstitutionen im In- und Ausland geknüpft und sie als Kooperationspartner gewonnen. Das Marburger Herder-Institut, das nicht nur führend ist auf dem Feld der Ostmitteleuropa-Forschung, sondern auch über ein vielfältiges Know-how im Bereich des Ausstellungswesens verfügt, diente als idealer Ort für das Arbeitsgespräch zur technischen wie inhaltlichen Vorbereitung der Ausstellung. Joachim Bahlcke als Leiter der Veranstaltung sowie Roland Gehrke und Samuel Feinauer waren aus Stuttgart angereist, während die Gastgeber durch Dietmar Popp, Wolfgang Kreft und Wolfgang Schekanski vertreten waren. Des weiteren repräsentierten Hartmut Rudolph die Potsdamer Leibniz-Editionsstelle, Herman J. Selderhuis das Institut für reformierte Theologie an der Universität Apeldoorn sowie Annette Teufel das Mitteleuropa-Zentrum für Staats-, Wirtschafts- und Kulturwissenschaften an der Technischen Universität Dresden.

In technischer Hinsicht einigten sich die Teilnehmer auf das Konzept einer reinen Tafelausstellung – d. h. auf den vollständigen Verzicht auf dreidimensionale Original-Exponate –, als deren Vorbild die 2001 vom Dresdner Mitteleuropa-Zentrum für Staats-, Wirtschafts- und Kulturwissenschaften konzipierte Wanderausstellung „Tripolis Praga. Die Prager Moderne um 1900“ dienen soll. 2 Vorgesehen sind etwa 70 zweisprachig (je nach Ausstellungsort deutsch-englisch, deutsch-polnisch oder deutsch-tschechisch) beschriftete Bild-Text-Tafeln, die, in Gruppen angeordnet, eine eigene Raumarchitektur erzeugen. Auf der inhaltlichen Ebene werden Wissenschaftsorganisation, Glaubenssolidarität, Frühaufklärung, Preußens Blick nach Osten, Alltag und Selbstbehauptung evangelischer Christen im östlichen Europa sowie die Kulturbeziehungen zwischen dem östlichen und westlichen Europa die zentralen Leitbegriffe der Ausstellung bilden. Die Verantwortung für die Ausstellung liegt bei Vertretern unterschiedlicher Disziplinen (Bahlcke, Rudolph, Selderhuis).

Als Begleitmaterial wird rechtzeitig zur Eröffnung ein Sammelband mit einer Reihe von Essays erscheinen, die die inhaltlichen Schwerpunkte der Ausstellung widerspiegeln. Es wird sich dabei allerdings nicht um einen Katalog im engeren Sinne, sondern um ein eigenständiges Werk handeln, für dessen Verständnis der Ausstellungsbesuch nicht zwingend notwendig ist. Flankiert werden wird die Ausstellung zum einen durch eine wissenschaftliche Fachtagung zum Thema „Glaubenssolidarität und Machtpolitik“ in Berlin, zum anderen durch eine Podiumsdiskussion, die unter Leitbegriffen wie Glaubensfreiheit und Toleranz einen Bezug auch zu aktuellen Fragestellungen herstellen soll.

Ausstellung, Sammelband und Begleitveranstaltungen sollen einer breiteren Öffentlichkeit das Bild eines Theologen und Aufklärers vermitteln, der über staatliche und konfessionelle Grenzen hinweg ein vielfältiges intellektuelles Beziehungsnetz knüpfte und sich dabei, ähnlich wie Leibniz, als Bürger einer „république des ésprits“, einer Gelehrtenrepublik verstand. In diesem Sinne lädt die Stuttgarter Jablonski-Forschungsstelle alle Interessierten herzlich zur Mitarbeit an dem Projekt ein, etwa durch Verfassen eines Katalog-Beitrags, und ist dankbar für Hinweise auf geeignetes Bildmaterial für die Ausstellung.

Anmerkungen:
1 Kontaktadresse: Professor Dr. Joachim Bahlcke, Historisches Institut der Universität Stuttgart, Keplerstraße 17, 70174 Stuttgart, Tel.: 0711/ 685-82341, Fax: 0711/ 685-82318, Homepage: http://www.uni-stuttgart.de/hifnz/jablonski.html.
2 Vgl. Bahlcke, Joachim; Korthaase, Werner (Hrsg.), Daniel Ernst Jablonski. Religion, Wissenschaft und Politik um 1700 (Jabloniana. Quellen und Forschungen zur europäischen Kulturgeschichte der Frühen Neuzeit 1), Wiesbaden 2007 [erscheint im Dezember 2007].
[3] Vgl. Schmitz, Walter; Udolph, Ludger (Hrsg.), „Tripolis Praga“. Die Prager „Moderne“ um 1900. Katalogbuch (Mitteleuropa-Studien 5), Dresden 2001.

http://www.uni-stuttgart.de/hifnz/jablonski.html
Redaktion
Veröffentlicht am
Beiträger