Zur Medialität des Humors

Zur Medialität des Humors

Organisatoren
Kulturwissenschaftliches Forschungskolleg "Medien und kulturelle Kommunikation" (SFB/FK 427)
Ort
Köln
Land
Deutschland
Vom - Bis
15.03.2008 -
Url der Konferenzwebsite
Von
Kai Marcel Sicks

Humor, so schreibt Simon Critchley, ist ein „herrlich unmögliches Thema“ 1 – so unmöglich, scheint es, dass er bislang nur selten zum Gegenstand geschichtswissenschaftlicher Forschung geworden ist. Der Workshop „Zur Medialität des Humors“ des Projekts „Koloniale Repräsentation auf Bildpostkarten in Deutschland (1870-1930)“ am Kulturwissenschaftlichen Forschungskolleg „Medien und kulturelle Kommunikation“ (SFB/FK 427) in Köln hat nun einen Schritt zur Schließung dieser Lücke unternommen und die Frage nach dem Status des Humors im deutschen Kolonialismus aufgeworfen. Dies schien interessant, weil der Kontakt zwischen deutscher und afrikanischer Kultur, zwischen Kolonisierenden und Kolonisierten, nicht nur in ethnographischen, missionarischen oder kulturkritischen Schriften bearbeitet wurde, sondern seinen Niederschlag auch in einer eigen(willig)en Form von Humor fand, der in vielfältigen medialen Formaten sowie unterschiedlichen Produzenten- und Adressatenkreisen zirkulierte. Sowohl die Inhalte als auch die Verfahren und Funktionen dieses Humors galt es in Betracht zu ziehen, um seine spezifische Position innerhalb des zeitgenössischen kolonialen Diskurses zu ergründen und zu erfahren, in welcher Weise sich Humor in die sozialen und kulturellen Konfliktlagen einschaltet, die der deutsche Kolonialismus aufwirft bzw. auf die er eine Antwort darstellt.

Vor dem Hintergrund dieses Erkenntnisinteresses schien eine zu enge Beschäftigung mit terminologischen Debatten nicht zielführend. Wird Humor häufig von anderen Phänomenen abgegrenzt, die dann wahlweise Komik, Witz, Spott, Nonsens usw. genannt werden (Freud etwa unterscheidet zwischen Humor, Komik und Witzen, und Robert Gernhard konstatiert: „Humor ist eine Haltung, Komik das Resultat einer Handlung“), so erwies es sich für die Fragestellungen des Workshops produktiver, Humor als Oberbegriff zu konzipieren, um ihm dann Witz, Komik, Spott etc. als spezifische Verlaufsformen zuzuordnen. Mit Jan Bremmer und Herman Roodenburg, die eine „Kulturgeschichte des Humors“ herausgegeben haben, wurde Humor demnach aufgefasst „als jede durch eine Handlung, durch Sprechen, durch Schreiben, durch Bilder oder durch Musik übertragene Botschaft, die darauf abzielt, ein Lächeln oder ein Lachen hervorzurufen.“ 2 So galt es lediglich, innerhalb des Bereichs des Humors zwischen unterschiedlichen Formen zu differenzieren, die dann wiederum je spezifische Beziehungen zum Lachen unterhalten bzw. generieren.

Zur Präzisierung der übergreifenden Fragestellungen des Workshops verwies FELIX AXSTER (Köln) einleitend auf die drei traditionellen Ansätze der Humortheorie. Der Superioritätsansatz nehme an, dass Humor einem Gefühl der Überlegenheit entspringt, Superiorisierung des Selbst und Inferiorisierung des Anderen also gleichermaßen Voraussetzung für und Effekt von Humor sind (als wichtige Theorieproduzenten gelten hier Platon, Aristoteles und Thomas Hobbes). Der Entlastungsansatz besage, dass Humor dazu dient, aufgestaute Energie abzuführen, und dass durch diese Abfuhr ein Gefühl der Befreiung oder Erleichterung entstehe (hier wären Freud und Herbert Spencer als Referenzautoren zu nennen). Diskrepanztheorien deuteten Humor schließlich als Effekt eines Missverhältnisses zwischen Wahrnehmung und Erwartung (Kant, Henri Bergson). Gemeinsam, so Axster, ist diesen Ansätzen die Betonung der Überschreitung von Grenzen: von Grenzen der Wahrnehmung, Grenzen zwischen Selbst und Anderem, Grenzen zwischen Individuum und Gesellschaft.

Auf die Bedeutung solcher Grenzlagen für den Humor verwies kürzlich auch der Literaturwissenschaftler Helmut Bachmaier in einer Anthologie zur Theorie der Komik. Bachmaier entfaltete die Grenz-Thematik allerdings von einem anderen Ausgangspunkt aus. Er unterschied zwischen unterschiedlichen Formen des Lachens, wobei er sich auf die antike Mythenproduktion bezog. Einem absoluten Lachen, das auch ein Lachen über sich selbst und somit ein Moment der Transzendierung des Selbst sei, stehe ein Ver- oder Auslachen Anderer gegenüber. Dementsprechend bezeichnete Bachmaier Transgression und Limitation als die beiden elementaren Formen des Komischen. Mit dieser Konstellierung resümierte er, dass Humor das Konfliktpotential einer Gesellschaft zeige, indem er Grenzen und Normen zur Disposition stelle. 3 In Anlehnung an diese Position sowie an den Titel einer kunstgeschichtlichen Tagung zum Thema „Karikaturen“ Ende der 1970er-Jahre schlug Axster vor, Humor als „nervöses Auffassungsorgan des inneren und äußeren Lebens“ einer Gesellschaft zu begreifen.

In diesem Zusammenhang wurde aber zugleich betont, dass Humor soziale Konflikte nicht einfach nur abbildet, sondern sie im Sinne performativer Sprech- oder Sehakte auch modelliert und überhaupt erst hervorbringt. Dementsprechend wurde auf dem Workshop eine zentrale Frage herkömmlicher Humorforschung zurückgewiesen – die Frage nämlich, ob beim Humor eher das Register Stabilisierung/Normalisierung oder das Register Veränderung/Subversion heranzuziehen sei. Vielmehr wurde das grundsätzliche Desiderat formuliert, die je spezifischen medial-humoristischen Praktiken zu historisieren und ihren Gebrauch auf einen Begriff des Politischen hin zu befragen. Genauer gesagt: Es gelte, Humor als Indikator für die in historischen Formationen jeweils vorherrschenden Bedingungen des Sicht- und Sagbaren zu betrachten, die ihrerseits auf Bereiche des Unsichtbaren und Unsagbaren verweisen. Die Frage, ob Humor eher stabilisierend oder verändernd auf diese Bedingungen einwirke, erwies sich aus dieser Sicht nicht mehr als ontologische Frage nach dem Wesen des Humors, sondern als Frage nach seinem je spezifischen Einsatz.

Zugleich rückt so die Frage in den Mittelpunkt, auf welche Weise die humoristischen Botschaften oder Inhalte übertragen und gleichsam konstituiert werden, in welchen jeweiligen medialen Formaten sich der Humor artikuliert. Humoranalyse, so die zentrale Ausgangsthese der Workshoporganisatoren, müsse aufs engste mit Medienanalyse verbunden werden. Die einzelnen Vorträge des Workshops legten ihr Augenmerk auf je unterschiedliche Medien, die humoreske Botschaften hervorbringen: auf mündliche Witzkulturen, wie sie von Siegmund Freud beschrieben werden; auf Zeichnungen, in denen sich ein spezifisch „deutscher Humor“ zur Geltung bringt; auf „komische“ Fotografien, die in den Kolonien angefertigt wurden und dann in Deutschland zirkulierten; schließlich und insbesondere auf die koloniale Bildpostkarte, die zeitgleich mit der Etablierung des deutschen Imperialismus zu einem Massenmedium wurde. Dabei zeigte sich, dass Humor je nach medialer Formatierung anders in die politische Situation eingebunden ist, die er als Gegenstand des Lachens konstituiert.

ANNA TUSCHLING (Basel) eröffnete die fünf Vorträge des Tages mit einem Beitrag zu Freuds Witztheorie und seiner Konzeption rassistischen und antisemitischen Humors. Dabei betonte sie, dass Freud zwischen dem Witz und dem Schwank unterscheidet – und den ersten als produktive Form der Selbstkritik dem zweiten als Diffamierung Fremder durch die Übertragung im Eigenen verborgener und abgelehnter Anteile gegenüberstellt (Bachmaiers Unterscheidung scheint hier wesentliche Impulse bezogen zu haben). Die Produktivität des Witzes (als mit der Traumarbeit vergleichbare „Witzarbeit“) komme dabei allerdings erst über die Rückkopplung zustande, die das Lachen auslöst: Neben Witzsubjekt und Witzobjekt bedarf es der vergemeinschaftenden Figur des lachenden Dritten, damit der Witz seinen kathartischen Effekt erreicht. So sei der Witz als Bearbeitung des Selbst aus Freuds Perspektive konstitutiv auf Mündlichkeit angewiesen.

Nach dem von der historischen Situation um 1900 abstrahierenden und den theoretischen Rahmen erweiternden Vortrag Tuschlings führte MARTINA KESSELs (Bielefeld) Überblicksvortrag in die komplexe Kategorie des „deutschen Humors“ ein, die im 19. Jahrhundert als nationales Spezifikum konstruiert wird und sich bis in die humoreske Bearbeitung der Kriegshandlungen im Ersten und Zweiten Weltkrieg auswirkt. „Deutscher Humor“ stellt Gemütlichkeit, Harmonie und Idylle als Kennzeichen des deutschen Nationalcharakters aus und erzeugt eher Zufriedenheit als Gelächter. Mit Blick auf die Kriege verwies Kessel auf Zeichnungen, die die deutsche Kriegsaggression als harmonische Übernahme und Pflege fremden Territoriums euphemisieren. Der „deutsche Humor“ dieser Zeichnungen liege dabei nicht im (zynischen) Kontrast zwischen Darstellung und Wirklichkeit, sondern müsse in der deutschen Überlegenheitsgeste erkannt werden, die in den Zeichenmotiven zum Ausdruck komme.

MICHAEL PESEK (Berlin) leitete dann auf die konkrete Situation des deutschen Kolonialismus über. Sein Vortrag beschäftigte sich mit fotografischen Aufnahmen, die die deutschen Kolonialherren von afrikanischen Militärverbünden anfertigten und nach Deutschland sendeten. Der Humor dieser Fotografien arbeite, wie Pesek betonte, mit einem präzisen Wissen von der militärischen Ordnung der Kolonien und verweise damit auf die grundsätzliche Kontextgebundenheit des Humors und die historische Determiniertheit des Lachens. Denn während der unkundige Betrachter auf den Fotografien nur unterschiedlich gekleidete afrikanische Militärs erkenne, trete dem kundigen zeitgenössischen Adressaten der Bilder eine karnevaleske Umkehrung kolonialer Machtordnungen vor Augen. Dass die Unterwanderungsgeste dennoch von den Kolonisierenden nicht als verstörend, sondern als belustigend wahrgenommen wurde, verweist darauf, dass Humor hier gerade keiner Verunsicherung, sondern einer Sicherheit über die Beständigkeit eigener Macht Ausdruck verleiht.

Demgegenüber verwiesen die beiden abschließenden Vorträge von FELIX ASTER und ASTRID KUSSER (Köln) auf vom Humor bearbeitete kulturelle Unsicherheitslagen, die teils durch die koloniale Situation erzeugt, teils auf sie projiziert wurden. Beide Vorträge, die die Arbeit des am Kulturwissenschaftlichen Forschungskolleg durchgeführten Projekts „Koloniale Repräsentation auf Bildpostkarten in Deutschland (1870-1930)“ vorstellten, legten ihren Ausführungen die Postkarte zugrunde, die um die Jahrhundertwende als zentrales visuelles Massenmedium hervortritt und nicht nur postalisch befördert, sondern auch von einem schnell entstehenden Sammelmarkt absorbiert wird. Bildpostkarten des Kaiserreichs sind dabei häufig durch koloniale Motive geprägt, deren Bild-Text-Relation auf humoreske Wirkungen abzielt.

Felix Axster diskutierte unter dem Schlagwort der „Verkafferung“ eine Form des kolonialen Rassismus, die die Gefahr des „Schwarz-Werdens“ der deutschen Kolonialherren betont. In Folge übermäßigen sexuellen Kontakts zu Kolonisierten verlören, so die zeitgenössische Befürchtung, die Kolonisierenden ihren kulturell-zivilisatorischen Status. Auf der Basis eines biopolitisch-eugenischen Reinheitsdenkens wird die sexuelle Beziehung zwischen Kolonisierten und Kolonisierenden auf den Bildpostkarten zum Gegenstand des Spottes, wobei die unterschiedlichen Motive die einzelnen Facetten der Problematik offenlegen (Mischehe, Feminisierung der Kultur, Kindestausch etc.). Über die karikaturesken Mittel der Verzerrung und Übertreibung erhalten die Postkarten dabei eine regulative Funktion, indem sie interkulturelle Sexualbeziehungen denormalisieren.

Astrid Kusser schließlich thematisierte die afroamerikanischen Tanzkulturen, die um 1900 Europa eroberten und im Zusammenhang mit ihrer Repräsentation auf Bildpostkarten gleich in doppelter Hinsicht zum Anlass des Lachens wurden: So sind die Tänzerinnen und Tänzer einerseits selbst zumeist lachend zu sehen, während andererseits die dargestellten ungewöhnlichen Körperbewegungen die Betrachter zum Lachen anregen sollen. Kusser stellte dieser Ambivalenz die von Deleuze geprägte Unterscheidung zwischen dem „Lachen der Revolutionäre“ und dem „Lachen der Henker“ zur Seite: auf der einen Seite ein Lachen, das durch subtile eigene Abweichungen von vorgegebenen Mustern subversive Elemente in sich vereint; auf der anderen Seite eines, das normalisierende Funktion durch das kritische Aus-Lachen jeder Abweichung vom Status Quo übernimmt. Die Bildpostkarten integrieren beide Formen des Lachens (die wiederum an Freud und Bachmaier gemahnen) und stellen zugleich ihre Spannung aus.

Damit konnten die Vorträge wichtige Einblicke in die Beantwortung der Fragen geben, die einleitend aufgeworfen wurden. Sie zeigten zunächst, dass der Humor im kolonialen Kontext in einem Medienverbund oder medialen Kontinuum auftritt, in dem Bildmedien (Karikatur/Fotografie) und Sprachmedien (Witz/Anekdote) einander ergänzen und aufeinander verweisen; der koloniale Humor geht über den von Freud als Witz bestimmten mündlichen Humor weit hinaus. Für diese plurimedialen Konstellationen ist die Bildpostkarte das ideale Paradigma, indem hier Grafik und Drucktext zumeist interagieren, die Vorderseiten fügen mitunter sogar eine dritte Dimension (des handschriftlichen Kommentars) hinzu. Die Vorträge regten aber ebenso zur Diskussion unterschiedlicher Funktionen des kolonialen Humors an. Dabei wurde nicht nur im Sinne Freuds die Angstabwehr und -bewältigung betont, die im kolonialen Anderen eine Projektionsfläche findet. In seinem Schlusswort betonte JENS JÄGER (Köln) auch die Möglichkeit, dass sich im kolonialen Humor ein ausgelagertes Begehren Raum verschaffen könne: das Begehren nach dem Anders-Sein, dem im kulturell Eigenen keine Berechtigung erteilt wird. Affirmation und Subversion des Humors, so ließe sich ergänzen, fallen damit auf erstaunliche Weise in eins: Denn die Zuordnung des Begehrens zum Anderen ist eine Bestätigung der eigenen Beständigkeit, wie sie zugleich die Artikulation der Möglichkeit einer eigenen Differenz impliziert. Hier findet die Theoretisierung des kolonialen Humors Anschluss an die Arbeiten zum komplexen Verhältnis von Identität und Differenz (bzw. der Zwischenposition zwischen beiden), die postkoloniale Theoretiker/innen in den letzten zehn Jahren vorgelegt haben. Eine immer wieder thematisierte Denkfigur war schließlich die Differenz zwischen zwei Typen des Lachens (Freud/Deleuze/Bachmaier), die – wie sich schnell zeigte – aber nur als Idealtypen begriffen werden dürfen. So machte die Diskussion verschiedentlich auf die Überlagerung und Untrennbarkeit beider Formen in der konkreten Humor-„Praxis“ aufmerksam, für die die von Astrid Kusser gezeigten Beispiele der Tanz-Postkarten beredt Zeugnis ablegten.

Für weitere Forschungen zum Thema wurde schließlich in unterschiedlichen Diskussionskontexten die Frage aufgeworfen, inwiefern im Humor Unsicherheiten über die koloniale Situation kommuniziert werden, die in anderen, „ernsteren“ Ausdrucksformen unartikuliert bleiben müssen; genauer: ob der Humor nicht nur durch eigene Medien, sondern auch durch eine eigene Medialität gekennzeichnet ist, die ihn von anderen kulturellen Artikulationsmodi unterscheidet. Hier waren sich die Referenten lediglich einig, dass im Humor bestimmte Konfliktpositionen in einer präzisen Zuspitzung zur Geltung kommen, und dass diese Zuspitzung es wiederum geeignet erscheinen lässt, den Humor als Perspektive zu nutzen, um sich dem deutschen Kolonialismus historiographisch anzunähern.

Konferenzübersicht:

Felix Axster (Köln): Medialität des Humors – Einleitung
Anna Tuschling (Basel): Selbstkritik und Fremdbilder im Witz
Martina Kessel (Bielefeld): Humor in den Weltkriegen
Michael Pesek (Berlin): Die Absurdität des Anderen – Humor in der kolonialen Kontaktzone
Felix Axster/Astrid Kusser (Köln): Humor und Kolonialismus auf deutschen Bildpostkarten um 1900
Jens Jäger (Köln): Resümee

Anmerkungen:
1 Critchley, Simon, Der Humor – ein herrlich unmögliches Thema, in: Kertscher, Jens; Mersch, Dieter (Hrsg.), Performativität und Praxis, München 2003, S. 141-152.
2 Bremmer, Jan; Roodenburg, Herman, Humor und Geschichte: Eine Einführung, in: dies. (Hrsg.): Kulturgeschichte des Humors. Von der Antike bis heute, Darmstadt 1999, S. 9-17, hier S. 9.
3 Bachmaier, Helmut, Nachwort, in: ders. (Hrsg.): Texte zur Theorie der Komik, Stuttgart 2005, S. 121-134, hier S. 130.


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