HT 2008: Wissenstransfer und Mission vom 17. bis zum 19. Jahrhundert

HT 2008: Wissenstransfer und Mission vom 17. bis zum 19. Jahrhundert

Organisatoren
Renate Dürr, Universität Kassel; Anne-Charlott Trepp, Georg-August-Universität Göttingen; Verband der Historiker und Historikerinnen Deutschlands (VHD)
Ort
Dresden
Land
Deutschland
Vom - Bis
30.09.2008 - 03.10.2008
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Von
Michael Müller, Historisches Seminar, Johannes Gutenberg-Universität Mainz

Das Konzept „Wissenstransfer“ hat seit geraumer Zeit „Hochkonjunktur“ insbesondere in der Erforschung der europäischen Expansion nach Übersee in der Neuzeit. In diesem Kontext verortet sich die von Renate Dürr und Anne-Charlott Trepp organisierte Sektion, die in fünf Vorträgen exemplarisch die durch die christliche Mission vom 17.-19. Jahrhundert ermöglichten Formen des Wissenstransfers thematisierte. Dabei wurden die konfessionsübergreifend über drei Jahrhunderte hinweg zu beobachtenden jeweiligen Strukturen, Formen und Inhalte eruiert. Gemeinsam war allen Vorträgen der Ansatz, „Mission“ nicht mehr nur allein als zentrales Instrument europäischer Expansion und kolonialer Herrschaft zu betrachten – auch wenn dieser Aspekt „weder verharmlost noch wegdiskutiert“ werden dürfe, so Anne-Charlott Trepp in ihrem Einführungsvortrag: Vielmehr müsse „Mission“ im Sinne der neueren Kulturtransferforschung als „Kontaktzone“, als Ort der Verdichtung kulturell grenzüberschreitender „globaler“ Wissens- und Transferprozesse verstanden werden. Dass sich diese Austauschbeziehungen aufgrund der für den Missionierungsprozess“ konstitutiven asymmetrischen Beziehung zwischen dem „Missionar“ und den „zu Missionierenden“ in einem Kontext „ungleicher“ Machtverhältnisse abspielte (hier knüpft die Sektion thematisch an den Leitbegriff des Historikertages: „Ungleichheiten“ an), liegt auf der Hand. Als hochinteressant aber erwies sich, wie sehr diese „Ungleichheiten“ im Missionsalltag in der Interaktion der beteiligten Akteure relativiert und z.T. sogar nivelliert werden konnten. Auch wenn die Mission zunächst von einseitigem Wissens- und Glaubenstransfer von Seiten der Christen ausging, funktionierte sie in der Praxis wesentlich auf gegenseitiger Vermittlung europäischer und außereuropäischer Kulturgüter. Immer wieder relativierte die Mission selbst die Ungleichheiten, deren Existenz sie sich erst verdankte – und eine der Haupttriebkräfte in diesem Prozess waren die von der Mission selbst initiierten Wissenstransferprozesse, was die fünf hier zu besprechenden, zeitlich wie räumlich weit gefächerten Vorträge an verschiedenen Beispielen sehr eindrucksvoll und überzeugend veranschaulichten. Dabei sind, neben dem Transfer von bereits vorhandenem Wissen von Europa nach Übersee bzw. umgekehrt von Übersee nach Europa insbesondere auch die in Folge der Mission neu entstehenden Wissensbestände von herausragendem Interesse, sowie, davon ausgehend, die Fragestellung, welche wechselseitige Bedeutung Mission und Wissensgenerierung in den dynamischen Kommunikations- und Kulturprozessen füreinander hatten: „Mission“ war nämlich nie eine „Einbahnstrasse“ von einer missionierenden Ausgangs- zu einer zu missionierenden Zielkultur, sondern generierte komplexe Transferprozesse unterschiedlicher, daher auch „ungleicher“ kultureller Wissenstableaus, wobei in den Sektionsvorträgen die von Missionaren verfassten Wörterbücher und Grammatiken indigener Sprachen (Renate Dürr), ihre geographischen und kartographischen Forschungen (Ulrike Strasser), ihre Sklavenmission in Britisch-Nordamerika (Aaron Fogleman), ihre Naturforschungen in Indien (Anne-Charlott Trepp) und ihre Bedeutung für die Entstehung der vergleichenden Religionswissenschaft (Rebekka Habermas) exemplarisch untersucht wurden.

RENATE DÜRR (Universität Kassel) untersuchte, ausgehend von der Prämisse, dass christliche Mission nur durch Kommunikation möglich war, am Beispiel der Guaraní-Wörterbücher der Jesuiten Antonio Ruiz de Montoya (1639-1640) und Paolo Restivo (1722), wie es Missionaren gelang, eine gemeinsame Sprachbasis mit den zu Missionierenden zu schaffen. Nicht umsonst waren es linguistische Arbeiten von Jesuiten, die im Mittelpunkt dieses Beitrages standen, haben doch Angehörige dieses Missionsordens weltweit mindestens 123 Sprachen verschriftlicht, davon 55 in Südamerika, und damit im Bereich der überseeischen Ethnolinguistik eine Schlüsselstellung eingenommen. Die angesprochenen Instrumente – Wörterbücher und Grammatiken – dienten primär der Übersetzung der Inhalte der christlichen Religion in eine fremde, indigene Kultur, wobei „Übersetzung“ nach Dürr nicht als „Brückenbau zwischen Kulturen“, sondern als Resultat komplexer, auch von Irrtümern begleiteter gegenseitiger Verstehens- und Beeinflussungsprozesse verstanden werden muss, als „Agentur der Differenz“ (Anselm Haverkamp). Diese Übersetzungsprozesse analysierte Dürr anhand verschiedener Wortfelder bei Ruiz de Montoya, insbesondere aus dem religiösen Bereich. Ein sehr anschauliches, auch umstrittenes Beispiel war die Frage nach der „richtigen“ Übersetzung für Gott. Montoya schlug das bereits in vorchristlicher Zeit gebräuchliche Guaraníwort „Tupã“ vor, welches sich nach seinem Verständnis als Kompositum aus zwei sich gegenseitig verstärkenden, zugleich Be- und Verwunderung ausdrückenden Partikeln zusammensetzt und mit: „Was ist das denn!“ übersetzt werden kann - und insofern an das hebräische „manhu“ (das „Manna“ aus dem 2. Buch Mose) erinnert. Der mit den Jesuiten in mancherlei kirchenpolitischen Konflikten verhaftete franziskanische Bischof von Asunción, Bernardino de Cárdenas kritisierte diese Übersetzung scharf: dieses Wort bedeute im Guaraní „Donnergott“ bzw. „Dämon“, und sei daher keine geeignete Übersetzung für „Gott“. Paolo Restivo listete 1722 mehrere Übersetzungmöglichkeiten für „Christ“ auf, darunter das Wort „karai“, welches auch einen „Schamanen“ bezeichnete – nach Dürr ein weiteres Beispiel für den offenbaren Einfluss der Guaraní auf die Übersetzungsleistung!
Neuere Forschungen von Chamorro und Meliá über die Sprachpraxis der Guaraní ermöglichen heute, die immensen Pionierleistungen, aber auch die unübersehbaren Begrenztheiten der jesuitischen Guaraní-Wörterbücher aufzuzeigen. Ihr bleibendes Erbe besteht fraglos darin, das Guaraní verschriftlicht und damit als Medium der Evangelisierung erschlossen zu haben. Entgegen der von der spanischen Kolonialmacht geförderten Tendenz zur Durchsetzung des Kastilischen als einheitlicher Verkehrssprache in ganz Hispanoamerika, ließen sich die Jesuiten auf das Wagnis ein, die Glaubensverbereitung unter Respektierung der vorgefundenen indianischen Sprachenvielfalt zu versuchen, was beiderseitige Akkulturationsprozesse erforderlich machte. Für die Guaraní bedeutete dies die „sprachliche Reduktion“ (Bartomeu Meliá) – sie konnten in ihrer eigenen Sprache den Weg zum Christentum finden, ohne gezwungen zu werden, sich dieser anfänglich für sie doch so fremden Religion auch noch in einer fremden Sprache nähern zu müssen. Diese Wörterbücher aber sind darüber hinaus auch entscheidende Hilfsmittel für den Wissenstransfer innerhalb des Jesuitenordens gewesen, denn alle späteren Missionare haben sich mit ihnen in der neuen Sprache orientiert.

In der anschließenden Diskussion wurden sowohl der praktische Gebrauch und Nutzen der Wörterbücher im Missionsalltag sowie deren sprachnormierende Funktion bei der Herausbildung einer verschriftlichten Guaraní-Standardsprache thematisiert. Dabei wies Dürr darauf hin, dass Jesuiten wie Ruiz de Montoya nicht nur einfach ein vorhandenes Guaraní kodifiziert haben, sondern eine „Standardsprache“ neu kreierten, die sich aus Elementen verschiedener vorher existierender, sich durchaus merklich voneinander unterscheidender Dialekte des Guaraní zusammensetzte.

Daran anschließend beschrieb ULRIKE STRASSER (University of California Berkeley) die geographisch-kartographische Erschließung einer „neuen Welt“ am Beispiel der Entstehung und Rezeption der ersten europäischen Karten der Palaos-Inseln im Pazifischen Ozean, den heutigen Karolinen. In diesem Prozess spielten zwei Jesuitenmissionare, Paul Klein und Juan Cantova, eine zentrale Rolle als Wissensvermittler. Ihre Arbeiten erschienen in mehreren renommierten europäischen Publikationen wie zum Beispiel Le Gobiens „Lettres edifiantes et curieuses“ sowie deren deutschem Pendant, dem „Neuen Welt-Bott“ Joseph Stöckleins, und in den „Philosophical Transactions of the Royal Society“. Strasser hob hervor, dass Kleins und Cantovas Karten und Berichte ausschließlich auf Informationen gestrandeter Insulaner basierten, welche den Jesuiten die genaue Lage ihrer Heimatinseln mittels Kieselsteinen erläuterten. Dabei flossen indigene Vorstellungen geographischer Räume in die jesuitische Wissensproduktion mit ein: so übernahm Klein den Usus der Insulaner, sich an „Referenzinseln“ zu orientieren und Entfernungen in „Segeltagen“ statt in Seemeilen anzugeben. Nicht das europäische „Wie weit?“, sondern das insulare „Wie lange?“ bestimmte die „Erfahrung von Raum“. Kleins Karte gilt somit nach Strasser, als Beispiel für ein „hybrides Zeichensystem“ mit europäischen und insularen Elementen - eine „kulturelle Hybridform“, die erst in der Publikation durch Joseph Stöcklein „korrigiert“ wurde, der die “Fehler der armen Barbaren” bemängelte. Ein Beispiel dafür, dass Missionare vor Ort wie Paul Klein eher als in Europa gebliebene Ordensbrüder wie Stöcklein bereit waren, sich auf indigene Wissenstableaus wie die Navigationskunst der Insulaner einzulassen. Die wechselseitige Bedingtheit von Mission, Wissenserwerb und Kolonialpolitik illustriert schon der auf den Provinzprokurator Serrano zurückgehende Titel der Karte: „Carte des Nouvelles Philippines decouvertes sous les Auspices de Philippe V Roy de Espagne“. Dies belegt sehr anschaulich, wie stark im Falle der jesuitischen Kartographie auch die geostrategischen Interessen der Kolonialmacht Spanien mit einflossen.

In der Diskussion hob Strasser hervor, dass die Jesuiten vom Ansatz her global, im Alltag aber lokal organisiert und orientiert waren, und dass sie als die ersten Theoretiker des Kulturtransfers gelten können - was, so TREPP, auch daher rührt, dass sie viel mehr Zeit hatten, die Wissenskulturen der Indigenen kennen zu lernen, als z.B. ein Georg Forster.

AARON FOGLEMAN (University of Illinois) analysierte den „dreiseitigen Kulturkampf“ zwischen pietistischen Herrnhuter Missionaren, weißen Plantagenbesitzern und schwarzen Sklaven in Purrysburg/South Carolina in den 1730er-Jahren, wobei auch für ihn der Aspekt des Wissenstransfers im Mittelpunkt stand, welcher sich hier aber in einem gänzlich anderen Umfeld als in den bisher gezeigten Beispielen vollzog.

Schon vor der Ankunft der Herrnhuter glich South Carolina einem sozialen Pulverfass. Zwischen der Mehrheit der 35.000 Sklaven und den nur etwa 15.000 Weißen im Land, zumeist französische, deutsche, schweizer und englische Siedler, gärte es, und tatsächlich entluden sich die massiven Spannungen im Herbst 1739 in dem so genannten „Stono-Aufstand“, dem, wie Fogleman hervorhebt, größten und blutigsten Sklavenaufstand in der Geschichte Britisch-Nordamerikas. Unter diesen Voraussetzungen war das Missionswerk der Herrnhuter von Anfang an mit größten Schwierigkeiten belastet, die schließlich zu seinem Scheitern führten. Die Plantagenbesitzer hatten den Missionaren die Ansiedlung gestattet, da sie deren Schulwesen schätzten und gute Lehrer für ihre Kinder brauchten. Erste Konflikte entspannen sich, als die Herrnhuter begannen, ihre missionarischen Bemühungen auf die afrikanischen Sklaven auszudehnen und sie im Glauben zu unterrichten und zu taufen. Aus Sicht der Plantagenbesitzer gab es Gründe genug, sich der Missionierung „ihrer“ Sklaven zu widersetzen - fürchteten sie doch, nicht ganz zu Unrecht, dass getaufte Sklaven sich ihrer neu erworbenen Würde als Christen und Kinder Gottes bewusst würden, Freiheit und Gleichheit einforderten und sich der Versklavung durch andere Christen widersetzten. Die Herrnhuter dagegen wurden nicht müde, den Farmern zu versichern, dass von ihrer Mission keine Gefahr ausgehe: schließlich lehrten sie die Schwarzen mit dem Christentum auch den Gehorsam gegenüber ihren Herren. Mithin blieben auch getaufte Schwarze weiterhin Sklaven. Diese Argumentation war nicht nur theologisch äußerst anfechtbar, sondern verfehlte auch ihren Zweck und vermochte das Misstrauen der Siedler keineswegs zu besänftigen. Auch von Seiten der Sklaven blieb das Interesse an der Mission eher gering. Nur wenige ließen sich unterrichten und taufen. Grund war, so Fogleman, dass die Teilnahme freiwillig war und die Mehrheit von ihnen im Christentum die Religion ihrer Unterdrücker und Peiniger sah und sich von einer Taufe keine Verbesserung ihrer Lage versprach. Zu differenzieren ist diese Einschätzung, so der Referent, lediglich im Hinblick auf die Geschlechter: Es waren mehr Frauen als Männer, die sich auf das Missionsangebot der Pietisten einließen.

Die Herrnhuter Sklavenmission begann also 1738 unter denkbar schlechten Voraussetzungen und wurde schon kurze Zeit später durch den großen Sklavenaufstand beendet. In dessen Folge verließen die Herrnhuter, die von den Siedlern für dessen Ausbruch mitverantwortlich gemacht wurden und keine Perspektive mehr für die Fortsetzung ihrer Arbeit sahen, im Frühjahr 1740 South Carolina. Kann man in einem solch kurzen Zeitraum unter diesen Bedingungen von einem „Wissenstransfer“ sprechen? Fogleman bejaht dies dahingehend, dass es zumindest den Versuch dazu gab. Die Missionare bemühten sich um den Aufbau eines Schulwesens, und zwar, den gesellschaftlichen Voraussetzungen entsprechend, mit streng getrenntem Unterricht für Weiße und Schwarze. Im Frühjahr 1739 zählte die Missionsschule dank ausreichender finanzieller Unterstützung einiger Siedler 30-40 weiße Kinder. In den „schwarzen“ Klassen war die Lage ungleich schwieriger, schon aus sprachlichen Gründen: Diese Kinder beherrschten, in der Regel, keine europäische Sprachen in dem Umfang, der für einen erfolgreichen Unterricht notwendig gewesen wäre, und auch den Herrnhutern fehlten umgekehrt entsprechende Kenntnisse der afrikanischen Sprachen. Unter diesen Umständen war an Unterweisung und Bekehrung nicht ernsthaft zu denken. In diesem Kontext untersucht Fogleman, wie er selbst betont, also kein Beispiel eines gelungenen Wissenstransfers, sondern die Gründe für dessen Scheitern, die er auf die eingangs erwähnte These vom „dreiseitigen Kulturkampf“ verdichtet: Da die Missionare von den beiden übrigen sozialen Gruppen - Siedlern und Sklaven - überwiegend Argwohn, Misstrauen und mangelndes Engagement erfuhren, gelang es ihnen nicht, eine ausreichende soziale Basis für ein dauerhaftes Missionswerk zu schaffen. Anders als die Jesuiten in den Guaraní-Reduktionen Paraguays trafen die pietistischen Herrnhuter auf zu Missionierende, die aufgrund schlechter Erfahrungen mit Christen bereits eine negative Voreingenommenheit gegenüber der Religion der Missionare hegten, zumal diese sie nicht, wie dies die Jesuiten Paraguays vermochten, vor dem Los der Sklaverei schützen konnten. Der Versuch einer „Separation“ der zu Missionierenden vor einer bedrohlichen kolonialen Umwelt, der in den Missionsstädten Südamerikas so erfolgreich gelang, war in South Carolina vollkommen illusorisch.

ANNE-CHARLOTT TREPP (Max-Planck-Institut für Geschichte Göttingen) zeigte in ihrem Vortrag auf, dass Mission und Naturwissenschaft bzw. Glaube und Wissen, für die Dänisch-Halleschen Tamilen-Missionare im 18. Jahrhundert keine Gegensatzpaare bildeten, sondern im Rahmen einer physikotheologischen Position zu einer Synthese verschmolzen. Erst die Geschichtsschreibung des 19. Jahrhunderts hat in ihrer Kritik der – angeblichen oder tatsächlichen – Erfolglosigkeit der Missionare des 18. Jahrhunderts nachträglich die Unvereinbarkeit von Missionierungsauftrag und Naturforschung behauptet, was in dem Vorwurf eines Nachlassen des Missionsinteresses gipfelte. Dadurch sei die Evangelisierungsarbeit zugunsten eher privater naturkundlicher Forschungsinteressen vernachlässigt worden. Trepp weist dagegen nach, dass dieser konstruierte Gegensatz der historischen Realität nicht gerecht wird und vielmehr der bekannten Antipathie großer Teile der protestantischen Missionshistoriker des 19. Jahrhunderts gegenüber der Aufklärungszeit und der modernen Welt seit der Französischen Revolution entsprang. Der postulierte „Bruch“ zwischen Aufklärung und Pietismus entsprach aber, so Trepp, keineswegs dem Selbstverständnis der Missionare des 18. Jahrhunderts. Unter denen, die sich sehr intensiv mit naturkundlichen Fragen beschäftigten, sind nach Trepp insbesondere die in den 1770er-Jahren nach Tranquebar gekommenen Christoph Samuel John und Johann Peter Rottler zu nennen. Während sich John der Zoologie widmete, tat sich Rottler in der Botanik hervor. Beide waren passionierte Naturaliensammler, die mit zahlreichen Wissenschaftlern in Europa in Verbindung standen, so zum Beispiel John mit Georg Forster, und ihre Forschungsergebnisse in den „Halleschen Berichten“ veröffentlichten. Trepp betonte dabei, dass die Naturforschung zu einer Missionsstrategie, zu einem vermittelnden Medium zwischen Europäern und Ureinwohnern wurde. Sie diente mithin nicht nur dem Selbstzweck, Wissen zu generieren, sondern bildete auch die Kommunikationsgrundlage zwischen christlichen Missionaren und indischen Brahmanen. Ausgehend von der Prämisse, dass nur der freie Willensentschluss den Menschen zur Annahme der Religion führe und der Bekehrung die Unterweisung vorausgehe, postulierte John mehrfach explizit die Möglichkeit einer Erkenntnis Gottes aus der Natur. Diese überbrückte den scheinbar so tiefen Gegensatz zwischen Christentum und autochthoner Religiösität, wie Trepp am Beispiel von Johns Idee eines Naturkatechismus von 1792 illustriert, welche ihn allerdings in Konflikt mit seinen Vorgesetzten brachte. Das „Ins-Gespräch-Kommen über Natur“ (Trepp), so z.B. der Austausch des Heilwissens bzw. die Übersetzung der Tamilsprache, in welche die Gemeinden aktiv miteingebunden wurden, trugen zu einer der Mission förderlichen teilweisen Nivellierung von Asymmetrien bei.

REBEKKA HABERMAS (Georg-August-Universität Göttingen) untersuchte anhand des in den 1880er-Jahren von nicht wenigen protestantischen wie auch katholischen Missionaren proklamierten „Kreuzzugs gegen den Islam in Afrika“ die doppelte Frage, inwiefern die in diesem Kontext entstandenen Beschreibungen nicht-christlicher Religionen einen Wissenstransfer bewirkten, der einerseits wesentlichen Anteil an der Entstehung der vergleichenden Religionswissenschaft hatte, und andererseits sogar – als sicherlich nicht-intendierte Folge – das Bewusstsein von der Vielfalt menschlicher Religionen und damit den religiösen Pluralismus gefördert hat. Auf dem afrikanischen Kontinent, der seit der Expansion der europäischen Kolonialmächte in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts der Missionierung offen zu stehen schien, begegnete das Christentum, anders als in Amerika und Asien, einer anderen, ebenfalls expansiven konkurrierenden Religion, dem Islam, der insbesondere in Nord- und Ostafrika auf dem Vormarsch war. „Halbmond oder Kreuz über Afrika?“ wurde zum Schlachtruf nicht weniger Missionare, die in ihren Berichten sowohl eine angebliche Bedrohung Europas durch den Islam als auch Schreckensmeldungen über die grausame Praxis der Versklavung von Schwarzafrikanern durch arabische islamische Sklavenjäger als Legitimationsgrundlage einer verstärkten christlichen Missionstätigkeit verbreiteten. Dies bezweckte, ein entsprechendes öffentliches zu Klima schaffen, das einer forcierten christlichen Afrikamission dienlich war. Habermas analysiert sehr plausibel, wie das in dieser Debatte generierte „Wissen“ über afrikanische Gesellschaftsordnungen, Sklaverei und den Islam den europäischen Orient- und Afrika-Diskurs bestimmte und inwiefern es Rückwirkungen auf die eigenen wissenschaftlichen, kulturellen und religiösen Ordnungen nach sich zog. Diese Missionsberichte enthielten nämlich auch, wie Habermas unter anderem am Beispiel des Afrika-Missionars Alexander Merensky aufzeigt, ausführliche Beschreibungen der afrikanischen „Heidenbräuche“, die in der Folgezeit zu einer intensiven Beschäftigung mit anderen Religionen und zur Entstehung der Religionswissenschaft führte. Mehr noch, das sich schnell verbreitende Wissen um eine Vielzahl religiöser Optionen vermochte auch bisherige Weltbilder in Frage zu stellen. Daran, dass das 19. Jahrhundert, wie Habermas betont, nicht durch Säkularisierung, sondern Pluralisierung bestimmt wurde, hatte „Mission“ einen nicht zu unterschätzenden Anteil, auch wenn in der anschließenden Diskussion die These der Erosion des Protestantismus durch eine von Missionsberichten initiierte Pluralisierung nicht unwidersprochen blieb und die beschriebene europäische Angst vor dem Islam im 19. Jahrhundert in einem merkwürdigen Spannungsverhältnis zu der gleichzeitig zu beobachtenden Bewunderung für das „märchenhafte Morgenland“ zu stehen schien.

Insgesamt vermochten die fünf vorgestellten, durchweg überaus aufschlußreichen und sehr überzeugenden Sektionsbeiträge wichtige Impulse für eine neue Akzentuierung der Missionsgeschichte anhand der Konzepte und Methoden der neueren Wissens- und Kulturtransferforschung zu geben. Die Ergebnisse dieser ausgesprochen gelungenen Sektion dürften jedenfalls, wie auch die von Dürr moderierte Schlussdiskussion noch einmal deutlich machte, zu neuen Forschungen auf diesem Gebiet anspornen.

Sektionsübersicht:

Anne-Charlott Trepp (Göttingen): Einleitung

Renate Dürr (Kassel): Übersetzung als Wissenstransfer: das Beispiel der Guaraní-Wörterbücher von Antonio Ruiz de Montoya SJ (1639-1640)

Ulrike Strasser (Kalifornien): Kieselsteine, Kichererbsen und Kartographen: Geographische Imagination und Wissenstransfer zwischen europäischen Jesuiten und mikronesischen Insulanern um 1700

Aaron Fogleman (Illinois): Kontakt und Wissenstransfer im atlantischen Raum im 18. Jahrhundert: Religiöse Belehrung, Erziehung und Widerstand

Anne-Charlott Trepp (Göttingen): Naturforschung als Missionsstrategie in der Dänisch-Halleschen Mission in Tranquebar/Indien (18. Jahrhundert)

Rebekka Habermas (Göttingen): Wissenstransfer und Mission: Die Religion der Missionare


Redaktion
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