Schnee von gestern? Zivilisationskritik und Überlebensperspektiven in Zeiten des Klimawandels

Schnee von gestern? Zivilisationskritik und Überlebensperspektiven in Zeiten des Klimawandels

Organisatoren
Deutsches Hygiene-Museum Dresden
Ort
Dresden
Land
Deutschland
Vom - Bis
08.09.2008 - 09.09.2008
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Von
Björn Ahaus, Kulturwissenschaftliches Institut Essen

Der Direktor des Deutschen Hygiene-Museums, KLAUS VOGEL, eröffnete das gemeinsam mit dem Kulturwissenschaftlichen Institut (KWI) Essen organisierte, mit knapp hundert Teilnehmern gut besuchte Symposium mit dem Hinweis, dass der Wandel des Klimas als historischer Normalfall betrachtet werden könne. Die im 20. Jahrhundert verbreitete Meinung, das Klima sei unter menschlicher Kontrolle, habe sich als Trugschluss erwiesen, und die „2°“ im Titel der gleichzeitig stattfindenden Ausstellung „2° - Das Wetter, der Mensch und sein Klima“ seien bewusst gewählt worden, da ein Ansteigen der globalen Durchschnittstemperatur um diesen Betrag auch dann nicht zu vermeiden sei, wenn der Pfad einer verantwortungsvollen Klimapolitik unverzüglich eingeschlagen würde. Die „Länge des Bremsweges“ verweise auf die Eingebundenheit des Menschen in ein größeres, nämlich kulturelles System.

KWI-Direktor CLAUS LEGGEWIE erinnerte in seiner Begrüßung mit dem Schriftsteller und Bergwerksingenieur Novalis und dessen Roman „Heinrich von Ofterdingen“ an die romantische Kritik an der Naturausbeutung schon vor dem Einsetzen der Industrialisierung. In diesem Sinne sei es beim „Eintritt in das postkarbone Zeitalter“ angezeigt, Kulturgeschichte und Naturgeschichte wieder enger zusammen zu denken. Genau hier setzte das Symposium mit „Probebohrungen“ in drei Phasen der Kulturkritik an, nämlich „präindustriell“ um 1800, „hochindustriell“ um 1900 und „postindustriell“ um 1970. Wenn Kulturkritik Georg Bollenbeck zufolge ein moderner Reflexionsmodus ist, der gegen die Moderne Verlustgeschichten und Pathologiebefunde aufbietet, dann sei im Bezug auf die Zeitdiagnose Klimawandel zu fragen: Welche zivilisationskritischen Topoi laufen durch die Moderne hindurch, welche sind zeitspezifisch – und was haben sie eigentlich mit den jeweiligen "Wetterlagen" zu tun? Und welche politischen Lehren lassen sich für die gesellschaftliche Verortung heutiger Umweltphilosophie ziehen?

Im Eröffnungsvortrag „Klima und historisches Gedächtnis“ setzte sich WOLFGANG BEHRINGER (Saarbrücken) mit vermeintlich „harten Fakten“ der naturwissenschaftlichen Klimaforschung auseinander, die erhebliche Temperaturschwankungen während der letzten tausend Jahre nicht sichtbar mache. Behringer übte Kritik an den Ergebnissen des Berichtes des Intergovernmental Panel on Climate Change (IPCC) von 1991, der die Temperaturentwicklung der letzten 1000 Jahre ignoriere und „vormoderne Proxydaten“ verwende. Die berühmte „Hockeyschlägerkurve“ des IPCC weise vor 1800 eine gestrichelte Linie auf, obwohl aussagekräftige Eisbohrkerndaten vorlägen – wurden also unerwünschte Ausreißer weggelassen oder ist der Zusammenhang zwischen dem Temperaturanstieg und dem Anstieg der Treibhausgaskonzentrationen in der Atmosphäre nicht so signifikant, wie allgemein behauptet wird?

Den Erkenntniswert kulturwissenschaftlicher Beiträge zur Klimadebatte konnte Behringer anhand einer ganzen Reihe von Beispielen historischer „Natur-Katastrophen“ illustrieren. Historisch betrachtet sei wärmeres Klima meist mit günstigeren Lebensbedingungen der Menschheit einhergegangen. Der Zeitpunkt des Temperaturmaximum des Holozän, zu dem es auf der Erde wärmer gewesen sei als heute, markiere die Geburtsstunde der ersten Hochkulturen. Doch relativierte Behringer diesen Befund im Hinblick auf die zukünftige Entwicklung; schließlich seien auf einer mit bald neun Milliarden Menschen bevölkerten Erde klimabedingte Migrationsbewegungen, wie es sie in der Geschichte gegeben habe, nicht mehr möglich und könnten massive Konflikten auslösen.

Der direkte Zusammenhang der globalen Erwärmung mit der industriellen Revolution ist laut Behringer eine Vereinfachung seitens der naturwissenschaftlichen Klimaforschung. Während die Dampfmaschine Thomas Newcomens’ bereits 1712 erfunden worden sei, habe die kleine Eiszeit erst 1890 geendet. Behringer stellte hier einen Zusammenhang zwischen Klimastress und Hexenverbrennungen her; zwischen theologische und naturwissenschaftliche Erklärungen von Wettererscheinungen hätten sich hier Sündenbockprojektionen und Verschwörungstheorien geschoben.

Eine differenzierte Betrachtung des Klimawandels müsse generell nicht-klimatische Phänomene wie Überbevölkerung und Ressourcenknappheit in Rechnung stellen, die dann in Kombination mit dem Klimawandel zu analysieren seien. Der Vortrag Behringers war ein Plädoyer gegen übertriebenen „Klimaalarmismus“ und für mehr Gelassenheit in der aktuellen Diskussion. In der Diskussion wurde Behringer als „Klimahumorist“ bezeichnet, der angesichts allgemeiner Nervosität nicht die Nerven verliere; zugleich wurde Klima-Skeptikern die ungewöhnliche Entwicklung der Durchschnittstemperaturen seit 1970 entgegengehalten. Der Rolle der Geschichtswissenschaft wurde angesichts der ewigen Frage, was aus der Geschichte zu lernen sei, die Schärfung heutigen Urteilsvermögens durch die Spiegelung der Konjunkturen historischer Klimaentwicklungen und Umweltdebatten und das Misstrauen gegen monokausale und klimadeterministische Ableitungen zugewiesen; schon Veränderungen von wenigen Zehntelgraden hätten erheblichen sozialen Wandel bewirkt, wobei die Menschheit in Übergangsperioden immer wieder zu außerordentlichen Anpassungsleistungen fähig gewesen sei.

Im ersten Panel zur „Krise der Natur und ästhetischen Revolte um 1800“ stand unter Leitung von LUDGER HEIDBRINK (KWI) die Frage auf der Tagesordnung, welche zivilisationskritischen Handlungsmuster die Ära der Romantik im Hinblick auf Klimaveränderungen biete. In ihrem Impulsreferat wiesen LUDWIG TREPL und THOMAS KIRCHHOFF (München) auf die Paradoxie hin, dass das, was die Menschen am Thema Klimawandel interessiere, weil es lebensweltlich von Bedeutung ist, in erster Linie von den Naturwissenschaften beantwortet werde, kulturelle und ästhetische Anliegen also vom „szientifischen Reduktionismus“ ausgeblendet würden bzw. implizit in naturwissenschaftlichen Theorien eingebaut seien. Diese Anliegen entdecken Trepl und Kirchhoff in einer „gegenaufklärerischen“ Denkweise, die mit der Romantik aufgekommen sei, sich aber ideengeschichtlich von ihr unterscheide und 100 Jahre später zur Entstehung der so genannten konservativen Kulturkritik und damit der Heimat- und Naturschutzbewegungen geführt habe. An der Geschichtstheorie von J.G. Herder sei im Hinblick auf den Klimawandel die holistische Sichtweise interessant. Die Umwelt- und Klimadiskussion werde von einer Denkweise geprägt, die das globale Ökosystem als einen Organismus betrachte, welcher krank werden und sterben könne, und zudem Gesellschaft als gewachsene Einheit, nicht als vertraglichen Zusammenschluss von Individuen denke. Daraus folgte in einer Betrachtung der ökologischen Denkmuster das Postulat, die kulturellen Prämissen der Klimadebatte offenzulegen und das naturalistische Missverständnis ästhetisch-kultureller Einheiten und Prozesse zu korrigieren.

In der Diskussion erinnerte ELISABETH VON THADDEN (Hamburg) daran, dass die Holzverknappung um 1800 erstmals den Aspekt der Endlichkeit der Ressourcen auf die Agenda gebracht habe. Die heute hochaktuellen Fragen des nicht verallgemeinerbaren (westlichen) Lebensstils und die globalen Gerechtigkeitsprobleme im Hinblick auf den Klimawandel seien bereits um 1800 Thema gewesen, zumal bei einer Generation von Intellektuellen, die sich seinerzeit vehement um die Verbesserung der Welt bemüht habe. Die „ästhetische Revolte“ sei dabei nur eine von vielen Denkfiguren gewesen, die das kulturkritische Denken in jener Epoche bestimmt hätten; sie erinnerte an Georg Forster, aber auch an Malthus und seine Vorstellungen von der „Moralität der Natur“, die ihre Tafel nicht für alle gedeckt habe. Diskutiert wurde dann die Trennung der Naturerfahrung vom Menschen seit Kant. Für den „Neo-Romantiker“ ANDREAS WEBER (Berlin) zeigt der Klimawandel, dass man mit Mensch und Natur etwas zu trennen versuche, was sich nicht trennen lasse. Die Klimakrise sei eine Humanitätskrise und somit die Krise der Frage, wie wir mit dem „Ganzen“ verbunden sind. Notwendig sei es nun, die Dinge zusammen zu denken und die „Einheit in der Vielheit“ zu finden. Während Weber für eine Rehabilitation holistischer Denkweisen plädierte, insistierte FRANZ MAUELSHAGEN (Zürich) auf der Notwendigkeit der heuristischen Trennung der Sphären; von Thadden setzte sich dafür ein, die Trennung in den Wissenskulturen zu überwinden, sie als Systemdifferenzierung aber beizubehalten.

Das zweite, von HARALD WELZER (KWI) geleitete Panel über „Umweltzerstörung und Kulturkritik um die Jahrhundertwende“ wurde mit einem Impulsreferat von GEORG BOLLENBECK (Siegen) eröffnet. Vom Wetter geredet hätten die Menschen schon immer, dabei sei die Wetterabhängigkeit umso größer, je geringer die Naturbeherrschung sei. Daher habe das Wetter im Zuge der technischen Entwicklung in den letzten Jahrhunderten und der damit verbundenen „Zurückdrängung der Naturschranke“ zunächst seinen Schrecken verloren. In den letzten Jahren habe dagegen durch die Zunahme der Katastrophenmeldungen der Wetterbericht seine „konsumistische Harmlosigkeit“ verloren. Die Rede von der „Klimakatastrophe“ sei neben den wissenschaftlichen Befunden der Klimatologie und der medialen Aufbereitung durch ein bisher unterschätztes Erklärungsmoment begründet, nämlich ein um 1900 entstandenes, kulturkritisch imprägniertes ökologisches Deutungsmuster, dessen Ordnungs- und Wertungsschemata (symbolische Prägnanz, Totalitätsanspruch, Temporalisierung, Rettungsvision) die Fakten des Klimawandels heute zu Indikatoren einer Klimakatastrophe machten. Um 1900 sei, mit Friedrich Nietzsche und Ludwig Klages als Zentralfiguren, ein normatives Naturkonzept aufgerufen worden, dessen Argumentationsreservoir bis heute lebendig sei. Neben der Ablehnung des Rationalismus, der Kritik an der Macht der Maschine und Klagen über den Moloch Großstadt bilde die Kritik an der Zerstörung der natürlichen Umwelt das Zentrum dieses Deutungsmusters. Dieses interpretiert Umweltzerstörung nicht als singuläres Phänomen, sondern vielmehr „in einer Art Totalkonstruktion als Zeichen der lebensfeindlichen Zivilisation und deren 'planetarischer Verwüstungsorgie' (Ludwig Klages)“. Dieses Deutungsmuster, so Bollenbeck, behaupte sich - wenn auch in Konjunkturen - bis heute im mentalen Haushalt der 'gebildeten Welt' und über politische Lagergrenzen hinweg. Friedrich Georg Jünger zum Beispiel sprach vom „drohenden Untergang der Welt schlechthin“, bei Rudolf Bahro fand sich später die Idee von der „Universalrettung der Natur“. Der schleichende Treibhauseffekt sei von der Klimatologie auf die Agenda gebracht, aber erst danach von der Kulturkritik thematisiert worden. Der Angst- und Alarmbegriff „Klimakatastrophe“, das Wort des Jahres 2007, warne vor Verharmlosungen, zudem schärften „Übertreibungen in Richtung Wahrheit“ den Realitätssinn.

In der lebhaften Diskussion fragte MICHAEL GROßHEIM (Rostock): „Warum reden alle vom Wetter?“ Dies liege darin begründet, dass alle Menschen das Wetter teilten. Er konstatierte eine langfristige Entfremdung der Philosophie vom Wetter, was in der Forderung nach der „Wiederaneignung des Klimas durch die Kulturwissenschaften“ mündete. Diese müsse in der Anknüpfung an eine schon bei Demokrit und Empedokles angelegten Dichotomie das Klima nicht länger in der Analogie von Festkörpern, sondern als Raum-Atmosphäre begreifen. DIRK VAN LAAK (Gießen) und HELMUT LETHEN (Wien) wiesen auf die Koexistenz von Fortschrittsoptimismus und Wissen um die Begrenztheit von Ressourcen und Biosphäre um 1900, der ersten Globalisierungsphase, hin. Die Schere zwischen beiden sei um 1900 besonders groß gewesen, wobei der Fortschrittsoptimismus stärker ausgeprägt gewesen sei. Ein spannendes Forschungsfeld lokalisierte van Laak in der Frage, wie das Wissen um die Begrenztheit der Ressourcen in den Hintergrund gedrängt worden sei. Erwähnenswert seien Entwicklungen wie die Einführung des Versicherungsprinzips und des Versorgungsstaates, die Strategie der Verschiebung der Umweltfolgen auf Raum und/oder Zeit oder beispielsweise die Ansicht, im Sinne des Gemeinwohls müssten Umwelt- und Gesundheitsschäden vom Individuum akzeptiert werden. Lethen verwies auf die Säkularisierung des Natur- und Klimadiskurses und den Gewinn der Kulturkritik, der darin bestanden habe, dem Diktat der göttlichen Natur zu entkommen und sie als vom Menschen gemachten Prozess wahrzunehmen, auch um den Preis der Entfremdung.

Elisabeth von Thadden merkte an, mit den Naturzerstörungen durch die Industrialisierung sei eine Privatisierung der Natur, etwa der Rückzug in den privaten Garten einhergegangen. Bollenbeck sprach in diesem Zusammenhang vom „Monte Verità-Syndrom“, dem „partikularkompensatorischen Einrichten in einer schönen Landschaft“. Das bloße Überdenken von Konsum- und Lebensstilen wurde in der Diskussion als unpolitisch kritisiert. Es herrschte jedoch weitgehende Einigkeit unter den Teilnehmern, dass die unmittelbare Verwertbarkeit kulturwissenschaftlicher Forschung weder gegeben noch notwendig sei. „Die Praxis von Wissenschaft ist Wissenschaft“, erinnerte Claus Leggewie. Kulturwissenschaften könnten dem „Klimaalarmismus“ entgegenwirken, aber dieser Ruf nach Besonnenheit dürfe nicht in Gleichgültigkeit angesichts der Herausforderung umschlagen.

Hier schloss das dritte Panel über „Klimawandel und alternative Lebensformen nach 1970“ an. OTTO KALLSCHEUERS (Berlin) Impulsreferat „Grenzen des Wachstums – Grenzen des Lebens. André Gorz, ein vergessener Vordenker?“ skizzierte die gesellschafts-kritische Debatte nach der Veröffentlichung des Berichtes des Club of Rome zu den „Grenzen des Wachstums“, die als „ideenpolitische Zukunftswerkstatt von gestern für den Umgang mit der Klimakatastrophe von morgen angesehen werden“ könne. Die „Grenzen des Wachstums“ hätten es schwierig gemacht, an den liberalen wie sozialistischen Zukunftsvorstellungen festzuhalten, da beide gleichermaßen auf der Annahme unbegrenzten Wirtschaftswachstums beruhten. Das Positivsummenspiel von wirtschaftlichem Wachstum, steigendem Lebensstandard und erweiterter Partizipation sei in ein dramatisches Nullsummenspiel umgeschlagen. Seinerzeit habe der „grüne Kommunist“ Wolfgang Harich erwogen, das Wachstum der Konsumansprüche und der materiellen Produktion diktatorisch zu begrenzen; die ökologische Bewegung habe hingegen einen alternativen, demokratie-kompatiblen Weg zu finden versucht, die „Revolution der Ansprüche“ vom unverantwortbaren materiellen Wachstum von Konsum und Produktion abzukoppeln. Kallscheuer erinnerte am Beispiel des heute weitgehend in Vergessenheit geratenen Ökosozialisten Gorz daran, dass in der Zeit nach 1970 Forderungen nach einem veränderten Wachstumsbegriff aufgekommen seien, die eher auf inneres, seelisches Wachstum im Gegensatz zum äußeren, materiellen Wachstum abzielten. Auch habe es seinerzeit ein hohes Maß an Politisierung der ökologischen Frage gegeben, die heute nicht abzusehen sei.

In der anschließenden Diskussion, die sich kaum auf den Zeitabschnitt um 1970, sondern auf die aktuelle Lage bezog, thematisierte LUDWIG FISCHER (Hamburg) Risiken und Nebenwirkungen der Zivilisation. Derzeit gebe es ein nie dagewesenes Missverhältnis zwischen Handeln und unintendierten Folgen des Handelns, und eine zentrale Frage sei, ob die Kosten des Klimawandels schon heute höher seien als die des Klimaschutzes bzw. wann dieser Zeitpunkt erreicht werde. Fischer wies in diesem Zusammenhang auf die „Leibgebundenheit der Erfahrung“ hin, um Klimawandel zu begreifen, sei sinnliche Erfahrung notwendig, wie etwa die Erfahrung abschmelzender Gletscher. Der schleichende Charakter des Klimawandels führe zu dem Problem mangelnder Evidenz der Klimaveränderung, da es vielen Menschen an unmittelbaren Eindrücken fehle. SABINE HÖHLER (Washington/München) erörterte ökologische Szenarien und zog dabei Parallelen zwischen der Hockeyschlägerkurve des Intergovernmental Panel on Climate Change (IPCC) und Dennis Meadows’ Berechnungen zur Endlichkeit bestimmter Ressourcen, die sich im Nachhinein als übertrieben heraus gestellt hatten. Sie erinnerte an die Vorstellungen vom „Raumschiff Erde“, an Meadows' „Weltmodell“ und den Traum vom Erreichen eines Gleichgewichtszustandes. Die Entwicklung von Computermodellen und weltweiten Netzwerken habe das Schicksal der Erde in die Hände weniger Experten gelegt. Höhler hinterfragte die Mathematisierung der Klimaforschung und betonte, dass sich soziale und kulturelle Dimensionen des Klimawandels nicht mathematisch formulieren ließen und eine Dekonstruktion der Klima-Expertise durch freiheitliche Sozialbewegungen anstehe. NICO STEHR (Friedrichshafen) betonte die Notwendigkeit stärkerer Hinwendung zum Thema Anpassung an den Klimawandel. Durch die einseitige Konzentration der Klimapolitik auf Maßnahmen zur Treibhausgasreduktion werde das Thema der Vorsorge tabuisiert. Angesichts der jahrzehntelangen Verzögerung zwischen Ursache und Wirkung bei der globalen Erwärmung sei ein Anstieg der globalen Mitteltemperatur um mindestens zwei Grad Celsius nicht mehr zu verhindern, weswegen mehr „Vorsorgeforschung“ erforderlich sei. Er betonte die Notwendigkeit hochauflösender regionaler Klimaprojektionen, da Anpassungsmaßnahmen regional sehr stark differieren würden. Zugleich warf Stehr die Frage auf, ob die Vorstellung der Klimabeeinflussung angesichts einer ungewissen gesellschaftlichen Zukunft nicht als Hybris betrachtet werden müsse und forderte Einsicht in das politisch Machbare beim Klimaschutz.

Durchaus im Sinne der 1970er-Jahre verlangte das Publikum nach einer politischen Debatte. In der Diskussion wurde darauf verwiesen, dass lebensweltliche Erfahrungen beim Klimaschutz eine hohe Relevanz besäßen. Handlungsanweisungen müssten insofern regional verschieden ausfallen. Ludwig Fischer vertrat die Meinung, es sei möglich, vom erreichten Stand des Konsumniveaus wieder herunter zu kommen, ohne übermäßigen Verzicht üben zu müssen; notwendig sei die Etablierung sozialer Netzwerke, die „Geschichten“ erproben und aufzeigen, welche neuen klimafreundlichen Lebensformen denkbar seien. Sabine Höhler stellte sich auf den Standpunkt, beim Klimaschutz sei eine Top-Down-Steuerung nicht möglich, da zu viele Akteure am Werk seien. Sie sprach sich für die Revitalisierung eines partizipativen Politikbegriffs sowie eine neue politische Ökologie aus. Claus Leggewie warnte zum Abschluss des dritten Panels davor, in Sachen Klimaschutz zu viele Hoffnungen in den vorsorgenden Staat zu setzen; Lösungen sah er eher in sozialen Netzwerkkonstellationen, die das vermeintliche Positivsummenspiel kapitalistischen Wachstums überwinden und die Freiheit zur Selbstbeschränkung entdecken könnten.

JOACHIM RADKAU (Bielefeld) hielt den heiteren Abschlussvortrag mit dem Titel „Was beweist die Klimageschichte? - Denkversuche im Wirbel des Klimaalarms“. In einem eleganten Durchgang durch Klassiker der Klimadebatte vom Pionier Emmanuel Le Roy Ladurie bis zum Skeptiker Vaclav Claus zeigte er, dass die Geschichte wie ein Tennisball in der Klimakontroverse sei - sie werde von beiden Seiten bemüht, ohne eindeutige Lehren vorgeben zu können. Lebensweltlich sei ein Besuch schmelzender Alpengletscher eine gute Möglichkeit, Klimaveränderungen wahrzunehmen, doch habe es vor wenigen Jahrzehnten noch Gletscherwachstum gegeben. Im Blick auf die Tagungshypothese vom Zusammenhang industrieller Produktion und klimabezogener Kulturkritik und gegen Behringer betonte Radkau, dass das für die heutigen Probleme relevante Niveau an Treibhausgasemissionen erst durch die zunehmende Industrialisierung und Motorisierung ab den 1950er-Jahren erreicht worden sei. Die Klimageschichte müsse immer im Kontext breiterer Kulturgeschichte betrachtet werden, was zum Beispiel die kulturell bedingte Unfähigkeit der Wikinger verdeutliche, sich an die kleine Eiszeit anzupassen. Gleichwohl blieben Maßnahmen wie Investitionen in erneuerbare Energien, Energieeffizienz und weniger Verkehr auch dann begrüßenswert, wenn sich der Klimaalarm als übertrieben erweisen sollte.

Unterm Strich kann ein positives Fazit der Dresdner Tagung gezogen werden. Claus Leggewie formulierte den Eindruck, die „Probebohrungen“ seien gut angesetzt und teilweise fündig geworden. Tiefenbohrungen zum Thema Klimakultur würden am KWI in Zukunft interdisziplinär und international vorangetrieben, die Kooperation mit Museen und Ausstellungsprojekten wie in Dresden könnten dabei einen großen Erkenntnisgewinn verschaffen.

Konferenzübersicht:

Führung durch die Sonderausstellung für die Teilnehmer des Symposiums

Begrüßung Prof. Klaus Vogel, Direktor des Deutschen Hygiene-Museums, Dresden
Prof. Dr. Claus Leggewie, Direktor des Kulturwissenschaftlichen Instituts Essen
KlimaKultur – Zu einer Kulturgeschichte des Klimas

Eröffnungsvortrag: Klima und historisches Gedächtnis
Prof. Dr. Wolfgang Behringer, Universität des Saarlandes, Saarbrücken

KRISE DER NATUR UND ÄSTHETISCHE REVOLTE UM 1800

Impulsreferat:
Prof. Dr. Ludwig Trepl/Dr. Thomas Kirchhoff, Wissenschaftszentrum Weihenstephan, Technische Universität München
Kommentare:
Dr. Elisabeth von Thadden, Literaturwissenschaftlerin, Redaktion DIE ZEIT, Hamburg
Dr. Andreas Weber, Autor und Journalist, Berlin
Franz Mauelshagen, Historiker, Zürich
Moderation:
PD Dr. Ludger Heidbrink, Direktor des Center for Responsibility Research am Kulturwissenschaftlichen Institut Essen

UMWELTZERSTÖRUNG UND ZIVILISATIONSKRITIK UM DIE JAHRHUNDERTWENDE

Impulsreferat:
Prof. Dr. Georg Bollenbeck, Universität Siegen
Kommentare:
Prof. Dr. Michael Großheim, Universität Rostock
Prof. Dr. Dirk van Laak, Justus-Liebig-Universität Gießen
Prof. Dr. Helmut Lethen, Direktor des Internationalen Forschungszentrums Kulturwissenschaften, Wien
Moderation:
Prof. Dr. Harald Welzer, Direktor des Center for Interdisciplinary Memory Research am KWI Essen

KLIMAWANDEL UND ALTERNATIVE LEBENSFORMEN NACH 1970

Impulsreferat:
PD Dr. Otto Kallscheuer, Philosoph und freier Autor, Berlin/Sassari
Kommentare:
Prof. Dr. Ludwig Fischer, Universität Hamburg
Dr. Sabine Höhler, Deutsches Historisches Institut, Washington D.C., USA
Prof. Dr. Nico Stehr, Zeppelin University Friedrichshafen
Moderation:
Prof. Dr. Claus Leggewie, Direktor des Kulturwissenschaftlichen Instituts Essen

WAS BEWEIST DIE KLIMAGESCHICHTE? DENKVERSUCHE IM WIRBEL DES KLIMAALARMS
Abschlussvortrag Prof. Dr. Joachim Radkau, Universität Bielefeld