22. Jahrestagung des Schwerter Arbeitskreises für Katholizismusforschung

22. Jahrestagung des Schwerter Arbeitskreises für Katholizismusforschung

Organisatoren
Schwerter Arbeitskreis für Katholizismusforschung (SAK)
Ort
Schwerte
Land
Deutschland
Vom - Bis
14.11.2008 - 16.11.2008
Url der Konferenzwebsite
Von
Andreas Henkelmann, Lehrstuhl für Kirchengeschichte II, Kath-Theol. Fak., Ruhr-Universität Bochum; Nicole Priesching, Westfälische Wilhelms-Universität Münster

Zur 22. Jahrestagung des Schwerter Arbeitskreises für Katholizismusforschung (SAK) versammelten sich vom 14.-16. November 2008 circa 30 (Kirchen-)Historikerinnen und Historiker. In bewährter Kooperation mit der Katholischen Akademie Schwerte stand die Tagung unter der Leitung von NICOLE PRIESCHING (Münster) und ANDREAS HENKELMANN (Bochum). Thema der Generaldebatte war in diesem Jahr „Zwischen Seelenheil und kirchlicher Sozialarbeit. Säkularisierungsschübe der Caritas im 19. und 20. Jahrhundert aus transnationaler Perspektive“.

Am Freitagabend berichtete GREGOR KLAPCZYNSKI (Münster) über sein Dissertationsprojekt, das nach Formen von „katholischem Historismus“ um 1900 fragt. Die katholische Modernismuskrise unter Papst Pius X. lasse sich, so Klapczynski, in Teilen als eine konfessionsspezifische Variante der allgemeinen „Krise des Historismus“ deuten, die sich damals in sämtlichen Kulturwissenschaften bemerkbar machte. Am Beispiel von katholischen Kirchenhistorikern, die im zeitlichen Konnex mit der Modernismuskrise ins Visier der kirchlich-antimodernistischen Autorität gerieten (A. Ehrhard, H. Koch, S. Merkle, J. Schnitzer, H. Schrörs), analysierte er konkrete Weisen historischen Arbeitens auf einem besonders sensiblen Feld, dem der Kirchengeschichte eben, und fragt nach deren innerkirchlichem Krisenpotential. Mit Hilfe eines biographischen und zugleich problemorientierten, theologie-, wissenschafts- und kulturgeschichtlich informierten Zugriffs soll eine möglichst differenzierte Erfassung jenes Phänomens ermöglicht werden, das möglicherweise in den Begriff „katholischer Historismus“ gefasst werden kann.

Den Auftakt am Samstag bildete der Vortrag von KLAUS GROSSE KRACHT (Potsdam/Münster) über „Katholiken im ‚vorpolitischen Raum’. Zur Geschichte der Katholischen Aktion in Deutschland 1920-1960.“ Diese war eine von Pius X. zunächst für Italien, von Pius XI. dann für die gesamte katholische Welt ausgerufene Mobilisierungskampagne katholischer Laien mit dem Ziel einer umfassenden 'Rechristianisierung der Gesellschaft'. Während die Katholische Aktion in Italien und Frankreich zu einer umfassenden Restrukturierung des jeweiligen Laienkatholizismus führte, wurde in Deutschland zwischen 1920 und 1960 zwar viel über die Katholische Aktion diskutiert, klare Organisationsstrukturen konnten jedoch, nicht zuletzt aufgrund der politischen Systembrüche von 1933 und 1945, nicht aufgebaut werden. Als eine Art diskursives Laboratorium des deutschen Katholizismus führten die innerkirchlichen Auseinandersetzungen um den Begriff in Deutschland gleichwohl dazu, nach 1945 allzu einfache Vorstellungen von einer ‚Rechristianisierung der Gesellschaft’ aufzugeben und diese durch die Einsicht einer zunehmenden ‚Vergesellschaftung der Christen’ zu ersetzen.

HOLGER ARNING (Münster) referierte zum Thema „Im Kampf um die Mythen der Macht – eine Diskursanalyse zur katholischen Wochenpresse im Dritten Reich“. Er beschrieb seinen Begriff der „diskursiven Strategie“, mit dem er die „Mythen“ und Feindbilder bezeichnete, die sich um Schlagworte wie „Rasse“, „Volksgemeinschaft“, „Mutterschaft“ und „Boden“ bildeten. Die diskursiven Strategien hätten die soziale Praxis koordiniert, indem sie Bedürfnisbefriedigungen versprachen und im Gegenzug bestimmte Handlungen einforderten. Die katholische Presse, exemplarisch untersucht anhand „Unseres Kirchenblatts“ aus Recklinghausen, habe 1934 die nationalsozialistisch besetzten Schlagworte aufgegriffen und den eigenen Interessen und Leitunterscheidungen gemäß eigene Varianten der diskursiven Strategien konstruiert. Der Festigung der nationalsozialistischen Macht sei jedoch nur partiell entgegengewirkt worden.

An der Schnittstelle von Fragen nach religiöser Transformation und der Erforschung der Friedensbewegung nach dem Zweiten Weltkrieg untersucht das Dissertationsprojekt von DANIEL GERSTER (Florenz) den „katholischen“ Beitrag in den öffentlichen Kriegs- und Friedensdiskursen der Bundesrepublik Deutschland. Ausgehend von der ersten großen innerdeutschen Debatten der Jahre 1957/58 soll die Untersuchung vor allem die Debatten um nukleare Rüstungsfragen bis zum Höhepunkt der „Neuen Friedensbewegung“ Ende 1983 in den Blick nehmen. Die diskursanalytische Untersuchung der „katholischen“ Beiträge ermöglicht es, semantische Grenzverschiebungen zwischen dem „religiösem“ und dem „politischem“ Feld auszuloten und Schlussfolgerungen für deren Verhältnis zu ziehen. Dies zeigte Gerster beispielhaft an der Auseinandersetzung um die Teilnahme an der Friedensdemonstration am 10. Oktober 1981 in Bonn innerhalb der deutschen Sektion von Pax Christi.

In seinem Vortrag „Argumente statt Autorität. Das Ereignis der Würzburger Synode“ präsentierte STEFAN VOGES (Münster) einen Aspekt seines laufenden Promotionsprojekts. Er stellte den Ansatz zur Diskussion, sich der „Gemeinsamen Synode der Bistümer in der Bundesrepublik Deutschland“ über ihren Ereignischarakter zu nähern. Am Beispiel der Autoritätsfrage beschrieb er die Entwicklung vom Essener Katholikentag 1968 bis zur Konstituierenden Vollversammlung der Synode. Dem Misstrauen in der Vorbereitungszeit sei in der Synodenversammlung selbst eine anders geprägte Atmosphäre gefolgt, die quellenmäßig schwierig zu fassen und am ehesten mit dem Ereignishaften zu erklären sei. In der Diskussion wurde zum einen auf eine notwendige Vertiefung des Ansatzes hingewiesen. Zum anderen sei das Ereignis Synode stärker in gesellschaftliche Kontexte einzuordnen. CHRISTIAN SCHRÖDER (Trier) berichtete über die Ergebnisse seiner lokalen Fallstudie des Ortes Wallerfangen an der Saar, welche zur Vorbereitung auf eine vergleichende Regionalstudie zur katholischen Armenfürsorge im Saargebiet und Südbaden dienen soll. Im Zentrum seines Vorhabens steht die Frage, ob für den Bereich der Armenfürsorge von einer fortschreitenden Marginalisierung der katholischen Kirche im 19. Jahrhundert gesprochen werden könne, oder ob kirchliche und staatliche Initiativen nicht vielmehr in gegenseitiger Konkurrenz zueinander oder auch in Kooperation miteinander gestanden hätten. Für die durchgeführte Fallstudie konnte die Entstehung katholischer Armenfürsorge mit Billigung und Unterstützung des preußischen Staates sowie der Privatwirtschaft nachgewiesen werden. Von einem katholischen Armenverein führte die Entwicklung über (von Borromäerinnen geleiteten) Institutionen der Armen-, Alten- und Kinderfürsorge hin zu einer Stiftung, die in der Form moderner Wohlfahrtsorganisationen die Verwaltung der Einrichtungen fortführte.

SONJA MATTER (Bern) fragte in ihrem Beitrag anhand des Beispiels der sozial-caritativen Frauenschule Luzern, wie Leitbilder und Normen der professionellen Sozialarbeit durch einen transnationalen, katholischen Dialog geprägt wurden. Inwiefern formte der transnationale, katholische Diskurs Identitäten von katholischen Schweizer Sozialarbeiterinnen in einer Zeit, als sich die Integration der katholischen Bevölkerung in den Schweizer Bundesstaat nur partiell vollzogen hatte? Wie positionierte sich die Schweizer sozial-caritative Frauenschule in ihrer „doppelte Loyalität“ mit der Kirche und Nation in der Zwischenkriegszeit und welche Rolle spielt dabei ihre Teilnahme an UCISS? Dabei handelte es sich um die 1925 in Brüssel gegründete „Union Catholique International de Service Social“ (UCISS), die sich zum Ziel gesetzt hatte, die Schulen für katholische Sozialarbeit weltweit zu versammeln und eine Diskussionsplattform zu bilden. Nach Matter sei der transnationale Ideenaustausch, wie er sich innerhalb der Ausbildungsstätten der katholischen Sozialarbeit vollzog, bisher noch kaum aufgearbeitet worden.

Am Samstagabend wurde eine Dokumentation der RAI Bozen über die stigmatisierte Maria von Mörl (1812-1868) gezeigt und im Anschluss über Formen medialer Aufarbeitung dieses Themas diskutiert.

Am Sonntagvormittag folgte die Generaldebatte zu Säkularisierungsschüben der Caritas im 19. und 20. Jahrhundert. Als erstes gab EWALD FRIE (Tübingen) eine Skizze zur deutschen Entwicklung. Dabei arbeitete er acht Problemanzeigen aus. Er startete mit der provokanten Frage, ob es angesichts der räumlichen wie zeitlichen höchst differenten Sachverhalte, die sich hinter dem Begriff caritativer Katholizismus verbergen, so etwas wie einen caritativen Katholizismus überhaupt gebe. Anschließend plädierte Frie für eine Periodisierung des 19. und 20. Jahrhunderts in drei Epochen: bis 1880, 1880-1970 und nach 1970. Dabei hob er als Stärke dieser Einteilung hervor, dass sich so die Epochengliederung an transnational wirksamen sozialen und kulturellen Grunddaten orientieren würde. In einem dritten Punkt hob Frie hervor, dass caritative Organisationen als intermediäre Akteure zu beschreiben seien, die zwischen den Logiken von Staat, Markt und Familie lavieren. Anschließend ging er auf die Bedeutung der Caritas für die Ausformung des katholischen Milieus ein. Als fünften Aspekt brachte Frie die These ins Spiel, dass die Entwicklung des caritativen Katholizismus wie die des Wohlfahrtsstaates nicht mit sozialen Notlagen, sondern mit der Wahrnehmung dieser Notlagen korreliere. In einem weiteren Gedankenschritt ging Frie auf das Verhältnis von organisierter Caritas und caritativem Katholizismus ein, um abschließend die Bedeutung der Interaktion von Caritas und ihre Klienten als wichtiges Forschungsfeld hervorzuheben.

Daraufhin verlas Nicole Priesching das Referat des erkrankten MATTHIAS SCHMIDHALTER (Rom) über die Entwicklung des caritativen Katholizismus in der Schweiz. Im Mittelpunkt des Vortrags stand die mühsame Gründung eines Caritasverbandes für die Schweiz. 1901 als Sektion des schweizerischen Katholikenvereins gegründet, erlebte er nach ersten mühsamen Anfängen während des Ersten Weltkriegs einen enormen Aufschwung und eine vorsichtige Öffnung gegenüber nichtkatholischen Organisationen. 1927 löste sich der Verband vom Katholikenverein und fungierte als Zentrale für alle katholischen Institutionen, die im Bereich der Fürsorge tätig waren. Des Weiteren hob Schmidhalter die Bedeutung der Flüchtlingsthematik für die Entwicklung der Caritas in der Schweiz hervor. Während des ‚Dritten Reichs’ mit der Betreuung von Flüchtlingen vor allem aus Deutschland und Österreich beschäftigt, waren es dann 1956 Ungarn und 1968/1969 tschechische und slowakische Flüchtlinge, für die die Caritas in der Schweiz Sorge trug. In den 1960er-Jahren hatte die Not- und Katastrophenhilfe – die Einsätze in Biafra 1968 bis 1970 sind hier als Anfangspunkte hervorzuheben – schon als neues Einsatzgebiet eine wichtige Rolle gewonnen. Damit beschleunigte sich auch der Wandel von einer katholischen Milieuorganisation zu einem sozialen Hilfswerk.

In der Diskussion wurde vor allem auf den Periodisierungsvorschlag Fries eingegangen, wobei die Stärken und Schwächen sowohl von Epocheneinteilungen als auch von einer longue durée Perspektive zur Sprache kamen. Ferner wurde der Frage nachgegangen, inwiefern die Geschichte der Caritas in diesen zwei Jahrhunderten als Abfolge von Säkularisierungsschüben zu beschreiben ist. Es wurde auf die Vielfältigkeit der einzelnen caritativen Einrichtungen hingewiesen und ein Plädoyer für mehr Fallstudien gehalten.

Die nächste Jahrestagung des Schwerter Arbeitskreises findet vom 13. bis 15.11.2009 in der Akademie Schwerte statt.

Kurzübersicht:

Gregor Klapczynski, „Katholischer Historismus“ um 1900. Ein Arbeitsbericht

Klaus Große Kracht, Katholiken im „vorpolitischen“ Raum. Zur Geschichte der Katholischen Aktion in Deutschland 1920-1960

Holger Arning, Im Kampf um die Mythen der Macht – eine Diskursanalyse zur katholischen Wochenpresse im Jahr 1934

Daniel Gerster, „Et pacem in terris...“ Die Diskurse um Krieg und Frieden im westdeutschen Katholizismus während der 1960er- und 1970er-Jahre

Stefan Voges, Argumente statt Autorität. Das Ereignis der Würzburger Synode

Christian Schröder, Katholische Armenfürsorge im entstehenden saarländischen Industrierevier. Konfrontation, Kooperation oder „edler Wettkampf“?

Sonja Matter, „Le véritable service social est basé sur la doctrine catholique.” Die sozial-caritative Frauenschule Luzern im transnationalen katholischen Dialog der Zwischenkriegszeit

Generaldebatte: Zwischen Seelenheil und kirchlicher Sozialarbeit. Säkularisierungsschübe der Caritas im 19. und 20. Jahrhundert aus transnationaler Perspektive

Ewald Frie, Die deutsche Perspektive

Matthias Schmidhalter, Die Schweizer Perspektive