Arbeitskreis Ordensgeschichte 19./20. Jahrhundert. 9. Tagung

Arbeitskreis Ordensgeschichte 19./20. Jahrhundert. 9. Tagung

Organisatoren
Institut für Theologie und Geschichte religiöser Gemeinschaften der Philosophisch-Theologischen Hochschule Vallendar
Ort
Vallendar
Land
Deutschland
Vom - Bis
06.02.2009 - 08.02.2009
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Von
Gisela Fleckenstein, Historisches Archiv der Stadt Köln

In Vallendar diskutierten über 40 Teilnehmer und Teilnehmerinnen aus unterschiedlichen Arbeitsbereichen Themen der neueren Ordensgeschichte. Drei Themenblöcke standen im Mittelpunkt: Ordensgemeinschaften im Großstadtmilieu, Ordensbiographien und Orden und Mission.

Den Auftakt bildete ein Vortrag von Archivar JOHANNES MERTENS (Berlin), der in einem Erfahrungsbericht die Erwartungen von Archivbenutzern an das Provinzarchiv der Schwestern der heiligen Elisabeth formulierte. Er unterschied zwischen externen wissenschaftlichen, heimatkundlichen und genealogischen Anfragen. Im erstgenannten Bereich haben Anfragen aus der neu begründeten Disziplin der Pflegewissenschaften Konjunktur. Ordensinterne Anfrage der Verwaltung dienen meist der Klärung von Rechtsverhältnissen. Viele Benutzer, so resümierte er, haben wenige Vorstellungen von einem Ordensarchiv und erwarten ausführliche Antworten auf Knopfdruck.

Pater MICHAEL DILLMANN (Berlin/Koblenz-Arenberg) beschäftigt sich in seinem Dissertationsprojekt mit der schwierigen Gründung des Berliner Konvents der Dominikaner. Am Beispiel eines neuen Quellenfundes – einem Bericht des Dominikaners P. Ceslaus Maria de Robiano von 1876 an den Generalmeister des Ordens in Rom - referierte er die Situation der katholischen Kirche in Berlin kurz nach Ausbruch des Kulturkampfes. Kapelle und Kloster im Arbeiterviertel Moabit wurden nach längeren Vorverhandlungen 1869 eingesegnet und dem heiligen Apostel Paulus geweiht. Die Gründung einer katholischen Keimzelle im protestantischen Berlin war eine Herausforderung, die zu Hetzartikeln und Karikaturen in der Presse führte. Ergebnis war die Erstürmung des Klosters durch eine aufgebrachte Volksmenge (Moabiter Klostersturm). Ein vorläufiges Ende der Niederlassung kam mit dem Kulturkampf. Robiano wollte mit seiner Rechtfertigungsschrift erreichen, dass der Orden in jedem Fall in der Hauptstadt bleiben sollte, was nach dem Kultkurkampf auch gelang.

FLORIAN MILDENBERGER (Berlin) stellte ordensähnliche Gründungen im Umkreis der Lebensreformbewegung vor. Um 1900 gab es in Deutschland und der Schweiz verschiedene Gründungen, deren Credo ein „Zurück zur Natur“ war. In der Organisationsstruktur orientierte man sich mit Vorstehern, Versprechen etc. an religiösen Ordensgemeinschaften. Ein gemeinschaftliches Leben fand nicht statt, man traf sich im privaten Bereich. Man kann drei Richtungen unterscheiden: den von Ernst Haeckel gegründeten Deutschen Monistenbund, die dem Germanenkult verbundene Mittgart-Bewegung um Willibald Hentschel und die Theosophie um Helena Blavatsky, von der sich später der Anthroposoph Rudolf Steiner absetzte. Diese Bewegungen, deren Zenit 1918 bereits überschritten war, artikulierten sich auch in Kunst und Architektur. Als Beispiel hierfür steht der Maler Fidus (Hugo Höppener).

Auch die deutsche Provinz der Kamillianer strebte die Gründung einer Niederlassung in der Hauptstadt Berlin an. GERHARD KUCK (Rom) schreibt die Geschichte der deutschen Kamillianerprovinz. Der Krankenpflegeorden gründete 1901 in Essen-Heidhausen Klinik, Kloster und Kirche. Schwerpunkt war der Kampf gegen den Alkoholismus in einer Fachklinik für Entzug. Die Kamillianer arbeiteten eng mit dem Deutschen Caritasverband zusammen. Die Gemeinschaft verfügte über genügend Nachwuchs und erwog eine Gründung in Berlin-Charlottenburg. Dazu wollte man den Dienst an einem Krankenhaus übernehmen, doch dies war in Berlin nur in Kombination mit der Übernahme einer Pfarrei möglich, was keine genuine Aufgabe des Ordens war und daher zu Diskussionen führte. Seit 1922 waren einzelne Patres in der späteren St. Kamillus-Pfarrei aktiv und 1932 konnte nach einigen Schwierigkeiten ein hochmodernes Zentrum mit Pfarrkirche, Altenwohnheim, Kindertagesstätte und Kloster eingeweiht werden.

Prägung, Werdegang und Funktion im Orden des Jesuiten P. Augustin Bea (1881-1968) untersuchte CLEMENS BRODKORB (München). Anhand von Archivalien verfolgte er den Lebenslauf des späteren Kardinals bis zu seiner römischen Zeit. Nach dem Abitur am Gymnasium in Konstanz studierte der Sohn eines Zimmermanns zwei Jahre Theologie in Freiburg, um dann 1902 in den Jesuitenorden einzutreten. Die ordensinternen Studien absolvierte er überwiegend am Ignatiuskolleg in Valkenburg (Holland). Er kam wegen des Krieges kaum zu weiteren Studien; 1914 wurde er Leiter der Jesuitenresidenz in Aachen und übernahm 1917 eine Professur für Bibelwissenschaften in Valkenburg. 1921 wurde er zum ersten Provinzial der neuen Oberdeutschen Provinz der Jesuiten mit Sitz in München gewählt. Er musste dieses Amt aufgeben, weil der Orden ihn als Leiter seines internationalen Studienhauses in Rom bestellte, wo Bea dann bis zu seinem Lebensende wirken sollte.

Honorine (Elisabeth Henriette) Steimer (1831-1903) war die erste Generaloberin der Kongregation der Töchter des Allerheiligsten Erlösers in Würzburg. Diese Kongregation war 1854 von den Niederbronner Schwestern abgetrennt worden. Bis 1989 wussten die Schwestern kaum etwas über die Generaloberin, obwohl es entsprechendes Material in den Archiven gab, wie ERIK SODER VON GÜLDENSTUBBE (Würzburg) in seinem Vortrag zu berichten wusste. Honorine Steimer war 1852 in die Krankenpflegekongregation eingetreten. Nach Konflikten mit der Ordens- und Diözesanleitung, in denen ihr (den Archivquellen zufolge zu Unrecht) die Missachtung der Regeln und Konstitutionen sowie die Verschwendung von Klostereigentum vorgeworfen wurde, trat Steimer zurück, lebte aber al Krankenpflegerin weiterhin nach der Ordensregel, bis sie bei einem Raubüberfall ermordet wurde. Erst 1989 wurde Honorine Steimer im Rahmen der Erarbeitung der Kongregationsgeschichte rehabilitiert.

Über die katholische Mäzenatin und Klostergründerin Paula Reinhard (1850-1908) referierte GISELA FLECKENSTEIN (Köln). Paula Reinhard, die sich früh für die Ideale des heiligen Franz von Assisi begeisterte, blieb ein Klostereintritt aus gesundheitlichen und familiären Gründen verwehrt. Sie, die ihren Alltag ein Leben lang klösterlich strukturierte, benutzte – zusammen mit ihrer Schwester Maria – das ererbte väterliche Vermögen schwerpunktmäßig für zwei Klostergründungen. 1892 kamen die Pallottiner nach Koblenz-Ehrenbreitstein und 1904 finanzierten sie größtenteils den Neubau von Kloster Bethlehem in Koblenz-Pfaffendorf, in welches die Kapuzinerklarissen von der Ewigen Anbetung einzogen. Bemerkenswert ist, dass Paula Reinhard keine eigene Kongregation gründete.

Unter dem Aspekt Orden in den Medien analysierte GISELA FLECKENSTEIN (Köln) die ARD-Fernsehserie „Um Himmels Willen“. Die Auseinandersetzungen zwischen Nonnen und Bürgermeister um den fiktiven Konvent von Kloster Kaltenthal wurden auf ihren Realitätsgehalt zum Ordensleben hin abgeklopft. Im Fokus standen die Auffassung von Armut und Gehorsam. Die unterhaltsamen Episoden stellen Ordensleben sehr positiv dar und vermeiden konfessionseigene Zuspitzungen; schließlich ist man mit dem Schleier auf Quotenjagd, wie fast 8 Millionen Fernsehzuschauer beweisen.

Pater REINHOLD BAUMANN (Ellwangen) schreibt die nicht einfache Geschichte der Comboni-Missionare im Auftrag seiner Provinz. Heute wird Daniel Comboni (1831-1881) als Gründer der Gemeinschaft angesehen. Baumann schilderte Vorgeschichte, Teilung und Wiedervereinigung der Ordensgemeinschaft, deren Hauptbetätigungsfeld die Mission ist. Comboni gründete 1867 in Verona ein Institut für missionarische Aufgaben in Zentralafrika, welches 1885 in eine Kongregation umgewandelt wurde. Da die Gemeinschaft viel Zulauf aus Deutschland erhielt, wurde 1895 eine Niederlassung in Brixen gegründet. Der Erste Weltkrieg verschob die Grenzverhältnisse und 1923 erfolgte die Teilung in eine italienische und eine deutsche Kongregation. Über die unglückliche Teilung wurde in den Gemeinschaften wenig gesprochen. Nach einem Generationenwechsel kam es 1979 zu einer Wiedervereinigung der Kongregationen unter dem einheitlichen Namen der Comboni-Missionare.

Über das Wirken deutscher Vinzentiner in Costa Rica arbeitet SUSANNE REICK (Koblenz/Marburg) in ihrer Dissertationsschrift. Sie behandelt die Geschichte der Vinzentiner und ihre Bedeutung für das Wirken der katholischen Kirche in dem mittelamerikanischen Staat in der Zeit zwischen 1877 und 1920. Infolge des deutschen Kulturkampfes übernahmen die Vinzentiner zunächst die Leitung des Priesterseminars in San José, bis der junge, aus Elberfeld stammende Vinzentiner P. Bernhard August Thiel 1880 zum Bischof ernannt wurde. Zwischen 1877 und 1960 waren insgesamt 143 zumeist deutsche Vinzentiner als Seelsorger und Missionare in Costa Rica im Einsatz. Bis 1969 stellte der Orden auch sechs Bischöfe.

Im Rahmen des bevorstehenden 100jährigen Jubiläums beschäftigt sich SABINE HEISE (Münster) als Auftragsarbeit mit der Geschichte der deutschen Provinz der Missionsschwestern von der Unbefleckten Empfängnis der Mutter Gottes. Der Franziskanerbischof Amandus Bahlmann konnte 1910 die Gastwirtstochter und ausgebildete Lehrerin Elisabeth Tombrock (1887-1938) für die Mission in Brasilien gewinnen. Sie gilt heute zunehmend als die eigentliche Gründerin der Gemeinschaft. Die Klarissen in Münster bereiteten lange Zeit junge Frauen für das Wirken in der Mission vor, bis dafür in Münster 1918 eine eigene Gemeinschaft errichtet wurde. Nach schwierigen internen Entwicklungen aufgrund der Zeitläufte gibt es seit 1929 die „Missionsschwestern von der Unbefleckten Empfängnis der Mutter Gottes“, die weltweit tätig sind.

Bei den einzelnen Sektionen der Tagung wurde deutlich, dass es viele Spezialuntersuchungen auf dem Gebiet der Ordensgeschichte gibt aber ein themenübergreifender Zugriff bisher fehlt. So konnten weitergehende Zusammenhänge und Parallelen erst in den sich anschließenden Diskussionen aufgezeigt werden. Die nächste Tagung des Arbeitskreises findet vom 5. bis 7. Februar 2010 in Vallendar statt.

Konferenzübersicht:

Eröffnung

Johannes Mertens: Erwartungen von Archivbenutzern an Ordensarchive

Orden und Großstadtmilieu

Florian Mildenberge: Ordensähnliche Gründungen im Umkreis der Lebensreformbewegung

Gerhard Kuck: Tradition im Konflikt. Die Kamillianer im Berlin der 1920er Jahre

Pater Michael Dillmann OP: Die Gründung des Berliner Konvents der Dominikaner

Ordensbiographien

Clemens Brodkorb: Der Jesuit Augustin Bea (1881-1968). Prägung, Werdegang und Funktionen im Orden

Erik Soder von Güldenstubbe: Honorine Steimer – die erste Generaloberin der Schwestern des Erlösers in Würzburg

Gisela Fleckenstein: Paula Reinhard - In der Welt und doch im Kloster

Orden in den Medien
Gisela Fleckenstein: „Um Himmels Willen“ – Ordensleben in einer Fernsehserie

Orden und Mission

Susanne Reick: Deutsche Vinzentiner in Costa Rica

Pater Reinhold Baumann MCCJ: Die Comboni-Missionare. Eine Kongregation im Spannungsfeld von Nationalismus und Kolonialismus

Sabine Heise: 100 Jahre Missionsschwestern von der Unbefleckten Empfängnis – Geschichte der deutschen Provinz


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