End of Messages? The State of the Dialogue between History and Sociology

End of Messages? The State of the Dialogue between History and Sociology

Organisatoren
Bielefeld Graduate School in History and Sociology, Universität Bielefeld
Ort
Bielefeld
Land
Deutschland
Vom - Bis
09.02.2009 - 11.02.2009
Url der Konferenzwebsite
Von
Günal Incesu, Christian Meyer, Stefan Scholl, Bielefeld Graduate School in History and Sociology

Die Etablierung einer strukturierten Doktorandenausbildung in der geistes- und sozialwissenschaftlichen Forschungslandschaft in Form von Graduiertenschulen erfuhr zuletzt im Zuge der Exzellenzinitiative starken Auftrieb. Unter den geförderten Anträgen sticht die gemeinsam von Soziologen/innen und Historiker/innen entworfene Bielefelder Konzeption durch ihre thematische Offenheit hervor: Statt eines inhaltlichen Rahmens dient das Stichwort der Interdisziplinarität als Markenzeichen der neu gegründeten Bielefeld Graduate School in History and Sociology (BGHS).

Es überrascht folglich nicht, dass das erste von der BGHS ausgerichtete Annual Seminar sich dem vergangen und gegenwärtigen Stand des interdisziplinären Austauschs zwischen Soziologie und Geschichtswissenschaft als Thema annahm. In einem internationalen Teilnehmerkreis wurden die geschichtlichen Wurzeln und Hochphasen gegenseitiger „Inspiration“ oder Abschottung beleuchtet und diskutiert, aktuelle Forschungsprojekte der Teilnehmer/innen in verschiedenen Workshops besprochen und schließlich auf einer Podiumsdiskussion Perspektiven des interdisziplinären Dialogs zwischen Geschichtswissenschaft und Soziologie entworfen. Ein Abschlusskommentar von STEPHEN MENNELL (Dublin) beendete die Tagung.

Nach der Begrüßung durch den Direktor der BGHS, Jörg Bergmann, referierte der Historiker THOMAS WELSKOPP (Bielefeld) zum Thema „How Sociology once Inspired History and Why History may be Relevant for Sociology Today“. Welskopp befasste sich zunächst mit dem Stand der geschichtswissenschaftlichen Auseinandersetzung mit Theoriemodellen seit den 1960er-Jahren, um anschließend deren Mehrwert für historisch orientierte, sozialwissenschaftliche Forschungsansätze herauszustellen. Den „Historischen Sozialwissenschaften“ käme zwar das Verdienst zu, „Theorie“ nachhaltig zu einem Thema innerhalb der Geschichtswissenschaft erhoben zu haben. Die Theoriedebatte der 1970er- und 1980er-Jahre habe aber kaum genuin theoretische Qualität besessen. Wesentliche Konzepte wie der Strukturbegriff oder die Modernisierungstheorie seien dem Theoriearsenal der westlichen Sozialwissenschaften höchst selektiv entnommen und – nachdem sie erst einmal übernommen waren – kaum mehr theoretisch legitimiert worden. Tatsächlich habe sich der Historismus, dessen geschichtstheoretischen Annahmen eigentlich als Antipoden fungieren sollten, in Form eines einheitlichen Geschichtsverständnisses unbemerkt durch die Hintertür in das sozialgeschichtliche Paradigma wieder eingeschlichen. Im weiteren Verlauf seines Vortrags plädierte Welskopp für ein praxeologisch unterfüttertes Theoriedesign, welches insbesondere den historiographisch relevanten Schlüsselkonzepten der Historizität und Temporalität Rechnung tragen müsse. Insgesamt, so Welskopp, habe die Auseinandersetzung mit postmodernen Theoriemodellen innerhalb der Geschichtswissenschaft zu einem besseren Selbstverständnis des Faches und seiner spezifischen Merkmale, z.B. des narrativen Darstellungsmodus der Untersuchungsergebnisse, geführt. Jener Teil der Sozialwissenschaften, der sich zunehmend der Geschichte zuwendet, könne insbesondere hiervon profitieren.

In der zweiten „Keynote“ stellte der Soziologe HARTMANN TYRELL (Bielefeld) die Frage: „When, why and how Sociology became interested in History: A View from a Sociologist“. In Abgrenzung zu den nach 1945 gängigen Auffassungen von der Soziologie als „Gegenwartswissenschaft“ richtete er den Fokus auf die Protagonisten einer engeren Verknüpfung von Soziologie und Geschichtswissenschaft an der Wende zum 20. Jahrhundert. Die prägenden Werke Georg Simmels, Emile Durkheims und Werner Sombarts schilderte Tyrell als wesentlich von einer starken Einbeziehung der geschichtlichen Dimension zur Erklärung gesellschaftlicher Phänomene gekennzeichnet. Wilhelm Dilthey formulierte in seiner 1883 veröffentlichten „Einleitung in die Geisteswissenschaften“ als Ziel derselben die Erfassung der „geschichtlich-gesellschaftlichen Wirklichkeit“ – Max Weber vereinte Soziologie und Geschichtswissenschaft geradezu in einer Person. Im Prozess der Institutionalisierung der Soziologie als eigenständiger wissenschaftlicher Disziplin verliefen die Abgrenzungslinien demnach auch eher zur Psychologie und zu den praktischen Erörterungen der „sozialen Frage“ als zur Geschichtswissenschaft. Letztere blieb als Lieferant historisch-empirischen Materials und längere Zeiträume umfassenden Meta-Erzählungen äußerst bedeutsam für die junge Disziplin der Soziologie.

Inwiefern sich Geschichtswissenschaft und Soziologie voneinander unterscheiden, stand im Zentrum der Podiumsdiskussion am ersten Tag des Annual Seminar. Die Geschichtswissenschaftler Welskopp und UFFA JENSEN (Göttingen) sowie die Soziologen Bergmann, Tyrell und HENDRIK VOLLMER (Bielefeld) erörterten, worin die Differenzen zwischen Geschichtswissenschaft und Soziologie bestehen und wie sie im Sinne einer fruchtbaren Zusammenarbeit genutzt werden könnten. Dabei kristallisierten sich zwei Aspekte heraus, die über die fächerspezifischen Grenzen hinweg Zustimmung fanden.
Einerseits wurden die wissenschaftlich-theoretischen Konfliktlinien vielmehr innerhalb der jeweiligen Disziplin lokalisiert als zwischen den Disziplinen selbst. Dies veranlasste Vollmer zu der Aufforderung, mehr Konflikte zwischen Geschichtswissenschaft und Soziologie zu provozieren, da Dispute um wissenschaftliche Fragen zu interessanten Resultaten, gleichzeitig aber auch zur Hinterfragung und somit Weiterentwicklung eigener Ansätze führten. Ein weiterer Aspekt, der fächerübergreifend akzeptiert wurde, betonte die immanente Relevanz einer theoretischen Grundierung einer institutionellen Zusammenarbeit der beiden Disziplinen. Es genüge nicht, so Bergmann vor dem Hintergrund seiner Lehrerfahrungen in Schweden, disziplinübergreifende „topics“ zu entwickeln, wenn es nur die Doktoranden/innen seien, die interdisziplinär arbeiten, auch die Professoren/innen müssten sich dieser Idee öffnen.

Eine eher pragmatische Sichtweise vertrat Jensen, der angesichts der vielfachen „turns“ in der Geschichtswissenschaft das Erkenntnisinteresse der jeweiligen Forschungsarbeit als ausschlaggebendes Kriterium für die Auswahl der Methodik hervorhob. Eben diese Auswahl der Methodik sei letztlich der entscheidende Unterschied zwischen Geschichtswissenschaft und Soziologie, oder wie Welskopp es formulierte: „Not what we do is different but how we do something.“

Im Sinne einer nicht bloß theoretischen Erörterung interdisziplinärer Zusammenarbeit stand der zweite Tag des Annual Seminar. In den Workshops „Semantics“, „Knowledge“, „Communication/Media“, „Social Inequality“, „World Society/Transnational History“ und „Ethnicity“ stellten jeweils sechs Doktorand/innen aus der Soziologie oder der Geschichtswissenschaft ihre Forschungsprojekte vor und diskutierten die jeweiligen methodischen Ansätze sowie offene Fragen. Geleitet wurde jeder Workshop von einem „Tandem“ etablierter Wissenschaftler/innen beider Fächer. Dabei erwies sich die Möglichkeit eines interdisziplinären Dialogs als äußerst fruchtbar, da die Anregungen der jeweils anderen Disziplin bis hin zu konkreten Literaturhinweisen neue Sichtweisen oder gar Lösungsmöglichkeiten eines Problems eröffneten. In diesem Sinne kann die Fragestellung „End of Messages?“ zwischen Soziologie und Geschichtswissenschaft zumindest für die Beteiligten des ersten Annual Seminar negiert werden. Im Gegenteil, durch die Tagung hat der interdisziplinäre Dialog für viele Beteiligte gerade erst begonnen.

Bei der abschließenden Präsentation der Diskussionen aus den einzelnen Workshops am letzten Konferenztag überwog so auch die Einschätzung, dass der Dialog zwischen Soziologen/innen und Historikern/innen insgesamt äußerst lebhaft und ertragreich verlaufen war. Es wurde hervorgehoben, dass auf methodisch-theoretischer Ebene oft ein gemeinsames Set an Bezugspunkten und -personen gebildet werden konnte. So war die kulturwissenschaftlich inspirierte Frage nach der Erzeugung, Diffusion und Wahrnehmung von Bedeutung für eine Vielzahl von historischen und soziologischen Projekten zentral. Konfliktlinien taten sich bezeichnenderweise eher innerhalb der Disziplinen auf, so zum Beispiel wenn es um spezifische Begriffe und Konzepte („Wissen“, „Diskurs“, „Weltgesellschaft“), der Wahl zwischen qualitativen oder quantitativen Ansätzen sowie der generellen Frage der praktischen Anwendbarkeit von Theorie ging.

In der Abschlussdiskussion wurde dennoch betont, dass bestehende Unterschiede zwischen den Disziplinen keineswegs verwischt, sondern vielmehr als produktive Irritationen behandelt werden müssten. So wies WILLIBALD STEINMETZ (Bielefeld) auf Probleme hin, die sich aus der Anwendung soziologischer Konzepte wie beispielsweise „Weltgesellschaft“ auf vormoderne Gesellschaften ergäben. Dies wurde von ALFONS BORA (Bielefeld) aufgenommen, um verschiedene Modi des interdisziplinären Arbeitens aufzuzeigen. Während er sowohl ein hierarchisch-asymmetrisches Modell als auch eine „friedliche Koexistenz“ als unfruchtbar und oberflächlich ablehnte, eigne sich nur die gegenseitige Irritation als produktive Form des Zusammenarbeitens. Voraussetzung sei jedoch eine gemeinsame Basis analytischer Begrifflichkeiten.

STEPHEN MENNELL nutzte seinen Abschlusskommentar, um für einen pragmatischen Umgang mit Theorien zu werben. Im Hinblick auf Verwertbarkeit soziologischer Modelle für historische Fragestellungen stellte er den Nutzen prozessorientierter Theorien in den Mittelpunkt, wie sie von Norbert Elias und E. P. Thompson entworfen wurden. Von historisch-empirischen Phänomenen stark abstrahierende Ansätze wie Parsons Strukturfunktionalismus führten dagegen letztlich zu einer illegitimen „Zustandsreduktion“.

Insgesamt bot die Tagung ein breites Panorama an aktuellen und übergreifenden Forschungsfragen. Wie sich der Dialog zwischen Soziologie und Geschichtswissenschaft in Zukunft konkret ausgestalten wird, wurde nicht abschließend beantwortet. Jedoch sind es vielleicht gerade die konstanten Irritationen bis hin zu expliziten Konflikten um Termini und Konzepte, die den Charakter des Austauschs bestimmen sollten. Dies ist zumindest der Eindruck, der sich aus den Podiumsdiskussionen, aber vor allem aus den einzelnen Workshops gewinnen ließ. Nicht zuletzt wurde den Doktoranden/innen beider Fachrichtungen ein willkommenes Austauschforum bereit gestellt, in dem sie neue Perspektiven auf ihre Forschungsvorhaben gewinnen konnten. Diese für einen vertieften interdisziplinären Dialog unabdingbare Kommunikationsplattform wird in ähnlicher Weise in Bielefeld fortgesetzt werden. Man darf darauf gespannt sein, inwieweit die ertragreichen Diskussionen zum interdisziplinären „state of the art“ in Soziologie und Geschichtswissenschaft über die programmatische Arbeit der Graduiertenschule hinaus ausstrahlt.

Konferenzübersicht

I. Historical Sociology revisited

Thomas Welskopp: How Sociology once Inspired History and Why History may be Relevant for Sociology Today

Hartmann Tyrell: When, why and how Sociology became interested in History:
A View from a Sociologist

Panel Discussion: From Mutual Understanding to an End of Messages? The Relationship between History and Sociology reconsidered
(Hartmann Tyrell, Uffa Jensen , Hendrik Vollmer, Jörg Bergmann, Thomas Welskopp)

II. Presentation of PhD Projects in parallel workshops

Semantics
(Willibald Steinmetz, Bielefeld / Urs Stäheli, Basel)

Kateryna Ruban: Revolution in Cityscape: Lviv between 1989-91

Miriam Tag: The global semantics of ´early childhood´. A study on the world cultural construction of ´early childhood´ and the ´young child´

Korinna Schönhärl: Knowledge and Visions: Theory and Politics of Economists in the sphere of Stefan George

Stephan Scholl: Semantic Demarcations of the Political in Economic Discourse, 1880-1980

Christian Meyer: The private under National Socialism

Silvia Herb: Psychoanalysts on the Movie Screen - Popular Images of a Profession

Knowledge
(Sybilla Nikolow, Bielefeld / Alfons Bora, Bielefeld)

Christian Kehrt/Peter Schüßler: Knowledge-production and Innovation at the Nanoscale. Instruments, Images and Visions in the Practice of Nanotechnology

Stephan Petzold: Power and historical truth. A sociology of knowledge of the debate over the origins of the First World War, 1960-1980

Lucas Manuel Bietti: Towards a collective memory builder of socio-political identities: Analysing discourses of the last Argentine dictatorship

Kelvin Low: From Entangled Histories to Entangled Memories: Conceptualising Samsui Women Historiography and Experiences

Linda Reschke: Man as (part of a) machine. The diffusion of concepts in interwar Germany

Andrés Jiménez Angel: Diffusion, transfer, exchange: German-Colombian scientific and intellectual networks in the 19th century

Communication/Media
(Jörg Requate, Bielefeld / Tilmann Sutter, Bielefeld)

Berit Bethke: Globale Ansichten in lokalen Bildmedien. Eine historische Fallstudie zur ´Visuellen Kommunikation´ mittels Bildmedien

Anna Winkler: Bilder von ´bedrohlichen Frauen´ in Argentinien im Kontext der kulturellen Globalisierung 1880-1930

Günal Incesu: Ankara-Bonn/Berlin-Brüssel: Die Vernetzung politischer Kommunikationsräume 1959-2005

Marcel vom Lehn: Historians dealing with National Socialism and Fascism in public. Comparing Germany and Italy (1943/45-1960)

Nina Schneider: The official propaganda during the military regime in Brazil, 1969-1979

Social Inequality
(Thomas Welskopp, Bielefeld / Martin Diewald, Bielefeld)

Jens Köhrsen: Religious Taste: Social inequality and religious practice in Buenos Aires

Luis David Ramírez-de Garay: The Concept of Social Strain and the Study of Violent Crime

Juliana Körnert: Couples under Pressure? Reconciling Work and Life

Linda Braun: The Implementation of the General Conscription in Prussia, 1814-1859

Evi Kapoli: The International Migration to Athens and the Contribution of the Centre for Social Research in Athens to the Study of the Occurrence

Edgar Guerra Blanco: Political Inequality: Democracy and social mobilization in Mexico (2004-2008)

World Society/Transnational History
(Angelika Epple, Bielefeld / Tobias Werron, Luzern)

Joris Gijsenbergh: A transnational view on the Dutch and Belgian attempts to ´correct the flaws of democracy´, 1920s-1930s

Tilman Haug: ´Amis et Serviteurs du Roi en Allemagne´ ? Networks of the French Crown in the Holy Roman Empire 1648-1678

Barbara Kuchler: War and the ´Rest´ of Society

Bijita Majumdar: Imperial Connections, Difference and Identity in Diaspora: Indians in South Africa (1860-1920)

Hamadziripi Tamukamoyo: Definitional issues, questions, theories and methodology in the study of the ´embeddedness´ of informal economic activities in the Zimbabwean crisis

Eunike Piwoni: A ´New Patriotism´? National Identity Change in Germany

Ethnicity (Christian Büschges, Bielefeld / Joanna Pfaff-Czarnecka, Bielefeld)

Baris Ulker: Towards a Genealogy of ´Ethnic Entrepreneur(ship)´ in Berlin

Caterina Rohde: The transnationalisation of biographies exemplified by the immigration of Russian au-pair workers in Germany

Nadine Golly: ´Et mix af tysk, amerikansk og meget dansk´ Afro-Danes and their hidden experiences of migration and adoption from Germany to Denmark after World War II

Noorman Abdullah: Islam, Spirit Interference, and Malay Marginality in Historical and Contemporary Singapore

Inga Luther: Staging the Nation: Celebrations of Independence in Guatemala 1921-1954

Andrea Griffante: National Discourses on Imperial Borders? Vilnius, Trieste and National Identities seen from a ´Peripherical´ Point of View (Early 20th Century)

III. Perspectives for Research between History and Sociology

Panel Discussion/Reports from the Workshops: Perspectives for Research between History and Sociology
(Alfons Bora, Christian Büschges, Angelika Epple, Jörg Requate, Urs Stäheli, Willibald Steinmetz, Thomas Welskopp)

Stephen Mennell: Final Comment