Historischer Vergleich und Geschichtspolitik

Historischer Vergleich und Geschichtspolitik

Organisatoren
Arbeitskreis "Geschichte und Politik" in der Deutschen Vereinigung für Politische Wissenschaft (DVPW)
Ort
Berlin
Land
Deutschland
Vom - Bis
23.05.2003 - 24.05.2003
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Von
Birgit Schwelling, Europa-Universität Viadrina, Frankfurt Oder

Innerhalb der Geschichts- und Sozialwissenschaften erfährt der Vergleich in den letzten Jahren zunehmende Popularität. Dies ist nicht nur darauf zurückzuführen, dass die internationalen Verflechtungen im Bereich der Wirtschaft und der Politik zunehmen, sondern auch darauf, dass mit den Kulturwissenschaften Perspektiven in die Forschung Einzug gehalten haben, die das kulturell Spezifische häufig nur im interkulturellen Vergleich erkennen können.

Mit der Bedeutung, die dem historischen Vergleich im Bereich der Geschichtspolitik zukommt, beschäftigten sich die Teilnehmerinnen und Teilnehmer der Tagung "Historischer Vergleich und Geschichtspolitik", die der Arbeitskreis "Geschichte und Politik" in der Deutschen Vereinigung für Politische Wissenschaft (DVPW) vom 23.05. bis 24.05. 2003 in der Gedenkstätte Deutscher Widerstand, Berlin ausrichtete. Dem 1997 ins Leben gerufenen Arbeitskreis geht es um die Erforschung derjenigen Aspekte, die an der Schnittstelle von Geschichte und Politik auszumachen sind. Einer der Gegenstände, der dabei schon auf vorangegangenen Tagungen im Zentrum des Interesses stand, ist die Geschichts- und Erinnerungspolitik in ihren verschiedenen Facetten. "Akteure und Rezipienten von Geschichtspolitik" und "Geschichtspolitik und Öffentlichkeit" sind dabei nur zwei der Themenstellungen, mit denen sich der Arbeitskreis bisher beschäftigt hat. Dieses mal nun ging es darum, das Verhältnis von Geschichtspolitik und historischem Vergleich näher auszuleuchten.

In insgesamt sechs Tagungsbeiträgen beschäftigten sich die Referierenden mit verschiedenen Aspekten an der Schnittstelle von historischem Vergleich und Geschichts- bzw. Erinnerungspolitik.
Mark Arenhövel (Giessen) stellte in seinem Beitrag die Frage nach der (möglichen) Existenz eines "Weltgedächtnisses" und den daraus resultierenden Folgen für einen interkulturellen Vergleich. Ausgehend von der Frage nach der globalen Vergleichbarkeit nationaler Konfikterinnerungen präsentierte Arenhövel ein Modell von Weltgedächtnis, in dessen Rahmen durch die transnationale Auseinandersetzung mit Barbarei und Grausamkeit eine globale Vorstellung von Solidarität entstehen könnte. Martin Aust (Berlin) präsentierte ein neues Forschungsprojekt, das sich mit Fragen der nationalen Erinnerungen an Kriege des 17. Jahrhunderts im sowjetischen Stalinismus 1934-1953 und in der VR Polen 1956-1976 als Gegenstand kommunistischer Geschichtspolitik befasst. Der Schwerpunkt lag dabei auf der Diskussion konzeptioneller Fragen, die Aust anhand der Darstellung verschiedener möglicher Herangehensweisen an seinen Gegenstand ("Kriegserfahrung", "Erinnerungsorte", "Geschichtspolitik") präsentierte. Friedhelm Boll (Bonn/Kassel) fragte in seinem Beitrag nach der Repräsentation der in der DDR politisch Verfolgten in der bundesrepublikanischen Erinnerungskultur. Dabei ging es zum einen um den Wandel der medialen Präsenz des Themas, die seit den 70er Jahren stark abnimmt, zum anderen um die Frage nach möglichen expliziten und/oder impliziten Vergleichen zwischen Nationalsozialismus und Stalinismus in den Diskursen um politische Verfolgung in der DDR. Irene Goetz (Berlin) präsentierte die Ergebnisse einer Studie, die sich vergleichend mit der Frage der symbolischen Repräsentation des Nationalen als Instrument gegenwärtiger Identitätspolitik beschäftigt. Mit den Feierlichkeiten zu "50 Jahre Bundesrepublik" und "1000 Jahre Ungarn" wurden als Gegenstände des Vergleichs zwei nationale Jubiläen gewählt, die fast zeitgleich stattgefunden haben und beide als Instrumente für Identitätspolitik gelesen werden können. Matthias Hass (Berlin) stellte die Ergebnisse einer vergleichenden Studie zur Entstehung und Entwicklung von drei Gedenkstätten zur Geschichte nationalsozialistischer Gewaltverbrechen vor (Yad Vashem, Israel; Topographie des Terrors, Berlin und United States Holocaust Memorial Museum, Washington, D.C.). Der Fokus lag dabei auf der Frage nach Durchsetzungsstrategien, nach gesellschaftlichen Akteuren, unterschiedlichen Interessen und nach den inhaltlichen Konzeptionen der drei Gedenkstätten. Horst-Alfred Heinrich schließlich beschäftigte sich in seinem Beitrag mit dem "Historikerstreit" als einer politisch-wissenschaftlichen Auseinandersetzung um den Vergleich. Dabei ging es u.a. um die Frage, inwieweit der historische Vergleich im Fall der nationalsozialistischen Verbrechen die Konstruktion einer nationalen Identität erleichtert bzw. befördert, weil damit verstörende Ambivalenzen abgemildert werden können. Ergänzend zu den um das Thema "Vergleich" zentrierten Beiträgen präsentierte der Filmemacher Boris Schafgangs (Berlin) in seinem Abendvortrag "War der Hund echt?" eine Auseinandersetzung mit dem Geschichtsfernsehen aus der Produktion von Guido Knopp, dessen Stilmittel inzwischen auch in anderen historischen Dokumentationen eingesetzt werden. Darauf wird am Ende des Tagungsberichts noch zurückzukommen sein.

Folgende Aspekte des Vergleichs haben sich in den Vorträgen wie auch in den Diskussionen der beiden Tage als zentral erwiesen:
Der nationale Vergleich erweist sich auch in den Forschungen zur Geschichts- und Erinnerungspolitik und zu kollektiven Identitäten als nach wie vor wichtiges Instrument, wenn auch in einer häufig modifizierten und dem jeweiligen konkreten Forschungsgegenstand angepassten Art und Weise. So hat Irene Goetz in ihrem Beitrag dafür plädiert, den nationalen Vergleich "nach unten" auszuweiten, also nicht mehr von starren nationalen Entitäten mit einer einheitlichen Erinnerungskultur auszugehen, sondern den Blick vielmehr auf die vielfältigen, lebensweltlich wirksamen Aneignungsformen auf der Mikro-Ebene zu richten. Für eine Erweiterung des Vergleichs "nach oben" plädierte hingegen Mark Arenhövel in seinem Beitrag. Der Frage nach der (möglichen) Existenz eines "Weltgedächtnisses" nachzugehen bedeute nämlich nicht, wie man intuitiv vielleicht zunächst annehmen würde, von "homogenisierenden Einheitsvorstellungen" auszugehen, was den Vergleich verzichtbar machen würde. Im Gegenteil gehe es um die Frage nach der "globalen Vergleichbarkeit von nationalen bzw. kollektiven Konflikterinnerungen". Gerade an Arenhövels Beitrag ließ sich die Frage diskutieren, was aus dem Nationenvergleich wird, wenn ihm sein Fundament abhanden zu kommen scheint. Methodische Erweiterungen "nach unten" wie auch "nach oben" scheinen dabei erfolgsversprechende Strategien zu sein.

Während ein Schwerpunkt der Beiträge auf dem Vergleich als wissenschaftlicher Methode lag, gewinnt gerade im Bereich der Geschichtspolitik der historische Vergleich noch unter einem anderen Aspekt Bedeutung, nämlich als Untersuchungsgegenstand. Horst-Alfred Heinrichs Beitrag zum Historikerstreit als "Streit um den Vergleich" und Friedhelm Bolls Vortrag zur Opferkonkurrenz in der frühen Bundesrepublik sind hier zu nennen. Während beim Historikerstreit die Bestimmung des Verhältnisses zwischen nationalsozialistischen und kommunistischen Verbrechen expliziter Gegenstand des Streits war, zeigte Boll auf, wie in der Thematisierung der politischen Häftlinge der SBZ/DDR in den frühen Jahren der Bundesrepublik der Vergleich mit den Opfern des Nationalsozialismus häufig eher implizit, etwa durch die Verwendung bestimmter Bilder und Begrifflichkeiten, angelegt war.

Dass der Vergleich nicht nur als wissenschaftliche Methode und als politisches Instrument von Bedeutung ist, sondern auch die Funktion eines Selbstregulativs erfüllen kann, wurde vor allem im Beitrag von Martin Aust deutlich. Wie Aust betonte, ist der Vergleich gerade in der Osteuropa-Forschung ein unverzichtbares Instrument, um zum einen zu vermeiden, dass westliche Idealtypen unreflektiert in die Forschung miteinfließen, und um zum anderen eine Binnendifferenzierung innerhalb der häufig als Einheit wahrgenommenen Staaten Ost- und Mitteleuropas zu schaffen. Der Vergleich als regulatives methodisches Instrument ließe sich sicherlich auch auf andere Forschungsfelder übertragen.

Eine besondere Erwähnung verdient der Abendvortrag von Boris Schafgans. Unter dem Titel "War der Hund echt?" setzte sich Schafgans mit dem Geschichtsfernsehen auseinander, das derzeit vor allem von den von Guido Knopp und seinen Mitarbeitern in der ZDF-Redaktion Zeitgeschichte entworfenen gestalterischen Mittel und Methoden dominiert wird. Längst greifen auch andere auf diese gestalterischen Mittel zurück, so dass zu Recht behauptet werden kann, dass der "Knoppismus" zu einer fernsehsprachlichen Konvention geworden ist. Anhand der Zusammenstellung von Sequenzen verschiedener Sendungen demonstrierte Schafgangs eindrücklich, mit welchen Mitteln Bilder verändert und immer wieder in verschiedenen Kontexten verwendet werden. Verlangsamung der Bildgeschwindigkeit und Nachvertonung mit Geräuschen führen zu erstaunlichen Effekten und lassen "klare historische Aufnahmen" zu "ohnmächtigen Abziehbildern", oder wie Guido Kopp selbst sie gerne nennt, "Symbolbildern" werden.

Das Feld der Geschichts- und Erinnerungspolitik ist einer der wenigen Bereiche, in dem sich die ansonsten gegenüber dem "cultural turn" eher bedeckt haltende Politikwissenschaft kulturwissenschaftlichen Herangehensweisen öffnet. Nicht nur, aber auch deshalb darf man auf die folgenden Tagungen des Arbeitskreises "Geschichte und Politik" gespannt sein.

Kontakt

Dr. Birgit Schwelling
Kulturwissenschaftliche Fakultaet
Europa-Universitaet Viadrina
Grosse Scharrnstr. 59
15230 Frankfurt (Oder)
Tel.: +49-(0)335-5534-4284
Fax.: +49-(0)335-5534-4305


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