Klimawandel und Agrarentwicklung in Mitteleuropa vom Mittelalter bis zur Moderne

Klimawandel und Agrarentwicklung in Mitteleuropa vom Mittelalter bis zur Moderne

Organisatoren
Gesellschaft für Agrargeschichte e. V.
Ort
Frankfurt am Main
Land
Deutschland
Vom - Bis
12.06.2009 -
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Von
Carola Fey, Historisches Institut, Universität Gießen

Die Tagung der “Gesellschaft für Agrargeschichte“ am 12. Juni 2009 in Frankfurt wurde von DIETRICH RIEGER (Frankfurt am Main), dem Vorsitzenden der Gesellschaft, eröffnet. Dietrich Rieger wies in seiner Begrüßung darauf hin, dass die Vortragsthemen der Tagung aus unterschiedlicher Perspektive die Klima- und Agrarentwicklung vom Hochmittelalter bis zum 21. Jahrhundert beleuchten und historische Prozesse aufzeigen sollten, die auch für die heutige Agrar- und Umweltpolitik von Bedeutung sind. In seiner Einführung betonte WERNER RÖSENER (Gießen), der Organisator der Tagung, dass Klimawandel, Erderwärmung und Ernährungskrisen wichtige Themen der gegenwärtigen Agrar-, Wirtschafts- und Umweltpolitik seien. Die Kenntnis der historischen Dimension dieser Themen sei äußerst relevant für die Einordnung, Beurteilung und Bewältigung heutiger Agrar- und Umweltprobleme. Ziel der Fachtagung sei es, die historischen Aspekte der Thematik aufzuzeigen und den Blick für die heutigen Umweltfragen durch Vorträge und Diskussionen zu schärfen. Bei der Bewältigung der vielfältigen Umweltprobleme sei besonders die historische Subdisziplin der Umweltgeschichte gefordert, die von einem Pluralismus der Methoden und Ziele geprägt sei.

Die Vorträge der Tagung wurden eingeleitet mit einem Beitrag von WERNER RÖSENER (Gießen), der sich dem Wärmeoptimum des Hochmittelalters mit Beobachtungen zur Klima- und Agrarentwicklung des Hoch- und Spätmittelalters widmete. Neuere Untersuchungen zur Klima- und Agrarentwicklung des Mittelalters haben demnach ergeben, dass Mitteleuropa vom 11. bis 13. Jahrhundert ein Wärmeoptimum erlebte, das weitreichende Auswirkungen auf Bevölkerungszahl, Siedlungsdichte, Wirtschaft und Kultur der hochmittelalterlichen Gesellschaft hatte. Das Ausmaß der Erwärmung betrug mehrere Grad Celsius über Normal und war für die Agrarwirtschaft und die Ernährungslage der Bevölkerung von großer Bedeutung. Anhand der Getreidewirtschaft und des Weinbaus wurde exemplarisch verdeutlicht, dass sich die Lebensmittelversorgung der Bevölkerung im ländlichen und städtischen Sektor erheblich verbesserte, so dass die um das Zwei- bis Dreifache gestiegene Bevölkerungszahl ausreichend ernährt werden konnte. Der erstaunliche Aufschwung Europas im Hochmittelalter war mit verursacht durch das Klimaoptimum, wobei der Klimafaktor nach Ansicht des Referenten nur als eine Teilkraft in einem Faktorenbündel zu werten sei. Eine kritische Beurteilung der verschiedenen Faktoren führe zu der Erkenntnis, dass neben dem Klimafaktor vor allem der Wandel im Agrarsektor eine wichtige Rolle als Antriebskraft des hochmittelalterlichen Aufschwungs spielte. Die Klimaerwärmung des Hochmittelalters habe im Unterschied zur modernen Warmphase des 20. und 21. Jahrhunderts natürliche Ursachen und sei nicht anthropogen bedingt. Diese Tatsache sei bei der allgemeinen Diskussion über Klimaprobleme und Maßnahmen zum Klimaschutz von Bedeutung.

Mit der Klimaentwicklung des 16. bis 18. Jahrhunderts beschäftigte sich der anschließende Vortrag von MANFRED JAKUBOWSKI-TIESSEN (Göttingen) zum Thema der ‚Kleinen Eiszeit‘ der Frühen Neuzeit und ihren Auswirkungen auf die Agrarwirtschaft und die ländliche Gesellschaft. In der Mitte des 16. Jahrhunderts setzte eine signifikante Klimawende zu kalten Wintern und kühlen Sommern ein, die bis zum 18. Jahrhundert andauerte und in der Klimaforschung als ‚Kleine Eiszeit‘ bezeichnet wird. Der Referent schilderte zu Beginn den Kälteeinbruch der Jahre 1570/71 und die nachfolgenden Missernten und Ernährungskrisen. Die Verteuerung des Getreides erstreckte sich damals vom fernen Moskau über das mittlere Europa bis nach Spanien und Italien. Die Kaufkraft der breiten Massen wurde in den Teuerungsjahren von den Kosten für Nahrungsmittel aufgesogen; für die Güter des gehobenen Bedarfs, wozu in den Notjahren bereits Fleisch und bessere Kleidung gehörten, blieb wenig oder nichts mehr übrig. Deshalb stockte auch der Absatz vieler Gewerbe, so dass sich ein zusätzlicher Druck auf die Realeinkommen der Mittel- und Unterschichten der städtischen Bevölkerung ergab. Im ländlichen Raum, wo die große Mehrzahl der Menschen lebte, gab es die landarmen Schichten mit wenig oder gar keinem Land, die am stärksten von den Teuerungskrisen betroffen waren. Gemeinsam war dieser breiten Schicht, dass sie auf Zuerwerb angewiesen war, da auch bei guten Ernten die Landnutzungen nicht ausreichten, die Familien zu ernähren. Weniger dramatisch stand es um die Schicht der mittleren Bauern, deren Äcker und Viehprodukte auch bei Missernten noch für die Eigenversorgung ausreichten. Von der Agrarkrise profitierten im 16. und 17. Jahrhundert vor allem einige Gutsbetriebe, die ihre Überschüsse zu hohen Preisen absetzen konnten. Dies konnte an Beispielen aus dem Weserraum verdeutlicht werden. In den Schriften der Hausväter und Agrarökonomen wie Conrad Heresbach und Martin Grosser spiegeln sich deutlich die Probleme der Landwirtschaft und die unterschiedlichen Auswirkungen der Klimaungunst auf die damalige Gesellschaft.

Die nachfolgenden beiden Vorträge befassten sich mit den Klimaveränderungen und den Agrarproblemen des 19. und 20. Jahrhunderts. FRANK UEKÖTTER (München) behandelte in seinem programmatischen Vortrag “Klima als Wille und Vorstellung. Perspektiven einer Klimageschichte der Landwirtschaft im 19. und 20. Jahrhundert“ grundsätzliche Probleme der Klima- und Agrarentwicklung der Moderne im Kontext der Umweltgeschichte. Leitthese seiner Ausführungen war die Annahme, dass eine Klimageschichte der Landwirtschaft im 19. und 20. Jahrhundert anders ansetzen muss als die Klimageschichte der Vormoderne. Während die ländliche Bevölkerung in Mittelalter und Früher Neuzeit den Wechselfällen von Klima und Wetter praktisch alternativlos ausgesetzt war, entwickelten sich die Verhältnisse in der Moderne anders: Die Landwirte verfügten zunehmend über ein Arsenal technischer, kognitiver und ökonomischer Mittel, um auf die Gegebenheiten und neuen Herausforderungen zu reagieren. Der Referent gab zunächst einen breiten Überblick über die unterschiedlichen Ansätze zu einem strategischen Wetter- und Klimamanagement. Wichtige Schritte waren dabei die Entwicklung der Wetterprognose von einem intuitiven Zugriff, wie er in Bauernregeln zum Ausdruck kam, über die Anreicherung dieses Erfahrungswissens mit meteorologischen Wissenselementen zur telefonbasierten Wettervorhersage. Während Wettervorhersagen naturgemäß eher auf kurzfristige Reaktionen zielen, wie vor allem bei Terminen der Feldbestellung oder der Ernte, erlaubte die Entwicklung von Produktionswissen und technischen Mitteln eine Adaption an klimatische Bedingungen und deren langfristigen Wandel. Zu erinnern sei hier an Entwicklungen in Saat- und Viehzucht, die auch auf die Förderung der Witterungsresistenz abzielten, oder an die Entwicklung von Bewässerungssystemen. Der Referent vertrat die These, dass sich diese Entwicklungen seit dem 19. Jahrhundert allmählich anbahnten, in der Zeit nach 1950 aber stark beschleunigten. Zugleich war er der Ansicht, dass sich diese technischen Entwicklungen bis in die neueste Zeit nicht zu einem bewussten Klimamanagement verdichteten, so dass die tatsächlich existierende Adaptionsleistung sich zu einem umfassend reflektierten Unternehmen entwickelt hätte.

In seinem Vortrag zur Institutionalisierung der landwirtschaftlichen Risikovorsorge im 19. Jahrhundert stellte FRANK OBERHOLZNER (München) die Hagelversicherung in den Mittelpunkt seiner Überlegungen. In der Landwirtschaft zählen Hagelstürme zweifellos zu den größten Risiken, kann doch innerhalb weniger Minuten die Feldarbeit eines ganzen Jahres vernichtet werden. Trotz des technischen Fortschritts ist aber der Mensch immer noch nicht in der Lage, die Bildung von Hagelunwettern zu verhindern. Daher mussten Mittel und Wege gefunden werden, um insbesondere die ökonomischen Folgen solcher Unwetter zu bewältigen. Um 1800 entstanden die ersten Hagelversicherungen in Deutschland; sie stellten eine neuartige Institution dar, mit der die Folgen von Naturgewalten partiell beherrschbar wurden. Im Vortrag wurde zunächst auf die Voraussetzungen eingegangen, welche zur Anwendung von Versicherungsprinzipien im Agrarbereich führten. Ohne Zweifel kam es im frühen 19. Jahrhundert zu tiefgreifenden Veränderungen in Agrarwirtschaft und ländlicher Gesellschaft. Wichtig für die weitere Entwicklung waren auch kultur- und wahrnehmungsgeschichtliche Aspekte, so vor allem die sich wandelnde Perzeption von Unwettern, aber auch der wissenschaftliche Diskurs, der zur Gründung von modernen Assekuranzen führte. Im zweiten Teil des Vortrags wurden ausgewählte ökonomische Probleme angesprochen, die im Zusammenhang mit der weiteren Entwicklung der Hagelversicherung auftraten (Unterschiede zwischen Nord- und Süddeutschland). Phänomene wie mangelndes Vertrauen bei den ersten Gesellschaften von Hagelversicherungen wurden detailliert analysiert. In methodischer Hinsicht biete sich an, neben dem Konzept Vertrauen insbesondere institutionenökonomische Ansätze wie die Principal-Agent-Theorie anzuwenden. Durch die Verbindung von kultur- und wirtschaftshistorischen Ansätzen entstand so ein komplexes Bild der Risikowahrnehmung von Hagelschlägen und der Entwicklung von innovativen Vorsorgeinstitutionen.

Die Vorträge der Tagung gaben insgesamt einen exzellenten Einblick in die thematische Vielfalt und Komplexität von Klimaveränderungen und Agrarentwicklung vom Mittelalter bis zur Moderne. In der lebhaften Diskussion zu den einzelnen Vorträgen wurden Fragen und Probleme erörtert, die das Thema des Klima- und Agrarwandels ergänzten und durch weitere Aspekte bereicherten. Die Vorträge der Tagung sollen demnächst in einem Themenheft der “Zeitschrift für Agrargeschichte und Agrarsoziologie“ publiziert werden.

Konferenzübersicht:

Dietrich Rieger (Frankfurt am Main): Begrüßung

Werner Rösener (Gießen): Einführung

Werner Rösener (Gießen): Gab es im Hochmittelalter ein Wärmeoptimum? Beobachtungen zur Klima- und Agrarentwicklung des Mittelalters

Manfred Jakubowski-Tiessen (Göttingen): Die “Kleine Eiszeit“ der Frühen Neuzeit und ihre Auswirkungen auf die Agrarwirtschaft und die ländliche Gesellschaft

Frank Uekötter (München): Klima als Wille und Vorstellung. Perspektiven einer Klimageschichte der Landwirtschaft im 19. und 20. Jahrhundert

Frank Oberholzner (München): “Dass bisschen Hagel…“ Die Institutionalisierung der landwirtschaftlichen Risikovorsorge im 18. und 19. Jahrhundert


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