LIVING HISTORY – Acht Länder präsentieren „Lebendige Geschichte“. Tagung zum 7. liveARCH Meeting, Culture 2000, DG Education and Culture Neuorientierung im Spannungsfeld zwischen Freizeitevent und Bildungsauftrag

Von
Matthias Baumhauer / Gunter Schöbel, Pfahlbaumuseum Unteruhldingen

Der Versuch, geschichtliche Zusammenhänge lebensnah darzustellen, reicht bis weit in das 19. Jahrhundert zurück. Verlor die 1:1 Umsetzung von „Living history“ nach dem Ende des 2. Weltkriegs in den deutschsprachigen Ländern ihre Bedeutung, so liegt sie nach Anfängen in den 1990er-Jahren in den vermittelnden historischen Wissenschaften wie Volkskunde, Ur- und Frühgeschichte und Geschichte seit einigen Jahren wieder im Trend. In archäologischen Freilichtmuseen, die der Vermittlung der Historie von der Zeit der ersten Jäger und Sammler bis ins ausgehende Mittelalter verpflichtet sind, gewinnt diese Präsentationsform zunehmend an Bedeutung. Doch auch außerhalb der Museumslandschaft ist die lebendige Präsentation der Vergangenheit beliebt und führt etwa bei TV-Produktionen zu sehr hohen Einschaltquoten. Hieraus ergibt sich, dass sich Eventmanager, Stadtverantwortliche und Chefs von Erlebnisparks den Themen der Geschichtswissenschaften bedienen, um ihre Einrichtungen und Angebote publikumswirksam zu vermarkten. Dabei bleibt teilweise die Qualität auf der Strecke, vor allem dann, wenn wie bei kommerziell ausgerichteten Einrichtungen zunächst wirtschaftliche Belange im Mittelpunkt stehen. Wie sieht eine qualitätvolle Präsentation von „Lebendiger Geschichte“ aus? Dieser Fragekomplex wurde in Theorie und Praxis vom 21.-24. Mai 2009 in Unteruhldingen am Bodensee bei einer Tagung behandelt, die unter dem Thema „Neuorientierung im Spannungsfeld zwischen Freizeitevent und Bildungsauftrag“ stand.

Den Anfang machten Vertreter aus 11 Ländern Europas, die am 21./22.5. im Rahmen einer Tagung für das Europaprojekt ‚LiveArch‘ des Programms Culture 2000, DG Education and Culture der Europäischen Union am Bodensee zusammenkamen. Bei der Tagung ‚LIVING HISTORY – Acht Länder präsentieren „Lebendige Geschichte“‘ stand der Bildungsauftrag der archäologischen Freilichtmuseen Europas und die Frage nach einer möglichst authentischen Rekonstruktion der Vergangenheit im Mittelpunkt. Ziel des Treffens war es, das zur Verfügung stehende Methodenspektrum zu diskutieren und sich über die Vermittlung historischer Sachverhalte aus unterschiedlichen Blickwinkeln auszutauschen. Interessante Projekte einzelner Länder wie das renommierte ‚Biskupin Festival‘ in Polen standen dabei ebenso im Focus wie die lebendige Präsentation bestimmter Epochen, wie sie etwa der Althistoriker MARKUS JUNKELMANN mit römischen Soldaten und Gladiatoren seit Jahren demonstriert. Es war aber auch Platz für eher ungewöhnliche Projekte, wie das von OTTO JOLIAS STEINER (Agentur für Erlebniswelten, Schweiz), der das Projekt Matterhorn ‚Zermatlantis‘ inszeniert als Grabung präsentierte. Weitere Teilnehmer und Referenten stellten Vertreter staatlicher Museen und von Universitäten, die über ihre Ansätze bei der lebendigen Vermittlung vergangener Epochen berichteten. Den touristischen Blickwinkel führte RAINER HARTMANN (Freizeit- und Tourismusmanagement, Universität Bremen) aus, der übergreifende Ergebnisse zum Eventmarketing und Aspekte der Freizeit- und Tourismusforschung darstellte, auf deren Basis sich ein Workshop entwickelte. Anschließend an die Tagung konnten am 23./24. Mai die theoretischen Erörterungen durch ein Geschichtsfestival von Museumsteilnehmern und Publikum in der Praxis erlebt werden. An verschiedenen Plätzen traten im Pfahlbaumuseum Unteruhldingen am Bodensee 14 Gruppen aus unterschiedlichen Teilen Europas auf, die versuchten, 5000 Jahre europäische Geschichte lebendig zu vermitteln. Die Darsteller aus dem ARD-Fernsehfilm „Steinzeit – Das Experiment“ waren ebenso vertreten wie die Tübinger Archäologen der Keltengruppe „Carnyx“, römische Soldaten oder Magyaren, die Kampftechniken der frühen ungarischen Reitervölker demonstrierten. Ein weiteres Highlight des Festwochenendes war die Probefahrt des Schilfbootes von Dominique Görlitz für eine geplante Atlantiküberquerung.1

Nach einer einführenden Begrüßung durch Gunter Schöbel (Direktor Pfahlbaumuseums Unteruhldingen) folgten die Grußworte von JOACHIM KRUSCHWITZ , stellvertretender Landrat des Bodenseekreises. Er bezeichnete den Gastgeber, das Pfahlbaumuseum Unteruhldingen als eines der erfolgreichsten archäologischen Freilichtmuseen Deutschlands. Er verwies auf die lange Tradition der Geschichtsvereine am Bodensee, zu denen auch der 1922 gegründete Verein für Pfahlbau- und Heimatkunde gehört. Edgar Lamm, Bürgermeister der Gemeinde Uhldingen-Mühlhofen, hieß die Tagungsteilnehmer in Deutschlands sonnenscheinreichstem Ort des Jahres 2008 willkommen. Er zeigte sich stolz über das Museum mit seinen jährlich über 250.000 Besuchern, das er als „Flaggschiff der Gemeinde“ bezeichnete. Er dankte für die Förderung des Meetings durch die Europäische Union und wünschte der Tagung und dem anschließenden Geschichtsfestival einen guten Verlauf. Herr Jochen Haaga, 2. Vorsitzender des Vereins für Pfahlbau- und Heimatkunde e.V., äußerte seine Zufriedenheit und seinen Stolz darüber, mit dem Pfahlbaumuseum jetzt am dritten Europaprojekt seit 1998 teilnehmen zu dürfen.

Den Auftakt der Vorträge machte GUNTER SCHÖBEL, der auf die historischen Wurzeln der Living History Darstellungen einging. Die Diskussion anregend sprach er über neueste Projekte wie die Planung eines nach der Art des historischen Stonehenge rekonstruierten „Wunhenge“, das bei Wundsiedel im Fichtelgebirge mithilfe privater Geldgeber entstehen soll. Auch die Rekonstruktion des antiken Rom mit Kolosseum, Forum und Rennbahn, das am Rande der italienischen Hauptstadt als neuer Besuchermagnet für Italienreisende mit angestrebten 5 Millionen Besuchern in Planung ist, wurde angesprochen. Hier sah der Referent die Gefahr, dass Vorhaben unter rein wirtschaftlichen Gesichtspunkten realisiert werden sollten und damit die Ressourcen der Geschichtswissenschaft für rein kommerzielle Zwecke genutzt würden. Erforderlich sei eine Neubesinnung auf den Vermittlungsauftrag beim Realisieren historischer Events und eine Verankerung ihrer Inhalte in der wissenschaftlichen historischen Forschung.

Erster Gastredner war der Sprachforscher ULRICH MEHLER. Ausgehend von seiner aktiven Tätigkeit auf Mittelaltermärkten und seinem wissenschaftlichen mediävistischen Schwerpunkt analysierte er die Phänomene der modernen Eventgestaltung in Bezug auf die lebendige Vermittlung von Geschichte. Dabei griff er auf Beispiele aus dem Bereich der historischen Märkte und aus dem britischen Heritage zurück. Eine besondere Bedeutung wies er den Veranstaltern historischer Events zu, die die Hauptverantwortung für deren Qualität trügen. Er stellte drei Forderungen für die Gestaltung von historischen Veranstaltungen auf: 1. Die Leute müsse man dort abholen, wo sie sind, d.h. man müsse auf das Publikum eingehen. 2. Es sei dringend erforderlich, den belehrenden Zeigefinger wegzulassen und 3. Man müsse bei aller Unterhaltsamkeit die Seriosität bewahren und dürfe die unsichtbare Grenze zwischen Anspruch und Klamauk nicht überschreiten.

Die Entwicklung eines archäologische Großevents, des Biskupiner Festivals, über die Dauer von 15 Jahren beleuchtete der polnische Archäologe WOJCIECH PIOTROWSKI (Museum Biskupin). Erstmals initiiert wurde das Festival vor 15 Jahren auf dem Gelände eines archäologisch geschützten Reservats, das 25 Geländedenkmale umfasst. 350-400 Reenactors nehmen beim größten Archäologiefestival Polens teil, das jährlich zwischen 38.000 (1995) und 92.000 Interessierte (2004) besuchen. Jedes Jahr hat ein eigenes Festivalthema, zu der auch eine Sonderausstellung erstellt wird (Schwerpunkt 2009: Ungarn). Die Veranstaltung erfordere einen großen logistischen Aufwand. Eine 35000 Exemplare umfassende Programmzeitschrift müsse gedruckt werden, die angeworbenen Gruppen fänden an 20 verschiedenen Plätzen Unterkunft. Die Gäste parkten in bis zu 12 Kilometer Entfernung, der reibungslose Transport sei durch den Einsatz von Bussen gewährleist. Konnte der Überschuss der Veranstaltung bis 2004 noch gesteigert werden, so ging dieser danach stetig zurück, so dass 2008 bei einer Obergrenze der Eintrittspreise von ca. 2€ kaum mehr ein Gewinn erwirtschaftet werden konnte.

Einen Blick in die Zukunft warf die Konstanzer Theaterwissenschaftlerin und Dramaturgin RUTH BADER. In den Jahren ab 2014 jährt sich in Konstanz zum 600. Mal das Konstanzer Konzil von 1414-1418. Unter dem Titel „5 Jahre, 5 Köpfe, 5 Themen“ entwickeln die Verantwortlichen der Konzilstadt mit externen Dienstleistern derzeit ein Programm für die 5 Festjahre. Die Stadt feiert dieses Jubiläum als Ereignis mit europaweiter Ausstrahlung. Vorträge und Ausstellungen, wissenschaftliche Symposien und Festspiele, die Beteiligung europäischer Partnerstädte und die Teilnahme hoher Regierungsvertreter sowie geistlicher Würdenträger sollten bestimmende Elemente des Jubiläums darstellen. Dies solle Konstanz für fünf Jahre in das Licht der internationalen Öffentlichkeit rücken. Die Referentin beschrieb Konstanz im frühen 15. Jahrhundert als politischen, wirtschaftlichen und kirchlichen Nabel Europas. In Zusammenarbeit von Kirche, Wissenschaft und Tourismus solle der Groß-Event auf drei Ebenen organisiert werden. 1. Auf lokaler Ebene mit Konstanz als Zentrum, 2. auf regionaler Ebene mit dem Bodenseeraum als Fokus und 3. mit europäischem Blickpunkt und den vielfältigen Bezügen besonders nach Osteuropa. Ziel des Projektes sei es, eine gesteigerte Aufmerksamkeit für die Konzil- und Universitätsstadt am Bodensee zu erreichen.

Unter dem Titel „“Evènements“ im Badischen Landesmuseum Karlsruhe“ verwies der Direktor des Badischen Landesmuseums HARALD SIEBENMORGEN auf den frankophilen Begriff der ‚Evènements‘, der in Karlsruhe anstelle des Begriffs ‚Events‘ genutzt wird. Sein Vortrag umfasste zunächst die Entwicklung des Badischen Landesmuseums Karlsruhe hin zu einem Landesbetrieb, der unter neuer Ausrichtung schon seit Ende der 1990er-Jahre stärker betriebswirtschaftliche Belange berücksichtige. Damit verbunden sei die Veränderung des Organigramms des Museums, in dem statt früher drei nur noch ein wissenschaftliches Referat vorhanden sei. Siebenmorgen beschrieb die “Evènements“ im BLM als Teil des Vermittlungsangebots, die das Museum benötige und die keinen Selbstzweck darstellten. Das BLM orientiere sich bei den Veranstaltungen an den Bedürfnissen der Gäste und erreiche damit nach eigenen Angaben 30-35 Prozent der Bevölkerung der Stadt. Sieben Marketingstellen zeigten die besondere Bedeutung, die diesem Bereich beigemessen werde. Als ein besonderes Event werde das 3 Tage dauernde Museumsfest dargestellt, das jedes zweite Jahr stattfinde und rund 20.000 Besucher verzeichne.

WOLFGANG LOBISSER berichtete in seinem Vortrag über „11 Jahre Keltenfest Schwarzenbach – Ein archäologisches Großevent im ländlichen Raum“. Im niederösterreichischen Schwarzenbach entstand vor einigen Jahren ein aus sieben Gebäuden bestehendes archäologisches Freilichtmuseum, in dem die Geschichte der Kelten im 2. und 1. Jahrhundert vor Christus gezeigt wird. Um die Attraktivität und Bekanntheit des Museums zu steigern, habe sich die Gemeinde Schwarzenbach entschieden, ein dreitägiges Keltenfest mit Handwerk, Musik und Essen zu feiern. Das Fest finde jährlich um die Sommersonnenwende im Juni statt und beginne mit der „Eroberung“ des Keltenwalls durch 1800 Schüler. Am ersten Tag (Freitag) liege der Schwerpunkt auf den jungen Gästen mit Kinderprogramm und einem Abendkonzert. Am Wochenende finde das eigentliche Archäologiefest mit keltischen Handwerkern und dem Auftritt von Reenactmentgruppen statt. Habe das Fest in den späten 1990er Jahren rund 8000 Besucher gehabt, so sei deren Zahl 2008 auf fast 14000 Gäste gesteigert worden. 25 Archäologen, 20 historische Darsteller, 20 Musiker, 4 Gastronomieanbieter und mehr als 200 Freiwillige seien bei der Veranstaltung im Einsatz.

Nach Harald Siebenmorgen (Badisches Landesmuseum Karlsruhe) begrüßten die Organisatoren mit ERWIN KEEFER auch einen Vertreter des Württembergischen Landesmuseums aus Stuttgart. Bereits der Titel „Als Küchenmeister mit dem Einbaum des Pfahlbauers nach Ägypten und als Römer zurück – Besucherorientierte Veranstaltungen am Landesmuseums Württemberg Stuttgart“ zeigte, welchen Herausforderungen Museen als moderne Kulturbetriebe gegenüberstehen. Keefer ging in seinem Vortrag auf die Tradition ein, über die das Pfahlbaumuseum bei der lebendigen Vermittlung von Geschichte seit den 1920er-Jahren verfügt und stellte dem die aktuelle Entwicklung gegenüber, in der sich moderne Kultureinrichtungen mit Disneyland und dem Europapark bei Freiburg in Konkurrenz befinden. Er wies auf die Verankerung der Museen hin, die zunächst dem ICOM Code des Sammelns, Bewahrens, Forschens, Vermittelns und Präsentierens verpflichtet seien. Ähnlich wie Harald Siebenmorgen betonte er die Veränderung in seiner Einrichtung, die seit dem 1. Januar 2008 als staatlich gelenkter, aber doch kaufmännisch Landesbetrieb eigenverantwortlich auftrete und in diesem Rahmen versuche, den erwirtschafteten Eigenanteil zu erhöhen. Eine große Bedeutung komme in diesem geänderten Umfeld den Events zu, die Teil ihrer Aufgaben als besucherorientierte Kultureinrichtung darstellten. Hierzu gehöre etwa die „Lange Nacht der Museen“, bei der sich das Haus samt Umfeld mit einem Mix aus Show, Theater, Performance und Vorführungen zeige. Ein Beispiel war hierfür die PR-taugliche Ausstellungen „Ägyptische Mumien“, deren Darsteller das Landesmuseum publikumswirksam nicht nur indoor, sondern auch bei Messen und Empfängen bewarben. Das neue, 2010 geplante Kindermuseum im Landesmuseum wurde als Versuch präsentiert, neue Besuchergruppen zu erreichen. Einen Anfang hierzu mache bereits die interaktive Sonderausstellung „Piraten“, die 2008/2009 142.000 Besucher erreicht habe.

Den Abschluss des ersten Tages bildete der Chemnitzer Experimentalarchäologe DOMINIQUE GÖRLITZ. Bei seinem Vortrag „ABORA III – Columbus – Hat er Amerika nur wieder entdeckt?” referierte er über sein Experiment, mit dem er beweisen möchte, dass bereits die Menschen der Steinzeit die Nordroute des Atlantik mit einem Rahsegler befahren konnten. Laut Görlitz trügen Wissenschaftler immer mehr Hinweise zusammen, die zeigten, dass Columbus nicht der Entdecker der Neuen Welt gewesen sei. Die Funde ursprünglich nur in Amerika vorkommender Pflanzenreste in ägyptischen Mumien deuteten nach Görlitz auf sehr frühe transatlantische Handelsbeziehungen hin. Neueste DNA-Sequenzen an Kulturpflanzen sollten dem Referenten nach beweisen, dass die Menschen schon früh den Atlantik überquerten. Um dies experimentell zu belegen, ließ er ein Schilfboot bauen, das in 56 Tagen über 2410 Seemeilen auf dem Atlantischen Ozean zurücklegte. Das Wetter bescherte dem Expeditionsteam im August 2007 unerwartet viele und heftige Tiefdruckgebiete. Ein drittes Orkantief schüttelte das Boot, die ABORA III, 800 Meilen vor den Azoren drei Tage lange durch, wobei das Heck schweren Schaden nahm. Ca. 550 Seemeilen vor den Azoren musste der Versuch beendet werden. Die Expeditionsergebnisse dokumentierten nach Meinung des Referenten, dass ein prähistorisches Schilfboot das Potential besitze, den Atlantik auch in umgekehrter Richtung zu überqueren.

Den zweiten Tag begann RAINER HARTMANN (Institut für Freizeit- und Tourismusmanagement, Hochschule Bremen). Unter dem Titel „Eventmarketing: Chancen für Cultural Heritage Sites“ berichtete er über den Einsatz von Events aus Sicht der Freizeit- und Tourismuswissenschaft. Zunächst ging er auf den demographischen Wandel ein, der vor allem die jüngere Generation der ‚Älteren‘ als eine Zielgruppe ansprach, die für Reisen und Events sehr zugänglich seien. Historische Themen erfreuten sich bei allen Altergruppen einer zunehmend großen Beliebtheit und stünden in Umfragen vor Musikfestivals, Open Air Konzerten und Kunstausstellungen. Historische Events beschrieb Hartmann als eine Strategie, Aufmerksamkeit zu erzeugen und ein einzigartiges Profil zu erzeugen, wie es etwa das Münchner Oktoberfest oder die Salzburger Festspiele besäßen. Er betonte, dass Events einen zielgerichteten Charakter haben müssten, mit dem Resultat, dem Besucher einmalige Erfahrungen zu ermöglichen. Je höher die dabei erzeugte Emotionalität, desto besser die Veranstaltung. Der Event müsste im Idealfall einen Flow erzeugen, ein Gefühl des völligen Aufgehens in einer Tätigkeit, das ein einmaliges Erlebnis darstellt. Der Anbieter sei nicht in der Lage, den Flow selbst herzustellen, er könne aber die Grundlagen dafür schaffen. Daher fänden sich im Umfeld von Sportveranstaltungen besonderes viele Werbende. Beim anschließenden Workshop ging es für die Teilnehmer darum, einen neuen Geschichtsevent für ihre eigene Einrichtung zu entwickeln, auszuarbeiten und diesen den Tagungsteilnehmern vorzustellen.

OTTO JOLIAS STEINER (Sarnen, Schweiz) beschrieb unter dem Titel „Zermatlantis – das Matterhorn inszeniert als archäologische Grabung“, wie wissenschaftliche Inhalte für die Öffentlichkeit nutzbar gemacht werden können. Als Beispiele führte er mehrere bereits realisierte Projekte an, die auf den ersten Blick nichts miteinander gemeinsam zu haben schienen. Im Mittelpunkt des Vortrages stand das Projekt Zermantlantis, bei dem auf einer Ausstellungsfläche von 600 Quadratmetern das fiktive Dorf Zermatt im Zeitschnitt um 1850 wie bei einer Ausgrabung im Untergrund rekonstruiert wurde. Das ‚Heimatmuseum‘ wurde dabei unter das heutige Zermatt transloziert, wo eine aus 13 Häusern bestehende neue historische Erlebniswelt entstand. Unter Einsatz von Wissenschaftlern, Dramaturgen und Theaterautoren wurden aus den wahren Begebenheiten dieser Zeit Geschichten herausgefiltert und anschließend in „Zermatlantis“ erzählt. Für die einzelnen Themenbereiche inszenierten die Ausstellungsverantwortlichen wirklichkeitsnahe Erlebnisräume, in denen möglichst alle Sinne angesprochen werden. Derzeit in Arbeit ist das Rheinprojekt, bei dem ein Rheinschiff in den Hochalpen transportiert werden soll, wo es unweit der Rheinquelle auf einer Länge von 2000 Metern die Fahrt aufnehmen soll. Ein weiteres Projekt ist eine modifizierte Bergbahn, die – ähnlich wie in Unterhaltsparks – nach außen geöffnet, den Blick auf die grandiose Umgebung der Alpenwelt freigeben soll. Steiner wies ebenso wie Hartmann auf die Bedeutung hin, Emotionen mit Abwechslung und Formenvielfalt zu verbinden. Abschließend trug er wesentliche Punkte zusammen, die seiner Ansicht nach ein erfolgreiches Museum ausmachten: 1. Eine zentrale, publikumsintensive Lage. 2. Ein spannendes Thema. 3. Eine populäre Inszenierung. 4. Ein einladendes Äußeres und 5. das Abholen und die Verführung des Publikums.

Den Abschluss der Tagung gestaltete MARKUS JUNKELMANN, der über „Events und Archäologie. Experimente und Darstellungen mit römischem Militär und Gladiatoren” berichtete. Schwerpunkt seiner Tätigkeit ist es, das Verhältnis aus archäologischem Befund, Rekonstruktion und Experiment als wissenschaftlichen Versuch und in historischer Events darzustellen. Der Althistoriker beleuchtete eine Reihe von Projekten, die er auf diesem Gebiet seit 1985 durchführe. Eine der Fragen, die ihn beschäftigten, war, ob Waffen von Gladiatoren oder die Helmmasken römischer Reiter, die in Pompeji gefunden wurden, speziell für Veranstaltungen und Paraden angefertigt wurden. Um dies herauszufinden, habe er damit Versuche durchgeführt. Museale Vorführungen, die aus diesen Ergebnissen resultierten, seien der beste Weg, ein korrektes Bild vom Leben römischer Soldaten und vom Gladiatorwesen zu vermitteln, so Junkelmann. Er wies auf die Bedürfnisse vieler Menschen hin, die erfahren wollten, wie man sich in dieser Rolle als Soldat fühlte und die ein in sich schlüssiges Bild der Vergangenheit sehen wollten. Die Besucher sollten eingeladen werden in einen fortlaufenden Forschungsprozess zur römischen Militärgeschichte, der auf unterhaltsame Art und Weise vermittelt wird.

Zum Abschluss der Diskussion zeigten sich die Tagungsteilnehmer erfreut darüber, dass die regionalen Projekte am Ende diskutiert wurden. Die beiden Kongresstage erbrachten ein facettenreiches Bild zum Thema „Living History“, das zu vielen Reflektionen einlud. Frau PULINI als Leiterin der Abschlussdiskussion betonte die Notwendigkeit von Events für alle beteiligten Museen. Der Vortrag von Mehler mache deutlich, wie vorsichtig man beim Umgang mit Events sein müsse. Als fruchtbar bezeichnete sie die Erfahrungen, die von den traditionellen Museen kämen. Ein wichtiger Punkt entwickelte sich aus dem Workshop, der klar machte, dass jeder daran arbeiten muss, dass der Museumsbesuch zum Erlebnis wird. Wir benötigen eine besucherorientierte Einstellung, um die Grundlagen dafür zu schaffen, dass unsere Besucher tiefe individuelle Erfahrungen machen können und das Museum zufrieden verlassen. Wir besitzen die Rahmenbedingungen hierfür und haben die Aufgabe, diese zu nutzen. Ein weiterer Punkt, der herausgearbeitet wurde, war die Problematik ähnlicher Veranstaltungen und Strukturen in vielen der beteiligten Häuser. Hier wurde eine größere Vielfalt gefordert. Wichtig sei dabei vor allem eine hohe Qualität bei der Präsentation von lebendiger Geschichte. Als Beispiel nannte sie den gelungenen Ansatz von Marcus Junkelmann. Die Darstellungen der Gladiatoren, der Waffenmacher und deren Vorarbeiten zeigten, wie Projekte auf hohem Niveau über einen langen Zeitraum realisiert werden könnten. Diese Performance sei von hoher Wertigkeit und zeige die Unterschiede, die wir auch in anderen Bereichen erkennen könnten. Als wichtig bezeichnete sie, dass die historischen Events auch zur Identität des Standortes passen müssten. Frau Pulini zeigte sich zuversichtlich darüber, dass der stattgefundene Austausch den Teilnehmern der Tagung in der täglichen Museumsarbeit aller beteiligter Institutionen weiter helfen werde.

Dem wissenschaftlichen Kongress schloss sich das Geschichtsfestival „H8 – Acht Länder präsentieren Lebendige Geschichte“ am 23./24. Mai an. Das Pfahlbaumuseum Unteruhldingen veranstaltete zusammen mit sieben weiteren europäischen Partnern den von der Generaldirektion Erziehung und Kultur der Europäischen Union geförderten Event. Mit der Veranstaltung wurde ein breites Spektrum an Interessenten erreicht, wie eine begeleitende Evaluation ergab. Insgesamt 14 historische Gruppen stellten am Festwochenende die Vielfalt an Living History Präsentationen in einem archäologischen Freilichtmuseum dar. Jedes Land Europas entwickelte einen eigenen Schwerpunkt, den es am 23. Mai den Besuchern im Rahmen von Vorführungen näher brachte. Das Thema des Gastgebers Deutschland war die Familie aus dem ARD/SWR Fernsehfilm „Steinzeit - Das Experiment“, die von dem Versuch berichteten, für acht Wochen das Leben des 21. Jahrhundert mit dem der Jungsteinzeit zu tauschen. Das Museum Modena/Italien sandte Bronzegussexperten über die Alpen, die den über 5000 Festbesuchern die aufwändigen Gusstechniken vor 4000 Jahren darstellten. Das Museum Araisi/Lettland war mit dem Thema „Musik, Tanz und Gesang der Eisenzeit“ vertreten und bot mit ihren lebenslustigen Tanzdarbietungen und Liedern eine willkommene Abwechslung. Im Gegensatz dazu stand die Performance der Magyaren, die mit ihren Jurten die Lebensweise der frühen Reitervölker der Steppe nachstellten. Ihre Vorführungen mit speziellen Reflexbögen illustrierten, wie mit einer bestimmten Kampftechnik bis zu 20 Schuss pro Minute abgegeben werden konnten (Museum Matrica/Százhalombatta). Die Niederlande (Historisch Openluchtmuseum Eindhoven) waren durch germanische Krieger vertreten, die mit Schild und Schwert einen Zweikampf demonstrierten. Gelegenheit für Interaktion gab es bei den Auftritten des Museums Foteviken (Schweden). Die Wurf- und Schusstechniken von Wurfäxten und Bögen gaben interessante Einblicke in die Welt der Wikinger des ersten Jahrtausends. In keltische Zeit führte die Präsentation des Scottish Crannog Centre, die einen Sud aus Brenneseln kochten, um damit die Technik zur Färbung von Textilfasern zu zeigen. Die Norweger vom Museum Lofoten hatten die Aufgabe, die Besucher im Wikingerschiff über den Bodensee zu fahren und der Schiffsarchäologe Dominique Görlitz – er trainierte für die nächste Atlantiküberquerung von New York nach Europa - ankerte mit seinem Schiff an den Pfahlbauten, nachdem er von der Mainau zurückkehrte. In einer eigens für die Veranstaltung angelegten „Zeitreisen-Arena“ am Rande von Unteruhldingen zeigten Reenactorgruppen aus ganz Deutschland experimentelle Vorführungen aus der Zeit der Kelten, Römer und aus dem Mittelalter. Brutzelnde Eintöpfe über dem Feuer, klirrende Waffen und wiehernde Pferde – dies sind nur einige der vielfältigen Eindrücke aus dem Lagerbereich. Den Ulfinger Alamannen konnte man bei ihren aufwändigen Lederarbeiten für die Gebrauchs- und Schmuckgegenstände der Völkerwanderungszeit zuschauen, und die „Württemberger Ritter“ stellten fingerfertig dar, wie schwer ein repräsentatives Kettenhemd selbst herzustellen war. Großer Aufmerksamkeit erfreuten sich die Kampfvorführungen der Gladiatoren, der römischen Legionäre und der mittelalterlichen Reiter, die im Rund der eigens erschaffenen Arena ihren Applaus empfingen.

Eine Podiumsdiskussion zur europäischen Geschichte und zur Bedeutung von Kultur im gemeinsamen Europa, bei der Europapolitiker und Kulturverantwortliche das von der Generaldirektion Erziehung und Kultur der Europäischen Union geförderte Projekt der Öffentlichkeit vorstellten, schloss sich den Vorführungen an. Bei der Podiumsveranstaltung wurde darauf verwiesen, dass Museen als eine Art Schaufenster die Aufgabe und die Möglichkeiten hätten, im modernen Europa der Regionen ein Miteinander zu schaffen. Neben deren Kernaufgaben Sammeln, Bewahren, Forschen und Vermitteln werde der interkulturelle Dialog immer wichtiger, um eine Nachhaltigkeit geschichtlicher Informationen und Botschaften sicher zu stellen. Dem verbunden war der Aufruf, dass Experimentelle Archäologen und Darsteller Lebendiger Geschichte in Zukunft eine stärkere Zusammenarbeit suchen sollten.

Eine Druckfassung der Tagungsbeiträge ist in Vorbereitung.

Konferenzübersicht:

Gunter Schöbel (Pfahlbaumuseum Unteruhldingen): Events im Archäologischen Freilichtmuseum

Ulrich Mehler (Universität Köln): Events und Lebendige Geschichtsvermittlung

Wojciech Piotrowski (Archäologisches Museum Biskupin): Das Biskupin Festival

Ruth Bader (Konstanz): 600 Jahre Konstanzer Konzil – 5 Jahre, 5 Köpfe, 5 Themen

Harald Siebenmorgen (Direktor Badisches Landesmuseum Karlsruhe): „Évènements“ im Badischen Landesmuseum Karlsruhe

Wolfgang Lobisser (VIAS, Universität Wien): 11 Jahre Keltenfest Schwarzenbach – Ein archäologisches Großevent im ländlichen Raum.

Erwin Keefer (Württembergisches Landesmuseum Stuttgart): Als Küchenmeister mit dem Einbaum des Pfahlbauers nach Ägypten und als Römer zurück – Besucherorientierte Veranstaltungen am Landesmuseum Württemberg Stuttgart.

Dominique Görlitz (Chemnitz), „ABORA III – Columbus – Hat er Amerika nur wieder entdeckt?”

Rainer Hartmann (Universität Bremen): Eventmarketing: Chancen für Cultural Heritage Sites

Otto Jolias Steiner (Sarnen): Zermatlantis – das Matterhorn inszeniert als archäologische Ausgrabung.

Marcus Junkelmann (Oberempfenbach): Events und Archäologie. Experimente und Darstellungen mit römischem Militär und Gladiatoren

Gunter Schöbel / Matthias Baumhauer

Anmerkung:
1 Bilder des „Living History Events und weitere Informationen: <http://www.suedkurier.de> und <http://www.pfahlbauten.de> und <www.livearch.eu> (09.12.2009).


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