Die Nationalisierung von Produktkommunikation. Historische, methodische und theoretische Perspektiven

Die Nationalisierung von Produktkommunikation. Historische, methodische und theoretische Perspektiven

Organisatoren
Oliver Kühschelm / Franz X. Eder, Universität Wien; Hannes Siegrist, Universität Leipzig
Ort
Wien
Land
Austria
Vom - Bis
12.11.2009 - 13.11.2009
Url der Konferenzwebsite
Von
Christina Linsboth, Wien

Innerhalb weniger Wochen fand in Wien bereits die zweite von Oliver Kühschelm (Universität Wien), Franz X. Eder (Universität Wien) und Hannes Siegrist (Universität Leipzig) konzipierte internationale Tagung zur Nationalisierung von Produktkommunikation statt. Während die Anfang Oktober abgehaltene Konferenz eine ländervergleichende Perspektive wählte1, standen nunmehr methodische und theoretische Überlegungen im Vordergrund.

Einleitend präsentierte FRANZ X. EDER die Ergebnisse der vorangegangenen Tagung. Deutlich geworden seien die vielfältigen Ebenen von Produktkommunikation angefangen bei wirtschaftlichen Praktiken über politische Maßnahmen bis hin zu kulturellen Handlungs- und Konfliktformen. Gleichzeitig habe sich gezeigt, dass (nationalisierte) Produktkommunikation nicht alle potentiellen Konsument/innen, sondern meist nur bestimmte Gruppen ansprach. Als Desiderata, die sich aus den Diskussionen ableiteten, formulierte Franz X. Eder zwei Punkte: Zum einen sei eine breitere Quellenbasis wünschenswert, die neben institutionell produzierten Text- und Bildquellen, oft mit normativer oder normalisierender Komponente, auch Egodokumente berücksichtigt. Zum anderen habe sich die Notwendigkeit gezeigt, methodologisch-theoretische Fragen verstärkt in den Blick zu nehmen. Darauf sollte sich die zweite Tagung konzentrieren.

OLIVER KÜHSCHELM eröffnete die erste Sektion. Seine forschungsleitende These, dass massenmediale Produktkommunikation einen wichtigen Beitrag zur Konstruktion nationaler Identitäten leiste, exemplifizierte er anhand einer Werbung der Automarke Ford. Die Analyse der Medialität und des Erscheinungszusammenhangs der Werbung – Ford inserierte in der Sonderbeilage einer Boulevardzeitung zum österreichischen Katholikentag 1958 – veranschauliche, dass die nationale Identität Österreichs von einem Spannungsverhältnis zwischen katholisch geprägter Verinnerlichung und der von Ford in Aussicht gestellten Ausrichtung auf eine Konsumnation westlicher Prägung gekennzeichnet sei. Die Nation versuchte Kühschelm im Anschluss an Philipp Sarasin als transzendentalen Signifikanten zu konzeptualisieren, die Rolle von Konsumgütern analysierte er als Form einer Realisierung dieses Signifikanten. Das abstrakte Konzept der Nation werde erst durch Konkretisierungen, wie sie maßgeblich Konsumgüter vollziehen, wirkmächtig. In welcher Weise sich die Konsument/innen bzw. Bürger/innen, die von werblichen und journalistischen Texte geformten Subjektangebote aneigneten, bleibe ein Desiderat. Die Schwierigkeit, hier befriedigende Antworten zu geben, hänge unter anderem mit einer schwierigen Quellenlage zusammen, wie sich bereits bei der ersten Tagung zeigte.

SEBASTIAN REDDEKER (Luxemburg) legte seinem Vortrag die Interdiskurstheorie Jürgen Links zugrunde, um gegenwärtige Werbungen als interdiskursive Elemente nationaler Identität in Luxemburg betrachten zu können. Aufgrund seiner Größe biete das Land eine „Laborsituation“ für die Untersuchung von Werbung im Spannungsfeld von nationalem und globalem Raum. Identitätsstiftendes Potential gewinnt die Produktkommunikation besonders durch die sprachlich und kulturell heterogene Zusammensetzung der Bevölkerung und die große Zahl an Pendler/innen. Während die Auftraggeber/innen und Werbeagenturen einen Spezialdiskurs formten, sah Reddeker den Interdiskurs durch die Werbeformen und Veröffentlichungsmedien gestaltet. Besonders die Auswahl des Veröffentlichungsmediums und der Sprache bestimmt die nationale Konnotation von Produkten, da der luxemburgisch gehaltenen Radio- und Fernsehwerbung die deutsche Presse und das internationale Kino gegenüberstehen. Fazit: Werbung knüpft bei nationalen Identitätsmustern an und kreiert damit zumindest teilweise einen einheitlichen nationalen Raum.

STEFAN BAUERNSCHMIDT (Kiel) stellte sein Forschungsvorhaben zu den Aneignungsprozessen von Fordwagen im Berlin der Weimarer Republik vor. Das „Schlagwort“ der „amerikanischen Gefahr“ betrachtet er im Kontext der seit der Jahrhundertwende von Journalisten ausgesprochenen Warnungen vor der Amerikanisierung Europas. Zwischen 1924 und 1928, als sich der Begriff der „amerikanischen Gefahr“ in Automobilzeitschriften und der Tagespresse etablierte, verortete er eine Bedeutungsverschiebung: Während die Bezeichnung „amerikanische Gefahr“ vor und während des Ersten Weltkriegs noch sämtliche in den USA produzierten Autos subsummierte, wurde in den 1920er-Jahren vor allem die Automarke Ford zum Sinnbild der Gefahr stilisiert. Die „amerikanische Gefahr“ sei nun im Zusammenhang mit sozialen Ungleichheiten thematisiert worden. Das Konsumgut Ford habe sich damit von einer amerikanischen zu einer öffentlichen Gefahr gewandelt.

Am zweiten Tag rückte MARC SCHALENBERG (Helsinki), die Akteure und Akteurinnen des „finnish design“-Diskurses ins Zentrum seines Beitrags. Designmessen, Designmuseen und das „Finnish Design Yearbook“ stellten die Angelpunkte dieses Diskurses im letzten Jahrzehnt dar. Ausgehend von der These, dass die Nationalisierung von Produkten mittels Design im Alltag „eingeschliffen“ werde, zeichnete er die Bilder von Haushalts- und Einrichtungsgegenständen in Werbekampagnen der letzten Jahrzehnte nach. Die Designobjekte erfuhren nach dem Zweiten Weltkrieg eine nationale Aufladung, indem sie in der Logik der Präsentation als einfach und natürlich an die naturräumliche Lebenswelt und traditionelle Lebensweise angebunden wurden. Die nationale Imagebildung wird zudem von politischer Seite vorangetrieben, wenn sich Helsinki als „World Design Capital“ bewirbt oder öffentliche Gebäude mit Gebrauchsgütern des „finnish design“ ausgestattet werden. Der „finnish design“-Diskurs, so die Schlussfolgerung, diente besonders seit den 1990er-Jahren der Etablierung einer „nationalen Dachmarke“ in Zeiten der Globalisierung.

Ebenfalls mit Finnland beschäftigte sich MINNA LAMMI (Helsinki). Sie analysierte die nach dem Zweiten Weltkrieg entstandenen, staatlich unterstützten educational short films. Adressatinnen der von Banken, Unternehmen und Gemeinden produzierten und steuerlich begünstigen Filme waren junge Familien, heterosexuelle Paare und Hausfrauen. Ein Ziel war, den Kauf industriell hergestellter Güter – allen voran solchen aus Plastik – anzuregen. Anhand eines Films veranschaulichte Lammi, auf welche Weise Konsumgüter aus Plastik mit Sparsamkeit und rationellem Haushalten verknüpft wurden. Auffallend an dem Beispiel war die Präsentation von Materialkombinationen aus Plastik und Holz. Sie symbolisierte den Versuch, die Tradition eines agrarischen und holzreichen Landes mit den Vorstellungen einer fortschrittsorientierten Konsumgesellschaft zu vereinen.

Die beiden abschließenden Vorträge dienten als „Kontrapunkte“. Mit der Betrachtung langfristiger Entwicklungen erweiterten sie zum einen die zeitliche Perspektive und bezogen zum anderen ein Investitionsgut in die Überlegungen zu nationalisierter Produktkommunikation ein. RENGENIER RITTERSMA (Mainz) befasste sich zunächst mit der französisch-italienischen Trüffelrivalität. Die gastronomischen Traditionen und ihre Produkte stellten wesentliche Elemente der nationalen Identitäten Italiens und Frankreichs dar, wobei sich aber die soziokulturelle Bedeutung dieses Bodenprodukts seit dem Mittelalter von lokal zu regional zu national und in der Gegenwart wieder zurück zu regional entwickelte. Hierfür ist das Terroir-Konzept zentral, das der Bodenbeschaffenheit eines regional begrenzten Raumes relevante Eigenschaften für den Geschmack eines Nahrungsmittels zuschreibt. Rittesma sieht darin den „Gastrochauvinismus“ theoretisch untermauert, da das Konzept die kulinarische Überlegenheit einer Region bzw. Nation suggeriert. Am Beispiel der Trüffel lasse sich zeigen, wie „gastrochauvinistische“ Argumentationen mit der Gleichsetzung des Nahrungsmittels und seines Herkunftsgebiets einhergingen. Seit dem 18. Jahrhundert wurde die besonders in diplomatischen Kreisen als Geschenk geschätzte Trüffel mit dem Piemont identifiziert. Spätestens im 19. Jahrhundert konnte sich jedoch Frankreich als eigentliches Trüffelland positionieren.

ZSOMBOR BÓDY (Miskolc) fragte, in welcher Weise ein Investitionsgut mit nationalem Symbolgehalt versehen wurde und untersuchte zu diesem Zweck die alltagskulturelle Sinnbildung des ungarischen Ikarus-Busses. An der starken medialen Präsenz des Busses seit den 1950er-Jahren hatten nicht nur Politiker, sondern auch Fotokünstler und Journalisten Anteil. Bódy hob zwei Aspekte besonders hervor: Erstens sei Modernität in den Texten ausschließlich in Form der Beschreibung technischer Details – betont wurde das Potential der ungarischen Technik – präsent gewesen. Darin spiegelte sich die sozialistische Auffassung von Modernität. Zweitens sei in den analysierten Bildern besonders der visuelle Kontrast zwischen technischer Modernität und der historischen Stadtarchitektur auffallend. Der Sozialismus habe sich über die Präsentation der Busse vor nationalen Erinnerungsorten die bürgerliche Stadt angeeignet. So zeigte etwa ein Bild den Ikarus-Bus vor dem Opernhaus in Budapest. Damit stellte sich der Sozialismus visuell als Nachfolger der Nationalgeschichte dar. Dass seit der Auflassung der Bus-Herstellung 2007 eine nostalgische Kultur aufbreche, deute darauf hin, dass der Ikarus-Bus zu einem maßgeblichen Bestandteil des ungarischen „Symbolhaushalts“ geworden ist.

Die thematische Vielfalt der Konferenzbeiträge machte die Verflechtung von Produktkommunikation und Nationalisierung deutlich. Sowohl über einzelne Produkt(gruppen) als auch über breit angelegte Werbediskurse wurden nationale Identitäten vermittelt. Die Zusammenschau der Beiträge zeichnete außerdem ein Bild der verschiedenen teilhabenden Akteursgruppen angefangen bei politisch-staatlichen Entscheidungsträgern und –trägerinnen über Konzerne und Design- bis hin zu Marketingfachleuten. Durch die Einbeziehung längerfristiger Entwicklungen in den „Kontrapunkten“ gelang es, eine Diskussion über das Zusammenspiel und das Spannungsverhältnis von regionalisierender und nationalisierender Produktkommunikation anzuregen. Zwar veranschaulichte die Tagung die methodologischen Herangehensweisen mittels Text-, Bild- und Filmanalyse. Die zu erwartenden Einblicke in die Operationalisierung hätten jedoch noch stärker ins Zentrum gerückt werden können. Zweckdienlich wäre in manchen Beiträgen auch eine Schärfung des jeweils verwendeten Nationsbegriffs gewesen. Als Desiderat stellte sich die Frage heraus, ob nationale (Bilder)Sprachen und Codes auszumachen sind und inwieweit von ihrer Angleichung im Zuge der Internationalisierung und Globalisierung gesprochen werden kann.

Konferenzübersicht

BEGRÜßUNG
Oliver Kühschelm (Universität Wien)

Franz X. Eder (Universität Wien)
Ergebnisse des 1. Tagungsteils (1. bis 3. Oktober 2009)

PRODUKTKOMMUNIKATION UND DISKURSANALYSE
Chair: Hannes Siegrist (Universität Leipzig)

Oliver Kühschelm
Die Nation sichtbar machen. Markenprodukte als nationale Identifikationsfiguren

Sebastian Reddeker (Université du Luxembourg)
Dee Secret vu Lëtzebuerg – ein interdiskursanalytischer Blick auf die Werbung in Luxemburg

Stefan Bauernschmidt (Christian-Albrechts-Universität Kiel)
Ford im Zwischenkriegs-Berlin. Archäologie einer Gefahr

VISUALISIERUNG UND/ALS NATIONALISIERUNG
Chair: Barbara Orland (Universität Basel)

Marc Schalenberg (Helsinki Collegium für Advanced Studies)
„Finnisches Design“: Archäologie eines Werbediskurses zwischen nationaler Selbstbehauptung und globalem Markt

Minna Lammi (National Consumer Research Center Helsinki)
The Fabulous New Material Culture. How plastics were introduced to Finnish consumers in civic educational short films

KONTRAPUNKTE
Chair: Franz X. Eder

Rengenier Rittersma (University of Saarbrücken/Insitute of European History Mainz)
“Ces pittoyables truffles d’Italie”. Die französisch-italienische Rivalität auf dem europäischen Trüffelmarkt als Manifestation von Gastrochauvinismus

Zsombor Bódy (Universität Miskolc)
Der Ikarusbus als ungarische und sozialistische Ikone. Oder ein Trumpf in der Hand der Nation

SCHLUßDISKUSSION

Anmerkung:
1 Tagungsbericht Product Communication and the Nationalisation of Consumption. 01.10.2009-03.10.2009, Wien, in: H-Soz-u-Kult, 20.11.2009, <http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/tagungsberichte/id=2862>.


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