Rassenpolitik in den Kolonien des Deutschen Kaiserreichs

Rassenpolitik in den Kolonien des Deutschen Kaiserreichs

Organisatoren
Frank Becker (Münster)
Ort
Münster
Land
Deutschland
Vom - Bis
08.10.2003 - 10.10.2003
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Von
Frank Becker

Vom 8.-10. Oktober 2003 fand in den Räumen der Akademie Franz Hitze Haus in Münster die Tagung Rassenpolitik in den Kolonien des Deutschen Kaiserreichs statt, die von Frank Becker (Münster) vorbereitet und organisiert wurde. In vierzehn Vorträgen wurde der Frage nachgegangen, welche Handlungskonzepte und Wahrnehmungsmuster die Konfrontation der Ethnien in den deutschen Schutzgebieten bestimmt haben. Besonderes Gewicht wurde dabei auf das Phänomen der ethnischen Mischung gelegt. In der Diskussion um Heiratsverbote einerseits, die Behandlung der Mischlinge andererseits spiegelte sich das gesamte Spektrum rassenpolitischer Auffassungen und Strategien. Horizont aller Überlegungen sollte dabei die Frage sein, inwiefern in der kolonialen Sphäre Begriffe, Handlungsmuster und Diskurse entstanden, die in jenen Wissensspeicher völkisch-nationalen Denkens eingingen, aus dem später auch noch die Nationalsozialisten schöpften — auch wenn sie diese Elemente zweifellos weiterentwickelten und in neue Programm- und Handlungskontexte einbauten. Damit sollte auf der Tagung einerseits die klassische Hannah-Arendt-These vom Kolonialismus als dem Laboratorium des Totalitarismus unter veränderten methodisch-theoretischen Prämissen neu zur Diskussion gestellt, andererseits ein weiterer Schritt unternommen werden, die Kolonialgeschichte wieder stärker in die deutsche Geschichte hereinzuholen, als es traditionell oft geschieht, wenn sie zu einem Gegenstand von ganz eigener Gesetzmäßigkeit erklärt wird. Koloniale Praxis wird zumeist im Hinblick auf die Intentionen der politisch verantwortlichen Akteure und im Vergleich der verschiedenen Kolonialreiche untereinander, seltener in ihrer Rückwirkung auf die Metropole geschrieben.

Endgültig vorbei scheinen aber die Zeiten zu sein, in denen viele Historiker glaubten, die Kurzfristigkeit des deutschen kolonialen Engagements und die geringe wirtschaftliche, militärische, macht- und bevölkerungspolitische Relevanz der Schutzgebiete mache sie, zugespitzt formuliert, zu einer Fußnote in der Geschichte des Kaiserreichs. Längst hat die kulturwissenschaftliche Wende in der Geschichtswissenschaft darüber belehrt, dass nicht nur die faktische, sondern auch die diskursive Relevanz von Gegenständen über ihre historische Wirkmächtigkeit entscheidet; die postcolonial studies, seit vielen Jahren ein wichtiges Forschungsparadigma in den USA, haben aufgezeigt, in welch hohem Maße die Begegnung zwischen Kulturräumen, zwischen Kolonialherren und Kolonisierten auf Wahrnehmungsstereotypen und Projektionen beruht — wobei aber gerade diese Konstrukte im Sinne der Abgrenzung vom Anderen, vom jeweils Fremden die eigene Identität herstellen. Für das späte 19. Jahrhundert in Europa hat Ann Laura Stoler festgestellt, dass es wohl kein relevantes Diskussionsfeld gegeben hat, auf dem nicht die Differenz zwischen der eigenen Kultur und der Kultur der anderen, vermeintlich unzivilisierten Völker wenigstens implizit als strukturierendes Muster eine Rolle gespielt hat.

Den Zusammenhängen von Kolonialismus und Rassenpolitik ging die Tagung in mehreren thematischen Blöcken nach. Am Anfang stand eine Einordnung des Rassismus in das Spektrum der Kolonialideologien, die von Horst Gründer (Münster) vorgenommen wurde. Gründer ging bei seiner begriffsgeschichtlichen Rekonstruktion bis zu den Anfängen des Kolonialismus zurück. Der Terminus Rasse erwies sich dabei als konstitutives Element für jegliche Form von Kolonialherrschaft. Egal, welche konkrete Macht als Kolonisator auftrat (ob es etwa auch ostasiatische Mächte wie China oder Japan waren), egal auch, in welcher Form die Kolonialherrschaft ausgeübt wurde - immer spielte die Entgegensetzung zweier Rassen und die behauptete Überlegenheit der kolonisierenden Ethnie eine fundamentale Rolle. In der nachfolgenden Ersten Sektion ging es um rassenpolitische Konzepte, die verschiedene Akteure auf dem kolonialen Feld entwickelten. Michael Schubert (Osnabrück) behandelte die Kolonialpolitik in der Metropole, die Rassenvorstellungen bei Regierungsvertretern und Reichstagsabgeordneten in Berlin. Dabei unterschied er zwischen einem kulturmissionarischen und einem biologischen Rassismus, legte aber Wert darauf, dass auch die erstgenannte Form einen Rassismus verkörpere, also der pädagogische Impetus die unterstellte Rassenhierarchie keineswegs abschwäche. Thorsten Altena (Dortmund) befasste sich anschließend mit dem Rassenbegriff der evangelischen Missionsgesellschaften in Afrika. Er zeichnete ein differenziertes Bild: Ganz unterschiedliche Vorstellungen von der Bedeutung der Kategorie Rasse koexistierten miteinander bei den Missionaren der verschiedenen Missionsgesellschaften. Ein harscher Rassismus jedenfalls, der die kolonisierten Völker verächtlich gemacht habe, sei nur selten anzutreffen gewesen. Schließlich ging Christoph Marx der Frage nach, was es für die Ordnung der Rassen bedeutete, wenn eine Kolonie als Siedlungskolonie definiert wurde. Dazu entwickelte er eine luzide Systematik, die weit über den Rahmen der deutschen Kolonialgeschichte hinausgriff.

In der zweiten Sektion wurde der Blick auf Deutsch-Südwestafrika (DSWA) verengt. Eben weil es sich bei diesem Schutzgebiet um eine Siedlungskolonie handelte, erhielten rassenpolitische Fragen eine besondere Brisanz. Spätestens nach dem Herero-Nama-Aufstand etablierte sich, wie Jürgen Zimmerer (Coimbra, Portugal) definierte und erläuterte, eine rassische Privilegiengesellschaft. Deren Strukturen waren in einigen Punkten sehr wohl vergleichbar mit der Besatzungsherrschaft des nationalsozialistischen Deutschland in Polen oder der Sowjetunion. Nicht so sehr die gesetzliche Festschreibung der Rassentrennung, also, zugespitzt formuliert, der Weg von Windhuk nach Nürnberg, sei das entscheidende Bindeglied zwischen den beiden Formen deutscher Gewaltherrschaft, sondern der Weg von Windhuk nach Warschau. Von den deutschen Besatzern in Polen und in der Sowjetunion sei eine koloniale Situation geschaffen worden. Damit werde die dortige Herrschaftspraxis gewiss nicht vollständig beschrieben, aber die Anleihen beim Kolonialismus stellten einen wichtigen Aspekt dar, der von der Forschung bisher übersehen oder heruntergespielt worden sei. Der nächste Vortrag (Jan Böttger, Berlin) machte ein Fallbeispiel zum Prüfstein für die Rassenpolitik des Gouvernements von DSWA. Die Regierung verweigerte in einer spektakulären Situation einem chinesischen Arbeiter die Einreise, obwohl die im Schutzgebiet aufflammende Diskussion deutlich machte, dass sogar die ansonsten betont rassistische Siedlerschaft aus ökonomischen Gründen an der Einwanderung von billigen Arbeitskräften interessiert war. Um die wechselseitigen Wahrnehmungen und Abgrenzungen der Ethnien angemessen analysieren zu können, schlug der Moderator dieser Sektion, Benedikt Stuchtey (London) vor, die Instrumentarien der neueren Nationalismusforschung auf die Kolonialgeschichte zu übertragen.

Sektion 2, Teil B wandte sich dann dem Problem der ethnischen Mischung zu, dem thematischen Schwerpunkt der Tagung. Auf keinem anderen Feld wurde die Nutzung rassen- und biopolitischer Kategorien so stark provoziert. Marc Schindler (Paris) eröffnete diesen Abschnitt mit einem Ausblick auf das französische Kolonialreich. Anhand der Beispiele Indochina und Madagaskar arbeitete er Strategien des Umgangs mit den Mischlingen heraus. Das Spektrum reichte hier von Versuchen, sie für die Stabilisierung der eigenen Herrschaft zu instrumentalisieren, ja eine aus ihnen herausgefilterte Elite sogar konsequent zu französisieren, bis hin zur strikten Verbannung zu den Eingeborenen, um möglichen politischen Gefahren zu begegnen, die von einer selbstbewussten Gruppe von métisse ausgehen könnten. Der Jurist und Rechtshistoriker Harald Sippel (Bayreuth) brachte anschließend detaillierte Informationen zu den rechtspolitischen Ansätzen ein, die in DSWA eine Mischung von Schwarz und Weiß verhindern sollten. 1905 wurden die so genannten Rassenmischehen verboten, nach dem Herero-Nama-Aufstand griffen nach und nach auch Sanktionen gegen weiße Männer, die uneheliche Beziehungen zu Afrikanerinnen unterhielten. Mit einer ganz anderen Methode, die vor allem die Spiegelung des Mischungsproblems im Bewusstsein handelnder Akteure beleuchtete, arbeitete Kathrin Roller (Berlin). Sie stellte eine Fallstudie zu einer deutsch-afrikanischen Missionarsfamilie vor. Deutungen und Realitätskonstruktionen aus dem diskursiven Umfeld der Familie verschmolzen mit Mustern der Selbstwahrnehmung, die in der familieninternen Kommunikation zirkulierten. Medardus Brehl (Bochum) schließlich, der zusammen mit Alexander Honold auf der Tagung das Fach Literaturwissenschaft vertrat, untersuchte die Darstellung und Bewertung von Mischlingen in deutschen Romanen, die während des Herero-Nama-Krieges entstanden. Die Halbblütigen tauchten in diesen Texten entweder gar nicht mehr auf oder wurden extrem negativ gezeichnet — Indiz dafür, dass im Zeichen des Krieges eine reinliche Scheidung von Freund und Feind praktiziert wurde, eine Scheidung, die durch die Uneindeutigkeit von Stellung und Zuordnung der Mischlinge irritiert zu werden drohte.

In der dritten Sektion ging es darum, den Blick von Afrika zu lösen, um in vergleichender Perspektive auch andere Kolonialräume einzubeziehen. Obwohl die deutschen Kolonialherren den Chinesen einen höheren zivilisatorischen Standard zubilligten, wurde auch in Kiautschou eine Politik der Segregation betrieben, wie Thoralf Klein (Erfurt) ausführte, die allerdings in der Praxis, auch durch Heiraten zwischen Deutschen und Chinesen, immer wieder unterlaufen wurde. Wieder ganz anders wahrgenommenen Ethnien begegnete man in Neu-Guinea und auf den samoanischen Inseln: Hier den gastfreundlichen, mit allen Klischees vom Edlen Wilden befrachteten Polynesiern (Roland Samulski, Münster), dort den abweisenden Melanesiern, die mit ihren kannibalistischen Praktiken an die stärksten Tabus der westlichen Zivilisation rührten (Simon Haberberger, Bayreuth). Den Kreis schloss dann Alexander Honold (Konstanz), indem er im letzten Vortrag auf die Wahrnehmungsweisen in Deutschland zurückkam: Und zwar anhand der Völkerschauen, einer im Kaiserreich sehr populären Präsentationsform fremder Ethnien, die vor allem das voyeuristische Interesse am Reiz des Exotischen befriedigte. Die Fremden durften dabei freilich den eingehegten Bereich der Bühne nicht verlassen; versuchten sie, als Schausteller dauerhaft in Deutschland Fuß zu fassen, wurde dem sogleich ein Riegel vorgeschoben. Nur als Objekte unverbindlicher Betrachtung waren die Exoten erwünscht.

Die Abschlussdiskussion stand fast vollständig im Zeichen der Frage nach Kontinuitäten und Diskontinuitäten zwischen Kolonialgeschichte und totalitären Herrschaftspraktiken des 20. Jahrhunderts. Zuvor hatte Horst Gründer schon dezidiert jeder Behauptung von Kontinuitäten widersprochen. Kolonialherrschaft sei ein genuines politisches Handlungsfeld, das nach anderen Gesetzmäßigkeiten funktioniere als totalitäre Machtausübung. Oberflächliche Ähnlichkeiten bei einzelnen Erscheinungsformen dürften nicht darüber hinwegtäuschen, dass es sich im Kern um völlig unterschiedliche Sphären handle. Als besonders abschreckendes Beispiel nannte Gründer die Bezeichnung der Conquista als einen spanischen Holocaust. Dagegen wandte Jürgen Zimmerer ein, dass es nicht um die Identifikation des einen mit dem anderen gehe, sondern darum zu zeigen, welche Deutungsmuster und Praxisformen im Kolonialismus entstanden seien, die fortan im Sinnhorizont politischen Handelns vorhanden waren und für eine — wie auch immer abgewandelte — Verwendung in anderen Kontexten bereitstanden. Peter Hoeres (Münster) warnte davor, auf idealistische Positionen zurückzufallen, die unterstellten, dass jede Idee mit Notwendigkeit zur Verwirklichung dränge, wodurch der Kolonialismus dann letztlich doch wieder wie eine regelrechte Ursache des Totalitarismus dastehe. Jede Einbahnstraßentheorie, das war Konsens unter den Diskutanten, die aus der Rassenpolitik im kolonialen Kontext mit Zwangsläufigkeit die Rassenpolitik des Nationalsozialismus hervorgehen sieht, ist selbstverständlich zurückzuweisen. Angemessen sei vielmehr, wenn von Kontinuitäten gesprochen werden solle, das Bild des kulturellen Reservoirs, in das die gesamten Erfahrungen des Kolonialismus eingegangen seien — sie konnten aus diesem Reservoir entnommen und wieder aktiviert werden, wenn es historischen Akteuren in bestimmten Situationen nützlich erschien. Dieser Prozess war aber keineswegs zwangsläufig. Viele Elemente des kulturellen Speichers werden im historischen Verlauf auch gar nicht mehr aktiviert, ja sogar gelöscht. Es war der Problemdruck in bestimmten Situationen, der politisch Handelnde dazu veranlasste, sich an Strategien zu orientieren, die im kolonialen Kontext entstanden waren. Dann wurden bestimmte Muster angeeignet, ohne sie vollständig zu kopieren; sie mussten an neue ideologische Gesamtkonzepte angepasst und mit den verbleibenden Besonderheiten der neuen Situation in Einklang gebracht werden. Als Beispiel wurde aufs neue der Ostkrieg der Wehrmacht genannt. Das Ziel der deutschen Besatzer, das eroberte Territorium nicht nur zu beherrschen, sondern in großen Teilen auch zu besiedeln, rückte ihr Vorhaben zwangsläufig in die Nähe jener Probleme, die sich mit den von Christoph Marx analysierten Siedlungskolonien verbanden. Bei der Segregation, bei der Verhinderung der ethnischen Mischung usw. konnte offenkundig auf koloniale Erfahrungen zurückgegriffen werden. Auch die Opfer dieser Politik interpretierten ihre Lage dabei sehr wohl, wie zahlreiche Quellen belegen, als eine koloniale Situation. Insgesamt erscheint es daher sinnvoll, diese Bezüge bei der Analyse des Ostkrieges stärker zu berücksichtigen, ihnen als einer wichtigen Komponente von Kriegführung und Besatzung neben anderen mehr Beachtung zu schenken, als es in der bisherigen Forschung geschehen ist, die diesen Konflikt vornehmlich mit Begriffen wie Vernichtungskrieg, internationaler ideologischer Bürgerkrieg etc. interpretiert hat.

Das Erscheinen eines Tagungsbandes ist für den Herbst 2004 geplant.


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Deutsch
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