Die Übersetzung des mittelalterlichen ungarischen Rechtsbuchs von Werboczy (Budapest, 02.-06.12.2001)

Die Übersetzung des mittelalterlichen ungarischen Rechtsbuchs von Werboczy (Budapest, 02.-06.12.2001)

Organisatoren
Prof. János M. Bak Department of Medieval Studies, Central European University (= CEU)
Ort
Budapest
Land
Hungary
Vom - Bis
02.12.2001 - 06.12.2001
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Von
Katalin Goenczi

"Tizenkét komuves összetanakodék, / Magos Déva várát, hogy felépítenék ..."
["Zwölf Baumeister haben beschlossen, / die hohe Burg von Déva aufzubauen"] (Ungarische Volksballade)

Die Baumeister hatten damals nicht geahnt, daß einige Jahrhunderte später ihr Werk in der Mediävistik jedenfalls im übertragenen Sinn umgesetzt wurde. Aufgebaut werden soll die hohe Burg der englischen Rechtsterminologie für die ungarische mediävistische Rechtsgeschichte. Und es waren sogar genau 12 Mediävisten aus Kanada, USA, Großbritannien, Kroatien, Deutschland und Ungarn, die sich zusammen mit einem Verleger aus Kalifornien vom 2.-6.12. 2001 in einer ungarischen Kleinstadt versammelten, um dieses philologisch-juristische Projekt zu diskutieren. Es handelt sich aber um kein Luftschloss.

Wie eine wissenschaftliche Jury diskutierten die neuen "Baumeister" der ungarischen Mediävistik im westungarischen Kurort Sárvár unter der Leitung von Prof. JÁNOS M. BAK (Department of Medieval Studies, Central European University (= CEU), Budapest). Von der Außenwelt isoliert - die Landeshauptstadt lag drei Zugstunden entfernt - und im ehemaligen Wittelsbacher Pferdehof umgeben von Resten von Hirschen, Wildschweinen und Füchsen ergab sich eine rege Diskussion.

Thema der Tagung war die geplante Publikation einer englischen Übersetzung des lateinisch abgefaßten ungarischen Kodex "Tripartitum" von István Werboczy aus dem Jahre 1517; ein Werk, das im ungarischen ancien régime (bis 1848) von den Gerichten angewandt wurde und eine Quasi-Gesetzeskraft besaß.1 Ein engagiertes Team des Department of Medieval Studies an der CEU hatte zuvor eine Rohversion des englischen Textes fertiggestellt und den Teilnehmern vorab zugesandt.

Dieses Übersetzungsvorhaben gehört zu einem größeren Publikationsprojekt zu ungarischen mediävistischen Texten, das J. Bak in den 1980er Jahren zusammen mit György Bónis begonnen hat.2 Dabei soll die jetzt diskutierte Übersetzung von einer Edition des "Tripartitum" begleitet werden, in der - aufbauend auf dem von György Bónis herausgegebene Faksimiledruck des Rechtsbuches3 - erstmals die originale lateinische Orthographie beibehalten wird. Zusammengenommen wird dann das "Tripartitum" weltweit in den Kursen zur European legal history verwendet werden können.

Das Projekt kann nur vor dem Hintergrund der problematischen Geschichte bisheriger Übersetzungen des lateinischen Tripartitums diskutiert werden. Schon im 16. Jahrhundert erfolgte eine Reihe von Übertragungen; 1565 wurde es von Balázs Weres in Debrecen auf Ungarisch publiziert, im Jahre 1574 erschien eine Übertragung aus dem Ungarischen ins Kroatische, im Jahre 1599 erblickte die frühneuhochdeutsche Version des Tripartitums das Tageslicht. Insgesamt wurde das Tripartitum 47mal veröffentlicht, und die Wahrnehmung dieses Rechtsbuches verkörperte die schillernde Geschichte der Nation.

Im Reformzeitalter (1825-1848) wollte z.B. der Reformaristokrat István Széchenyi nur einen kleinen Kern des Werkes bei der Neuformulierung einer modern ausgerichteten Rechtsordnung beibehalten, so daß 9/10 des Textes überflüssig geworden wären. Am Ende des 19. Jahrhunderts, als die nationalen Gefühle dank der tausendjährigen Wiederkehr der "Landnahme" (sic!) durch ungarische heidnische Stämme eine Hochblüte erlebten, kam auch das Rechtsbuch zu einer zweiten Blütezeit. Dazu passend übersetzte ein Verwaltungsrechtsprofessor der TU Budapest, Kálmán Csíky, 1894 das Tripartitum in ein bildhaft-methaphorisches Ungarisch;4 in den darauffolgenden Jahren (1897) erfolgte eine neue Übersetzung ins Ungarische unter Mitwirkung von Professoren der Klausenburger Universität und unter der Leitung des Richters Dezso Márkus.5 Und noch 1941 feierten ungarische Rechtswissenschaftler den 400. Geburtstag von István Werboczy mit einem Sammelband.6 Das Tripartitum erlebte nach der politischen Wende von 1989 eine weitere Renaissance: 1989 wurde in Pécs eine Reprint-Ausgabe mit einem beeindruckenden Vorwort des Verlegers Imre Bodnár aus nationalkulturhistorischen Gründen veröffentlicht, 1990 kam aus Budapest eine "wissenschaftlich" ausgerichtete Ausgabe hinzu. Doch eine Übersetzung des Tripartitums in eine der westeuropäischen Sprachen ist bislang nicht erfolgt.

Vor diesem Hintergrund stellte J. BAK einleitend das Übersetzungsprojekt vor, ergänzt durch einführende Thesen von MARTYN RADY (Senior Reader, School of Slavonic and East European Studies, University College London) zu den Quellen des mittelalterlichen ungarischen Rechts und zur Gesellschaftsstruktur des spätmittelalterlichen ungarischen Königreiches. Rady gab außerdem einen Werkstattbericht über seine Arbeiten zur ungarischen Rechtsgeschichte, stellte sein neues Buch zur ungarischen mittelalterlichen Verfassungsgeschichte vor7 und hielt einen Vortrag über Mr. W., also über den Autor Werboczy und die Entstehung des Tripartitums.

Zudem präsentierten die Historiker ZSOLT HUNYADI (Ass. Prof., University of Szeged) und PÉTER BANYÓ (Ph.D. Cand., CEU Budapest) Vorträge über einige Rechtsinstitute des Tripartitums. Hier entsteht eine mit sprachlichen und historischen Kenntnissen gut ausgestattete neue Generation für die mediävistische Forschung, eine Zusammenarbeit mit Juristen würde aber die Urkundenanalyse noch verfeinern.

Die dann im Detail diskutierte Übersetzung warf schnell einige Grundprobleme auf: wie kann z.B. der munizipale Verwaltungsbeamte, ispán, angemessen ins Englische übertragen werden? Die Teilnehmer einigten sich, nicht mit sheriff zu übersetzen, sondern das ursprünglich slawische Wort ispán beizubehalten. Ähnliche Fragen tauchten bei der Übersetzung von tárnokmester (magister tavernicarum) und regnicola (gentleman of the realm) auf. Die Teilnehmer legten dabei die wichtigsten Grundbegriffe der mittelalterlichen Rechtssprache fest, wie z.B. auch die Übersetzung von ius civile, iustitia, libertas, nota infidelitatis etc. Besonders feierlich ging es bei der Übersetzung der sogenannten Primae nona zu, den Kardinalfreiheiten des Adels (una et eadem libertas), sowie bei der Lehre der heiligen Krone.

Um abschließend auf die eingangs zitierte Ballade zurückzukommen: Die hohe Burg, die englische Übersetzung von Werboczys Tripartitum, ist dank dieses Treffens von zwölf Baumeistern jetzt noch besser fundiert. Auf die hoffentlich baldige Fertigstellung und öffentliche Besichtigung der Burg darf man gespannt sein.

Anmerkungen:
1 Zu Verbindungen zu US-amerikanischen Rechtsaufzeichnungen vgl. HENNE, Thomas, Az "amerikai Werbôczy" és kora. James Kent születésének 150. évfordulóján [Der "amerikanische Werbôczy" und seine Zeit. Zum 150. Todestag von James Kent], Jogtudományi Közlöny (Rechtswissenschaftliche Zeitschrift der Akademie der Wissenschaften in Ungarn) 53. Jg. [1998], S. 109-112.
2 BAK, János M., The laws of the Medieval Kingdom of Hungary, Bd. 1-3, 1989-1994.
3 Mittelalterliche Gesetzbücher Europäischer Länder in Faksimiledrucken, Hrsg. v. György Bónis, Glashütten 1971.
4 WERBOCZY, István, Tripartitum opus juris consuetudinarii regni Hungariae - Magyarország szokásos jogának Hármaskönyve, Budapest 1894. Für Csíkys Sprache besonders prägnant ist z.B. das Sternemotiv im Prolog Titulus I. § 2.
5 Die Übersetzer waren Sándor Kolosváry und Kelemen Óváry, korrespondierende Mitglieder der Ungarischen Akademie der Wissenschaften
6 BALÁS, Elemér P. / CSEKEY, István / SZÁSZY, István, Werboczy István, Klausenburg 1941.
7 RADY, Martyn, Nobility, Land and Service in Medieval Hungary, London 2000.


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