Nationalsozialistisches Migrationsregime und "Volksgemeinschaft"

Nationalsozialistisches Migrationsregime und "Volksgemeinschaft"

Organisatoren
Deutsches Historisches Museum; Forschungskolleg 'Nationalsozialistische Volksgemeinschaft'
Ort
Berlin
Land
Deutschland
Vom - Bis
19.11.2010 - 20.11.2010
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Von
Jan Kaufhold, Historisches Seminar, Universität Osnabrück

Im Kontext der Ausstellung „Hitler und die Deutschen. Volksgemeinschaft und Verbrechen“ des Deutschen Historischen Museums (DHM) fand am 19. und 20. November das von Jochen Oltmer vom Institut für Migrationsforschung und Interkulturelle Studien (IMIS) der Universität Osnabrück organisierte Symposium „Nationalsozialistisches Migrationsregime und 'Volksgemeinschaft'“ im DHM statt. Im Mittelpunkt standen die Wechselwirkungen zwischen der Entwicklung der Migrationsverhältnisse und den Aktivitäten des NS-Regimes zur Konstruktion sowie Durchsetzung von „Volksgemeinschaft“ in der durch Kriegsvorbereitung geprägten Phase bis zum Kriegsbeginn 1939. In den Fokus genommen wurden Fragen bezüglich der Ausgestaltung der „NS-Volksgemeinschaft“ sowie zu den Bedingungen, Erscheinungsformen und Folgen räumlicher Bevölkerungsbewegungen von, nach und in Deutschland.

Nach der Begrüßung durch Hans Ottomeyer, Präsident der Stiftung DHM, führte die erste Sektion mit Vorträgen zum Wandel der Migrationsregime seit dem späten 19. Jahrhundert in Deutschland und Europa sowie zu den Wanderungen im Deutschland der 1930er-Jahre in die Thematik ein.

JOCHEN OLTMER (Osnabrück) stellte die These auf, dass zentrale Elemente des NS-Migrationsregimes der 1930er-Jahre der Tradition des deutschen Kaiserreichs sowie der Weimarer Republik entsprangen. Der im 19. Jahrhundert begonnene Wandel zum nationalen Interventions- und Sozialstaat habe in Deutschland ein Migrationsregime etabliert, welches trotz des raschen Ausbaus der staatlichen Ordnungs- und Interventionskapazitäten gegenüber Zuwanderern in der Umsetzung migrationspolitischer Vorstellungen begrenzt blieb. Mit dem Ersten Weltkrieg jedoch habe sich in Deutschland und Europa ein neues Migrationsregime entwickelt. Dieses charakterisierte Oltmer vor allem durch ein deutlich gesteigertes staatliches Interesse an einer Kontrolle von Migration und dem Ausbau der staatlichen Kontroll- sowie Steuerungskapazitäten. In der Weimarer Republik sei dann neben die vielfach auf Vorkriegsniveau reduzierte Lenkung und Kontrolle des Wanderungsgeschehens vor allem die Etablierung einer durch staatlichen Protektionismus und staatliche Kontrolle geprägten Arbeitsmarktpolitik getreten. Oltmer kam zu dem Ergebnis, dass NS-Deutschland auf diese Planungs-, Lenkungs- und Kontrollmechanismen aufbaute und sie teilweise verschärfte oder erweiterte.

STEVE HOCHSTADT (Jacksonville/Illinois) unterschied bei den Migrationsregimen des 20. Jahrhunderts zwischen Demographie und Ideologie. Zwar habe es nach 1933 im interregionalen Wanderungsgeschehen keine gravierenden Veränderungen im Vergleich zur Endphase der Weimarer Republik gegeben. Veränderungen seien jedoch auf der politischen und ideologischen Ebene zu verzeichnen gewesen. Dem NS-Migrationsregime sei es darum gegangen, die Migrationen zu messen, zu verstehen und im Sinne ihrer Ideologie zu lenken, um den durch ihre Bevölkerungslehre konstituierten „Volkskörper“ „gesund“ zu halten. Semantik und Forschungsansätze, die in diesem Kontext ausgeprägt worden seien, hätten partiell bis weit in die Nachkriegszeit nachgewirkt.

Wer zählte zur „NS-Volksgemeinschaft“ und wer nicht? Dieser Frage widmete sich die zweite Sektion zu Exklusion und Inklusion. MICHAEL WILDT (Berlin) wies darauf hin, dass die wirkungsmächtige, stark inkludierende und auf Gleichrangigkeit aller „Volksgenossen“ zielende Formel einer „Volksgemeinschaft“ nicht erst dem Nationalsozialismus entsprang, sondern dass sie bereits in der Frühphase der Weimarer Republik und teilweise sogar im Ersten Weltkrieg Verwendung fand. Die Nationalsozialisten hätten jedoch am überzeugendsten die Vision einer „Volksgemeinschaft“ vertreten und ihre Durchsetzung zur Leitlinie ihrer Politik erhoben. Ihre „Volksgemeinschaft“ aber war nach Wildt neben dem Inklusionsversprechen vor allem durch Begrenzung und Exklusion geprägt. Ziel sei ein – nicht alle Deutschen inkludierender – „Volkskörper“ gewesen, dessen Leistungsfähigkeit gesteigert und intensiviert werden sollte.

Einen Kernbereich nationalsozialistischer Exklusion bildete die Judenverfolgung. JOACHIM SCHLÖR (Southampton) sprach sich dafür aus, die Judenverfolgung nicht nur aus dem Blickwinkel der NS-Machthaber und ihrer Maßnahmen zu betrachten, sondern auch jenen der Ausgeschlossenen und Verfolgten mit einzubeziehen. Darüber hinaus gab Schlör zu bedenken, dass die vielfach im direkten Zusammenhang mit den antijüdischen Maßnahmen stehende Abwanderung der Juden aus Deutschland auch aus dem Blickwinkel der Einwanderung in ein neues Land oder als weiterer markanter Punkt in der Geschichte „jüdischer Wanderungen“ betrachtet werden könne – ein Unterwegssein, das im Exil viele neue deutsche Gemeinschaften habe entstehen lassen und damit laut Schlör das Konstrukt der NS-„Volksgemeinschaft“ ad absurdum führte.

Die erste Sektion schloss CHRISTINE SCHOENMAKERS (Oldenburg) mit einem weiteren konkreten Beispiel für Exklusion und Abgrenzung der „NS-Volksgemeinschaft“. Sie stellte am Beispiel des Landgerichts Bremen die Strafpraxis eines Sondergerichts dar und verglich die Behandlung von „Volksdeutschen“ und „Fremdvölkischen“ vor Gericht. Dabei kam sie zu dem Ergebnis, dass beide Gruppen sich sowohl in der Behandlung vor Gericht, als auch in den verhängten Strafen deutlich unterschieden: Ausländer seien für ähnliche Delikte zumeist signifikant schwerer bestraft worden. Die Zugehörigkeit zur oder der Ausschluss von der „Volksgemeinschaft“ habe sich also entscheidend auf das Strafmaß ausgewirkt. Recht sei somit ein wichtiges Medium der Grenzziehung gewesen.

Die zweite Sektion zu den Wechselwirkungen von Aufrüstung, ökonomischem Wandel und Migration eröffnete ERNST LANGTHALER (Wien) mit einem Vortrag zum Phänomen der „Landflucht“ in Deutschland 1933 bis 1939, dass er im langfristigen sowie internationalen Vergleich nicht etwa als „Sonderfall“ verortete, sondern als einen „Normalfall“ innerhalb der Modernisierungsprozesse europäischer Gesellschaften im 20. Jahrhundert. Langthaler vertrat die Ansicht, das NS-Leitbild sei eine Industriegesellschaft mit einer kritischen Masse an ökonomisch und „rassistisch“ leistungsfähigem „Bauerntum“ gewesen. „Landflucht“ sei von den Nationalsozialisten als die „Flucht der Unselbständigen im Landvolk“ definiert und durch die geringe Bindungskraft der Landwirtschaft bzw. Anziehungskraft der Industrie erklärt worden. Die zur Realisierung des NS-Leitbildes unternommenen Maßnahmen zur „Modernisierung“ des deutschen Agrarsystems vor 1939 und die damit einhergehende staatliche Steuerung des landwirtschaftlichen „Arbeitseinsatzes“ hätten weiter als Experimentierfeld für die umfassende Regulation der deutschen Gesellschaft in den Kriegsjahren gedient.

Auch die beiden anschließenden Vorträge von LARS AMENDA (Osnabrück) und GUNNAR ZAMZOW (Oldenburg) betonten die Bedeutung der Jahre 1933–1939 als Laboratorium für die NS-Arbeits- und Migrationspolitik. Die Referenten erörterten anhand der Reichswerke Hermann Göring im späteren Salzgitter (Amenda) sowie der Entwicklung Wilhelmshavens zum Zentrum des deutschen Marine-Schiffbaus (Zamzow), wie das NS-Regime auf Großbaustellen versuchte, den „Arbeitseinsatz“ zu steuern und eine „Volksgemeinschaft“ zu implementieren. Die Zugehörigkeit zur „Volksgemeinschaft“ sei dabei primär als Beitrag zum Aufbau des „Dritten Reiches“ definiert worden. Durch die Anwerbung von Arbeitskräften aus dem In- und Ausland, welche in den Kriegsjahren noch um Kriegsgefangene sowie Zwangsarbeiter ergänzt worden wären, sei auf den Großbaustellen eine sehr heterogene Arbeitsgesellschaft entstanden. Das breite Spektrum an Arbeitskräften und ihre unterschiedliche Behandlung habe jedoch zu erheblichen Spannungen geführt. Zamzow wies darauf hin, dass Wilhelmshaven zwar, anders als Salzgitter, bereits 1933 eine Kommune mit ausgebildeter Infrastruktur gewesen sei, jedoch auch hier die Lebenssituation der Bevölkerung und die Entwicklung der Kommune stets dem Primat der Rüstungsproduktion untergeordnet blieb. Beide Großprojekte hätten einerseits ein spezifisches Element der Mobilisierungsdiktatur dargestellt und andererseits Beispiele für die Diskrepanz zwischen ideologischem Anspruch und Lebenswirklichkeit geboten.

Die drei letzten Vorträge an diesem Tag richteten ihren Fokus auf die Interdependenzen und Verbindungen von Raumpolitik, Migration und „Volksgemeinschaft“. OLIVER WERNER (Jena) näherte sich diesem Thema durch eine Untersuchung der Zuwanderung in die mitteldeutschen Industriezentren 1933–1939 und die Analyse der Landesplanung in den Gauen Magdeburg-Anhalt sowie Halle-Merseburg als Hauptausbauzonen der expandierenden Rüstungswirtschaft. Kern seiner Aussagen war, dass der Ausbau der Industrie zwar von einem Ausbau der Institutionen zur Raum- und Landesplanung zur „Neuordnung“ wirtschaftlicher Räume flankiert worden sei, die regionalen Planungsstellen jedoch kaum Einfluss auf die tatsächliche Umsetzung der industriellen Aufrüstung gehabt hätten. Diese seien zwar durchaus gewillt gewesen, bei der Ausgestaltung der Industrieansiedlungen mitzuwirken, hätten aber nur eine marginale Rolle gespielt, weil andere Institutionen oder Firmen Handlungskompentenzen an sich reißen konnten.

ARMIN NOLZEN (Bochum) nahm ebenfalls die Raumkonfigurationen des NS-Regimes in den Blick. Er führte aus, dass die NS-Raumpolitik besonders durch die Aspekte der vielfältigen Exklusion und der gelenkten Migration gekennzeichnet gewesen sei. Eine Form dieser gelenkten Migration habe die – als „Freimachungen“ titulierte – aus militärstrategischen Gründen vollzogene Evakuierung von circa 900.000 Menschen aus dem westlichen Grenzgebiet 1939/1940 dargestellt. Die bereits ab 1918 geplanten und vielfach variierten „Freimachungen“ hätten bei ihrer arbeitsteiligen Durchführung nicht nur zu einer Vielzahl von sozialen Spannungen geführt, sondern auch neue Raumgebilde konstituiert. Nolzen kam zu dem Ergebnis, dass zum einen hier Migration als ein raumbildendes Phänomen zu verstehen sei und zum anderen die „Freimachungen“ Vorbildfunktion für spätere Bevölkerungstransfers gehabt hätten.

Der erste Tag der Konferenz wurde durch ein weiteres Beispiel der nationalsozialistischen Neuordnung von Raum, Bevölkerung und Gesellschaft abgerundet, welches in diesem Fall nicht primär auf militärstrategischen Erwägungen, sondern auf raumpolitischen Ordnungsvorstellungen basierte. MICHAEL WEDEKIND (Wien) nahm dazu primär die Umsiedlungsvorstellungen sowie Siedlungs- und Sozialraumentwürfe der Südtiroler Nationalsozialisten 1939–1945 in den Blick. Er verdeutlichte anhand der Verwerfung eines ersten NS-Planungsentwurfs zur „geschlossenen“ Umsiedlung von Südtiroler Bergbauern in das Neuansiedlungsgebiet in Nordtirol zugunsten einer „gelockerten“, rassisch-eugenisch orientierten Netzansiedlung das hier zugrundeliegende Ordnungskonzept, welches die Organisation des Siedlungswesens mit Aspekten qualitativer Bevölkerungspolitik verknüpft hätte. Die Sortierung, Kategorisierung und Hierarchisierung der Bevölkerung nach NS-Leitbildern habe die Grundlage des anvisierten Bevölkerungsaufbaus gebildet und sowohl planerische als auch aktive staatliche Steuerungsmaßnahmen bedingt.

Die erste Sektion des zweiten Tages beschäftigte sich mit der Rekrutierung von Arbeitskräften im Ausland. Einleitend stellte dabei CHRISTOPH RASS (Aachen) die Anwerbeverträge des „Dritten Reiches“ als Instrumente der Migrationssteuerung vor. Um dem Arbeitskräftemangel zu begegnen, habe auch das NS-Regime gemäß den internationalen Standards zur Regulierung der transnationalen Arbeitswanderung und den Strukturen des internationalen Arbeitsmarktes bilaterale Wanderungsverträge mit verschiedenen Staaten unterhalten. Die grundsätzlichen Überlegungen der Nationalsozialisten hätten dabei vorgesehen, den auch in Zukunft erwarteten Arbeitskräftebedarf in Abhängigkeit von der Devisenverfügbarkeit zu steuern und die Gruppe der „Fremdarbeiter“ nach rassenideologischen Prämissen zu differenzieren. Zudem habe die massenhafte Anwerbung von ausländischen Arbeitskräften es erfordert, dass Verhältnis dieser Migranten zur „Volksgemeinschaft“ im Kontext von ideologischen Ansprüchen, machtpolitischen Vorstellungen sowie ökonomischen Interessen zu definieren. Diese Anwerbepolitik zeigte laut Rass partiell durchaus Kontinuitätslinien und Anknüpfungspunkte zur Ausländerbeschäftigung in der Bundesrepublik.

Aus den bilateralen Anwerbeverträgen des „Dritten Reiches“ resultierte unter anderem die Beschäftigung italienischer Arbeitskräfte in Deutschland. ROBERTO SALA (Erfurt) betonte in seinem Vortrag, dass diese Arbeitsmigration grundsätzlich auf freiwilliger Basis verlaufen sei. Gründe für die Abwanderung aus Italien seien unter anderem die Umgehung des Militärdienstes, die höheren Löhne im Deutschen Reich oder das Interesse an der deutschen Industriegesellschaft gewesen. Die im Vergleich zu anderen „Fremdarbeitern“ privilegierte Position italienischer Arbeitskräfte hätte sich primär in ihrer relativen rechtlichen „Unberührbarkeit“ und in der Duldung von Beziehungen zu deutschen Frauen widergespiegelt. Die Beschäftigung der Italiener im „Dritten Reich“ mündete schließlich in Zwangsarbeit und Deportation, denn nach dem Waffenstillstand Italiens am 8. September 1943 seien aus den circa 120.000 italienischen Zivilarbeitskräften de facto Zwangsarbeitskräfte geworden, die ihre Privilegien verloren hatten.

Dass die Rekrutierung von Arbeitskräften im Ausland auch Deutsche betraf, zeigte BARBARA HENKES (Groningen) mit einem Vortrag über die vom NS-Regime zum Teil erzwungene Rückwanderung von deutschen Dienstmädchen in den Niederlanden. Um den Arbeitskräftemangel zu bekämpfen und die zukünftigen Mütter der deutschen „Volksgemeinschaft“ zu erhalten, seien von den deutschen Behörden verschiedene Maßnahmen diskutiert und initiiert worden, um deutsche Dienstmädchen aus den Niederlanden, Belgien, Großbritannien und der Schweiz nach Deutschland zurückzuführen. Zwangsaktionen zur „Rückführung“ der Frauen, wie die „Hausmädchenheimschaffungsaktion“, veranschaulichen dabei laut Henkes, dass das NS-Migrationsregime sich weit über die Grenzen des Deutschen Reiches erstreckte. Die Vorstellungen von einer „Volksgemeinschaft“ habe dieses Handeln aus NS-Sicht legitimiert bzw. sogar notwendig gemacht.

Nach einer von HANS-ULRICH THAMER (Münster) geleiteten Führung durch die DHM-Ausstellung „Hitler und die Deutschen“ stellte MARK SPOERER (Paris) in der Schlusssektion die NS-Kriegswirtschaft und den Übergang zur Zwangsarbeit vor. Das NS-Regime habe auf den Arbeitskräftemangel mit einer Verlängerung der Arbeitszeit und der Erhöhung der Erwerbsbeteiligung reagiert. Dazu sei ab circa 1936 die sukzessive Anwerbung von freiwilligen Arbeitskräften aus dem europäischen Ausland und mit Kriegsbeginn die Konskription sowie Deportation von Zwangsarbeitern getreten. Die „Fremd- sowie Zwangsarbeit“ habe aber stets einen provisorischen Charakter gehabt und sei von den Nationalsozialisten durchaus kontrovers diskutiert und nur als Notmaßnahme gegen den Arbeitskräftemangel gesehen worden. Daher kam Spoerer zu dem Ergebnis, dass „Ausländereinsatz“ und Zwangsarbeit unbedingt vor dem Hintergrund eines Herrschaftskompromisses zwischen NS-Pragmatikern und Ideologen gesehen werden müsse.

In den Vorträgen und den daran anschließenden Diskussionen wurde deutlich, dass die von den Nationalsozialisten propagierte „Volksgemeinschaft“ kein starres Konstrukt mit festen Grenzen darstellte, sondern ein dynamischer und vielfach widersprüchlicher Begriff war. Die NS-„Volksgemeinschaft“ kann als Zukunftsverheißung verstanden werden; als Formel, um Gesellschaft zu verändern und den Veränderungswillen sowie den für notwendig erachteten politischen, ökonomischen und sozialen Wandel zu legitimieren. Der nationalsozialistische Veränderungswillen spiegelte sich dabei unter anderem auch im Migrationsregime wider, das Räume und Gemeinschaft gestalten sollte. In der Realität des „Dritten Reiches“ stießen jedoch sowohl die NS-Migrationspolitik als auch das Konstrukt der NS-„Volksgemeinschaft“ bei ihrer Umsetzung und tatsächlichen Ausgestaltung an ihre Grenzen.

Zudem wurden auf der Tagung verschiedene aktuelle Tendenzen in der Forschung deutlich. So erfordert die diskutierte Gemengelage von Raum, Migration und Gesellschaft ein multiperspektivisches Herangehen, um der Komplexität des Themas gerecht werden zu können. Mehrfach sprachen sich Teilnehmerinnen und Teilnehmer dafür aus, die ohne Zweifel zentrale Perspektive der Nationalsozialisten bzw. NS-Behörden zu erweitern. Daneben warf das Symposium aber auch viele neue Fragen auf: Sei es jene nach der Stabilität der von der NS-Politik gewollt oder ungewollt entwickelten Raumgebilde oder die nach den Einflussfaktoren auf die NS-Migrationspolitik angesichts einer Vielzahl unterschiedlicher Akteure und Interessen. Da das Wechselverhältnis NS-„Volksgemeinschaft“ und Migrationsregime bislang nicht Gegenstand geschichtswissenschaftlicher Diskussionen gewesen ist, mag es nicht verwundern, dass die Tagung erheblichen weiteren Forschungsbedarf in diesem innovativen Feld offenbarte und markierte.

Konferenzübersicht:

Begrüßung : Hans Ottomeyer (Berlin)

Sektion 1: Einführende Perspektiven

Jochen Oltmer (Osnabrück): Sonderfall NS-Migrationsregime? Der Wandel der Migrationsregime seit dem späten 19. Jahrhundert in Deutschland und Europa

Steve Hochstadt (Jacksonville): Wanderungen im Deutschland der 1930er Jahre. Strukturmuster und Theoriewandel

Sektion 2: Exklusion und Inklusion (Leitung und Moderation: Hans-Ulrich Thamer, Münster)

Michael Wildt (Berlin): Fremde und Zugehörige in der NS-„Volksgemeinschaft“

Joachim Schlör (Southampton): Anti-jüdische Politik und Migration

Christine Schoenmakers (Oldenburg): „Fremdvölkische“ vor Gericht

Sektion 3: Aufrüstung, ökonomischer Wandel und Migration (Leitung und Moderation: Jochen Oltmer, Osnabrück)

Ernst Langthaler (Wien): „Landflucht“, Agrarsystem und Moderne: Deutschland 1933–1939

Lars Amenda (Osnabrück): Migration und NS-Großbaustellen

Gunnar Zamzow (Oldenburg): Urbane Räume und die Folgen von Migration – Wilhelmshaven als Beispiel

Sektion 4: Raumpolitik und Migration (Leitung und Moderation: Martina Steber, London)

Oliver Werner (Jena): Die Zuwanderung in die mitteldeutschen Industriezentren 1933–1939 und die Aufgaben der Landesplanung in den Gauen Magdeburg-Anhalt und Halle-Merseburg

Armin Nolzen (Bochum): Planung und Durchführung der „Freimachungen“ an der westlichen Reichgrenze 1939/40

Michael Wedekind (Wien): NS-Raumpolitik, Migrationsverhältnisse und „Volksgemeinschaft“

Sektion 5: Rekrutierung von Arbeitskräften im Ausland (Leitung und Moderation: Bernhard Gotto, München)

Christoph Rass (Aachen): Anwerbeverträge als Instrument nationalsozialistischer Migrationssteuerung

Roberto Sala (Erfurt): Die migratorische Achse: Rekrutierung italienischer Arbeitskräfte

Barbara Henkes (Groningen): Forcierung von Rückwanderung: deutsche Dienstmädchen in den Niederlanden und die NS-Migrationspolitik

Sektion 6: Krieg und migrationspolitische Radikalisierung

Mark Spoerer (Paris): Kriegswirtschaft und der Übergang zur Zwangsarbeit

Leitung und Moderation der Abschlussdiskussion: Thomas Schaarschmidt (Potsdam)


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