Archiv- und Sammlungsgut zur Zwangsarbeit in Deutschland 1939 bis 1945 (Bochum, 26./27.03.2001)

Archiv- und Sammlungsgut zur Zwangsarbeit in Deutschland 1939 bis 1945 (Bochum, 26./27.03.2001)

Organisatoren
Nordrhein-Westfälisches Staatsarchiv Münster und Westfälisches Archivamt, Münster
Ort
Bochum
Land
Deutschland
Vom - Bis
26.03.2001 - 27.03.2001
Von
Hennigs, Annette

Archiv- und Sammlungsgut zur Zwangsarbeit in Deutschland 1939 bis 1945 - Topographie und Erschliessungsstrategien

Wie kaum ein anderes zeitgeschichtliches Thema findet in letzter Zeit die Zwangsarbeit, die mehrere Millionen Menschen aus dem europaeischen Ausland waehrend des Zweiten Weltkrieges fuer deutsche Unternehmen und Einrichtungen ableisten mussten, oeffentliche Beachtung. Durch die von der Stiftungsinitiative "Erinnerung, Verantwortung, Zukunft" geschaffene Moeglichkeit, den ehemaligen Zwangsarbeitern eine Entschaedigung auszuzahlen, erreichen die Archive viele tausend Anfragen nach Nachweisen fuer die erbrachte Arbeit. Diese Erfordernisse riefen bei zahlreichen Archivtraegern den Wunsch hervor, detailliertere Kenntnis ueber das Ausmass der Zwangsarbeit im jeweiligen Zustaendigkeitsbereich zu erlangen. Vielerorts trug dies zu einer intensiveren Erschliessung der zeitgenoessischen Quellenbestaende bei. Darueber hinaus greift die historische Forschung seit einiger Zeit verstaerkt die Thematik auf: Zahlreiche regional oder ueberregional ausgerichtete Projekte tragen dazu bei, diesen Aspekt der Geschichte des Nationalsozialismus detailliert aufzuarbeiten.

Um einen Ueberblick ueber die insgesamt disparate Quellenlage, die durch z.T. bewusste, z.T. unbewusste Zerstoerungen vor und nach 1945 entstanden ist, zu bekommen, die vorhandenen Quellen qualitativ einordnen zu koennen und Moeglichkeiten der Informationsvernetzung einerseits und der Aufbereitung fuer die Forschung andererseits aufzuzeigen, veranstalteten das NRW Staatsarchiv Muenster und das Westfaelische Archivamt, Muenster, gemeinsam am 26./27. Maerz 2001 eine Tagung im Haus der Geschichte des Ruhrgebiets. Mehr als 220 Teilnehmer aus Deutschland und zahlreichen europaeischen Staaten verfolgten die angeregte Diskussion. Waehrend der Tagung wurde ein Reader mit Thesenpapieren verteilt, die die meisten Referenten dankenswerterweise zur Verfuegung stellten.

Michael Vesper, Minister fuer Staedtebau und Wohnen, Kultur und Sport des Landes Nordrhein-Westfalen; unterstrich in seinem Grusswort deutlich die wichtige Rolle der Archive als Traeger der Rechtssicherheit in der Demokratie. Ohne die Taetigkeit der Archivare waere es heute nur schwer moeglich, den noch lebenden Zwangsarbeitern im Rahmen des Entschaedigungsverfahrens zu ihrem Recht zu verhelfen.

Auch Landesrat Karl Teppe vom Landschaftsverband Westfalen-Lippe (LWL) betonte die besondere Kompetenz im Umgang mit der disparaten Quellenlage, die - auch angesichts der draengenden Zeit - von den Archivaren gewaehrleistet wird. Der LWL als Nachfolger des Provinzialverbandes erforscht einerseits den Einsatz von Zwangsarbeitern im Dienste dieser Insitution. Andererseits unterstuetzt das Archivamt ist als Einrichtung des LWL die kleinen Stadt- und Gemeindearchive in fachlichen Fragen zur Zwangsarbeiterthematik.

Ulrich Herbert (Universitaet Freiburg) sprach die einleitenden Worte aus der Sicht der Forschung. Unter Einbeziehung der neuesten Forschungsergebnisse skizzierte er zum einen den derzeitigen Kenntnisstand zur Thematik, machte aber auch die offenen Fragen und Probleme der Forschung deutlich. Trotz einiger Ansaetze gibt es sicher noch Defizite, so z.B. in der Erforschung der Zwangsarbeit in der Landwirtschaft oder der Lebenssituation der Zwangsarbeiterkinder.

Wilfried Reininghaus (NRW Staatsarchiv Muenster) skizzierte einen Ueberblick ueber den Gesamtbestand der vorhandenen Quellen. Die zersplitterte und lueckenhafte Ueberlieferung insgesamt und das mangelhafte quellenkundliche Handwerkszeug fuer das Schriftgut des 20. Jahrhunderts bilden dabei ein besonderes Problem, insofern kann ein solcher Ueberblick z.Zt. nur eine Zwischenbilanz ueber das gesamte Spektrum der Archivbestaende zur Zwangsarbeit in Deutschland sein. Grundsaetzlich steht zu erwarten, dass auf allen Stationen, die die Zwangsarbeiter durchlaufen mussten (von der Rekrutierung im Heimatland ueber den Transport und die Sammelstellen bis hin zu der Verteilung auf die Arbeitsplaetze und die Rueckkehr in die Heimatlaender 1945) Quellen entstanden sein muessen. Trotz einer grossen Bandbreite an Quellen (Melderegister, Lohnlisten, Arbeitsbuecher, Quittungskarten der Sozialversicherungstraeger, Gefangenenbuecher, Betriebsakten, Arbeitsamtsakten usw.) haben Kriegs- und Nachkriegsverluste zu grossen Ueberlieferungsluecken gefuehrt, die nur z.T. durch Ego-Dokumente von Seiten der ehemaligen Zwangsarbeiter ergaenzt werden koennen. Perspektivisch koennte eine Topographie der Quellen einen Ueberblick ueber das erhaltene Archivgut leisten.

Klaus Oldenhage (Bundesarchiv) schliesslich umriss die Moeglichkeiten, von Seiten der Archive und des Internationalen Suchdienstes in Bad Arolsen Aufenthalts- bzw. Beschaeftigungsnachweise fuer die noch lebenden ehemaligen Zwangsarbeiter zu erstellen. Um dieses Nachweisverfahren effizient zu gestalten, werden zur Zeit organisatorische Rahmenbedingungen geschaffen, nach denen ueber die Partnerorganisationen der Stiftungsinitiative die Anfragen zunaechst in Bad Arolsen gebuendelt eingehen. Die Anfragen, die dort nicht beantwortet werden koennen, sollen an zentrale Clearingstellen in den einzelnen Bundeslaendern verteilt werden, um von dort aus an die zustaendigen Archive vor Ort weitergeleitet zu werden.

Charles Claude Biedermann (Internationaler Suchdienst Bad Arolsen) erlaeuterte im Anschluss daran die Vorgehensweise und Moeglichkeiten des Suchdienstes. Aus der Suchtaetigkeit des Roten Kreuzes ab 1943 bzw. der UNRRA und der IRO nach 1945 sind dem Internationalen Suchdienst in Bad Arolsen Bestaende erwachsen, die bis heute stetig ergaenzt und erweitert werden. Aufgrund des mandatsgemaessen Auftrages der Suche nach vermissten Personen sind so hier im Laufe der Jahrzehnte personenbezogene Unterlagen zusammengetragen worden, die heute ca. 47 Millionen Einzelinformationen zu ca. 17 Millionen verschiedenen Personen umfassen. Ueber eine alphabetisch sortierte Datenbank lassen sich mittlerweile saemtliche Namen auch nach phonetischen Varianten recherchieren. Aufgrund der aktuellen Erfordernisse durch die Zwangsarbeiteranfragen wurde der Mitarbeiterstab in Bad Arolsen im vergangenen Jahr auf ca. 440 Personen aufgestockt, um die Antragsbearbeitung zeitlich deutlich zu verkuerzen. Perspektivisch sollen die Bestaende des Suchdienstes der Wissenschaft zur Verfuegung gestellt werden - eine Bestaendeuebersicht waere aber jetzt schon wuenschenswert, wie die angeregte Diskussion zeigte. Die Taetigkeit des Suchdienstes spielte nicht nur im Anschluss an dieses Referat immer wieder eine wichtige Rolle in der Diskussion, zumal sowohl von Seiten der Forschung als auch der Archive Unklarheit ueber die konkreten Bestaende in Arolsen besteht.

Die anschliessenden Sektionen der Tagung waren in fuenf Bereiche unterteilt:

A. Ueberlieferung durch die Betroffenen (Moderation: Dr. Alexander von Plato, Fern-Universitaet Hagen)

Insgesamt muessen die schriftlichen und muendlichen Selbstzeugnisse der ehemaligen Zwangsarbeiter als wichtige Ergaenzungsueberlieferung zu dem von behoerdlicher Seite ueberlieferten Schriftgut angesehen werden, dass die individuellen Erlebnisse der Opfer oft nur unzureichend dokumentiert und nur ansatzweise Einblicke in zahlreiche noch offene Fragen gewaehrt.

Katharina Hoffmann (Carl von Ossietzky Universitaet Oldenburg) erlaeuterte quellenkritisch Grenzen und Moeglichkeiten von Zeitzeugeninterviews vor dem Hintergrund der schriftlichen Ueberlieferung. Mit den Anfragen, die von Seiten der ehemaligen Zwangsarbeiter schriftlich an die Archive gestellt werden, stellte Annette Hennigs (NRW Staatsarchiv Muenster) eine weitere Ueberlieferung von Selbstzeugnissen dar, die im Rahmen der gebotenen Quellenkritik eine qualitativ sehr disparate, insgesamt jedoch interessante und auf Dauer auch archivwuerdige Ergaenzungsueberlieferung zu den muendlichen Selbstzeugnissen bilden.

Karl Reddemann (Stadtarchiv Muenster) berichtete ueber ein Projekt der Stadt Muenster, das Lebensgeschichten der Betroffenen wissenschaftlich dokumentieren soll und die Entwicklung von Materialien fuer die historisch-politische Bildungsarbeit ermoeglichen soll. Zu diesem Zweck werden Zeitzeugeninterviews in der Republik Belorus durchgefuehrt und intensive Briefkontakte gepflegt.

Deutlich kam in den Beitraegen dieser Sektion heraus, wie wichtig die Zeitzeugenaussagen fuer die Forschung sind. Unter Beruecksichtigung der Problematik, dass hier Erlebnisse nach mehr als fuenf Jahrzehnten und durch den Filter, den Erinnerung nun mal beinhaltet, berichtet werden, eroeffnet sich hier doch ein wesentlicher Zugang zu den Lebenswelten der ehemaligen Zwangsarbeiter. Insbesondere fuer die lokale Forschung bietet sich hier eine grosse Chance.

B. Staats- und Kommunalarchive, ihre Bestaende und Sammlungen (Moderation: Dr. Norbert Reimann, Westfaelisches Archivamt, Muenster)

Der Blick auf die Ueberlieferungssituation auf der mittleren und unteren Verwaltungsebene verdeutlichte anschaulich die Bandbreite der Recherchemoeglichkeiten, machte aber auch die Grenzen sichtbar.

Hermann Niebuhr (NRW Staatsarchiv Detmold) stellte heraus, dass die Aussagekraft der im Bereich der staatlichen Behoerden und Gerichte erwachsenen Quellen keine differenzierte Darstellung der Thematik ermoeglicht, aussagekraeftiges Schriftgut stammt z.T. von den Stellen, die nicht zwangslaeufig an die staatlichen Archive abgeben muessen, es aber gluecklicherweise dennoch getan haben: Kommunen, Kreise und NSDAP.

Guenther Hoegl (Stadtarchiv Dortmund) beleuchtete die Problematik aus der Sicht eines Kommunalarchivs, das fuer die Nachweisfuehrung auf serielle Quellen (Hausstandsbuecher, topographische und personenbezogene Melderegisterunterlagen, usw.) zurueckgreifen kann und auf dieser Basis auch ehemalige Lagerstandorte ermittelt und Plausibilitaetsnachweise fuehrt. Ergaenzt wird dieser Ueberlieferungsstrang durch Akten, die im Rahmen der NS-Verfolgung entstanden sind (Verhaftungen, Haftbuecher, Prozessakten, usw.).

Im Stadtarchiv Schwerin hat sich mit den Akten des Kriegsschaedensamtes ein besonderer Bestand erhalten, den Bernd Kasten vorstellte. Seit Januar 1942 hatten Auslaender, die durch Kriegseinwirkung Schaden erlitten hatten, per Gesetz Anspruch auf Entschaedigungsleistungen. In diesem Zusammenhang sind Inventarlisten entstanden, die zwar nur zu einem geringen Teil zu Zwangsarbeitern im engeren Sinne gehoeren, insgesamt jedoch einen interessanten Einblick in die Lebensumstaende der Zwangsarbeiter und auch der uebrigen in der deutschen Kriegswirtschaft taetigen Auslaender gestatten.

Allgemein wird die Ueberlieferungssituation auf die einzelnen Archive bezogen als sehr fragmentarisch gesehen - in der Zusammenschau zeigt sich aber auch die Viefaeltigkeit der Forschungsmoeglichkeiten und die sich ergaenzenden Bestaende. Dieses Fazit konnte in den Diskussionen der weiteren Sektionen unterstrichen werden.

C. Kirchliche Archive (Moderation: Prof. Dr. Jochen-Christoph Kaiser, Philipps-Universitaet Marburg)

Kirchliche Einrichtungen stehen insgesamt vor der besonderen Problematik, dass sich die Geschichte der Zwangsarbeit im kirchlichen Rahmen nicht aus der kirchlichen Ueberlieferung allein heraus aufarbeiten laesst. Fuer die evangelische Kirche berichtete Michael Haeusler (Archiv des Diakonischen Werkes der EKD in Berlin) ueber die spezielle Ueberlieferungssituation in kirchlichen Archiven, insbesondere im kirchlich-diakonischen Bereich, dessen Schriftgutbildung nicht - wie bei der Amtskirche - dem staatlichen Vorbild folgt und entsprechend unstrukturierter ist. Nur zum Teil erlauben Akten der kirchlichen Einrichtungen (Krankenhaeuser, Landwirtschaft, etc.) bzw. aus dem seelsorgerischen Bereich die Aufarbeitung der Thematik, unverzichtbar ist der Blick in staatliches und kommunales Archivgut (Meldelisten, Sozialversicherung, etc.).

Ulrich Helbach (Historisches Archiv des Erzbistums Koeln) erlaeuterte die aehnlich problematische Ueberlieferungssituation in den Archiven der katholischen Kirche, die sich zur Aufgabe gestellt hat, alle ehemaligen Zwangsarbeiter, die in Einrichtungen der katholischen Kirche eingesetzt waren, zu ermitteln, um ihnen direkt eine Entschaedigungsleistung zukommen zu lassen. Die aufwendigen Recherchen werden erschwert durch das Problem, dass in den zentralen Bestaenden der bischoeflichen Verwaltungen in der Regel nur allgemeine Informationen zur Regelung der Zwangsarbeit stecken, waehrend in den potentiell ergiebigeren lokalen Bestaenden der konkreten Landwirtschafts- und Fuersorgeeinrichtungen die Quellenlage haeufig sehr schlecht ist.

D. Auslaendische Archivbestaende (Moderation: Prof. Dr. Wilfried Reininghaus, NRW Staatsarchiv Muenster)

Durch die Aktivitaeten der Alliierten in der Nachkriegszeit entstanden serielle Quellen, die im grossen Umfang namentliche Nachweise der Zwangsarbeiter ermoeglichen. Joachim Schroeder (Stadtarchiv Duesseldorf) fand im belgischen Archiv des Services des Vicimes de la Guerre in Bruessel Frageboegen, mit denen der Belgische Nationale Suchdienst nach dem Zweiten Weltkrieg in der ehemaligen britischen Besatzungszone die Standorte, Groesse und nationale bzw. personelle Zusammensetzung der Lager ermittelte, in denen waehrend des Krieges Zwangsarbeiter untergebracht gewesen waren. Die Landschaftsverbaende Rheinland und Westfalen-Lippe konnten diese Frageboegen auf Mikrofilm aufnehmen und in naher Zukunft allen betroffenen und interessierten kommunalen Archiven zur Verfuegung stellen.

Albert Oosthoek (Gemeentearchief Rotterdam) berichtete ueber die Ueberlieferung im Informationsbuero des Niederlaendischen Roten Kreuzes in Den Haag, die ebenfalls durch Suchaktionen der Alliierten entstanden ist. Die Daten einer dort lagernden Zentralkartei mit ca. 650.000 namentlichen Nachweisen gesuchter bzw. verstorbener Personen konnte inzwischen elektronisch erfasst werden. Oosthoek geht davon aus, dass auf dieser Quellenbasis bis zu 95 % der niederlaendischen Zwangsarbeiter ermittelt werden koennen.

Wolfgang Weber (Vorarlberger Landesarchiv Bregenz) erlaeuterte die Ueberlieferungssituation fuer Vorarlberg, das 1939 seinen Status als eigenes Bundesland verlor, so dass fuer die folgenden Jahre keine schriftliche Ueberlieferung der Landesverwaltung vorhanden ist. Dagegen hat sich auf der Ebene der Landraete eine lueckenhafte Ueberlieferung erhalten, so dass fuer einige tausend ehemalige Zwangsarbeiter biographische Daten ermittelt werden konnten, die grundsaetzlich in eine digitale biographische Datenbank eingearbeitet werden koennten. Dies geschieht in St. Poelten (Niederoesterreich) bereits seit dem letzten Sommer.

Barbara Stelzl-Marx (Ludwig Boltzmann-Institut fuer Kriegsfolgenforschung Graz) hatte im Rahmen ihrer Forschungen die Moeglichkeit, das Archiv von Memorial in Moskau einzusehen. Nach einer Zeitungsente, die 1990 ueber angeblich zu erwartende Entschaedigungszahlungen berichtete, erreichten die Moskauer Einrichtung ca. 440.000 Briefe, in denen ehemalige Zwangsarbeiter ihre Erlebnisse waehrend des Zweiten Weltkrieges in Deutschland offen legten. Hier ist auf diese Weise eine parallele Ueberlieferung zu den Anfragen entstanden, die heute die deutschen Archive erreichen und als Ego-Dokumente eine wichtige Ergaenzungsueberlieferung bilden.

Stefan Schroeder (Stadtarchiv Greven) erarbeitete im Rahmen seiner Dissertation die Geschichte der Displaced Persons und hat dafuer international in Archiven recherchiert. Aufgrund der verwaltungstechnischen Erfassung der DPs durch die (West-)Allierten im Zuge der Repatriierungsmassnahmen und aufgrund der hohen Mobilitaet der DPs sind hier umfassende listenfoermige Erhebungen gemacht worden, von denen Kopien in verschiedene Archive gelangt sind (u.a. in unbekannter Vollstaendigkeit nach Bad Arolsen) und die heute eine wesentliche Grundlage fuer die Erbringung von Namensnachweisen fuer die ehemaligen Zwangsarbeiter durch die Archive bilden. Ergaenzt wird dies durch die Ueberlieferung der staatlichen und kommunalen Verwaltung der DP-Lager.

Insgesamt hat die internationale Recherche nach weiteren Quellen zur Zwangsarbeit eine erhebliche Erweiterung der bisherigen Erkenntnisse erbracht, wobei aber auch hier mit Luecken zu rechnen ist.

E. Wirtschaft (Moderation: Prof. Dr. Ottfried Dascher, NRW Hauptstaatsarchiv Duesseldorf)

Der Bereich der Wirtschaftsarchive birgt insofern Besonderheiten, als die Bestaende der Privatunternehmen nicht dem Archivgesetz unterliegen, so dass kein juristischer Anspruch auf Einblick besteht. Insgesamt ist hier aber eine Ueberlieferung zu erwarten, die zumindest ansatzweise die bundesweit grossen Ueberlieferungsluecken in der staatlichen Arbeitsverwaltung aufgrund von Zerstoerungen waehrend und unmittelbar nach dem Krieg ersetzen.

Klaus Mueller berichtete ueber die Wirtschaftsueberlieferung im Saechsischen Staatsarchiv Chemnitz. Aufgrund der Zustaendigkeit der Staatsarchive in der ehemaligen DDR fuer das Schriftgut der staatlichen Wirtschaft haben sich hier umfangreich Bestaende erhalten, die Mueller unterscheidet nach Quellen ueber Beziehungen der Betriebe zu Behoerden und Institutionen und nach Quellen zur innerbetrieblichen Organisation der Zwangsarbeit. Quellen der ersten Gruppe bilden die Ersatzueberlieferung fuer die mangelhafte Arbeitsamtsueberlieferung. Quellen der zweiten Gruppe lassen Erkenntnisse ueber die Lebenssituation der Zwangsarbeiter erwarten. Branchenspezifische Arbeitsgruppen organisierten firmenuebergreifend bestimmte Bereiche wie Unterbringung, soziale Betreuung, Freizeitgestaltung, usw. Mueller betont, dass es gerade ueber die Betriebsakten moeglich ist, die Schicksale der einzelnen Zwangsarbeiter individuell nachzuvollziehen und hier deutlich ueber die Moeglichkeiten der Ueberlieferung hinaus zu gehen, die durch die Organisation des Arbeitseinsatzes entstanden ist.

Zur Quellensituation in Bezug auf den Steinkohlenbergbau, der aufgrund des hohen Arbeitskraeftebedarfs eine besondere Bedeutung beim Einsatz von Zwangsarbeitern hatte, berichtete Evelyn Kroker (Bochum). Die Verteilung der Quellen auf die verschiedenen staatlichen Archive und Archive der Wirtschaft liess im Rahmen eines Forschungsprojektes zum Thema den Gedanken aufkommen, ein Spezialinventar zu erstellen. Trotz der insgesamt nicht umfassenden Ueberlieferungssituation konnte Kroker die Moeglichkeiten fuer kuenftige Forschungsvorhaben skizzieren.

Jutta Hanitsch (Wirtschaftsarchiv Baden-Wuerttemberg) hob noch einmal die Bandbreite der Ueberlieferung, die insgesamt fuer die 1940er Jahre gesichtet werden muss, hervor. Da es im Wirtschaftsarchiv Baden-Wuerttemberg nur acht Bestaende gibt, die eine dichte Ueberlieferung zu den 1940er Jahren aufweisen, liegt die Notwendigkeit auf der Hand, neben den Unternehmensbestaenden auch die der Industrie- und Handelskammern und der Handwerkskammern ebenso zu durchleuchten wie die Nachlaesse von Personen aus der Wirtschaft.

Zusammenfassend zeigte die Tagung die dringende Notwendigkeit fuer die Archivare und die Historiker zur Vernetzung ihrer Informationen. Die Diskussion kreiste immer wieder um die Fragen, die die alltaegliche Praxis der Beschaffung von Nachweisen fuer die ehemaligen Zwangsarbeiter aufwirft. Es besteht grosse Unsicherheit ueber die Anerkennung und die Formulierung der Plausibilitaetsnachweise, die von den meisten Archivaren erstellt werden, wenn sie keinen direkten namentlichen Nachweis erbringen koennen. Insgesamt erbrachte die Tagung zahlreiche Hinweise zu weiterfuehrenden Quellen, die die Recherchetaetigkeit der Archivare unterstuetzen koennen. Die Aktenvernichtungen bei Kriegsende erschweren Beweise, die dezentralen Strukturen in der Bundesrepublik Deutschland haben jedoch oft Bestaende vor der Vernichtung bewahrt, die z.T. durch die intensive Auseinandersetzung mit der Thematik heute wieder ans Tageslicht kommen. In Oesterreich wurden schon zeitiger zentrale Clearingstellen geschaffen, in denen z.T. Datenbanken erstellt werden (Niederoesterreich), die die Recherchetaetigkeit erleichtern. In Deutschland befinden sich solche Clearingstellen noch im Aufbau.

Gleichzeitig konnten Forschungsdesiderate und Moeglichkeiten fuer kuenftige Forschungsprojekte aufgezeigt werden. Weil die NS-Zeit auf Dauer ein Thema bleiben wird, das die Nachgeborenen beschaeftigt, ist die Erschliessung und wissenschaftliche Aufarbeitung der Kriegs- und Kriegsfolgeakten noetig.

Insgesamt kann der gewonnene Ueberblick ueber die vorhandenen Quellenbestaende zur Zwangsarbeit in Deutschland sicher nicht als vollstaendig bezeichnet werden, der Tagungsband wird aber einen wichtigen hilfswissenschaftlichen Beitrag zur Quellenkunde des 20. Jahrhunderts liefern. Die Deutsche Forschungsgemeinschaft hat die Bochumer Tagung gefoerdert und damit gezeigt, dass sie den Austausch von Historikern und Archivaren auf diesem Gebiet unterstuetzt.

Kontakt

Annette Hennigs
NRW Staatsarchiv Muenster
Bohlweg 2, D - 48147 Muenster
Tel.: 0251 / 4885-132
E-Mail: annette.hennigs@stams.nrw.de

http://www.archive.nrw.de/dok/tagung-zwangsarbeit01/
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