Deutsche und französische Unternehmen im Zweiten Weltkrieg

Deutsche und französische Unternehmen im Zweiten Weltkrieg

Organisatoren
GDR 2539 "Les entreprises francaises sous l´occupation" (CNRS), den Lehrstuhl für Wirtschafts- und Sozialgeschichte der Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt am Main, das Max-Planck-Institut für europäische Rechtsgeschichte, Frankfurt am Main, und das Centre interdisciplinaire d´études et de recherches sur l´Allemagne (CIERA), Paris
Ort
Frankfurt am Main
Land
Deutschland
Vom - Bis
21.11.2003 - 22.11.2003
Url der Konferenzwebsite
Von
Ralf Banken

Für die im Poelzig-Bau der Johann Wolfgang Goethe-Universität durchgeführte Tagung über deutsche und französische Unternehmen während des Zweiten Weltkrieges hätte man wohl kaum einen symbolisch stärker aufgeladenen Ort finden können als den ehemaligen Hauptsitz des IG Farben-Konzerns. Dabei dominierten in den Vorträgen und Diskussionen aber nüchterne Analysen unternehmerischen Verhaltens und sektoraler Entwicklungszusammenhänge. Besonders zeigte sich bei dieser ersten deutsch-französischen Konferenz über die Geschichte von Unternehmen beider Länder in der Zeit des Zweiten Weltkrieges die Bedeutung des internationalen Austausches für ein Forschungsfeld, das – abgesehen von wenigen Studien – erst in letzter Zeit in den Blickpunkt der Forschung geriet. Gerade die Frage nach der Kollaboration der französischen Unternehmen oder dem Verhalten der deutschen Firmen in Frankreich ist nur durch eine deutsch-französische Wissenschaftskooperation zu bewältigen.

In den einzelnen Vorträgen stand vor allem die Entwicklung einzelner Wirtschaftsbranchen im Vordergrund. So analysierte Johannes Bähr die Strategie der deutschen Großbanken in den besetzten westeuropäischen Gebieten. Danièle Fraboulet untersuchte die Entwicklung kleinerer und mittlerer Unternehmen der Metallindustrie im Pariser Großraum, Paul Erker den oligopolistischen Wettbewerb deutscher und französischer Unternehmen in der Reifenindustrie. Im Weiteren unternahm Stephan Lindner einen Vergleich zwischen der deutschen und der französischen Textilindustrie in den Jahren 1930-1950. Sophie Chauveau fragte nach den Auswirkungen der deutschen Besetzung auf die französische Pharmaindustrie, Francoise Berger behandelte die Beziehungen zwischen der deutschen und der französischen Stahlindustrie während des Zweiten Weltkrieges. Über die Zusammenarbeit der Elektroindustrie beider Länder und das Verhalten der beteiligten Unternehmen referierte Heidrun Homburg, während Florent Le Bot anhand einer Arisierung in der französische Schuhindustrie die Interessen der französischen Beteiligten deutlich machte.

Auf der Unternehmensebene präsentierte Ralf Banken die Auslandsaktivitäten der Degussa AG zwischen 1939 und 1945. Nicolas Marty erörterte die industriellen Beziehungen des Mineralwasserproduzenten Perrier im unbesetzten Teil Frankreichs. Mit einem Vortrag über die Beschäftigung von Zwangsarbeitern in deutschen Unternehmen widmete sich Mark Spoerer ebenso wie Arne Radtke-Delacour mit seinem Beitrag über die Wirtschaftspolitik der deutschen Besatzungsinstitutionen und Philippe Verheyde mit seinen Ausführungen über die Arisierung jüdischer Großunternehmen in Frankreich weiteren unternehmens- und branchenübergreifenden Fragen der Besatzungszeit.

Wenngleich in sämtlichen Referaten und Diskussionsbeiträgen die Frage nach Handlungsspielräumen, Strategien und Zielen der Unternehmen im Vordergrund der Überlegungen stand, wurde doch auch immer deutlich, wie stark diese durch die jeweiligen langfristigen Strukturen der deutschen und französischen Unternehmen und Wirtschaftszweige geprägt waren. Zahlreiche Handlungen und Phänomene, sei es die Arisierung jüdischer Großbetriebe oder die verweigerte Zusammenarbeit französischer mit deutschen Unternehmen, erklären sich durch eine Einbindung in langfristige Modernisierungsprozesse und den wirtschaftlichen Strukturwandel, der das Unternehmensverhalten stark bestimmte. So verzichteten die deutschen Unternehmen aufgrund ihrer langfristigen Strategien und Erwartungen, z. B. über die Entwicklung der Nachkriegsmärkte, häufig auf kurzfristige Vorteile und den Einsatz politischer Machtmittel bzw. vertraten eigene Interessen gegenüber den Zielen der deutschen Besatzungsbehörde. Die Bedeutung der Verbändepolitik, der schon vor dem Krieg bestehenden personalen Netzwerke, aber auch der technischen Patenschaften und Lieferbeziehungen zwischen deutschen und französischen Unternehmen wurden immer wieder hervorgehoben, da allein der Blick auf die Unternehmensbeteiligungen nicht ausreicht. Für die französischen Unternehmen erwies sich der politische Begriff der Kollaboration als wenig hilfreich, da zahlreiche französische Betriebe durch die deutschen Kriegsaufträge keine Gewinne erzielten, sondern lediglich ihr Überleben sicherten, das jeweils das eigentliche Motiv für die Mitarbeit an der deutschen Kriegsproduktion darstellte. Politischen Widerstand leisteten jedoch nur einzelne Personen – darunter auch Unternehmer –, nicht aber Unternehmen, wenngleich in einigen Betrieben Formen passiven Widerstands existierten. Insgesamt bewegte sich sowohl das deutsche als auch das französische Unternehmensverhalten in einer Ausnahmesituation und im Spannungsverhältnis zwischen kurzfristigen Interessen und langfristigen Strategien, die durch die jeweilige Kriegslage ebenfalls entscheidend bestimmt wurden.

Zahlreiche Diskussionsbeiträge wiesen auf die Frage der Folgen der Besatzung für die französische Wirtschaft hin. Keine der behandelten Branchen profitierte unmittelbar von der Zusammenarbeit mit den Deutschen, vielmehr konnten Industriezweige wie die französische Textilindustrie den Vorsprung der amerikanischen Konkurrenten erst in den fünfziger Jahren aufholen. Innerhalb der einzelnen Branchen aber konnten einige Unternehmen trotz des allgemeinen Niedergangs ihre Ausgangsposition für die Nachkriegszeit gegenüber ihren Wettbewerbern verbessern, so daß sich die jeweiligen französischen Marktstrukturen durch den Krieg verschoben oder einen verstärkten Strukturwandel auslösten. Diese Strukturveränderungen zeigten sich auch im unbesetzten Teil Frankreichs, wo der Wirtschaftsdirigismus Vichys nicht nur auf die deutsche Besatzung, sondern auch auf die seit den Krisen der dreißiger Jahre zunehmende staatliche Wirtschaftssteuerung zurückging, die eine wichtige Bedingung wirtschaftlichen Handelns darstellte.

Neben diesen ersten Ergebnissen kamen im Laufe der Tagung zahlreiche weiterführende Fragen auf, wie z. B. die nach der Bedeutung der französischen Kolonien, nach dem Einfluss der amerikanischen Industrie oder der Drittmärkte für das jeweilige Unternehmensverhalten sowie nach der Rolle von Vertrauen und Sozialkapital im Verhältnis zwischen den Unternehmen beider Länder. Als Resümee der Tagung hielt Patrick Fridenson in seinem Schlusswort fest, dass die Geschichte der deutschen und französischen Unternehmen im Zweiten Weltkrieg heute nicht mehr geschrieben werden kann ohne die Geschichte der Unternehmen bzw. die Archive des anderen Landes zu berücksichtigen, weshalb eine bessere Vernetzung der Forschung unbedingt notwendig ist. Auch deshalb ist geplant, eine Nachfolgetagung durchzuführen. Die Beiträge der deutschen Teilnehmer werden im nächsten Jahr in französischer Sprache in der Zeitschrift „Histoire, économies et sociétés“ veröffentlicht, die Beiträge der französischen Kollegen sollen in deutscher Sprache in der „Zeitschrift für Unternehmensgeschichte“ erscheinen.

Kontakt

Kontaktpersonen

Prof. Dr. Werner Plumpe: w.plumpe@em.uni-frankfurt.de
Dr. Hervé Joly: herve.joly@ish-lyon.cnrs.fr
PD Dr. Johannes Bähr: baehr@mpier.uni-frankfurt.de
Dr. Ralf Banken: banken@mpier.uni-frankfurt.de


Redaktion
Veröffentlicht am
Autor(en)
Beiträger
Klassifikation
Epoche(n)
Region(en)
Weitere Informationen
Land Veranstaltung
Sprache(n) der Konferenz
Französisch, Deutsch
Sprache des Berichts