Deutsche Militärfachzeitschriften im 20. Jahrhundert

Deutsche Militärfachzeitschriften im 20. Jahrhundert

Organisatoren
Militärgeschichtliches Forschungsamt der Bundeswehr, Potsdam
Ort
Potsdam
Land
Deutschland
Vom - Bis
17.05.2011 -
Url der Konferenzwebsite
Von
Andreas Leipold, Lehrstuhl Neueste Geschichte, Universität Bayreuth

Am 17. Mai 2011 veranstaltete das Militärgeschichtliche Forschungsamt in Potsdam den Workshop „Deutsche Militärfachzeitschriften im 20. Jahrhundert“. Zur Begrüßung erklärte Michael Epkenhans (Potsdam), dass Militärfachzeitschriften bisher nur am Rande Thema der medienhistorischen sowie der militärhistorischen Forschung gewesen seien. Ihr Stellenwert in der Wissenschaft sei bisher verkannt worden. Mit der Frage nach dem Quellenwert oder Quellenunwert von militärischen Fachzeitschriften eröffnete er den Workshop.

MARKUS PÖHLMANN (Potsdam) führte die Teilnehmer in das Thema ein. Pöhlmann fragte, ob Militärfachzeitschriften „vergessene“ Quellen seien. Er betonte, dass Forschungen zu dieser Quellengattung vorliegen, doch die Methodik der Auswertungen und die Zuordnungen der einzelnen militärfachlichen Publikationen zu den Militärfachzeitschriften problematisch seien. Daher sei eine breitere Forschung in Deutschland „noch“ nicht zu erwarten. Für die zukünftige Forschung dürften nicht nur die Geschichtswissenschaften, sondern auch die Medienwissenschaften fruchtbare Beiträge liefern. Pöhlmann stellte vier Thesen auf, welche im Rahmen des Workshops und bei späteren Forschungen als Leitfaden gelten könnten:
1. Militärfachzeitschriften sind eine relevante Quellengattung.
2. Militärfachzeitschriften sind Medien der Friedenskultur.
3. Medien stehen im Mittelpunkt des gelenkten und kontroversen Fachdiskurses.
4. Militärfachzeitschriften sind heute weitestgehend verschwunden.
Das Thema und die Forschung zu Militärfachzeitschriften sollten nicht nur im Rahmen der Streitkräfte, sondern auch in modernen Sozialforen wie Blogs und in zivilen Universitäten diskutiert werden.

Die erste Sektion, bestehend aus drei Vorträgen, befasste sich mit der Frage des militärischen Lernens aus Militärfachzeitschriften. In den Vorträgen von Harald Potempa und Christian Müller wurde die These vertreten und durch Beispiele belegt, dass militärisches Lernen aus Fachzeitschriften durchaus möglich war. Dieser Aussage widersprach Alaric Searl, der am Beispiel der Rezeption der Militärautoren J.F.C. Fuller und B.H. Liddell Hart in Deutschland in diesem Bereich kein militärisches Lernen verorten konnte.

HARALD POTEMPA (Potsdam) zeigte in seiner Darstellung „Das Militärwochenblatt (1871-1943) als Quelle - Die Diskurse ‚Kavallerie und Raids‘ sowie ‚Material und Moral‘“ zwei zentrale Themen des Militärwochenblattes auf. Er wählte für das Thema Kavallerie und Raids ein Beispiel aus dem Britisch-Afghanischen Krieg von 1878 -1880, in dem sich das deutsche Interesse für Kavallerie und Artilleriebelange sowie für Kolonialkriege schon vor Beginn der kolonialen Phase des Deutschen Kaiserreiches zeigte. Weiterhin zeigte sein Beispiel, dass auch im Militär des Kaiserreiches ein Interesse an kulturellen Faktoren bei der Kriegsführung bestand. Der Diskurs wurde um die Frage des kleinen asymmetrischen und des großen Krieges ergänzt. Für den Bereich der Moral und des Materials konnte Potempa erkennen, dass der im Militärwochenblatt aufgezeigte Diskurs um die schwindende Moral deutscher Truppen im Jahr 1918 die Wehrmacht im Jahr 1943 und auch 1945, zwei Jahre nach Einstellung des Militärwochenblattes, prägte und zur unbedingten Aufrechterhaltung der Moral in der Wehrmacht, auch mit Mitteln des Terrors, aufrief. Nach seiner Darstellung hatte die Wehrmacht aus den „Fehlern“ von 1918 und der Darstellung im Militärwochenblatt gelernt.

Diese beiden Beispiele zeigten die Prozesse des Lernens allerdings nur undeutlich auf. Auf eine medienkritische Analyse, welche die Auflagenzahlen, Autoren- und Leserschaft sowie Verbreitung der Zeitschrift hätte erklären können, verzichtete Potempa. Daher können die Reichweite und die Tiefe des Lernens sowie der Adressatenkreis nicht erschlossen werden. Die Frage einiger Workshopteilnehmer, ob es sich bei den Beispielen tatsächlich um einen Diskurs handle, blieb unbeantwortet.

CHRISTIAN MÜLLER (Berlin) fügte in seinem Vortrag über „Militärfachzeitschriften und das Lernen aus zeitgenössischen Kriegen“ Potempas Darstellung einen weiteren Aspekt hinzu. Er zeigte, wie Potempa, dass das Deutsche Kaiserreich aus Kriegserfahrungen ausländischer Mächte eigene Erkenntnisse gewinnen musste, da es bis 1914 in keinen Krieg mit gleichwertigen Mächten verwickelt worden war. Die Auswertung der fremden Erfahrungen konnten nach Erlaubnis durch eine Kabinettsorder von 1897 kontrovers in den Fachzeitschriften diskutiert werden. Dabei taten sich Offiziere, welche zur Disposition gestellt worden waren, besonders hervor, da sie nicht mehr um ihre Karriere fürchten mussten. Der Referent führte ein gut gewähltes Beispiel an. So habe die Auswertung der britischen Erfahrungen des Stellungskrieges im Burenkrieg die britische und später die deutsche Lineartaktik zur Diskussion gestellt und nach etwa zehn Jahren zum Wandel der Militärdoktrin geführt. Dennoch hob Müller hervor, dass dies nicht ohne Gegenstimmen erfolgte und am Ende kein totaler Wandel, sondern ein Kompromiss in der Taktik gefunden wurde. Dennoch beschleunigte die Diskussion den Wandel in der Taktik. Müller erkannte zu Recht, dass dieser Wandel ohnehin gekommen wäre, doch habe die Auswertung ausländischer Erfahrungen in deutschen Fachzeitschriften hier beschleunigend gewirkt. Die Grenzen des Lernens aus Militärfachzeitschriften wurden durch den Kompromisscharakter der Beschlüsse innerhalb der Taktik gut herausgearbeitet. Auch bei Müller fehlten medienkritische Angaben, sodass die Tiefe und Tragweite des Diskurses nicht deutlich herauskam. Dennoch konnte sein Bespiel einem mit dem Taktikstreit um 1900 vertrauten Zuhörer eine gute Grundlage zur Theorie des Lernens aus Militärfachzeitschriften geben.

Einen zu Potempa und Müller konträren Punkt führte ALARIC SEARLE (Salford/UK) in die Diskussion ein. Hatte Potempa das absolute Lernen und Müller das kompromissbehaftete Lernen aus Militärfachzeitschriften herausgestellt, so relativierte Searle beide Aussagen. Er untersuchte die „Rezeptions- und Wirkungsgeschichte der Theorien von J.F.C. Fuller und B.H. Liddell Hart in Deutschland im Spiegel deutscher Militärzeitschriften der Zwischenkriegszeit“ in den Zeitschriften „Militärwochenblatt“ und „Wehrgedanken des Auslandes“. Er stellte fest, dass trotz einer enormen Bandbreite an Rezeptionen beider britischer Autoren ihre wichtigsten Erkenntnisse keinen Eingang in die deutsche Militärplanung und -technik fanden. Somit zeigte er, dass Lernen aus Militärfachzeitschriften keinen Zwangseffekt darstelle. Die Frage nach der Art des Lernens oder Nichtlernens sowie die Bedingungen, welche zum Lernen führten oder diesem hinderlich waren, stellten alle drei Autoren nicht. Auch in der Abschlussdiskussion wurde diese Frage nicht gestellt. Hier dürften weitere Forschungen wichtige Impulse geben.

Die zweite Sektion näherte sich dem Thema Militärfachzeitschriften aus medienkritischer Sicht.

CHRISTIAN HALLER (Mannheim) analysierte in seinem Vortrag die deutschen Militärzeitschriften von 1918-1933 in medienhistorischer Perspektive. So versuchte er eine Hierarchisierung der Zeitschriften anhand der Bedeutung der herausgebenden Verlage. Weiterhin benannte er Auflagezahlen und Thematiken. So kamen Militärfachzeitschriften aus dem Verlag Mittler in Leipzig und Hamburg an erster Stelle. Diese verbreiteten die offizielle Militärgeschichtsschreibung zum Ersten Weltkrieg. Es gelang Haller, erste Ansätze für eine Analyse vorzustellen. Er konnte mit seinen Ausführungen Pöhlmanns These der Militärzeitschriften als Medium des Friedens bestätigen. Dankenswert waren seine Ausführung zu Auflagenzahlen, Autoren- und Leserschaft. Die Autorenschaft konnte er nach Stabsoffizieren, adeligen Befehlshabern, Wissenschaftlern für Technikfragen, Beamte und Zivilisten unterteilen. Offen lassen musste er eine genaue Analyse dieser Gruppe, da nur wenige Personen direkt nachweisbar waren. Die Finanzierung der Zeitschriften konnte, so Haller, von staatlichen Hilfen bis zu privaten Dotationen reichen. Problematisch sei eine Zuordnung der Zeitschriften nach den Kategorien des Offiziellen und Offiziösen, sodass Haller vorerst keine solche Kategorisierung vollziehen konnte.

Einen ähnlichen Ansatz verfolgte RUDOLF SCHLAFFER (Potsdam). Er bearbeitete in seinem Vortrag „Offizielle und offiziöse Zeitschriften in der Bundeswehr der Aufbauphase 1955-1970“ die Zeitschrift „Soldat und Technik“. Er benannte die Auflagezahl nicht, doch konnte er die Leserschaft in der Gemeinschaft aller Soldaten und Reservisten erkennen. Die Autoren stammten aus dem Militär oder der forschenden Zivilwissenschaft. Dieser Umstand sei umso bedeutender, da erst unter der Regierung Helmut Schmidts die Vielzahl an Militärfachzeitschriften offiziellen und offiziösen Charakters zu einer kleinen Zahl offizieller Zeitschriften zusammengefasst wurde. Für die Zeit vorher konnte Schlaffer mehr als 100 militärfachliche Zeitschriften verorten. Ein Abschluss der Recherchen sei, so Schlaffer, noch nicht abzusehen. Die Unterscheidung beider Arten von Zeitschriften zog er dahingehend, dass offiziöse Militärfachzeitschriften nicht von der Bundeswehr herausgegeben, aber finanziell unterstützt wurden, offizielle Zeitschriften hingegen vom Bundesministerium der Verteidigung herausgegeben wurden.Neben der medienkritischen Darstellung führte Schlaffer ein Beispiel der Wirkung der Zeitschrift „Soldat und Technik“ auf die Panzergrenadiertruppe an. Diese hätte als Infanterie kämpfend einem Gefecht unter atomaren Bedingungen nicht standhalten können. Die Zeitschrift bewirkte einen Wandel dieser Einstellung. Nicht die Sinnlosigkeit des Kampfes der Infanterie in einem atomar verseuchten Gebiet, sondern der Wandel des Selbstverständnisses der Panzergrenadiere sei durch diese Zeitung bewirkt worden. Zurückhaltend äußerte sich Schlaffer dahingehend, dass weitere Untersuchungen und die Heranziehung weiterer Quellen das Bild über den Einfluss von Militärfachzeitschriften auf die Truppe ergänzen oder revidieren könnten.

Auch STEFANIE VAN DE KERKHOF (Mannheim) übernahm einen medienkritischen Ansatz in ihrem Vortrag zu „Zeitschriften als Quellen einer Marketinggeschichte der europäischen Rüstungsindustrie im Kalten Krieg“. Sie analysierte Werbeanzeigen der Rüstungsindustrie in den Zeitschriften „Soldat und Technik“ und „Technik und Versorgung“. Die Leserschaft verortete sie, ebenso wie Haller, in den aktiven Soldaten und den Reservisten. Die Autoren konnte sie nur ungenau mit Militärs und Wissenschaftlern und Technikern benennen. Hier müssten weitere Forschungen herangezogen werden. Sie erkannte, dass die Grundaussage darin bestand, dass Sicherheit produzierbar sei. Diese Aussage diente zur Steigerung der Verkaufszahlen von Rüstungsgütern und zur Anwerbung von länger dienenden Soldaten. Die Wirkung dieser Werbung konnte sie nicht genau benennen, da weitere Quellengruppen, wie betriebswirtschaftliche Archive und Verlagssammlungen, ausgewertet werden sollten. Ein Einwand aus dem Publikum, dass diese Quellen sicherlich unter Verschluss oder nicht existent seien, scheint den Tatsachen zu entsprechen, da viele Werbeanzeigen nur nach mündlichen Absprachen freigegeben wurden. Dennoch lieferte Kerkhofs Ansatz wichtige Anreize für Fragen und weitere Forschungen.

Einen neuen Aspekt führte FRANK REICHHERZER (Berlin) im Rahmen des Themas „Demilitarisierung und Hybridisierung im Zeichen des totalen Krieges. Die Verschmelzung von Zivilem und Militärischem in der Zeitschriftenpublizistik der Zwischenkriegszeit“ ein. Ihm war weniger das konkrete Feld militärischer Erkenntnisse als die Auswirkungen der Darstellungen auf die militärische und zivile Gesellschaft wichtig. So zeigte er eine Demilitarisierung des Militärs und eine Militarisierung der zivilen Gesellschaft auf. Als Beispiel führte er an, dass militärische Stellen nach 1918 verstärkt auf zivile Forschungsergebnisse in der Technik und der Geographie zurückgreifen mussten. Dies sei die Folge einer stärkeren Geheimhaltung militärischer Erkenntnisse in vielen Ländern der Welt gewesen. Im Gegenzug zu den zivilen Forschungen der Militärs, wurden nun zivile Stelle mit Auswertungen militärisch bedeutender Fakten betraut. Reichherzers These ist nicht neu. Sie kam bereits nach 1918 auf und wurde in den letzten Jahren in vielen Bereichen der historischen Analyse anderer Wissenschaftsbereiche belegt. Sein Ansatz konnte für die Analyse von Militärfachzeitschriften einen wichtigen Impuls geben, wenngleich er zugeben musste, dass weitere Forschungen notwendig seien. Die folgende Diskussion relativierte Reichherzers These von der Militarisierung der Gesellschaft. So zweifelte John Zimmermann dieses Faktum als generelle Aussage an. Reichherzer verwies auf seinen Forschungsgegenstand und auf die Notwendigkeit tiefer gehender medienkritischer Analysen.

Mit der Zusammenfassung der Beiträge durch John Zimmermann (Potsdam) endete die Veranstaltung. Die Beiträge waren überaus fruchtbar für neue methodische und inhaltliche Betrachtungsweisen der Militärfachzeitschriften. Am Ende blieben daher mehr Fragen als Antworten und viele Anregungen für weitere Forschungen. Im Herbst 2011 ist ein weiterer Workshop zum Thema Militärfachzeitschriften geplant.

Konferenzübersicht:

Michael Epkenhans (Potsdam): Begrüßung

Markus Pöhlmann (Potsdam): Einführung

Harald Potempa (Potsdam): Das Militärwochenblatt (1871–1943) als Quelle – Die Diskurse „Kavallerie und Raids“ sowie „Material oder Moral?“

Christian Th. Müller (Berlin): Militärfachzeitschriften im Deutschen Kaiserreich und das Lernen aus zeitgenössischen Kriegen

Christian Haller (Mannheim): Die deutschen Militärfachzeitschriften 1918–1933. Ein medienhistorischer Überblick

Frank Reichherzer (Berlin): Demilitarisierung und Hybridisierung im Zeichen des totalen Krieges. Die Verschmelzung von Zivilem und Militärischem in der Zeitschriftenpublizistik der Zwischenkriegszeit

Alaric Searle (Salford/UK): Die Rezeptions- und Wirkungsgeschichte der Theorien von J.F.C Fuller und B.H. Liddell Hart in Deutschland im Spiegel deutscher Militärzeitschriften der Zwischenkriegszeit

Rudolf Schlaffer (Potsdam): Offizielle und offiziöse Zeitschriften in der Bundeswehr der Aufbauphase 1955–1970

Stefanie van de Kerkhof (Mannheim): Zeitschriften als Quellen einer Marketinggeschichte der Rüstungsindustrie im Kalten Krieg

John Zimmermann (Potsdam): Zusammenfassung der Erträge


Redaktion
Veröffentlicht am
Klassifikation
Region(en)
Weitere Informationen
Land Veranstaltung
Sprache(n) der Konferenz
Deutsch
Sprache des Berichts