Ausgestelltes Wissen. Ausstellungen als Modus und Medien der Wissenskommunikation im 20. Jahrhundert. Workshop für Nachwuchswissenschaftler_innen

Ausgestelltes Wissen. Ausstellungen als Modus und Medien der Wissenskommunikation im 20. Jahrhundert. Workshop für Nachwuchswissenschaftler_innen

Organisatoren
Christian Sammer / Thomas Steller, Universität Bielefeld; Christian Vogel, Eberhard Karls Universität Tübingen / Humboldt-Universität zu Berlin
Ort
Bielefeld
Land
Deutschland
Vom - Bis
21.07.2011 - 23.07.2011
Von
Alrun Schmidtke, Institut für Geschichtswissenschaften, Humboldt-Universität zu Berlin / Max-Planck-Institut für Wissenschaftsgeschichte, Berlin

Der Workshop behandelte Ausstellungen in ihren historischen Kontexten unter wiederkehrender Bezugnahme auf ihre Funktionen innerhalb der Generierung und Popularisierung von Wissen. Je nach Perspektive muss das Verhältnis von Information, Aufklärung und Bildung sowie Amüsement, Unterhaltung und Zeitvertreib historisch gedeutet werden: Zunächst erweist sich eine Ausstellung dem Historiker als hartnäckige „black box“ (Sharon MacDonald), die dessen methodische Werkzeuge vor Herausforderungen stellt. Sie ist rhetorisch verpackt durch die meist noch am besten dokumentierten schriftlichen Äußerungen der Ausstellungskuratoren und -produzenten. Besonders die Auswertung nicht-schriftlicher Quellen stellt, wie CHRISTIAN VOGEL (Tübingen/Berlin) in der Einleitung des Workshops betonte, eine ebenso ungewohnte wie ungewöhnliche historische Methode dar. Vogel gab dem Veranstaltungstitel „Ausstellungen als Modus und Medien der Wissenskommunikation“ einen definitorischen und konzeptionellen Rahmen. Historisch verortete er die Ausstellungsanalyse zwischen Untersuchungen des Beziehungsgeflechts von Wissenschaft und Öffentlichkeit und der historischen Museumsforschung, die sich mit Präsentationsformen, Objektinstallationen und der Inszenierung von Gegenständen auch aus Sammlungen befasst. Trotz heterogener Untersuchungsfelder lassen die auf dem Workshop behandelten Ausstellungen gemeinsame Grundzüge erkennen: Sowohl Museums-Schausammlungen als auch temporäre Ausstellungen im Sinne von Großveranstaltungen mit Messe- oder Jahrmarktcharakter verbinden sich durch „Hervorhebung und Wertschätzung des Objekts“ (Anke te Heesen).

Im ersten Vortrag nahm THOMAS STELLER (Bielefeld) Bezug auf den Wissensbegriff sowie auf die normative Funktion von Gesundheitsausstellungen im ersten Drittel des 20. Jahrhunderts. Aufgrund der Organisation der Hygiene-Ausstellungen aus Dresden befasste sich Steller mit Wanderausstellungen, deren wissenschaftlich zertifiziertes Wissen auch von Städten angefragt werden konnte. Der Begriff „Menschenökonomie“ ziele dabei auf die Absicht der Ausstellungsmacher, auf das Verhalten des Publikums Einfluss zu nehmen und es dauerhaft zu ändern. Steller charakterisierte das Hygiene-Museum als biopolitische Institution, die mit innovativen Vermittlungsmethoden die Popularisierung medizinischen Wissens betrieb. Inwiefern diese vom zeitgenössischen Publikum angenommen worden ist, sei dabei schwierig zu evaluieren. Eindrucksvoll bleiben die hohen Besucherzahlen, sodass sich die methodische Frage anschloss, wie Wirksamkeiten und die Rezeption von Ausstellungen in historischen Zusammenhängen erforscht werden können.

Ebenfalls zu Hygiene-Ausstellungen präsentierte JUSTYNA TURKOWSKA (Marburg) die bisherigen Ergebnisse ihrer Auswertung der Posener Tagespresse im frühen 20. Jahrhundert. Insbesondere der Konflikt um die Beurteilung „wissenschaftlicher“ Ausstellungen oder deren „Unwissenschaftlichkeit“ führte zu ausführlichen Diskussionen um Selbst- und Fremdwahrnehmung von Ausstellungsproduzenten. Zugleich wurden die Ausstellungen als „hybride Räume“ charakterisiert, die als Schnittstelle diverser Interpretationen und Sichtweisen fungierten und Wissensdeutungen transferierten, welche aus Wissenschaft, Politik, Wirtschaft und anderen Bereichen gestammt haben können. Die „Massenaufklärung“, welche sich Auftraggeber und Ausstellungsmacher dabei auf die Fahne schrieben, konnte die Presse schließlich desavouieren, indem sie die Ausstellungen zur Hygiene als Modeerscheinung diffamierten und als nicht-wissenschaftlich disqualifizierten. Während andere Ausstellungen ihre Wissenschaftlichkeit mit der Nähe zur akademischen Forschung demonstrieren konnten, so Turkowska, fehlte in der Provinz Posen diese Anbindung noch bis ins frühe 20. Jahrhundert. Wissenschaftler, insbesondere ortsansässige Ärzte, welche als Promotoren der neu zu bildenden Wissensöffentlichkeit zu verstehen sind, waren durch ihre Verbindung zur Ausstellungstätigkeit schnell dem Vorwurf der Käuflichkeit ausgesetzt, da die Hygiene-Ausstellungen ihren offensichtlichen Gewerbecharakter nicht verbergen konnten.

An die Problematisierung von proklamierter und verwirklichter Ausstellungsrealität anknüpfend führte ALRUN SCHMIDTKE (Berlin) Beispiele zweier medizinischer Ausstellungen aus Berlin im ersten Viertel des 20. Jahrhunderts an. Während die Sammlungen des pathologischen Instituts der Charité vor allem für die Lehre von großer Bedeutung waren, sorgten die Direktoren, Kuratoren und wissenschaftlichen Assistenten am Institut seit der Jahrhundertwende für die Einrichtung und Aufrechterhaltung einer Schausammlung. Deren besonderer Charakter ist im Museumsgebäude leicht erkenntlich und führte im Folgenden zu der Frage, ob und wie Ausstellungen verschiedene konstruierte Bedürfnisse von Besuchergruppen hätten befriedigen können. Gerade die scharfe räumliche Trennung von Lehr- und Schausammlung mit dennoch äußerst ähnlichen Objektpräsentationen warf den Blick auf die Ausstellungsproduzenten zurück. Die Zusammensetzung eines Museums- oder Ausstellungspublikums blieb hier ebenso eine „black box“ wie im Falle der „Kurpfuscherei“-Ausstellungen, deren selbstversichernder Charakter anhand der Stationen der Wanderausstellung auf wissenschaftlichen Konferenzen und Jahresversammlungen zutage getreten ist.

In einem ähnlichen Zeitraum bewegte sich ANJA SATTELMACHER (Tübingen/Berlin) mit ihrem Schwerpunkt auf der Präsentation geometrischer Modellsammlungen am Beispiel des III. Internationalen Mathematikerkongresses in Heidelberg 1904. Der Einsatz geometrischer Modelle im Hochschulunterricht sei dabei, so Sattelmacher, der Reform des mathematischen Unterrichts im frühen 20. Jahrhundert gefolgt. Diese Reform wurde ausgelöst durch den um 1900 starken Studentenzuwachs an Technischen Hochschulen. Um die Studenten zum funktionalen Denken zu erziehen, habe die Präsentationsrhetorik der mathematischen Ausstellungen Objektreihen benötigt. Die auf dem Kongress präsentierten Modelle seien als vollständige Sammlungen erwerbbar gewesen, die in Zusammenarbeit mit einem Lehrbuchverlag vertrieben wurden. Zugleich seien die Exponate den Ergebnissen der Hochschulmathematik aus den vorangegangenen Jahren gefolgt, im Besonderen der Einführung des Funktionsbegriffes und seiner graphischen Darstellung in der Lehre. Dabei hätten divergierende Auffassungen von der Bedeutung bildlicher Darstellungen in einem Spannungsverhältnis gestanden – ein innerdisziplinärer Konflikt, der sich auf Legitimierungsstrategien eines Faches bezog und der sich anhand der Popularisierungsmethoden des fachlichen, in diesem Falle mathematischen Wissens nachvollziehen ließ.

Die Legitimierungsstrategien eines gänzlich anderen Faches analysierend, stellten SABRINA SCHÜTZE und DIRK MAHSARSKI (Bremen) einen Teil ihres Forschungsprojektes zur Bremer Vorgeschichtsforschung im Nationalsozialismus vor. Die Museen und Ausstellungsräumlichkeiten in der Bremer Böttcherstraße sowie ihre Financiers, Erbauer und beteiligte Wissenschaftler standen im Mittelpunkt der Präsentation. Schütze und Mahsarski argumentierten, die gesamte Böttcherstraße habe das Geschichtsbild ihres Erbauers, Ludwig Roselius, widergespiegelt: Die Abfolge der Museen erfolgte chronologisch-teleologisch, mit dem Museum „Väterkunde“ am Eingang der Böttcherstraße. Hinzu kamen Auswahl und Präsentation der innerhalb weniger Jahre durch einen Heimatforscher erworbenen Objekte, welche auf die völkische Einstellung Roselius‘ zurückzuführen seien. Ob diese Art der zeitlichen und räumlichen „Beweisführung“ eine Eigenheit der Bremer Böttcherstraße gewesen ist, blieb offen.

Der Vortrag „Die Stuttgarter Weißenhofsiedlung und die Bebauung auf dem Kochenhof“ von THERES ROHDE (Weimar) lieferte in seinem Untertitel „Zu Akteuren, Agenturen und Mechanismen des Zeigens auf Bau-Ausstellungen“ die Anwendung sehr konkreter methodischer Begriffe für den Workshop. Rohde problematisierte zunächst den Begriff des Zeigens und die mit ihm einhergehenden Funktionen von Bau-Ausstellungen. Die Stuttgarter Weißenhofsiedlung von 1927 habe nach dem Akt des Zeigens, also der Ausstellung, zum Verkauf gestanden und habe sich alsbald als stadtplanerischer Fehler herausgestellt, indem immer häufiger Gebäudemängel – Störungen durch menschliche und nicht-menschliche Akteure – zutage traten. Das Bauen zum Zweck des Ausstellens, so Rohde, entspreche eben nicht dem Wohnungsbau, was im Vorfeld der Siedlungsplanung das gewinnende Argument der Initiatoren gewesen sei. Mit der 1933 eröffneten Kochenhofsiedlung in direkter Nachbarschaft hätten die Architekten des Werkbunds in eigener Konkurrenz gestanden. Rohde verwies auf zwei Hauptkonflikte. Während die Architekten das Publikum zum neuen Wohnen erziehen wollten, sei das Ziel dieser Bau-Ausstellung in erster Linie dennoch das Zeigen und Ausstellen selbst gewesen: Die Bauten und Bauweisen, Innenraumgestaltung und Baumaterialien der Weißenhofsiedlung standen im Mittelpunkt, nicht der Bewohner. Die Stadt hatte mit der Ausstellung eine ohnehin notwendige Stadterweiterung bezweckt, die nun unfreiwillig nachgeliefert werden musste.

Mit der Präsentation seines im Herbst in Zürich beginnenden Dissertationsprojekts stellte MARIO SCHULZE (Zürich/Leipzig) seinen diskursanalytischen Ansatz eines „offenen Codierens“ mit Hilfe der Grounded Theory vor. Sein Projekt zu „Ausstellungen des ,Lebens der Menschen‘ in britischen, deutschen und schweizerischen Museen im 20. Jahrhundert“ lieferte den größten und längsten Untersuchungszeitraum der im Workshop präsentierten Arbeiten und eröffnete zugleich die Perspektive auf mögliche Differenzen von Ausstellungsdiskursen innerhalb Westeuropas. Die methodisch angeleitete Wahl von „mission statements“ aus Ausstellungskatalogen und -broschüren als Grundlage für die geplante Untersuchung im Dreiländervergleich stand in einem großen Gegensatz zu der von den übrigen Vortragenden bevorzugten historisch-kritischen Methode.

Einen ebenfalls langen Zeitraum behandelten JUDITH SCHACHTMANN und VERENA SCHWARTZ (Berlin) mit ihrer Problematisierung von Ausstellungen, die menschliche Überreste präsentieren. Während archäologische Ausstellungen im frühen 20. Jahrhundert vorrangig die evolutionäre Entwicklung der Menschheit zu belegen gesucht hätten, sei der Schwerpunkt der Präsentation, so Schachtmann und Schwartz, in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts auf Bestattungsvorgänge und -riten sowie religiöse Kontexte gefallen. Besonders prägnant für die historische Besucherforschung ist die Beobachtung der Referentinnen, dass eine Unterscheidung von Original und Replik beziehungsweise Ergänzung von originalem organischem Material kaum eine Rolle spielte. Dass in der musealen Präsentation schließlich die Verfahren der wissenschaftlichen Archäologie durch die Wiedergabe von Fundsituationen Einzug gehalten habe, spiegele zugleich eine ethische Diskussion in der Öffentlichkeit wider, die sich mit den Grenzen von Inszenierungen befasse und eine erhöhte Sensibilität gegenüber der Präsentation menschlicher Überreste fordere.

Den letzten Workshoptag eröffnete ANNA-GESA LEUTHARD (Bielefeld) mit einem Beitrag zur „Sexualaufklärung im Deutschen Hygiene-Museum Dresden“. Anhand der Ausstellung „Gesunde Frau – Gesundes Volk“, die in den frühen 1930er-Jahren etwa 500.000 Besucher verzeichnete, erörterte Leuthard ihren geschlechtergeschichtlichen Zugang auf Wissenspopularisierung und Auffassungen von Gesundheitszusammenhängen. So sei im Kontext der Ausstellung Aufklärungsmaterial produziert und vertrieben worden, um das Bild der „gesunden Frau“ mit den dazugehörigen Verhaltensweisen in Bezug auf Körper und Haushalt zu verbreiten. Die Praktiken der Aufklärung wandelten dabei selbst, so Leuthard, die Geschlechterbilder. Entscheidende Grundlage dieser Aussage war der starke Bezug zur Besucherin: Führungen, Vorträge und Kurse, beispielsweise zur Säuglingspflege, richteten sich direkt an weibliche Besucher und arbeiteten mit ortsansässigen Vereinen zusammen, um Multiplikatorinnen für Aus- und Fortbildungskurse zu gewinnen. Das präsentierte Wissen auf den von Leuthard untersuchten Ausstellungen war ein medizinisches mit politischer Agenda, das völkische Geschlechterbilder propagierte und zugleich den Anspruch der Ausstellungsproduzenten auf ein Vermittlungsmonopol verdeutlichte.

CHRISTIAN SAMMER (Bielefeld) problematisierte in seinem Beitrag eine Gesundheitsausstellung in den 1950er-Jahren. Als Teil seines Dissertationsprojekts, das eine deutsch-deutsche Parallel- und Verflechtungsgeschichte nach 1945 untersucht, verglich er die Ausstellung „Erkenne dich selbst“ aus den 1950er-Jahren mit einer analogen Ausstellungseinheit aus den späten 1930er-Jahren. Beide waren vom Hygiene-Museum Dresden verantwortet. Der programmatische Titel der Ausstellung „Erkenne dich selbst“ verweist bereits auf ihren normativen Charakter.

Demonstrationsapparate wie in der „Halle der Selbsterkenntnis“ in der Ausstellung „Gesundes Leben – Frohes Schaffen“ seien, so Sammer, keine systemspezifischen Ausstellungselemente gewesen. Schautafeln, Prüfapparate und individuelle Messtabellen hätten jeden Besucher beim Ausstellungsbesuch begleitet und ihn zur physiologischen „Selbsterkenntnis“ an den jeweiligen Prüfapparaten anregen sollen. Weit über den Ort der Ausstellung hinaus hätten diese individuellen Messwerte in das Alltagsleben der Ausstellungsbesucher fortgewirkt, wenn diese der Aufforderung nachgingen und die Werte ihrem Hausarzt vorlegten.

Die abschließenden Beiträge rückten Ausstellungen in eine ethnologische Perspektive und führten zugleich über den vorhergehenden zeitlichen Schwerpunkt hinaus. Zunächst thematisierte STEFFEN MAYER (Berlin) „Fotografische Eroberungen des Unbekannten“ und eröffnete damit eine Methodendiskussion zur Beweiskraft und einem dokumentarischen Charakter von Fotografien. Mayer erläuterte die historische Entwicklung des Ausstellungsmediums „Fotografie“ im Zusammenhang mit der Disziplin der Ethnologie und ging dabei auf das fotografische Bild als „anderen Ort“ im Sinne Herta Wolfs ein, auf die Idee eines „Weltarchivs“, das die Fremde retten könne (Adolf Bastian) und auf Standardisierungsbestrebungen im Konflikt mit deutlichen Inszenierungserscheinungen. Der Moment der Aufnahme gleiche bereits der Musealisierung, da die spätere Nutzung bereits mitgedacht sei. Die aus dem Kontext entnommene Fotografie würde ins Museum transferiert und dort von Kuratoren ausgewählt und arrangiert. Mayer bezeichnete in diesem Zusammenhang den Kurator als „black box“ und verwies auf den Rückzug des Ausstellungsmachers in aktuellen Ausstellungen, wenn es um die Beantwortung von Fragen und die Schaffung von Wissen ginge. Seine These, aktuelle Ausstellungen konfrontierten den Besucher mit Fragen, um einen unsicheren Diskurs aufzuzeigen, wurde im Anschluss hieran heftig diskutiert und führte von der historischen Diskussion weit ab. Darüber hinaus regte der Vortrag jedoch zu einem weiteren Austausch hinsichtlich von Inszenierungen inhärenter Objektmerkmale und damit einhergehender Fälschungsmöglichkeiten an.

Zuletzt führte GIANENRICO BERNASCONI (Dietikon/Schweiz) den Untersuchungszeitraum ins 21. Jahrhundert fort und analysierte drei Ausstellungsvarianten derselben Sammlung zum Thema „Voudou“. Die seit den 1950er-Jahren im hawaiianischen Port-au-Prince lebende Schweizerin Marianne Lehmann erwarb die Sammlung im letzten Drittel des 20. Jahrhunderts. Bernasconi verglich in seinem Vortrag die letzten drei Ausstellungen der Lehmann’schen Sammlung: „Le voudou, un art de vivre“ (Musée d'ethnographie de Genève, 5.12.2007–31.8.2008), „Vodou, kunst en mystiek uit Haïti“ (Tropenmuseum Amsterdam, 31.10.2008–10.5.2009) und „Vodou, Kunst und Kultur aus Haiti“ (Ethnologisches Museum Berlin, 18.5.2010–24.10.2010). Unter Bezugnahme auf Ausstellungskataloge, Interviews, Zeitungsartikel und die umfangreiche fotografische Dokumentation der Ausstellungsräumlichkeiten veranschaulichte Bernasconi grundlegende Probleme ethnografischer Ausstellungen, welche Objekte aus ihren Ursprungszusammenhängen herauslösten, möglicherweise ästhetisierten und die Objekte dann wissenschaftlich positionieren müssten. Aus dem Vergleich kam Bernasconi zu dem Schluss, dass zu den Akteuren, die im Feld von Ausstellungen zu behandeln seien, die Ausstellungsarchitekten und -gestalter hinzutreten müssten. Ihre Motive und ihr Verhältnis sowohl zur ausstellenden Wissenschaft als auch zum betrachtenden Publikum würden äußerst selten problematisiert und selbst bei dieser zeitnahen Ausstellungsanalyse offenbare sich das Vorhandensein gewisser nicht-erschließbarer personeller Untersuchungsfaktoren.

Die Abschlussdiskussion führte noch einmal auf die Erfahrungen der anwesenden Ethnologen und Frühgeschichtsforschern zurück, deren aktuelle Vertrautheit mit Fach- und Laienpublikum die Diskussion maßgeblich beeinflussten. Insbesondere die Definition eines gültigen Wissensbegriffs im Zusammenhang von Ausstellungen musste im Hinblick auf die heterogenen Produzenten-, Konsumenten- und Rezipientensituationen auf individuelle Interpretationen verlegt werden.

Die unterschiedlichen thematischen Ausstellungen lassen, befragt auf ihre Publikumswirkung, andere Schlupflöcher für die Beantwortung aus historischer Perspektive offen: Gegenausstellungen mit größeren tatsächlichen Verkaufszahlen können Indizien geben wie im Falle der Architekturausstellungen, die von Theres Sophie Rode behandelt wurden; szenografische Analysen zeitnaher Ausstellungen wie die Voudou-Ausstellungen, die Gianenrico Bernasconi vorstellte, lassen andere Rückschlüsse zu als die rar gesäten überlieferten Fotografien der Objekt-, Tafel- und Präsentationsanordnungen beispielsweise geometrischer Modellsammlungen, wie von Anja Sattelmacher geschildert. Nicht-schriftliche Quellen dienen allerdings, soviel hat der Workshop eindrucksvoll demonstriert, der Öffnung der historischen Forschung in ein Feld, dessen Visualität und dessen Kommunikationsmittel weit über die Linearität klassischer schriftlicher Quellen hinausgehen.

Konferenzübersicht

Christian Vogel (Tübingen / Berlin): Einführung – Perspektiven und Fragen des Workshops

Thomas Steller (Bielefeld): Menschenökonomie und Gesundheitsausstellungen – Das Menschenbild Karl August Lingners und das Dresdner Hygiene-Museum

Justyna Turkowska (Marburg): Von Spekulation zur „Selbsthilfe“: mediale Wahrnehmung von Ausstellungen am Beispiel der Hygieneausstellungen in der Provinz Posen

Alrun Schmidtke (Berlin): Forschen, Lehren, Öffentlichmachen. Sammlungskultur und Ausstellungspraxis der Berliner Medizin zu Beginn des 20. Jahrhunderts

Anja Sattelmacher (Tübingen / Berlin): Ausgestellte Sammlungen – Zur Bedeutung von Ausstellungen geometrischer Modellsammlungen auf wissenschaftlichen Kongressen am Beispiel des III. Internationalen Mathematikerkongresses in Heidelberg 1904

Sabrina Schütze und Dirk Mahsarski (Bremen): Das Focke-Museum und die Väterkunde – Ein Werkstattbericht zur Genese und Präsentation archäologischer Sammlungen in Bremen in der Weimarer Republik und im Nationalsozialismus

Theres Sophie Rode (Weimar): Die Stuttgarter Weißenhofsiedlung und die Bebauung auf dem Kochenhof – Zu Akteuren, Agenturen und Mechanismen des Zeigens auf Bau-Ausstellungen

Mario Schulze (Zürich): Ausweitung der Museumszone. Die Ausstellung des „Lebens der Menschen“ in britischen, deutschen und schweizerischen Museen im 20. Jahrhundert

Judith Schachtmann und Verena Schwartz (Berlin): Die Präsentation menschlicher Überreste in vor- und frühgeschichtlichen Ausstellungen im 20. Jahrhundert. Fallbeispiele aus Sachsen und Berlin

Anna-Gesa Leuthard (Bielefeld): „Da werden Weiber zu Hygienen!“ Sexualaufklärung im DHMD, 1911-1990

Christian Sammer (Bielefeld): Das Geschäft mit der Gesundheit. Das Deutsche Gesundheitsmuseum auf der Messe „Richtig wirtschaften“ 1958 in Bochum

Steffen Mayer (Brüssel): Fotografische Eroberungen des Unbekannten – Praktiken des Ausstellens

Gianenrico Bernasconi (Dietikon/CH): Voudou ausstellen: Aktuelle Orientierungen der musealischen Ethnologie

Abschlussdiskussion

Kontakt

Christian Sammer
Institut für Wissenschafts- und Technikforschung; Universität Bielefeld
Postfach 100131; D-33501 Bielefeld
+49(0)521-106-4690
+49(0)521-106-6418
christian.sammer@uni-bielefeld.de

http://www.uni-bielefeld.de/iwt/ag/dhmd/
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