Zwischen Geschichte und Politik: Der Zweite Weltkrieg in Museen und Gedenkstätten im westlichen und östlichen Europa

Zwischen Geschichte und Politik: Der Zweite Weltkrieg in Museen und Gedenkstätten im westlichen und östlichen Europa

Organisatoren
Forschungsprojekt „Musealisierung der Erinnerung. Zweiter Weltkrieg und nationalsozialistische Besatzung in Museen, Gedenkstätten und Denkmälern im östlichen Europa"; Collegium Carolinum
Ort
München
Land
Deutschland
Vom - Bis
29.06.2011 - 01.07.2011
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Von
Mirjam Voerkelius, Ludwig-Maximilians-Universität München

Die Erinnerung an den Zweiten Weltkrieg unterliegt einem beständigen Wandel, der im Kontext politischer Entwicklungen zu sehen ist. Die Konferenz „Zwischen Geschichte und Politik: Der Zweite Weltkrieg in Museen und Gedenkstätten im westlichen und östlichen Europa“ fragte nach Gemeinsamkeiten und Unterschieden der Erinnerung in Ost und West, nach der prägenden Wirkung politischer Einschnitte und Interessen auf den Diskurs über diesen Krieg und inwiefern von einer Europäisierung der Erinnerung die Rede sein kann. Die besondere Aufmerksamkeit galt der Funktion von Museen und Gedenkstätten, identitätsstiftende Kriegsbilder zu generieren und Vergangenheitsdiskurse widerzuspiegeln. Die zweite Konferenz des internationalen Forschungsprojekts „Musealisierung der Erinnerung“ 1 wurde von Étienne François (Berlin), Włodzimierz Borodziej (Warschau), Ekaterina Keding (München), Ekaterina Makhotina (München) und Martin Schulze Wessel (München) konzipiert. Ihnen gelang es, neben Historiker/innen auch „Praktiker/innen“ der Gedenkstätten- und Museumsarbeit in München zu versammeln.

Die inhaltliche Debatte eröffnete ÉTIENNE FRANÇOIS (Berlin) mit einer tour d’horizon zu Entwicklungen der europäischen Erinnerungskultur. Zwar könne weder hinsichtlich der Gegenwart noch der unmittelbaren Nachkriegszeit von einer gemeinsamen europäischen Erinnerungskultur die Rede sein. Dennoch gebe es Bezüge, die primär auf den nationalen Rahmen als Entstehungszusammenhang zurückzuführen seien. Beispielsweise zeichne sich die Nachkriegszeit durch den Trend aus, den Tod der Opfer von Krieg und NS-Verbrechen als sinnhaft zu interpretieren. Der resultierende Helden- und Märtyrerkult habe einen wichtigen Beitrag geleistet, Nationen zu einen.

Dem Museum als Medium der Erinnerung, welches Einblicke in den Stand der Auseinandersetzung mit der Vergangenheit gewährt, ging INA MARKOVA (Wien) nach. Angesichts der langwierigen Entstehungsgeschichte des Wiener „Hauses der Geschichte“ schlussfolgerte sie, Österreich fehle ein gefestigtes Narrativ, welches die Mittäterthese aufgreife und das Viktimisierungsnarrativ ablöse. Weiter beschäftigte sich das Panel mit Ost- und Nordeuropa. Von den Entwicklungen in der Ukraine (WENDY LOWER, München) unterscheide sich der Fall der weißrussischen Provinz: Am Narrativ aus sowjetischen Zeiten wird zumindest in Stadt und oblast’ Vitebsk festgehalten, wie EKATERINA KEDING (München) unterstrich. Eine Erweiterung der Perspektive bot der Beitrag von JORUNN SEM FURE (Berlin/Oslo). Sie untersuchte mit der norwegischen und der deutschen zwei Erinnerungskulturen in Bezug auf ein Ereignis, die Okkupation Norwegens, und resümierte, den Narrativen der deutschen Ausstellungen zufolge habe es zwar eine Besatzung, nicht aber Okkupierte gegeben – und nach den norwegischen Expositionen eine „Besatzung ohne Besatzer“.

Die bereits von Keding thematisierten Provinzmuseen wurden mit Vorträgen zu Museen der Lokalforschung („kraevedenie“) in den russischen Regionen erneut aufgegriffen. Auf die Museen Kareliens ging EKATERINA MELNIKOVA (St. Petersburg) ein und konstatierte, dass hier aufgrund der regionalspezifischen Geschichte der „Große Vaterländische Krieg“ ausgespart bleibe. Die Bevölkerung sei erst angesiedelt worden, nachdem sich die Sowjetunion das Gebiet infolge des Kriegsausgangs einverleibt hatte. Die Spezifik von „kraevedenie“-Museen, Objekten tendenziell eine höhere Priorität als dem kohärenten Narrativ einräumen, arbeitete ZUZANNA BOGUMIŁ (Warschau) am Beispiel der Republik Komi heraus. Auch träfen etwa im Museum in Pečora lokale und nationale Erinnerungsdiskurse aufeinander und blieben unverbunden nebeneinander stehen. MONIKA HEINEMANN (München) wiederum untersuchte die innovativen Aspekte der 2010 in der ehemaligen Fabrik Oskar Schindlers eröffneten Ausstellung über Krakau während der NS-Besatzung. Beispielsweise werde das Alltagsleben in das Narrativ inkorporiert und neben Polen auch Juden als Protagonisten präsentiert, die somit als integraler Bestandteil der Bevölkerung Polens gewürdigt würden.

Das dritte Panel war Südosteuropa gewidmet. MARTIN JUNG (Jena) betonte, dass der Zweite Weltkrieg und insbesondere die Täterfrage in den Museen Rumäniens marginalisiert werde. Die von Jung angestoßene Frage nach dem internationalen Einfluss auf die Erinnerung an den Krieg und die Wirkmacht internationaler Erwartungen erwies sich in der weiteren Diskussion als fruchtbar.

Die pauschale Formulierung „internationale Erwartungen“ bedarf dabei weiterer Konkretisierung, der Befund selbst wurde jedoch überzeugend belegt. So zeigten REGINA FRITZ (Wien) am Beispiel Ungarns und KATALIN DEME (Aarhus) an dem der Slowakei, dass die angestrebte Westintegration Anreiz war, Geschichtsnarrative anzupassen. Ungarn verzichtete beispielsweise nach internationaler Kritik auf die geplante Neukonzipierung seines Beitrags zur Gedenkstätte in Auschwitz. Auch HANNAH MAISCHEIN (München) ging in ihrem Vortrag wiederholt auf das internationale Moment ein. Zu nennen wäre etwa das nationenübergreifende Interesse an Orten des Jüdischen und der Verbrechen an den Juden in Krakau, welches zur Revitalisierung dieser Orte ebenso beitrug wie die Arbeit von Filmemachern wie Steven Spielberg. Maischein konstatierte eine medialisierte Überformung der jüdischen Topografien der Stadt und brachte damit ein neues Element in die Diskussion ein.

Das anschließende Panel war geprägt von Berichten aus der Praxis. JÖRG MORRÉ (Berlin) stellte das Deutsch-Russische Museum in Berlin-Karlshorst vor und analysierte den Wandel des Ausstellungsnarratives seit der Gründung als sowjetisches Kapitulationsmuseum. Ähnlich wie in Berlin-Karlshorst ist es auch die Intention des Gdańsker Museums zum Zweiten Weltkrieg, nationale Narrative aufzubrechen. PIOTR MAJEWSKI (Warschau) stellte die Planungsarbeiten vor und beschrieb den Versuch ein Museum zu schaffen, welches eine lokale Perspektive anstrebt und zugleich den Weltkrieg in seiner gesamten Dimension beleuchten möchte.

CHRISTIAN GANZER (Kiev/Berlin) war der einzige Vortragende dieses Panels, der nicht selbst in einem Museum arbeitet. Kenntnisreich ging er auf den Kampf um die Brester Festung ein um dann die faktischen Fehler der Ausstellung im Museum der Festung aufzuzeigen und den Vorwurf der „Geschichtsklitterung“ zu erheben. Damit verdeutlichte sein Beitrag die Bedeutung der Forderung Étienne François’, die Offenheit der Frage „richtigen“ Erinnerns zu akzeptieren. Für Ganzers Vortrag hatte der normative Ansatz zur Folge, dass einige spannende Fragen nicht adressiert wurden. Es wäre interessant gewesen zu erfahren, warum die von ihm aufgezählten Symbole für die Ausstellung so wichtig sind und worin ihre emotionale Kraft liegt. Auch wäre es fruchtbar gewesen, zu analysieren, weshalb an überholten Narrativen festgehalten wird oder zu überlegen, inwiefern der von Ganzer angeprangerte Heldenkult möglicherweise mit einem Bedürfnis in der Bevölkerung nach genau diesem Narrativ korrespondiert.

Das besondere Interesse des siebten Panels galt den KZ-Gedenkstätten. BARBARA DISTEL gewährte Einblicke in den steinigen Weg hin zur Errichtung der mittlerweile etablierten Dachauer Gedenkstätte. Aus Geldmangel schließen musste kürzlich hingegen jene in Sobibór. SABRINA LAUSEN (Paderborn) legte die Schichten der Erinnerung an diesem Ort frei und untersuchte neben Spuren einer globalisierten Erinnerungskultur die Konflikte um die Deutung des Ortes und die Konkurrenz der Opfergruppen. Dies war auch zentral für ULRIKE LUNOWS (München) Analyse der Gedenkstätte Theresienstadt. Spannend war ihr genauer Blick auf Akteure, wobei Lunow unter anderem auf die Gedenkstättenmitarbeiter und den tschechoslowakischen Opferverband einging, welche die Gedenkpraktiken maßgeblich prägten. Damit unterstrich sie, dass Gedenken im Staatssozialismus keine rein staatliche Veranstaltung war.

Auf das Gedenken an die „verbrannten Dörfer“ konzentrierte sich das letzte Panel mit Beiträgen zu Litauen (EKATERINA MAKHOTINA, München), Tschechien (PETR KOURA, Prag) und Frankreich (ANDREA ERKENBRECHER, München/Strassbourg). Die einende Funktion von Gedenkstätten thematisierte Erkenbrecher, wenngleich dies im Fall Oradour-sur-Glanes nicht von Dauer war. Denn die nationale Einheit im Gedenken an die Opfer zerbrach, als bekannt wurde, dass auch elsässische Mitglieder der SS an dem Verbrechen beteiligt waren – und vom französischen Staat amnestiert wurden. Seit den 1980er-Jahren loderten neue Konflikte auf, zwischen Historikern und der Opfergemeinschaft. Während die Zäsuren des französischen Fallbeispiels damit eher spezifisch sind, analysierten die Vorträge zu Litauen und Tschechien den Wandel der Gedenkpraktiken im Kontext der Ereignisse um 1989/1990. Wie Makhotina deutlich machte war Pirčiupis wichtigster Erinnerungsort der Litauischen Sowjetrepublik und hochgradig politisiert, geriet nach 1990 jedoch in Vergessenheit. Die Aufmerksamkeit verlagerte sich auf die Verbrechen des Stalinismus und Pirčiupis wird mit der sowjetischen Zeit assoziiert. Anders der Fall Lidice, wo laut Koura primär ein Einschnitt in der Darstellung des Dorfes zu beobachten ist, deren Bewohner nun als Opfer statt als Helden dargestellt werden.

Insgesamt gelang es der Tagung, die Vielfalt der Erinnerung an den Zweiten Weltkrieg im östlichen und westlichen Europa und darüber hinaus zu beleuchten und dabei das Museum in seiner Funktion als Indikator für Tendenzen der Erinnerungskultur sowie als Kriegsbilder generierendes Medium zu reflektieren. Es erwies sich als fruchtbar, dass Teilnehmer/innen mit vielfältigem Hintergrund versammelt waren: Die Mitarbeiter/innen von Museen und Gedenkstätten gestatteten wiederholt Einblicke hinter die Kulissen und lenkten die Diskussion auf Strategien der Musealisierung. Das Augenmerk der anwesenden Historiker/innen galt demgegenüber stärker der Analyse des Wandels der Narrative und der Kontextualisierung der Bilder des Krieges. Ferner muss die Internationalität der Konferenz positiv hervorgehoben werden. So kamen die Teilnehmer/innen aus einer Vielzahl europäischer Länder und der Fokus galt nicht allein einer Region, wenngleich Osteuropa eindeutig den Schwerpunkt bildete. Anregend war schließlich, dass die Bandbreite der Beiträge das Erinnern in seiner lokalen und regionalen Ausprägung wie auch in seiner internationalen Dimension umfasste. Nur so konnte differenziert diskutiert werden, was diese Geschichtsregionen in der Musealisierung der Erinnerung an den Zweiten Weltkrieg in Vergangenheit und Gegenwart trennt(e) und verband beziehungsweise verbindet.

Konferenzübersicht:

Eröffnung
Begrüßung: Martin Schulze Wessel (München)

Étienne François (Berlin): Der Zweite Weltkrieg als gemeinsamer europäischer Erinnerungsort?

Thomas Thiemeyer (Tübingen): Politik des Zeigens. Das Museum als Medium der Erinnerung

Panel 1: Heroisierung, Viktimisierung, Umgang mit (eigenen) Tätern: Die Rolle von Museen bei der Herausbildung von Kriegserinnerungen

Jorunn Sem Fure (Oslo): Besatzungsgeschichte ohne Besatzer und Besetzte? Die Darstellung der Besatzung Norwegens in norwegischen und deutschen historischen Ausstellungen

Ekaterina Keding (München): Die Darstellung der deutschen Besatzung, des Partisanenwiderstands und der Kollaboration in der belarussischen Provinz

Wendy Lower (München): WWII Memory Culture in Ukraine: Regional Variations of Villains, Heroes and Martyrs

Ina Markova (Wien): „Glücklich ist, wer vergisst...“ Geschichtspolitische Rahmenbedingungen des Erinnerns und Vergessens des Zweiten Weltkriegs am Beispiel der Wiener Museumslandschaft

Panel 2: Die Musealisierung des Zweiten Weltkriegs im Spannungsfeld staatlicher, lokaler und individueller Erinnerungsdiskurse

Zuzanna Bogumił (Warschau): WWII on Display in the Museums of Local Lore in the Komi Republic Ekaterina Melnikova (St. Petersburg): The Visualization of WWII in Local Contexts (Karelian Local Museums)

Monika Heinemann (München): The Museum in the Former Enamel Factory of Oskar Schindler – The New Permanent Exhibition in the Context of the Musealization of the Second World War Since 1990

Panel 3: Von „fremder“ und „eigener“ Erinnerung: Gegenwärtige Geschichtspolitik und alternative Erinnerungsdiskurse in Südosteuropa

Mira Jovanović-Ratković (Zürich): Das kroatische KZ Jasenovac und die serbische Erinnerung 70 Jahre danach

Martin Jung (Jena): Kein besonderes Ereignis? Prämissen und Praxen musealer Darstellungen der Zeit des Zweiten Weltkriegs in Rumänien nach 1989

Panel 4: Die Erinnerung an den Holocaust als Herausforderung für nationale Meistererzählungen im westlichen Europa und den USA

Katrin Pieper (Berlin): Museen als Indikatoren und Generatoren der Erinnerung an den Holocaust in Deutschland und den USA

Regina Fritz (Wien): Ungarische Holocaust-Ausstellungen im innen- und außenpolitischen Spannungsfeld

Panel 5: Exklusion oder Integration: Die Darstellung des Holocaust in Museen in Ostmitteleuropa

Katalin Deme (Aarhus): Der Umgang mit dem Holocaust in den jüdischen Museen in Prag, Bratislava und Budapest zwischen 1994 und 2010

Hannah Maischein (München): Das Museum „Apotheke zum Adler“ im ehemaligen Krakauer Ghetto – Zwischen dem historischen Ort polnischer Augenzeugenschaft und der Medialisierung „jüdischer“ Erinnerung

Panel 6: Differenzen und Analogien in der Präsentation des Krieges in Museen im westlichen und östlichen Europa

Jörg Morré (Berlin): Der Weg zum Sieg – direkt oder mit Umweg. Konzeptionen des Museums in Berlin-Karlshorst

Christian Ganzer (Kiew / Berlin): Geschichte und Gegenwart der Brester Festung: Heldenkult und Geschichtsklitterung im Museum

Piotr Majewski (Warschau): Das Museum des Zweiten Weltkriegs in Danzig: vom Grundkonzept zur Gestaltung der Dauerausstellung

Jane Redlin (Berlin): Der Tod war nicht für alle gleich. Konzeptionelle Zugänge und Präsentationsformen von NS-Herrschaft und Krieg in der Ausstellung „Die Stunde Null. ÜberLeben – Umbruchzeiten 1945“

Panel 7: Lehrstätte oder Trauerort? Formen der Visualisierung des Zweiten Weltkrieges in KZ- Gedenkstätten

Sabrina Lausen (Paderborn): Die Gedenkstätte Sobibor im Spannungsfeld zwischen polnischer und europäischer Erinnerungskultur

Ulrike Lunow (München): Theresienstadt: Kodifizierung und Wandel von Gedenkritualen und Ausstellungspraxen

Barbara Distel (Dachau): Der Kampf um die Erinnerung am Beispiel des Konzentrationslagers Dachau

Panel 8: Semantiken der Kriegsdarstellung in den Gedenkstätten zur Erinnerung an verbrannte Dörfer

Ekaterina Makhotina (München): „Abgebaute Erinnerung“: Der Wandel des Kriegsgedenkens in Litauen am Beispiel der Gedenkstätte Pirčiupis

Andrea Erkenbrecher (München / Strassbourg): Vom village martyr zum Centre de la memoire: Akteure, Narrative und Musealisierung im französischen „Märtyrerdorf“ Oradour-sur-Glane

Petr Koura (Prag): Die Visualisierung der Vernichtung. Das Dorf Lidice als tschechischer Erinnerungsort

Abschlussdiskussion
Moderation: Martin Schulze Wessel (München)

Anmerkung:
1 Siehe der Sammelband zur ersten Konferenz: Monika Heinemann u.a. (Hrsg.): Medien zwischen Fiction-Making und Realitätsanspruch – Konstruktionen historischer Erinnerungen, München 2011.


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