Innere und äußere Mission: zwei Seiten ein- und derselben Medaille? Ein konfessioneller Vergleich

Innere und äußere Mission: zwei Seiten ein- und derselben Medaille? Ein konfessioneller Vergleich

Organisatoren
Nicole Priesching, Lehrstuhl für Kirchengeschichte und Religionsgeschichte, Institut für Katholische Theologie, Fakultät für Kulturwissenschaften, Universität Paderborn; Andreas Henkelmann, Lehrstuhl für Kirchengeschichte II, Kath-Theol. Fak., Ruhr-Universität Bochum; In Kooperation mit der Katholischen Akademie Schwerte des Erzbistums Paderborn
Ort
Schwerte
Land
Deutschland
Vom - Bis
11.11.2011 - 13.11.2011
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Von
Andreas Henkelmann, Lehrstuhl für Kirchengeschichte II, Kath-Theol. Fak., Ruhr-Universität Bochum; Nicole Priesching, Lehrstuhl für Kirchengeschichte und Religionsgeschichte, Institut für Katholische Theologie, Fakultät für Kulturwissenschaften, Universität Paderborn

Zur 25. Jahrestagung des Schwerter Arbeitskreises Katholizismusforschung (SAK) versammelten sich vom 11. bis 13. November rund 40 Historiker und Theologen aus Deutschland, Österreich, Luxemburg und der Schweiz. Geleitet wurde die Tagung von Nicole Priesching (Paderborn) und Andreas Henkelmann (Bochum) in Kooperation mit der Katholischen Akademie Schwerte des Erzbistums Paderborn. Die Generaldebatte setzte sich in diesem Jahr mit dem Thema „Innere und äußere Mission: zwei Seiten ein- und derselben Medaille? Ein konfessioneller Vergleich“ auseinander.

Den Auftakt am Freitag machten zwei Vorträge zum Katholizismus während der Kulturkampfzeit. MARKUS RAASCH (Eichstätt) fokussierte in seinem Beitrag einen Teilaspekt seines Habilitationsprojektes: Gegenstand der Betrachtung war der in der Zentrumspartei der Bismarckzeit aktive Adel. Auf der Folie der Bourdieuschen Feldtheorie und mit Blick auf umfangreiches Nachlass- und Zeitungsmaterial wurde eine Annäherung an die Frage versucht, wie sich der hohe Adelsanteil im politischen Katholizismus erklären lässt. Mehrere interdependente Gründe konnten festgemacht werden, unter anderem eine trotz signifikanter Unterschiede relativ große ökonomische Potenz und ein hohes soziales Kapital. In Konsequenz einer von Standesrücksichten und Frömmigkeitsvorstellungen geprägten Sozialisation war der Zentrumsadel zudem kirchen- und papsttreu. Auf der Wahrnehmungsebene wurde ihm in der Selbstkonstruktion als lokal verwurzelter, antiintellektueller und zugleich weltläufiger sowie glaubensstarker Kandidat große Authentizität attestiert.

ANDREAS GAYDA (Vechta) thematisierte den Kulturkampf und katholische Milieubildung in den urbanen Zentren des Oberschlesischen Industriegebietes. Diese Zentren weisen hinsichtlich Verlauf, Konfliktdichte und Auswirkungen des Kulturkampfes ein eigenständiges Profil auf. Aufgrund der Quellenlage und der Konfliktstruktur ergeben sich als Schwerpunktfelder der Untersuchung die Bereiche der Pfarrseelsorge, der Schulen, der Klöster und des Vereinswesens. Als generelle Erkenntnis lässt sich festhalten, dass im Kontext eines sozioökonomischen Transformationsprozesses ein regionalspezifisches Bedürfnis nach Aufrechterhaltung von Individualität und Flexibilität in der Lebensgestaltung dominierte, wobei Religion als Orientierungsfaktor und soziale Bindekraft einen Gegenpol zur vielgestaltigen Entfremdungssituation in einer Industriegesellschaft darstellte. Die Konfliktverläufe in den jeweiligen Zentren des Oberschlesischen Industriegebiets bildeten ein individuelles Profil abhängig vom jeweiligen Urbanisierungsgrad, der spezifischen gesellschaftlichen Relevanz des Katholizismus und dem Aktions- und Persönlichkeitsprofil der Kleriker vor Ort.

Der Samstag begann mit einen Referat von TANJA MULLER (Trier) zum katholischen Antisemitismus in Luxemburg im 19. Jahrhundert. Die Historikerin hob hervor, dass das Thema von der einheimischen Geschichtsforschung bisher tabuisiert wurde. Ausschlaggebend hierfür sei, dass Luxemburg ein rein katholisch geprägtes Land ist, in dem die katholische Kirche eine nicht zu unterschätzende Rolle spielt und ein nicht unwesentlicher Teil der Historiker aus dem direkten kirchlichen Umfeld stammt, oder zumindest ideologisch eng mit ihr verbunden ist. Allein die im Zeitraum von 1848 bis 1882 von der katholischen Tageszeitung Luxemburger Wort verfassten 2000 antisemitischen Artikel deuten allerdings schon auf eine hohe Relevanz des Themas hin. Die von Geistlichen redigierte Zeitung vertrat seit ihrer Gründung im Jahr 1848 einen äußerst aggressiven Antijudaismus und Antisemitismus, der von den ebenfalls antisemitischen Hirtenbriefen der Bischöfe Johannes Theodor Laurent und Nikolaus Adames zusätzlich unterstützt wurde. Auffallend bei der Zeitung ist die zunehmende Konzentration auf die Juden in Deutschland und Österreich, was wohl auch dadurch bedingt war, dass die geringe Zahl von 500 einheimischen Juden (1870) nicht genügend Angriffsfläche bot. Die Artikel führten zu einigen Presseprozessen und Verurteilungen der Zeitung, was diese aber nicht davon abhielt, ihre Hetzkampagne bis in das Jahr 1940 intensiv weiterzuführen.

Es folgte ein Referat von KNUT-MARTIN STÜNKEL (Bochum) zu „Kirche und Wirklichkeit bei Ernst Michel (1889–1964)“. Ernst Michels intensive, aber heutzutage weitgehend resonanzfreie Tätigkeit als Laientheologe kreiste um das Verhältnis von Kirche und Wirklichkeit. Wenzel betonte, dass Michel methodisch ein grundsätzlich dialogisches Denken in der Nachfolge Martin Bubers und des Kreises um die Zeitschrift ‚Die Kreatur‘ vertrat. Sein Leitbegriff hierbei ist die ‚Verantwortung‘ als praktische Tugend der fundamentalen ontologischen Struktur der Antwort. Lebendige Kirche existierte für ihn nur in der permanenten Infragestellung durch Anrede und Anspruch mit der hieraus resultierenden Nötigung zu einer existenziell verbindlichen Antwort, die nicht als einheitlich-allgemeiner Satz, sondern nur in der ‚Sprachenfülle‘ glaubwürdig wirklich werden kann. Theologisch notwendig ist Weltzugewandtheit, die sich in der Arbeit an, für und in einer Öffentlichkeit praktisch äußert. In diesem ungesicherten, öffentlichen und öffnenden Gespräch manifestiert sich Weite und Offenheit der wirklichen katholischen Kirche. Katholizismus besteht somit für Michel im Ermöglichen, Vorbereiten und Aushalten dieses öffentlichen Dialoges in der Polyphonie der Stimmen.

KIRSTEN OBOTH (Bochum) skizzierte im Anschluss Transformationsprozesse der Kongregation der Schwestern vom Guten Hirten zwischen Nachkriegs- und Nachkonzilszeit. Die im Jahre 1835 gegründete Ordensgemeinschaft hatte ihr Apostolat ursprünglich im Bereich der Sorge um ‚gefallene Mädchen‘ verortet, wobei die Rettung der Seele im Mittelpunkt stand. Diese Perspektive ging einher mit einem monastisch geprägten Lebensstil. Im Zentrum des Vortrags standen die in den 1960-er Jahren einsetzenden Umbruchprozesse. Das Zweite Vatikanische Konzil leitete gravierende Reformprozesse ein, durch die sich die Kongregation verstärkt ‚in der Welt‘ verortete. Neben der sukzessiven Aufhebung monastischer Elemente verschob sich der Schwerpunkt im Apostolat auf die Ziele ‚soziale Gerechtigkeit‘ und ‚Wahrung der Menschenwürde‘. Hilfestellungen für notleidende Menschen sowie die Reform ungerechter gesellschaftlicher Strukturen rückten als Konsequenz in den Vordergrund.

Anschließend stellte SIMON OELGEMÖLLER (Mainz) sein Dissertationsvorhaben „Karl Forster (1928–1981) und der Katholizismus in der politischen Kultur der Bundesrepublik Deutschland“ vor. Die Schwerpunkte dieses Projektes liegen auf Forsters Tätigkeit als Gründungsdirektor der „Katholischen Akademie in Bayern“ 1957–1967 und als Sekretär der Deutschen Bischofskonferenz 1967–1971. In dieser Funktion war er zugleich Sekretär der Würzburger Synode bis 1971 und mit deren Vorbereitung beauftragt. Der Vortrag konzentrierte sich auf Forsters frühe Phase als Akademiedirektor und zeigte, wie er an der Schnittstelle zwischen Kirche und Gesellschaft die Transformation des Katholizismus in den langen sechziger Jahren mit prägte und förderte. Der dialogisch ausgerichtete Katholizismus fand sowohl in der Konzeption der Akademie als auch bei den besonders politisch akzentuierten Tagungen seine Realisierung. Entgegen einer exponierten Ghettostellung des Katholizismus nahm Forster das Gespräch mit allen politischen Kräften der Bundesrepublik auf. Oelgemöllers Auffassung nach avancierte Forster bereits vor dem Zweiten Vatikanischen Konzil zum wichtigen Multiplikator des katholischen Transformationsprozesses, indem er Schritte aufzeigte, wie sich Kirche über die Anerkennung demokratischer Grundwerte in der pluralen Gesellschaft der Bundesrepublik einbringen konnte.

RICHARD HÖLZL (Göttingen) stellte die historische Entstehung von Empathie über große geografische und kulturelle Distanz in den Mittelpunkt seines Vortrags. Ausgehend von katholischen Missionspublikationen, wie Kinderzeitschriften oder -kalender und Abenteuererzählungen, versuchte er die Techniken zu rekonstruieren, mithilfe derer die katholische Mission nach 1900 in Europa Mitgefühl mit "leidenden Anderen" in den Missionsgebieten außerhalb Europas produzieren wollte. Hölzl untersuchte den Wandel von Erzähl- und Abbildungsweisen, die neben dem Missionar oder der Missionarin zunehmend die Neukonvertierten und die "Heidenkinder" in den Mittelpunkt der identifikatorischen Prozesse stellten. Die Mission setzte, so die These, neben einem 'cultural othering' auf Prozesse der imaginierten Identifikation.

Im Anschluss an die Vorträge bot sich die Gelegenheit, mit dem Missionar und Kirchenhistoriker P. PATRICE NYANDA CSSR (Rom / Burkina Faso) ins Gespräch zu kommen. Anschaulich und äußerst reflektiert beantworte er die Fragen des Plenums zur Entstehung der Mission in Burkina Faso zu Beginn des 20. Jahrhunderts und ihrer Entwicklung bis heute.

Am Sonntagvormittag fand die Generaldebatte zum Verhältnis von innerer und äußerer Mission statt. JOACHIM SCHMIEDL (Vallendar) skizzierte die Geschichte der katholischen Mission mit Blick auf Deutschland in neun Etappen. Seit der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts war Mission ein Megathema der Katholiken. Der eigentliche Aufschwung setzte aber am Ende des Kulturkampfes mit den deutschen Kolonien ein. Nun entstand auch eine regelrechte Missionsindustrie mit Zeitschriften und einer Vielzahl von weiteren Publikationen. Auch der Beginn der Missionswissenschaft datiert in diese Zeit. Nach 1918 löste sich die Mission von den europäischen Großmächten ab. Der Missionar wurde zunehmend Entwicklungshelfer. In den Jahren vor den II. Vaticanum entwickelte sich ein neues Missionskonzept, in dem es darum ging, den einheimischen Klerus für das weitere Wirken vorzubereiten. Auf dem Konzil wurde das Missionsverständnis auf die globalisierte Situation hin angepasst. Die Nachkriegszeit sorgte außerdem für den Aufbau pastoraler Strukturen in den Missionsgebieten, was nicht ohne Konkurrenz ablief. Partnerschaften mit ausländischen Bistümern entstanden. Die Würzburger Synode brachte einen Umschwung zur Inneren Mission und zu einer Einheit von Glaubensweitergabe und menschlich-gesellschaftlicher Entwicklung mit Akzentsetzung auf die deutschen Verhältnisse. Im Moment sei wieder eine neue Konjunktur für das Thema Mission in der Pastoral zu beobachten.

DAVID LUGINBÜHL (Fribourg / Schweiz) stellte die Entwicklung sowohl der evangelischen als auch der katholischen Mission in der Schweiz für die erste Hälfte des 19. Jahrhunderts vor. In beiden Konfessionen sei zu beobachten, wie Rechristianisierung und Mission als Antwort auf Säkularisierungsprozesse dienten. Diese Impulse seien primär von der Basis teils gegen Widerstände der Landeskirche oder des Episkopats ausgegangen. Zwischen einer inneren Mission (Rechristianisierung) und einer äußeren Mission (Bekehrung Andersgläubiger) habe es vielfache institutionelle und diskursive Überlagerungen gegeben. In der Missionsberichterstattung fällt auf, wie wichtig die Funktion der Religion als innere “Zivilisierungsmission“ zur Aufrechterhaltung von Kultur, Sitte und Moral erachtet wurde.

Einen Überblick über die Geschichte der evangelischen Mission in Deutschland gab NORBERT FRIEDRICH (Düsseldorf-Kaiserswerth). Wie auch Joachim Schmiedl bemerkte Friedrich, dass das Interesse an der Mission in den letzten Jahren wieder erwacht sei. Anschließend legte er dar, wie die klassische Unterscheidung zwischen innerer und äußerer Mission als ein Konstrukt aus der Mitte des 19. Jahrhunderts entstanden war. Die beiden Ströme seien dann in den einzelnen Organisationen unterschiedlich eng verflochten gewesen. Der Ausbau und das Wachstum der Einrichtungen der Inneren Mission beruhten dann auf der sozial- und wohlfahrtsstaatlichen Politik im Kaiserreich und in der Weimarer Republik – damit gerieten ursprüngliche Zielsetzungen der Arbeit stärker aus dem Blickfeld. Mit dem Verschwinden des Namens Innere Mission nach der Vereinigung des Centralausschusses für Innere Mission und des Hilfswerkes 1957/1975 trat der missionarische Impuls dann auch in der öffentlichen Wahrnehmung zurück. Seit etwa fünf Jahren ist eine Vereinheitlichung von Organisationen von innerer und äußerer Mission festzustellen.

In der anschließenden Debatte wurde zunächst auf den Missionsbegriff (eng oder weit gefasst) eingegangen und von Begriffen wie Evangelisierung abgegrenzt. Diskutiert wurde die Rolle der Mission für das jeweilige konfessionelle Selbstverständnis. Dabei stand die These zur Debatte, ob Mission auf protestantischer Seite die Rolle hatte, welche im Katholizismus der Ausbildung des katholischen Milieus zukam. Dies führte zur Frage, ob Mission neben ihrem Beitrag zur Konfessionalisierungstendenzen im 19./20. Jahrhundert auch einen Beitrag zur ökumenischen Zusammenarbeit geleistet hat. Weiter wurde über Differenzierungen nach Regionen und Zuständigkeiten nachgedacht. Während für den Protestantismus besonders auf regionale Ausprägungen zu achten ist, fällt im Katholizismus die weltkirchliche Spannung zwischen der Bischofskirche und den Orden ins Gewicht. Schließlich führte die Diskussion zur Bedeutung von Mission im Hinblick auf Phänomene wie Emanzipation und Disziplinierung. Die nächste Tagung des Schwerter Arbeitskreises findet vom 9. bis 11.11.2011 statt.

Konferenzübersicht:

Markus Raasch (Eichstätt): Der Adel auf dem Feld der Politik. Das Beispiel des politischen Katholizismus in der Bismarckära (1871–1890)

Andreas Gayda (Vechta): Kulturkampf und Milieubildung in den urbanen Zentren des Oberschlesischen Industriegebietes

Tanja Muller (Trier): "Nichts gegen die Juden als solche...". Katholischer Antisemitismus in Luxemburg im 19. Jahrhundert

Knut-Martin Stünkel (Bochum): Jenseits von Paulus und Johannes – Kirche und Wirklichkeit bei Ernst Michel

Kirsten Oboth (Bochum): Zwischen Seelenrettung und der Frage nach sozialer Gerechtigkeit. Transformationsprozesse der Schwestern vom Guten Hirten zwischen 1945 und 1985.

Simon Oelgemöller (Mainz): Katholizismus im Dialog – Karl Forster (1928–1981) und der Katholizismus in der politischen Kultur der Bundesrepublik

Richard Hölzl (Göttingen): 'Euntes in mundumuniversum'. Katholische Mission und die Herstellung von Mitleid über große Distanz, 1900–1940

Diskussion mit dem Missionar und Kirchenhistoriker P. Patrice Nyanda CSSR (Rom / Burkina Faso), Übersetzung: Daniel Steinke (Paderborn)

Joachim Schmiedl (Vallendar): Thesen zur Mission als Grundthema der katholischen Kirche Deutschlands im 19. und 20. Jahrhundert

David Luginbühl (Fribourg / Schweiz): Innere und äußere Mission am Beispiel der Schweiz

Norbert Friedrich (Düsseldorf-Kaiserswerth): Innere und äußere Mission – eine protestantische Perspektive


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