Kriegsbegründungen in der Geschichte

Kriegsbegründungen in der Geschichte

Organisatoren
Institut Frieden und Demokratie der FernUniversität Hagen Inhaltliche Gestaltung und Organisation: Manuela Sissakis und Annette Fath-Lihic
Ort
Berlin
Land
Deutschland
Vom - Bis
30.01.2004 - 31.01.2004
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Von
Manuela Sissakis, FernUniversität Hagen

Tagungsbericht: Kriegsbegründungen in der Geschichte. Strategien der Legitimierung und Legalisierung militärischer Gewalt. Deutscher Bundestag 30./ 31. Januar 04.
Veranstalter: Institut Frieden und Demokratie der FernUniversität Hagen
Inhaltliche Gestaltung und Organisation: Manuela Sissakis und Annette Fath-Lihic
Gefördert von: Hans-Böckler-Stiftung und Deutsche Stiftung Friedensforschung

Rahmen der Veranstaltung
Im Reichstagsgebäude haben sich Geisteswissenschaftler zu einer öffentlichen Konferenz zusammengefunden, die eine Brücke zwischen politischer und fachwissenschaftlicher Diskussion schlagen sollte. Als Schirmherrin ermöglichte die Vizepräsidentin des Bundestages, Frau Dr. Susanne Kastner, dass an jenem Ort über Kriegsbegründungen diskutiert werden konnte, an dem über Krieg tatsächlich auch entschieden wird. Vor ca. 120 Konferenzteilnehmern wurden elf Vorträge gehalten. Die Veranstaltung schloss mit einer Podiumsdiskussion.

Leitthesen der Konferenz
Was haben Konzepte wie 'Nationale Sicherheit' oder 'Humanitäre Intervention', was hat der 'Krieg gegen den Terrorismus' zu tun mit den Katastrophen der Vergangenheit – mit den Kreuzzügen des Mittelalters, dem Gemetzel des Dreißigjährigen Krieges, mit den Preußischen Angriffskriegen, mit dem ersten und dem zweiten Weltkrieg? Mehr als uns lieb ist, sofern wir die zeitgenössischen Kriegsbegründungen betrachten. Jeder Waffengang in der Geschichte wurde von einer Schlacht um die Deutung des Geschehens begleitet. Im Spannungsfeld von Legitimität, Legalität und Handlungsmacht streiten die Gegner um Worte und Symbole, die ihre Handlungen gerecht oder ungerecht, rechtmäßig oder gesetzeswidrig, gottgefällig oder gottlos, notwendig oder willkürlich, menschenfreundlich oder –verächtlich erscheinen lassen. Sie sind affektiv aufgeladen, sollen die Menschen leidens- oder kampfbereit stimmen. Kriegsbegründungen gehen aber über den Effekt der Propaganda hinaus. Der militärische Sieg wird am Ende auch vom semantischen Sieg gekrönt. Der Erfolgsfall wird zum Präzedenzfall im Wertesystem. Er prägt Gestalt und Normhorizont der nachfolgenden Kriege.

Fragen an die Geschichte
Mit dem Ziel, die Eigenlogik und normative Prägekraft der Kriegsbegründungen offen zu legen und so künftiger Kriegsbegeisterung entgegenzuwirken, stellten HistorikerInnen die Fragen: Wie wurde im konkreten Einzelfall die Anwendung der Waffengewalt begründet? Wem gegenüber wurde der Krieg begründet? Welche sprachlichen und ästhetisierenden Verharmlosungen der Kriegsrealität kamen zum Tragen? Und schließlich: Wie beeinflusste das jeweilige Kriegslogo den künftigen Berechtigungsdiskurs. Wie beeinflussen wir die Gestalt künftiger Kriege durch Begründungen gegenwärtiger ‚Militäreinsätze’?

Vorträge
Gerechter Krieg und Christentum: Krieg in Spätantike und Mittelalter
Prof. Dr. Raimund Schulz (TU Berlin) stellte die Frage, wie die Christen der Antike vom Tötungsverbot hin zum christlichen Kriegswesen fanden. In seinem Vortrag 'Augustinus’ Vorstellungen vom Gerechten Krieg' beschrieb er die Mischung von römisch-antiken und (früh)christlichen Elementen. In der Idee des 'regelgerechten' Krieges - etwa durch die Einhaltung sakralrechtlicher Formalien bei der Kriegserklärung - wurde von christlichen Denkern moralische Aspekt besonders betont: aus guter Absicht für eine gute Sache zu kämpfen. Die widersprüchliche Doppelbedeutung von gerecht und rechtmäßig hing dem Begriff 'bellum iustum' jedoch von Anbeginn an. Prof. Dr. Hans-Henning Kortüm (Universität Regensburg) stellte in seinem Vortrag 'Westliche Gotteskrieger unterwegs im Osten. Abendländische Legitimationsstrategien militärischer Gewalt im Zeitalter der Kreuzzüge' die Anwendbarkeit dieser Konstrukte vor. Der deutliche Kontrast zwischen Kriegslogo (die bewaffnete Pilgerfahrt zur Befreiung der Christen im Heiligen Land) und Gewaltrealität (Judenprogrome, Massaker in Jerusalem an der christlichen und muslimischen Stadtbevölkerung) war aber nicht der Grund, warum die Begeisterung schon mit dem 2. Kreuzzug nachließ. Zu hoher eigener Einsatz der Kreuzfahrer, so Kortüm, habe dazu geführt, dass das Kriegsdesign 'Kreuzzug' bereitwillig nur noch für näher liegende politische und wirtschaftliche Ziele eingesetzt wurden. Überdauert hat aber die Vorstellung, aus göttlichem Auftrag zu handeln. Überdauert hat auch das Feindbild der Kreuzzüge, die Wahrnehmung des Gegners als das Gegenteil eigener Identität.

Gottgefällig und Rechtmäßig: Krieg in der Frühen Neuzeit
Prof. Dr. Esther-Beate Körber (FU Berlin) konnte in ihrem Vortrag 'Krieg um Gottes willen? Kriegsbegründungen im 30jährigen Krieg' zeigen, dass sich die Deutung des Dreißigjährigen Krieges als Religionskrieg zwar durchgesetzt hat, der behauptete Kampf um die religiöse Wahrheit aber zeitgenössisch nur eine Kriegsbegründung neben anderen darstellte. Die 'fundamentalistische' Position, Krieg aus göttlichem Auftrag zu führen, war sogar in den Flugschriften am schwächsten vertreten. Es herrschten reichsrechtliche Argumentationen vor. Dabei falle vor allem der sachliche, für Propaganda untypische Grundton auf. Freilich wurde nur die Frage gestellt, ob der Krieg und nicht was im Krieg rechtmäßig sei. Das eigentliche Schreckensszenario des Dreißigjährigen Krieges lag außerhalb des zeitgenössischen Legitimierungsbedarfs. Kriegsrechtliche Vorstellungen gewannen im folgenden Jahrhundert an Relevanz, so dass sich Friedrich der Grosse bereits veranlasst sah, zweifelhafte Praktiken durch bewusste Falschinformationen zu kaschieren. Spätestens jetzt waren Rechtsargumente zur Makulatur geworden, wie Prof. Dr. Johannes Burkhardt (Universität Augsburg) in seinem Vortrag 'Friderizianische Legitimationen. Oder wie man gegen geltendes Recht Kriege führt (1740 ff.)' ausführte. Weil Angriffskriege im politischen System des Reiches als Rechtsbruch wahrgenommen wurde, übersetzte der Preuße seine Kriegshandlungen in die Rechtssprache der Zeit. Dabei verließ er sich nicht auf eine einzige Begründung. Drei verschiedene Kriegsdeutungen lieferte er der europäischen Öffentlichkeit: eine verquere Konstruktion von Erbansprüchen diente der Etikettierung als Erbfolgekrieg (1), mit "einzigartiger Reichs- und Verfassungsignoranz" wurde die Idee eines Präventivkrieges (2) vorgestellt und schließlich wurde der preußische Ersteinsatz militärischer Gewalt als Religionskrieg (3) stilisiert, um Verbündete zu gewinnen. Doch der Erfolg gab dem Preußenkönig scheinbar nachträglich das Recht zu seinem Vorgehen. In der preußisch-deutschen Geschichte bildete sich "eine verhängnisvoll kriegstreibende Tradition" aus. Ist nach ihrer Überwindung, wie Burkhardt fürchtet, typologisch eine "außereuropäische Wiederkehr" zu erwarten?

Verteidigungsangriffe: Krieg in der Späten Neuzeit
Der Vortrag 'Für die Ehre und die Größe der Nation? Eroberungskrieg im Napoleonischen Zeitalter' von Prof. Dr. Michael Erbe (Universität Mannheim) nahm eine größere Zeitspanne ins Visier. So konnte gezeigt werden, wie schrittweise vom Ideal eines 'Gleichgewichts der Mächte' Abstand genommen wurde, zugunsten hegemonialer Ansprüche. Der illegitime Angriff wandelte sich dabei zur legitimen Verteidigung eines prinzipiell gegebenen Führungsanspruches der Nation. Die Behauptung von Verteidigung auf allen Seiten prägte die Kriegspropaganda des Ersten Weltkrieges. Dr. Christoph Jahr (HU Berlin) stellte in seinem Vortrag "Krieg der Werte? Der Erste Weltkrieg und der Beginn des Zeitalters der Ideologien" dar, inwiefern die Kriegseintritte als "Notwehrhandlung zur Wahrung 'letzter Werte' im Interesse der gesamten Menschheit" stilisiert wurden. Zwar gab es nationale Unterschiede, aber die allgemeine ideologische Überhöhung der machtpolitischen Auseinandersetzungen versperrte diplomatische Lösungen. Die der neuartigen Massenmobilisierung geschuldeten Deutung, es gehe um "alles oder nichts", verhinderte Kompromisse. Jahr sieht im Ersten Weltkrieg bereits die späteren Weltanschauungskriege präfiguriert. Die ideologische Fortdauer des Feindstatus über den Kriegsfall hinaus suggerierte die Notwendigkeit fortgesetzter Verteidigungshaltung. Am Beispiel Amerikas beschrieb Dr. Bernd Greiner (Hamburger Institut für Sozialforschung) im Vortrag 'Der Angriff auf Pearl Harbour und die Transformation der Vereinigten Staaten in eine 'Kriegsgesellschaft' (1941-1947)' das Dogma der "permanent preparedness". Als Konzept zur "Nationalen Sicherheit" überdauerte es und verhalf der amerikanischen Waffenindustrie zu erheblichem politischen Einfluss. Anders als in vorherigen Kriegen gelang es Amerika nicht, nach dem Zweiten Weltkrieg vollständig zu demobilisieren. "Der politische Wille zu einer Bändigung des Militärs hatte sich innerhalb von zehn Jahren in sein Gegenteil verkehrt", so Greiner.

Krieg für den Frieden. Kriegskonzepte der Gegenwart
Die historische Entwicklung des Völkerrechts scheint erstmals in der Geschichte die Chance zu bieten, das Phänomen Krieg umfassend zu verrechtlichen. Kriegsrechtliche Bestimmungen wie auch das Verbot von Angriffskriegen und zuletzt die Einführung der Internationalen Gerichtsbarkeit wecken Hoffnung auf die Bändigung militärischer Gewalt. Diesem Ideal stehen seine Ausdeutungen auf konkrete Fälle hin aber entgegen. Am Beispiel des Zypernkonfliktes führte Prof. Dr. Heinz Richter (Universität Mannheim) im Vortrag 'Das Völkerrecht als Vorwand zur Expansion' aus, wie Rechtsformeln zu Argumenten der Konfliktparteien wurden und weitere Feindseligkeiten flankieren. Mit dieser pessimistischen Sicht wollte der Völkerrechtler Dr. Hans-Joachim Heintze nicht übereinstimmen, aber auch sein Vortrag 'Die 'neuen Kriege' und der Wandel des Völkerrechts' beschrieb die Abnutzung der Rechtsidee durch die Praxis. Dass Völkerrecht Gewaltanwendung verbietet, insbesondere den Angriffskrieg ächtet und zivilisatorischen Fortschritt hin zur alternativen Konfliktbeilegung bezweckt, stellte Heintze an den Anfang seiner Ausführungen. Vom Völkerrechtsbruch der Nato im Kosovo-Krieg über die weit hergeholte Rechtskonstruktion des Afghanistan-Krieges bis hin zur Präventivschlagdoktrin des Irakkrieges scheinen diese Grundsätze aus dem Blick geraten zu sein. Nicht nur der amerikanische Alleingang, sondern gerade auch völkerrechtlichen Argumentationen im Kriegsfall beschädigten das Völkerrecht. Die 'humanitäre Intervention' auf dem Balkan, die 'Abstellung von Soldatinnen und Soldaten zur Friedenssicherung oder -schaffung' (Gerhard Schröder) in Afghanistan und schließlich 'preemption' im Irak mit dem Verweis auf UN-Resolutionen verklären unter dem Deckmantel juristischer Formeln den Einsatz von Kriegsgewalt zur Friedensarbeit.

Kriegsrhetorik
Die semantische Schlacht um den Krieg wird nicht zuletzt auf dem Feld der Rhetorik ausgetragen. In seinem Vortrag "Die Rede vom Krieg. Kriegsbegründungen als Wirkungsrhetorik" entwarf der Sprachkritiker Prof. Dr. Uwe Pörksen (Universität Freiburg) ein überzeitliches Bild von Kriegsbegründungen. "Wirkungsrhetorik", so Pörksen, "setzt dort ein, wo die Entscheidung bereits gefallen ist." Wenn es nur noch um den Effekt der Argumente, nicht um deren Richtigkeit oder Angemessenheit geht, wenn nur noch Zustimmung organisiert werden soll, dann werden die rhetorischen Mittel der Überredung indifferent zum Inhalt zur Anwendung gebracht. So 'empfehlen' sich etwa alle Tricks zur Erregung der Affekte, zur Konstruktion der Einheit von Redner und Zuhörer, zur Diskreditierung des Meinungsgegners. Wie aber könnte die Rede vom Krieg anders sein? Rhetorik ist auch argumentative Findekunst. Sie ist ein hermeneutischer Entwurf, der den Wissenschaften zu Unrecht abhanden kam. Wie über den Krieg zu reden sei, schreibt etwa Anaximenes in seiner 'Rede an Alexander'. Es werden mögliche Gründe für und wider aufgeführt, die ihren formalen Charakter dann verlieren, wenn sie unvoreingenommen mit konkreten Fakten durchdacht werden. Deutlich wurde in Pörksens Vortrag auch, dass so manches Argument der Kriegsgegner als Wirkungsrhetorik vorgetragen wird. Nicht nur über Kriegsbegründungen, so Pörksen, müsse eine wissenschaftliche Auseinandersetzung stattfinden, sondern auch über 'Kriegsverhinderungs'-begründungen.

Kriegsbegründungen in Vergangenheit und Gegenwart. Zusammenfassung.
Prof. Dr. Ludolf Kuchenbuch (FernUniversität Hagen) fasste die Ergebnisse der Vorträge zusammen. Wenn Kriege in der Vergangenheit begründet wurden, standen dieselben Motive zu Gebote, die auch heute überzeugend wirken: Verteidigung, Befreiung, Rechtsexekution, Friedensstiftung und allgemeines zivilisatorisches Sendungsbewusstsein gehören fest zum Repertoire. Dazu kommt die Erzeugung einer fatalistischen Grundstimmung, der Überzeugung nicht anders als so handeln zu können, zur Waffengewalt keine Alternative zu haben. Historischer Wandel ist deutlich nur in der Art der Öffentlichkeiten auszumachen, der die Argumente vorgetragen wurden. Ganz gleich, ob es die Öffentlichkeit der Höfe im Mittelalter, die Öffentlichkeit der versammelten Reichsstände in der Frühen Neuzeit, die Medienöffentlichkeit der Späten Neuzeit oder schließlich unsere demokratische Öffentlichkeit ist: Stets werden die höchsten moralischen und rechtlichen Normen der Zeit bemüht, um Kriege zu rechtfertigen. So ist auch nur ein Wandel, kein Fortschritt zu verzeichnen, wenn der Krieg ehemals ein Werk Gottes war und jetzt ein Akt säkularer Nächstenliebe sein soll. Skepsis, so Kuchenbuch, ist angebracht, wenn es heißt: "Gott will es", Skepsis auch, wenn es heißt: "Der Herrscher will es". Beide Begründungsmuster sind unserer Zeit nicht so fern wie vermutet, denn die Behauptung, Wahrheit und Moral auf der eigenen Seite zu haben ist so wenig verschwunden wie die Bewunderung für charismatische Politiker, sofern ihre Rechtsbrüche Erfolg haben. Überwunden scheint die Begründung "Die Nation braucht es". Wie aber sieht es aus mit dem 'Sicherheitsbedürfnis' und dem Wunsch nach 'Befriedung' der Welt? Als sich die Diskussion um diese Begriffe drehte, war deutliche Beklemmung zu spüren, denn sie betreffen das Kriegsdesign unserer Zeit. Skepsis, so Kuchenbuch, ist daher vor allem angebracht wenn es heißt: 'Die Völkergemeinschaft muss es.'

Podiumsdiskussion: Krieg in der Öffentlichen Meinung – Was nützt der Blick in die Geschichte?
Moderation: Dr. Heribert Prantl, Süddeutsche Zeitung
Teilnehmer: Prof. Dr. Johannes Burkhardt, Dr. Erhard Eppler Bundesminister a.D., Prof. Dr. Hans-Henning Kortüm, Prof. Dr. Herfried Münkler, Prof. Dr. Uwe Pörksen

Heribert Prantl ergänzte einen wichtigen Aspekt mit der Frage: Welche Handlungsmacht kommt den Adressaten der Kriegsbegründungen jeweils zu? Er schilderte die (Jugend)Proteste gegen den Irakkrieg als verantwortungsvolles Demokratieverständnis, dem die Medien nur zögerlich folgten. Ob die "veröffentlichte Meinung" den Ansprüchen einer kritischen demokratischen Öffentlichkeit gerecht wird, sei zu bezweifeln. Die Podiumsteilnehmer bezogen diese Eingangsfrage auf wissenschaftliche Begriffe, die im Mediendiskurs präsent sind und dort nicht zuletzt durch inhaltliche Verkürzung wirken. Münkler stellte sein Konzept der "Neuen Kriege" vor, ein Begriff, der aus politikwissenschaftlicher und historischer Analyse gewonnen wurde. Eppler warnte dagegen eindringlich davor, solche Definitions-Konstrukte politisch nutzbar zu machen. Wer den Kampf gegen Kriminelle zum 'Krieg' erhebe, müsse Krieg als Verbrecherjagd inszenieren. Der "Antiterrorkrieg", an dem sich auch Deutschland in Afghanistan beteiligt, sei "Fortsetzung der Justiz mit anderen Mitteln". Weitere Bombenteppiche zum Schutz der Völker vor Verbrechern sind zu befürchten. Eppler plädierte für den weniger missverständlichen Ausdruck "Privatisierte Gewalt", der sich im Konzept Münklers auch findet. Pörksen warnte ebenfalls vor dem Effekt des Begriffs 'Neue Kriege' in der Öffentlichkeit. Obwohl nicht in Abrede stehe, dass wissenschaftliche Beschreibungen "oftmals sachlich die Richtigeren" seien, setze doch der Begriff "Krieg" eine historisch gewachsene, durch neue Definitionen nicht umzuformende Kriegsmaschine in Gang. Das erfahrungsgestützte Wissen, was Krieg sei und was zur Kriegsführung gehöre, werde im öffentlichen Diskurs stets differenziertere Definition verdrängen. Es entstehe dann ein neuer Ausdruck für das Altbekannte, allerdings mit der positiven Ausstrahlung unangreifbarer Wissenschaftlichkeit.

Die Historiker der Podiumsrunde plädierten dafür, Erfahrungswerte statt Definitionen in der öffentlichen Debatte zu Geltung zu bringen. Aufgabe der Geschichtswissenschaft sei es, dem kollektiven Gedächtnis heute das Wissen vergangener Generationen zur Verfügung zu stellen. Kortüm wehrte sich z.B. gegen romantische Vorstellungen von 'Ritterlichkeit' im Mittelalter ebenso, wie gegen das falsche Bild des 'dunklen Mittelalters', das in den Medien als Leitbegriff für Rückständigkeit kursiert. Dem kurzen Gedächtnis des Abendlandes stehe hier außerdem das kollektive Gedächtnis des Morgenlandes entgegen: Der Begriff 'Kreuzzug' könne in unserem Kulturkreis durchaus positive Assoziationen wecken, z.B. als 'Kreuzzug gegen die Armut'. In der arabischen Welt ist er ein ganz anders besetztes Reizwort. Für ein langes Gedächtnis warb auch Burkhardt. Eine stete Auseinandersetzung mit dem Zweiten Weltkrieg sei in Deutschland unerlässlich. Sie entlasse uns aber nicht aus der Pflicht, auch weiter zurück zu blicken. Wie aber ist Lernen aus der Geschichte möglich?

"Was nun, Historiker?", fragte Burkhardt, als er den Erfolg Friedrichs des Grossen beschrieb. Zu oft bejubelten Geschichtsschreiber die Sieger, als dass ihre Lehren aus der Geschichte unumstritten sein könnten. Ebenso verbieten sich aber Dämonisierungen. Bush ist nicht Hitler, Hussein ebenfalls nicht. Solche schlichten Gleichsetzungen von historischen Personen mit lebenden bzw. von historischen Situationen mit gegenwärtigen seien verzerrende Vereinfachungen. Historische Parallelen sollten zur Frage nach Strukturen anregen, Unterschiede und Ähnlichkeiten gleichermaßen den Blick für das Gegenwärtige schärfen. Dazu stellt sich die Frage der Geschichtlichkeit der Gegenwart: wie ist geworden, was ist. Der Dreißigjährige Krieg sei z.B. als Trauma in die Geschichte eingegangen. Die Konsequenz "Nie wieder Religionskrieg" wirke bis heute. Unumstritten war auf dem Podium die Forderung der Schirmherrin Frau Dr. Kastner, dass sich diejenigen öffentlich zu Wort melden müssen, die handwerklich dazu in der Lage sind, die Zeugnisse vergangener Zeiten zum Sprechen zu bringen.


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