Diversity and Deviance: Art, Commerce and Religion in 16th century Antwerp

Diversity and Deviance: Art, Commerce and Religion in 16th century Antwerp

Organisatoren
Jessica Buskirk/Eric Piltz, SFB 804 "Transzendenz und Gemeinsinn", Technische Universität Dresden
Ort
Dresden
Land
Deutschland
Vom - Bis
12.12.2011 - 13.12.2011
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Von
Carsten Brall, Institut für Europäische Geschichte Mainz

Unter dem Titel „Diversity and Deviance: Art, Commerce and Religion in 16th century Antwerp” fand am Dresdner Sonderforschungsbereich 804 ‚Transzendenz und Gemeinsinn‘ vom 12.-13.12.2011 eine international besetzte Tagung statt, die die Wechselwirkungen von historischen Prozessen und künstlerischem Schaffen im Antwerpen des 16. Jahrhunderts in den Blick nahm. Es war Anliegen der Tagung, ein interdisziplinäres Gespräch anzuregen, was sich in der ebenso vielfältigen wie stimmigen Konzeption der Vorträge wiederspiegelt. Der gemeinsame Workshop der Teilprojekte ‚Das subversive Bild. Religiöse und profane Deutungsmuster in der Kunst der Frühen Neuzeit‘ (Leitung: Jürgen Müller) und ‚Gottlosigkeit und Eigensinn. Religiöse Devianz in der Frühen Neuzeit‘ (Leitung: Gerd Schwerhoff) wurde geleitet von den Mitarbeitern aus den Projekten Jessica Buskirk und Eric Piltz.

Nach der Begrüßung durch Gerd Schwerhoff (Dresden) führten JESSICA BUSKIRK (Dresden) und ERIC PILTZ (Dresden) durch ihre Überlegungen zu ‚Diversity an Deviance in Antwerp’s Golden Age: Interrelations of Art, Commerce and Religion‘ in das Thema der Tagung ein. Das Antwerpen des 16. Jahrhunderts war Ziel zahlreicher Migranten, die die Stadt vor allem aus wirtschaftlichen Gründen anliefen. In der Mitte des Jahrhunderts wurde daher in Antwerpen zunehmend die Frage virulent, wie es um die städtische Gemeinschaft bestellt sei, die auch auf konfessioneller Ebene zusehends heterogener wurde. 1585 kann von einer knappen römisch-katholischen Mehrheit ausgegangen werden, der vor allem Calvinisten, aber auch Lutheraner gegenüberstanden. Dabei verwiesen die Referenten auf die Vielfalt der konfessionellen Schattierungen, wie auch auf die starke konfessionelle Indifferenz in der Bevölkerung. Im Bereich der Entwicklung der Künste zeichnete sich im Verlauf des 16. Jahrhunderts ebenfalls ein deutlicher Wandel ab. Der Markt wuchs, Kunst wurde zunehmend Teil eines schwunghaften Handels, der Antwerpen mit anderen Märkten verband. Gerade Altäre aus Brabant wurden für den Export produziert, aber auch säkulare Malerei wie etwa Bauernszenen erhielt deutlichen Auftrieb. Die fortschreitende Entwicklung spiegelte sich gerade in der Landschaftsmalerei wider, die sich sowohl in der sakralen, wie in der säkularen Kunst größerer Beliebtheit erfreute. Insgesamt bezeugt die Kunstproduktion die Bedeutung Antwerpens für den Kunstmarkt ebenso, wie zahlreiche städtische und konfessionelle Prozesse darin ihren Niederschlag fanden.

Mit GUIDO MARNEFs (Antwerpen) Vortrag über “Art and Religion in 16th century Antwerp: An Analysis of a Changing Relationship” wurde ein konfessionelles Panorama in der Entwicklung der Stadt und dessen Verhältnis zur Kunst beleuchtet. Der konfessionelle Wandel verlief über weite Teile des 16. Jahrhunderts. War die Stadt anfänglich noch altgläubig, begannen mit den reformatorisch predigenden Augustinern bereits kurze Zeit nach Luthers Thesenanschlag und nach deren Vertreibung mit dem Aufkommen der Täufer in den 1520er-Jahren tiefgreifende Änderungen. Der Klerikeranteil in der Stadt sank – nicht wenige von ihnen konvertierten – auch habe die Stadt ihren Höhepunkt in Sachen Laienfrömmigkeit bereits vor dem Aufkommen der Reformation gehabt. Die Bedeutung des Zusammenhangs von Kunst, Religion und gesellschaftlichem Leben verdeutlichen die Altäre der Gilden, an denen sich deren Mitglieder zu den Gedenktagen der jeweiligen Heiligen versammelten. Großen Einfluss auf das künstlerische Schaffen haben die Bilderstürme der Jahre 1566 und 1581 gehabt. Sie beeinflussten die Wanderungsbewegungen und hatten auch zur Folge, dass die Bedeutung des Kunstexportes stieg. In seiner Bilanz betonte Marnef, dass bei den Antwerpener Künstlern häufig ein pragmatisches Verhältnis zu konfessionellen Fragen dominierte, wiewohl auch das individuelle Bekenntnis von Bedeutung war.

Mit ihrem Vortrag über “A Counterfeit Community. Rederijkers, Festival Culture and Print in Renaissance Antwerp” präsentierte ANNE-LAURE VAN BRUAENE (Gent) die Rhetorikerkammern und deren engen Zusammenhang mit dem städtischen Druck- und Festspielwesen. Die Rhetorikerkammern seien Sammelbecken intellektueller Kräfte gerade aus dem Umland Brabants und Flanderns gewesen und hätten etwa durch die von ihnen organisierten Festspiele (wie z.B. das Theaterfestival ‚Landjuweel‘) gemeinschaftsbildend gewirkt. Im Zuge der Diversifizierungen in der städtischen Gesellschaft trugen sie bei zu der Entwicklung des idealisierten Bildes von Antwerpen als moralischer Gemeinschaft, die mit ihrer Diversität souverän umging. Wenn gleich Festspiele Höhepunkte dieser Entwicklung darstellten, so trugen Drucke zu der Verstetigung dieser Prozesse bei. Gerade die Verbindung zwischen Druck und Festspiel habe die Situation in Antwerpen einzigartig gemacht; so seien ähnliche Prozesse wie etwa in Gent überstrahlt worden.

JÜRGEN MÜLLER (Dresden) referierte über “Pieter Bruegel and the Question of the Subversive Image”, wobei er insbesondere anhand der Bilder ‚Bauer und Vogeldieb‘ (1568) und ‚Blindensturz‘ (1568) auf die Fragen von konfessionellen Inhalten und deren Darstellungen einging. Bruegel nutzte hier ein neues System im Zitieren. Gerade das Bild von Bauer und Vogeldieb verstand Müller als Apologie der Häresie. Hier wurden von Bruegel Innovationen vorgenommen. Wurde zuvor Häresie als alte, kraftlose Frau dargestellt, bezieht sich der Maler nun auf Brants Narrenschiff und stellt den Vogeldieb als Sinnbild des Häretikers dar. Dass dieser nicht vom Baum herabfällt, wertete der Referent als Verteidigung häretischer Züge. Die Blinden des Blindensturzes erinnern an die neutestamentliche Symbolik der Führung der Blinden durch Blinde und veranschaulichen so den Fall der Menschheit. Die Kirchturmspitze ist im Bild nicht aus Zufall abgeschnitten. Der Betrachter wird mit der Frage konfrontiert, wo nun das Kreuz, Zeichen christlichen Glaubens, sei. Dies zeigt Bruegel als Mystiker im Sinne Sebastian Francks, dessen Theologie so zusammengefasst wurde, dass Gott weder kennbar noch wissbar sei.

“Prince of Peace: Pieter Bruegel, the Incarnation, and Visual Exegesis” lautete der Titel des Vortrags, in dem sich LARRY SILVER (Philadelphia), mit den Bildern ‚Selbstmord Sauls‘ (1562) und ‚Turmbau zu Babel‘ (1563) als Teil einer bildlichen Exegese mit politischen Implikationen beschäftigte. In diesen Bildern zeige Bruegel einen deutlichen Unterschied zwischen alttestamentlichem Königtum und dem Friedensreich, das unter Christus anbricht. Der ‚Selbstmord des Saul‘ weise bei der Schlachtszene Ähnlichkeiten zu Dantes Darstellung des Fegefeuers auf, die Menschen haben den himmlischen König verworfen und einen irdischen gewollt. Im ‚Turmbau zu Babel‘ erscheint Nimrod als Bauherr des häretischen Turms. Nimrod und Saul begegnen hier als große Könige, die zu hoch hinaus wollen. Die intervisuelle Beziehung verdeutliche die Kritik Bruegels am zeitgenössischen politischen Zustand und die Erwartung der Änderung dieser Geschicke.

Im Anschluss ging MAARTEN VAN DIJCK (Rotterdam) in seinem Vortrag “Between Urban Policy and State Formation. The Social Discipline of Cultural Practices in 16th Century Antwerp” gerade auf räumliche Aspekte der Sozialdisziplinierung im Antwerpen des 16. Jahrhunderts ein, das etwa gegenüber Mechelen durch seine gute Überlieferung heraussteche. Das sukzessive und kontinuierliche Wachstum der Stadt, das maßgeblich durch Migranten vorangetrieben wurde, stellte in der Gemeinschaft die Frage nach normalem Verhalten und Devianz neu. Das Interesse an den Verfehlungen der Menschen sei gestiegen und der Einfluss überwachender Instanzen auf das Alltagsleben der Einwohner habe zugenommen. Dies sorgte auch für Spannungen, da die wohlhabenderen Schichten im Stadtzentrum versuchten, allgemein gültige Regeln zu formulieren, aber kaum die Randbezirke erreichten, in denen der Großteil der Menschen lebte. Van Dijck hob hervor, dass sich in der Nähe der Stadtmauern die meisten Unruhen ereigneten, was mit der Entwicklung einer ‚Gegenkultur‘ an den Stadträndern einherging.

Den Auftakt des zweiten Tages bildete der Vortrag “A Professional Portrait? Frans Floris’ Allegory of the Trinity” von EDWARD WOUK (New York), in dem der Referent in der ‚Allegorie der Trinität’ (1562) den Ausdruck spezifischer Glaubenszeugnisse ausmachte. Der Künstler wählte eine Adaption des Gnadenstuhles, versah Christus mit Flügeln und versammelte unter ihnen Menschen, denen er allegorische Züge gab und die er als gerettet oder verdammt darstellte. Die unterhalb des Kreuzes dargestellte Henne wertete Wouk als Bezugnahme zu Alardus Amstelredamus und seinem Poem ‚Gallina‘, in dem die Liebe Gottes in Anlehnung an Mt 23,37 als Henne widergegeben wird. Floris habe das Bild für die Familisten hergestellt, die sich in Antwerpen auch in den Kreisen des Bürgertums ausgebreitet hatten. Bezeichnend für den reformatorischen Grundtenor des Bildes ist die negative Darstellung Papst Paul III., der als eine Art Antichrist die Sünder in die Verdammnis anführt.

JESSICA STEVENSON STEWART (Berkeley) präsentierte mit ihrem Vortrag “Earthly Divides: Celestial Visions, Subterrestrial Investments in the Collections of Lucas Rem” den Augsburger Händler Rem, der in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts enge Handelsverbindungen mit Antwerpen aufrecht erhielt und 1511-1518 selbst in Antwerpen lebte; immer wieder verband der Handelsreisende auch Pilgerfahrten mit seinen Reisen. In den von ihm gekauften und teils auch für ihn extra angefertigten Kunstwerken spiegelt sich dieses Interesse wieder. Gerade der Landschaft komme dabei eine erhöhte Bedeutung zu, sie vermittele zwischen der Welt des Dargestellten und der Welt des Betrachters. Deutlich würde dies am Beispiel von Thematisierungen von Bergbau im sakralen Kontext wie bei Hans Hesses ‚Annaberger Bergaltar‘, was Rem als Edelmetallhändler vertraut gewesen sei. Hier wird die Verbindung von Goldschmieden, Heiligen und Berglandschaft, die Verknüpfung von Handel und religiöser Kultur deutlich.

Der Kommentar von MICHAEL NORTH (Greifswald) leitete die Abschlussdiskussion ein. Eine grundlegende Erkenntnis war die Feststellung der engen Verbindung von wirtschaftlichem Wachstum, religiösem Wandel und Kunstproduktion. Inwiefern die Situation in Antwerpen besonders war, ist freilich noch nicht abschließend erörtert, jedoch biete die Stadt durch ihre Größe und wirtschaftliche wie künstlerische Produktivität wertvolle Aufschlüsse. Mit Blick auf die Kunst zeige das 16. Jahrhundert dort den langen Weg der Säkularisierung des Geschmacks, auch kamen neue Themen und Darstellungsarten auf. Gerade die Künstler wiesen eine große Flexibilität und Bereitschaft zur eigenständigen Deutung der Prozesse auf, was gerade bei Bruegel deutlich würde. Deren Vernetzung und der Markt, der weit über den regionalen Raum hinausging, verdeutlichen die Schaffenskraft der Künstler und die Einbindung der mit Antwerpen verbundenen Händler. Die Diskutanten hoben hervor, dass bei zukünftigen Untersuchungen gemäß der bereits jetzt präsentierten Ansätze eine stärkere Berücksichtigung der Diversität des religiösen Marktes lohnenswert ist, wie auch die städtischen Mittelgruppen mehr Aufmerksamkeit erhalten sollten. Markt und Religion interagierten miteinander und der Bereich der Künste verdeutlicht dies; Kunst thematisiert die Kommunikation von etwas Neuem. Inwiefern die Situation in Antwerpen dabei Neues bietet, wurde als Desiderat der zukünftigen Forschung benannt. Vergleichsräume wie die Städte Brabants und Flanderns oder auch Oberdeutschlands kämen dazu in Frage. Die konfessionelle Radikalisierung und auch die künstlerische Entwicklung werden in Antwerpen jedoch besonders deutlich. Insgesamt zeigte die Tagung mit ihrem gelungenen interdisziplinären Ansatz den Gewinn, wenn kunsthistorische, wirtschafts- und sozialhistorische, sowie kirchen- und theologiehistorische Ansätze und Fragestellungen wieder stärker ins Gespräch miteinander gebracht werden. Mit dem Antwerpen des 16. Jahrhunderts wurde ein überzeugender Kontext geliefert, in dem dies geschehen kann; eine Weiterführung und Intensivierung erscheint vor diesem Hintergrund ebenso notwendig wie wünschenswert.

Konferenzübersicht:

Jessica Buskirk (Dresden) / Eric Piltz (Dresden): “Introduction: Diversity and Deviance in Antwerp’s Golden Age. Interrelations of Art, Commerce and Religion”

Guido Marnef (Antwerpen): “Art and Religion in 16th-century Antwerp: an Analysis of a Changing Relationship"

Anne-Laure van Bruaene (Gent): “A Counterfeit Community. Rederijkers, Festive Culture and Print in Renaissance Antwerp”

Jürgen Müller (Dresden): “Bruegel and the Question of the Subversive Image“

Larry Silver (Philadelphia): “Prince of Peace: Pieter Bruegel, the Incarnation, and Visual Exegesis”

Maarten van Dijck (Rotterdam): “Between Urban Policy and State Formation. The Social Discipline of Cultural Practices in Sixteenth-Century Antwerp”

Edward Wouk (New York): “A Professional Portrait? Frans Floris's Allegory of the Trinity.”

Jessica S. Stewart (Berkeley): “Earthly Divides: Celestial Visions and Subterrestrial Investments in the Collection of Lucas Rem.”

Comment: Michael North (Greifswald)

External discussants: Carsten Brall (Mainz), Martin Skoeries (Leipzig)


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