Tertium datur: Das Dritte in der Geschichte 1450-1850

Tertium datur: Das Dritte in der Geschichte 1450-1850

Organisatoren
Francisca Loetz / Bernd Roeck / Marcus Sandl / Sven Trakulhun, Universität Zürich
Ort
Zürich
Land
Switzerland
Vom - Bis
21.06.2012 - 23.06.2012
Url der Konferenzwebsite
Von
Rebekka von Mallinckrodt, Institut für Geschichtswissenschaft, Universität Bremen

Vom 21. bis 23. Juni 2012 fand an der Universität Zürich die von Francisca Loetz, Bernd Roeck, Marcus Sandl, Sven Trakulhun konzipierte und perfekt organisierte internationale Tagung „Tertium datur: Das Dritte in der Geschichte 1450–1850“ statt. Die Konferenz brachte ForscherInnen aus Deutschland, Frankreich, Großbritannien, den Niederlanden, Österreich, der Schweiz, Australien und den USA zusammen, um dualistische Modelle sowohl auf der Ebene der historischen Phänomene und zeitgenössischen Deutung als auch in der historiographischen Interpretation aufzubrechen und um die Figur/ Denkbewegung/ Reflexion auf das Dritte zu erweitern. Damit sollte insbesondere der Blick für paradoxe und hybride Konstellationen geöffnet und geschärft sowie eine komplexere Wahrnehmung der historischen Wirklichkeit ermöglicht werden. In fünf thematisch definierten Sektionen (Soziale Beziehungen herstellen, Medien nutzen, Sinn setzen, Dritte Renaissancen entdecken, Epochenkonzepte verflechten) wurde somit der Blick auf Dritte gerichtet bzw. mit Hilfe dritter Kategorien gearbeitet. Mit dieser bewusst offen gehaltenen Konzeption ist zugleich der Gewinn, aber auch die Grenze der Tagung benannt, die dadurch einerseits Raum für fruchtbare Gedankenexperimente bot, andererseits angesichts relativ heterogener Anwendungsweisen in den jeweiligen Vorträgen nur bedingt eine konzeptionelle Fokussierung erlaubte. Im Folgenden werden deshalb nicht sämtliche Vorträge zusammengefasst, sondern beispielhaft jene herausgegriffen, bei denen sich der thematische Fokus auf das Dritte bzw. die Arbeit mit dem Dritten als besonders gewinnbringend zeigte.

ARNDT BRENDECKE (München) stellte in seinem Vortrag mehrere Beispiele des Dritten als Methode auf der Ebene der historischen Phänomene vor: Zum einen entdeckte er das Dritte als Methode in der Geschichtsschreibung des 17. und 18. Jahrhunderts: Angesichts umstrittener Deutungen, welche die Geschichtsschreibung in eine strukturell gleichartige Position wie die Rechtsprechung brachte, reduzierten nachreformatorische Historiographen ihre Darstellung bis auf das Unumstrittene, das heißt im Extremfall bis auf skelettöse Tabellen, die nur noch Herrscher und die Daten von Ereignissen auflisteten. Ähnlich erschien das Dritte als Methode der Distanzierung und damit Konfliktvermeidung im Zuge des frühneuzeitlichen Staatsaufbaus in Spanien. Hier wurde der Habitus der Unverfügbarkeit und somit das Ideal des Dritten als Unparteiischer als neues Beamtenethos entworfen. Während die ältere Forschung von einer tatsächlichen Verhaltensänderung ausging, wurde diese Hypothese durch die Ergebnisse der neueren Forschung erschüttert, insofern auch frühneuzeitliche Beamte Klientelbeziehungen pflegten und sich keineswegs neutral verhielten. Das Münchner Forschungsprojekt untersucht nun – insofern methodisch ebenfalls als (dritter) Mittelweg anzusehen – dieses Beamtenideal, das nach der zeitgenössischen Traktatliteratur gänzlich verinnerlicht werden sollte, nicht als Essentialisierung, sondern als Position/ Rolle, die durch das Umfeld zugewiesen wurde und neben der perfekten Erfüllung auch eine Bandbreite tolerabler Praktiken kannte.

Ein ähnliches Anliegen verfolgt WOLFGANG KAISER (Paris), wenn er für eine Entzauberung der pathetischen Symbolfigur des Dritten plädiert. Nicht jede frühneuzeitliche Namensänderung/ Wandel der Bezeichnung sei mit einem Wechsel der Identität verbunden gewesen, häufig verweise sie lediglich auf das labelling der sozialen Umwelt, die eine Differenz wahrnahm, ohne diese genauer fassen zu können. Solche wechselnden Bezeichnungen für Fremde seien im Mittelmeerraum, der durch eine große geographische Mobilität gekennzeichnet war, eher die Regel als die Ausnahme gewesen. Schließlich sprach er sich – ähnlich wie Arndt Brendecke – für das Dritte nicht als Personifizierung, sondern als durchaus pragmatischen Modus des Verhaltens aus: So seien zwischen Christen und Muslimen vermittelnde Gefangenenfreikäufer gleichzeitig in den normalen Handel eingebunden gewesen, konnten diesen Handel wiederum durch den Sklavenfreikauf gut rechtfertigen und wurden zudem am Umsatz durch die Auftrag gebenden Städte beteiligt. Neben Figuren des Dritten nannte er außerdem Orte und Zeiten des Dritten, die als shared fiction eine Auszeit bzw. einen gewissen Freiraum erlaubten. Durch zumeist stillschweigende Übereinkunft wurde hier eine Aussetzung von Macht erreicht, um praktische Probleme für alle Beteiligten zu lösen. Als Beispiel nannte er die Mittelmeerinsel Tabarka, deren rechtlicher Status in der Frühen Neuzeit bewusst im Unklaren gelassen wurde und so Muslimen wie Christen als Vorposten für die Rückführung von Sklaven diente.

Stand in der ersten Sektion die distanzierende Funktion des Dritten im Vordergrund, so kam in der zweiten Sektion „Medien nutzen“ die vermittelnde Funktion stärker zum Vorschein. ULINKA RUBLACK (Cambridge) zeigte am Beispiel der Schuhe Hans Fuggers, wie Kleidung Subjektivität strukturieren kann. Zum einen machte sie sehr plastisch deutlich, welche immense Bedeutung die Fußbekleidung gerade für Männer in der Frühen Neuzeit spielte, da die Männermode des 16. Jahrhunderts durch die Kniestrümpfe im Unterschied zu den bodenlangen Gewändern der Frauen die Schuhe deutlich sehen ließ. So besaß Cosimo de Medici als junger Mann rund 200 Paar Schuhe zur Auswahl und auch das Inventar Wilhelms V. von Bayern wies 1598 zahlreiche Schuhe auf. Mit Hilfe seiner Fußbekleidung aus spanischem Leder konnte sich Hans Fugger als Anhänger der Habsburger präsentieren, der zudem ein sehr ausgeprägtes Qualitätsbewusstsein für Material und Schnitt der damals modischen „zerstochenen“, strumpfartigen Schuhe an den Tag legte. Um die Neuheit und Reinheit seiner Schuhe zu demonstrieren, bestand Fugger auf helle Pastelltöne, teils waren die Schuhe sogar nur zum einmaligen Tragen angelegt. Matthäus Schwarz, den Ulinka Rublack als zweites Beispiel heranzog, entwickelte durch die sich wandelnde Mode, die er in seinem Trachtenbuch festhielt, ein ausgeprägtes Bewusstsein für den Wandel und die Vergänglichkeit der eigenen Existenz. Subjektivität wird somit nicht nur durch interpersonale Beziehungen geprägt, sondern auch durch Dinge, die hier als Drittes fungieren, strukturiert.

Als transzendenten Gegenpol untersuchte FRANCISCA LOETZ (Zürich), die wegen zweier Absagen kurzfristig als Referentin einsprang, Gott als Dritten im Sprachspiel der frühneuzeitlichen Gotteslästerung. Anders als man aufgrund des hohen Stellenwerts der Religion in der Frühen Neuzeit vermuten würde, zielte gotteslästerliches Sprechen nicht unbedingt auf und damit gegen Gott, sondern wurde für ausgesprochen weltliche Zwecke in der frühneuzeitlichen Streitkultur instrumentalisiert. Dabei diente die Blasphemie häufig als höchste Steigerung des Streits und erlaubte durch ihren transzendenten Bezug sogar noch eine Übertrumpfung physischer Gewalt, die in der Zerstörung des Objekts/ des Gegenübers zwangsläufig ihr Ende finden musste. Anscheinend nahmen frühneuzeitliche Gerichte diesen instrumentellen Gebrauch differenziert wahr, denn obgleich das Züricher Schwörmandat von 1526 Blasphemie unter Strafe stellte, wurde Gotteslästerung, die nicht eigentlich auf Gott zielte, sondern auf das menschliche Gegenüber, nicht unbedingt geahndet. Allerdings lässt sich die Grenze zwischen beiden Arten der Blasphemie nicht immer eindeutig in den Quellen festmachen. Allgemein können Sprachspiele, so Francisca Loetz, als Medium des Dritten par excellence helfen, Mehrdeutigkeiten, Ambivalenzen und Differenzen zwischen Gesagtem und Gemeintem, zwischen impliziertem und tatsächlichem Adressaten auszuloten sowie das Spiel im Spiel auszumachen.

Insgesamt wurde in dieser Sektion deutlich, dass die Instrumentalisierung von Dritten in diesen Fällen weniger der Distanzierung dienten, als einem umso größeren Effekt, sei es, dass durch materielle Kultur sozialer Status bzw. politische Haltungen indirekt sehr viel eleganter vermittelt werden konnten, sei es, dass im Falle der Blasphemie das „Über-Bande-Spielen“ eine größere Aggression erlaubte als die unmittelbare Gewalt.

Im Folgenden werden Vorträge herausgegriffen, die im Kontext globalhistorischer Debatten anzusiedeln sind und damit neben Distanzierung und Instrumentalisierung eine dritte Dimension des Dritten verdeutlichen, nämlich Aspekte von Hybridität, Verflechtung und Transformation.

RENATE DÜRR (Tübingen) beschäftigt sich mit dem Jesuitenmissionar Florian Paucke (1719–1779), der in Paraguay wirkte. Sie zeigte, wie unter den Bedingungen von (hier wörtlich) Übersetzungen Konzepte (als das Dritte) gemeinsam konstruiert wurden, indem der Spracherwerb nicht nur als Grundlage der Mission angesehen wurde, sondern bereits Folge von Kommunikation war und zu Begriffsdiskussionen führte, bei denen beide Seiten aufeinander angewiesen waren. Auf einer zweiten Ebene wurde die Missionsstation (als Drittes) sowohl von den autochthonen Mocobiern als auch von den Spaniern als Möglichkeit der Einflussnahme gesehen und genutzt und war hier dem eben erwähnten „Über-Bande-Spielen“ ähnlich, insofern Mocobier wie Spanier versuchten, Missionare zu instrumentalisieren und auch untereinander auszuspielen. Schließlich stellte Renate Dürr Essgewohnheiten – dem Beitrag von Ulinka Rublack vergleichbar – als Bestandteil der materiellen Kultur heraus, über die Drittes ausgedrückt werden konnte, in diesem Fall Pauckes Annäherung an die Kultur der Mocobier, die er – nachdem er sich anfänglich vor bestimmten Zubereitungsarten geekelt hatte – gegen Angriffe von Seiten der Europäer verteidigte.

DIETMAR ROTHERMUND (Heidelberg) nutzte eine idealtypische Definition der Renaissance als tertium comparationis, um in seinem inhaltsgesättigten Beitrag die „Bengal Renaissance“ vorzustellen. Ähnlich wie im spätmittelalterlichen Italien könne man im Kolkata (Calcutta) des 19. Jahrhunderts eine besondere Verdichtung kreativer Künstler und Wissenschaftler ausmachen. Am Anfang stünde – wie in Italien – die Auseinandersetzung und Transferleistung in Bezug auf eine fremde Kultur (die griechische bzw. britische). Voraussetzung sei in beiden Fällen eine gewisse Urbanität sowie eine ausreichend vermögende und bildungsinteressierte Oberschicht, ein Fokus lag in beiden Fällen auf Übersetzungen in die Volkssprache (Italienisch bzw. die bengalische Literatursprache). Das Spektrum reichte von Belletristik, Poesie und bildenden Künsten über die Philosophie bis hin zu den Naturwissenschaften. Eine Besonderheit der „Bengal Renaissance“ stellte hingegen die Entstehung einer indischen Nationalbewegung dar, die gleichermaßen in Orientierung an wie in Abgrenzung zu Großbritannien entstand.

ANTHONY REID (Canberra) wählte im Vergleich zu Rothermunds Vorgehen eine radikalere Alternative: Anstelle von eurozentristischen Begriffsprägungen wie „Renaissance“ oder „Zeitalter der Entdeckungen“ bzw. anstelle der Kontroverse um europäische und außereuropäische Moderne beschrieb er das lange 16. Jahrhundert aus der Perspektive Südostasiens als „kosmopolitisches Zeitalter“ (das hier als Drittes fungierte): Wesentlich sei dabei die direkte Begegnung zuvor isolierter intellektueller und sozialer Systeme gewesen, die zu einem intensiven Austausch und Neuerungen in ganz Eurasien geführt hätten. Während die globale Interaktion andauerte, sei die Cosmopolis im 17. Jahrhundert erodiert, da sich asiatische Staaten aufgrund der militärischen Aggression und des relativen Erfolgs der Europäer zurückgezogen hätten. Hinzu trat im 18. Jahrhundert die europäische Ideologie der technischen Überlegenheit, die einen Austausch auf Augenhöhe beendet habe.

In diesen Vorträgen führte der Gebrauch des Dritten von einer Aufweichung asymmetrischer Machthierarchien und Einflussbereiche auf der Ebene der historischen Phänomene (Renate Dürr) über eine globale Vergleichbarkeit historischer Phänomene durch (wenn auch europäisch geprägte) Konzepte (Dietmar Rothermund) zu einer Auflösung und Neuformulierung dieser Kategorien auf einer konzeptuellen Ebene (Anthony Reid).

Damit wird deutlich, welche Denkbewegungen „Tertium datur“ im besten Fall anstoßen kann. Dass dies aber (wie bei allen Methoden und Konzepten) nicht mit jedem Material gelingt bzw. nicht immer ergiebig ist, wurde in den erfreulich offen und pointiert geführten Diskussionen, die für die gute Stimmung während der gesamten Tagung sprechen, deutlich. Daher scheint der pragmatische Vorschlag von Marcus Sandl und Ralph Weber, das Dritte situativ zu testen, indem der Fokus zur Seite gerichtet wird, um sich aus eingefahrenen Blickachsen zu lösen, sinnvoll. Wie Wittgensteins Leiter könne man das Konzept nach Gebrauch von sich stoßen und erreicht damit im Idealfall eine komplexere Beschreibung von Wirklichkeit.

Konferenzübersicht:

Sektion „Soziale Beziehungen herstellen“

Marcus Sandl (Zürich): Einführung

Jan Behnstedt (Konstanz): „Vollkommenes, gegenseitiges Vertrauen“. Zur Genealogie der Staatsschuld und der Entstehung eines Versprechens im 18. Jahrhundert

Arndt Brendecke (München): Der Habitus der Unverfügbarkeit. Amtsträgerschaft als Ostentation von Überparteilichkeit

Wolfgang Kaiser (Paris): „Passeurs de rives“ als Figuren des Dritten. Interkultureller Handel im Mittelmeerraum in der Frühen Neuzeit

Sektion „Medien nutzen“

Francisca Loetz (Zürich): Einführung

Ulinka Rublack (Cambridge, GB): What’s the Matter? Clothing as Challenge in Renaissance Germany

Francisca Loetz (Zürich): Gott, der Dritte im Sprachspiel – Die Praxis der Wortsünden in der europäischen Frühen Neuzeit

Sektion „Sinn setzen“

Francisca Loetz (Zürich): Einführung

Sandro Liniger (Konstanz): Gegenwärtige Zukunft – Prophetische Handlungsmächte als Kippfiguren zur Zeit der Bündner Wirren

Achim Landwehr (Düsseldorf): Geburt der Gegenwart. Zur Emergenz neuer Zeitmodelle im 17. Jahrhundert

Renate Dürr (Tübingen): Über-Setzungen. Der Jesuit P. Florian Paucke im Paraguay des 18. Jahrhunderts

Sektion „Dritte Renaissancen entdecken“

Bernd Roeck (Zürich): Einführung

Dietmar Rothermund (Heidelberg): Die „Bengal Renaissance“. Eine kreative Auseinandersetzung mit Europa im 19. Jahrhundert

Toby E. Huff (Cambridge, USA): The Uniqueness of the European Renaissance

H. Floris Cohen (Utrecht): Zwischen Revolution und Evolution. Das „Dritte“ am Beispiel der Wissenschaftlichen Revolution

Sektion „Epochenkonzepte verflechten“

Sven Trakulhun (Zürich): Einführung

Anthony Reid (Canberra): Early Modernity as Cosmopolis. Some Suggestions from Southeast Asia

Peer Vries (Wien): “Early Modern” in Global Economy

Stefan Jordan (München): Sattelzeit als historiographisches Paradigma

Abschlussdiskussion:
Aline Steinbrecher (Zürich)/ Ralph Weber (Zürich)