Treffen des Forums „Tiere und Geschichte“

Treffen des Forums „Tiere und Geschichte“

Organisatoren
Forum „Tiere und Geschichte“; Gesine Krüger / Aline Steinbrecher, Zürich
Ort
Zürich
Land
Switzerland
Vom - Bis
19.07.2012 - 20.07.2012
Url der Konferenzwebsite
Von
Stephanie Zehnle, Fachbereich Gesellschaftswissenschaften, Universität Kassel

Zum zweiten Treffen des Forums „Tiere und Geschichte“ luden Gesine Krüger und Aline Steinbrecher (beide Zürich) vom 19. bis 20. Juli 2012 nach Zürich ein, um dort Zugänge zu Tieren als historische Forschungsgegenstände in vier thematisch ausgerichteten Blöcken zu diskutieren: „Agency–Wirkungsmacht“, „Tier und Raum“, „Das Tier in den Geisteswissenschaften“ und „Darstellungen“. Diese wurden jeweils von Teilnehmenden durch Impulsreferate eingeleitet, auf die dann intensive Diskussionsrunden im Plenum folgten. Das Forum geht auf das Gründungstreffen im vergangenen Jahr in Konstanz (21.-22.07.2011) 1 zurück und dient der offenen Vernetzung von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern – besonders während der Anfertigung von Qualifikationsarbeiten – im Themenfeld der Tiergeschichte im deutschsprachigen Raum. Diese jährlichen Treffen an unterschiedlichen Universitäten sowie die Einrichtung einer gemeinsamen Homepage 2 wurden bereits im Rahmen des initiativen Forumstreffens beschlossen.

Unter den etwa 40 Teilnehmenden waren einige erst nach der Gründungsinitiative zum Forum hinzugestoßen, sodass sich zu Beginn des Treffens alle Beteiligten mit ihren auf die Tiergeschichte bezogenen Interessen und Forschungsprojekten vorstellten. Im Zentrum der Forschungen stehen dabei besonders jene Tierarten, die in der Geschichte in besonders enger Beziehung mit den Menschen lebten – und leben. Damit sind in erster Linie domestizierte Tiere gemeint, die vom Menschen in der Regel zum Freizeitvergnügen gehalten werden (Hunde, Katzen, Vögel). Jenseits der Fokussierung auf bestimmte Tierarten beschäftigen sich einige der Teilnehmenden eher unter den Gesichtspunkten bestimmter Subdisziplinen mit Tieren: in der Wissenschaftsgeschichte (Medizin- und Biologiegeschichte), in der Kolonialgeschichte (Afrika), in der Diplomatiegeschichte (geschenkte Tiere) oder auch in der Geschichte der Arbeit (Schlachthöfe). Die Vorstellungsrunde verdeutlichte erstens, dass historische Forschung über Tiere stark auf Tier-Mensch-Beziehungen bezogen ist und daher „menschennahe“ Tiere präferiert; und zweitens, dass diese Untersuchungen enorm anschlussfähig an andere Felder der Geschichtswissenschaften sind. Beide Erkenntnisse wurden in den Diskussionsrunden wieder aufgegriffen. Die Veranstalterinnen deuteten die laufenden Forschungen jedenfalls als Erfolg und verzeichneten wachsende Sympathien etablierter Forschungseinrichtungen und verschiedener finanzieller Förderer gegenüber der geschichtswissenschaftlichen Tierforschung.

Nachdem beim Gründungstreffen 2011 bereits grundlegende gemeinsame Standpunkte institutioneller geklärt worden waren, konnten in Zürich die Debatten um methodisches Vorgehen und Inhalte in den Mittelpunkt rücken. Im ersten Themenblock führte PASCAL EITLER (Berlin) in den Diskurs um agency3 von Tieren ein. Der Soziologe und Wissenschaftstheoretiker Bruno Latour 4, dessen Thesen im wissenschaftlichen Aushandlungsprozess zur Frage der agency von Tieren so grundlegend wie umstritten sind, äußere sich in seinen Schriften explizit gar nicht dazu. Die Auflösung der Kategorien „Objekt“ und „Subjekt“ in seiner Theorie führe jedoch zu Verunsicherungen, da beide ganz in handelnden Systemen (Latour: Aktanten) in sozialen Situationen und Konstellationen aufgehen. In kritischer Auseinandersetzung mit diesen Thesen fragte Eitler, ob agency ohne Subjektivität denkbar ist und ob Subjektivität als quasi natürlicher Besitzstand gelten könne. Laut Eitler ist hier kein produktives Weiterdenken mit Latours Theorie möglich und so plädierte er für eine Art Rückbesinnung auf Michel Foucault.5 Eitler, der einen Forschungsschwerpunkt in der Körpergeschichte hat, forderte dazu auf, Subjektivität nach Foucault materialistisch als Effekt sozialer Praktiken zu verstehen: Es gehe um die Produktion von Körpern – etwa als Tiere. Die agency sei einem Tier dann weder abzusprechen, noch generell zu attribuieren, sondern individuell je nach Tier und Situation unterschiedlich vorhanden. Unter wiederholter Berufung auf grundlegende Theoretiker der Human-Animal-Studies 6 wurde diskutiert, wie Tieren Handlungsmacht zukommt und mit welchen Termini diese zu beschreiben ist. Vorgeschlagen wurde etwa, den Begriff durch den der „Handlungsträgerschaft“ zu ersetzen. Obwohl die Referenz auf Foucault einigen Teilnehmern nicht plausibel erschien, wurde bestärkt, dass agency hergestellt werden müsse. Umstritten war in der Diskussion, ob Tiergeschichtsschreibung nur als direkte menschlich-tierische Begegnungsgeschichte oder auch als innertierische Geschichte ohne den Menschen möglich ist. In der Diskussion wurde eine dritte Position vertreten, nach der Tiergeschichte über mittelbare historische Beeinflussung ohnehin immer nur als menschlich-tierische Interdependenzgeschichte möglich ist (zum Beispiel Veränderung tierischen Verhaltens durch vom Menschen mitverursachten Klimawandel ohne direkte Begegnungen).

Über die räumlichen Verortungen und Konstruktionen von Tieren und Menschen gestaltete JULIA BREITTRUCK (Bielefeld) anschließend einen kurzen Input-Vortrag. Sie bot einen Querschnitt der bisher wissenschaftlich behandelten Räume, die zunächst in mehreren Studien der Stadt- und Zoogeschichtsschreibung hervorgetreten seien. Bei den von Latour untersuchten Laborräumen stelle sich dann die Frage, ob die dort tätigen Bakterien eben nur dort Akteure seien. Historische Akteure seien Tiere qua materieller Präsenz im Raum und bereits die gemeinsame Textgrundlage dieses Themenblocks weist der historischen Untersuchung von Räumen in Bezug auf Tiere eine besondere Rolle zu, da sie eine „methodologische Lösung für das Problem der Abwesenheit der tierischen Stimme“ 7 sei. Breittruck führte drei auf Chris Philo und Chris Wilbert zurückgehende Raumkategorien ein: animal spaces, beastly places, in-between-spaces.8 Anschließend wurde ein historisches Beispiel aus der eigenen Forschung zur urbanen Vogelhaltung gegeben, das die Gleichzeitigkeit ganz verschiedener Konzepte zur Gestaltung von Vogelkäfigen als Räume verdeutlichte. Käfige seien besonders mobile Räume, die selbst wiederum im Wohnraum arrangiert würden. Um der Prekarität von Räumen gerecht zu werden, wenn etwa Käfige plötzlich als Transitraum zum Flug der Vögel nach draußen werden, schlug Breittruck vor, sie als Transformationsräume statt als Begegnungsräume zu analysieren. Diskutiert wurde anschließend, inwiefern die Erforschung dieser Räume eine historische Verhaltensforschung von Menschen und Tieren zulässt. Die zur Diskussion gestellten Raumkategorien wurden um verborgene, fremde und Ordnungsräume ergänzt. Die Kategorie Raum sei mit der Zeit verbunden, sodass Rhythmen im Raum oder auch evolutionäre Anpassungen zu untersuchen seien. Diese Fragen mündeten unweigerlich in einer Grundsatzdiskussion darüber, ob Menschen und Tiere mit gleichen Forschungsfragen und -methoden untersucht werden müssten und ob Tiergeschichte besonderer epochaler Zeiteinteilungen bedürfe. Auf die Frage hin, wer Epochengrenzen festlegen sollte, folgte der Einwand, dass Historiker auch in der zeitlichen Definition der Renaissance die Mehrheit der Menschen übergangen habe und somit ein Bewusstsein der Betroffenen über eine epochale Wende nicht notwendig sei.

MIEKE ROSCHER (Bremen) knüpfte an diese Grundsatzdiskussionen an, indem sie in ihrem Impulsreferat das Tier in den Geisteswissenschaften verortete. Sie fragte nach einer speziellen Tierdefinition innerhalb der historischen Animal Studies und widersprach nach der Diskussion der Zugänge verschiedener Kulturwissenschaftler dem Generalurteil, Tiere seien in der Historiographie bloße Projektionsflächen: Einerseits wären sie zwar Symbol des nicht-menschlichen und radikalen Andersseins, andererseits seien sie aber immer auch sie selbst. Da sich Historikerinnen und Historiker bisher besonders mit Haustieren befassten, sei der Vorwurf teilweise berechtigt, man beschäftige sich hauptsächlich mit menschenähnlichen Tieren und nicht mit dem Tier an sich. Wie sei dann aber ein wildes und un-menschliches Tier zu definieren? Eine naturwissenschaftliche Tierdefinition könne auch innerhalb der Geisteswissenschaft nicht ignoriert werden, doch verwies Roscher auf die Möglichkeit, Tiere über die Verortung im sozialen Raum zu definieren. Sie vertiefte außerdem die Frage nach der Epochalisierung der Tiergeschichte. Wenn reziproke Tier-Mensch-Beziehungen untersucht würden, sei sowohl die Einflussnahme von Tieren auf Menschen als auch jene von Menschen auf Tiere konstituierend für Epochen. Roscher spitzte diese Zweifel an der Allgemeingültigkeit von Epochendefinitionen für Tiere und Menschen gleichermaßen auf die Frage zu, ob Kosellecks Pferdezeitalter denn auch für die Pferde selbst gegolten habe.9 Der Tierbegriff solle zwar keine beliebig austauschbare Formel werden, doch fordere die Pluralität von Definitionen von allen Historikerinnen und Historikern, abhängig vom individuellen Erkenntnisinteresse eine eigene Beschreibung des Tiers zu finden. Dies verlange etwa einen offenen Umgang damit, ob das reale oder das symbolische Tier, ganze Spezies oder Individuen behandelt werden. In der Diskussion um die richtige, die angemessene Tierdefinition wurde vorgeschlagen, die Suche nach einer unhierarchischen Definition aufzugeben, weil eine solche Herrschaftsverhältnisse verkläre, und sich stattdessen pragmatisch an menschlichen Definitionen des Tiers zu orientieren.

In ihrer Präsentation zum Thema der Darstellung von Tieren ging MARTINA SCHLÜNDER (Berlin) auf mehreren Ebenen auf Repräsentationen ein: Sie behandelte Darstellungen von Tieren in wissenschaftlichen Quellen und in einem weiteren Schritt auch die Darstellungsmöglichkeiten der wissenschaftlichen Erkenntnisse. Beide Themenkomplexe problematisierte sie anhand ihrer eigenen Forschung über unfallchirurgische Tests an Schafen in einem Schweizer Labor. Sie untersucht dabei den wissenschaftshistorischen Transfer zwischen Human- und Tierchirurgie. Als Quellen über Archivmaterial und medizinische Literatur hinaus verwendet Schlünder eigene und fremde Photographien und die dichte Beschreibung der Situationen in den Forschungsställen. Sie präsentierte dazu historische und aktuelle Bilder der Schafe, medizinischer Apparate und von Ställen. Sie arbeite als Medizinhistorikerin ohnehin mit Röntgenbildern als Quellen, die verborgene Forschungsgegenstände erst sichtbar machten. Zudem sei chirurgisches Wissen generell sehr bildlastig, sodass der Schritt zur Produktion eigener Bildquellen nicht besonders radikal gewesen sei. Die quasi ethnographische Dokumentation des Verhaltens der Schafe im Stall präsentierte sie als sinnliche und reportagehafte Selbsterfahrung, um die Ställe als Orte gesellschaftlichen Handelns zu verstehen. Schlünder möchte die Darstellungsmöglichkeiten aber noch weiter ausreizen, da die Tiere dies durch ihre spezifische Präsenz geradezu einforderten. Daher zeigte sie erste Zeichnungen für einen geplanten Comic über ihre Forschung.10 Dann solle nicht mehr das Bild den wissenschaftlichen Text, sondern der Text das bildliche Narrativ illustrieren. Im Plenum gingen die Teilnehmer auf die Körperlichkeit der Tiergeschichte ein, die sich am Beispiel der Laborschafe zeige, da deren Körper durch spezielles Wissen über sie verändert würden, um wiederum medizinisches Wissen hervorzubringen. Der Sinn ethnographischer Methoden wurde kritisch hinterfragt und vorgeschlagen, die dialogische Mensch-Schaf-Interaktion stärker zu dokumentieren. Angemerkt wurde zum Comic-Projekt, dass Tiere keine eigene Darstellungsweise benötigten. Die Zusammenarbeit mit Künstlern und die Ideen zu neuer wissenschaftlicher Kommunikation stießen auf große Zustimmung.

In der Abschlussdiskussion stellten die Gastgeberinnen ihre Eindrücke der Themenblöcke zur Diskussion. Bei Debatten um Tiergeschichte sei man sehr schnell bei der Aushandlung von Prämissen der Geschichtswissenschaft überhaupt gelandet. Der Kampf um agency der Tiere sei mittlerweile Differenzierungsversuchen gewichen. In Bezug auf Räume habe man sich darauf geeinigt, dass die Kategorie des Raums Praktiken und Repräsentationen von Tieren und Menschen vereine. Weil sich das Forum seit dem Konstanzer Treffen 2011 von den großen Fragen hin zu Diskussion der konkreten Untersuchungen hin bewegt habe, wurde vorgeschlagen, beim nächsten Treffen eine Selbstthematisierung vorzunehmen. Für einige Teilnehmenden zählte dazu auch die Frage nach der emotionalen Involviertheit, also der eigenen Gefühle den analysierten Tieren gegenüber. Andere wehrten sich eher dagegen und bewerteten ein solches Vorgehen als Exotisierung des Tiers, das nur scheinbar stärker als andere Forschungsgegenstände Emotionen hervorrufe. Das Format mit kurzen Inputs und langen Diskussionsrunden soll auch beim nächsten Forumstreffen beibehalten werden, weil die intensiven Gespräche so notwendig wie auch wissenschaftlich inspirierend sind. Das nächste Treffen des Forums „Tiere und Geschichte“ wird im kommenden Jahr in Wien stattfinden und neben der genannten Selbstanalyse des „Tierhistorikers“ in Bezug auf Arbeitsweisen und die konkrete Quellenanalyse auch die Möglichkeiten der interdisziplinären Zusammenarbeit mit den Naturwissenschaften (Ethologen, Umweltwissenschaftler) in den Fokus rücken.

Innerhalb der Human Animal Studies existieren zwar bereits seit einigen Jahren international vernetzte Initiativen und Foren, jedoch sind diese innerhalb der Kulturwissenschaften meist interdisziplinär angelegt. Das 2011 gegründete Nachwuchsforschernetzwerk „CLAS – Cultural and Literary Animal Studies“ (Würzburg) ist für die deutschsprachige Wissenschaftslandschaft beispielhaft zu nennen. Das Treffen des Forums „Tiere und Geschichte“ versteht sich aber explizit als geschichtswissenschaftlich, sodass es gelang, über konkrete Ideen und Hindernisse aus der Sicht der historischen Forschung über Tiere zu debattieren. Dies verschafft Glaubwürdigkeit für den Forschungsgegenstand „Tiere“ und bietet Historikerinnen und Historikern hoffentlich auch weiterhin eine Plattform, speziell historische Anliegen – etwa bezüglich Quellen, Epochalisierungen und Deutungen – gemeinsam zu diskutieren.

Konferenzübersicht:

Begrüßung und Einführung (Gesine Krüger und Aline Steinbrecher)

I Agency – Wirkungsmacht
Moderation: Clemens Wischermann

Input: Pascal Eitler (Berlin)

II Tier und Raum
Moderation: Aline Steinbrecher

Input: Julia Breittruck (Bielefeld)

III Was ist das Tier in den Geisteswissenschaften?
Moderation: Gesine Krüger

Input: Mieke Roscher (Bremen)

IV Darstellungen
Moderation: Stefan Zahlmann

Input: Martina Schlünder (Berlin)

Diskussion der Ergebnisse der vier Themenblöcke

Vorbereitung des 3. Forums 2013

Besprechung geplanter Projekte und Initiativen

Anmerkungen:
1 Vgl. dazu den Tagungsbericht von Annette Leiderer: Tagungsbericht Tiere und Geschichte. 21.07.2011-22.07.2011, Konstanz, in: H-Soz-u-Kult, 06.10.2011, <http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/tagungsberichte/id=3832>, (01.08.2012).
2 <http://www.univie.ac.at/tiere-geschichte/> (01.08.2012).
3 Im Forum zunächst als „Wirkungsmacht“, dann auch als „Handlungsmacht“ übersetzt und hinterfragt.
4 Bruno Latour gilt als Begründer der Akteur-Netzwerk-Theorie (ANT); vgl. dazu etwa: ders., Reassembling the Social, An Introduction to Actor-Network-Theory, Oxford 2005.
5 Etwa Michel Foucault, Dispositive der Macht. Über Sexualität, Wissen und Wahrheit, Berlin 1978.
6 Z.B. Donna Jeanne Haraway, When species meet, Minneapolis 2008.
7 Susan Pearson/Mary Weismantel, Gibt es das Tier? Sozialtheoretische Reflexionen, in: Dorothee Brantz / Christof Mauch (Hrsg.), Tierische Geschichte, Paderborn 2010, S. 392.
8 Chris Philo, Chris Wilbert, Animal Spaces, Beastly Places. New Geographies of Human-Animal Relations, London 2000.
9 Reinhard Koselleck, Das Ende des Pferdezeitalters, in: Süddeutsche Zeitung, 25.9.2003, S. 18.
10 Dieser wird gemeinsam mit dem Künstler Pit Arens (Berlin) realisiert.