Fremdes Geld: Pensionen in der Alten Eidgenossenschaft

Fremdes Geld: Pensionen in der Alten Eidgenossenschaft

Organisatoren
Simona Slanicka, SNF-Förderprofessur „Korruption und Antikorruptionspolitik“, Abteilung für Neuere Geschichte, Historisches Institut, Universität Bern
Ort
Bern
Land
Switzerland
Vom - Bis
30.11.2012 - 01.12.2012
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Von
Nadir Weber, Abteilung für Neuere Geschichte, Historisches Institut, Universität Bern

„Ohne Geld keine Schweizer“, so lautete eine Binsenweisheit unter auswärtigen Diplomaten in der frühneuzeitlichen Eidgenossenschaft.1 Tatsächlich ließen sich die Häupter der umliegenden Monarchien ihr Bemühen um den Zugang zum eidgenössischen Söldnermarkt und den geostrategisch bedeutsamen Pässen einiges kosten und prägten damit die politische Verfasstheit und Kultur des komplexen Bündnisverbundes wesentlich mit. So erlaubten es die in Allianzverträgen vereinbarten jährlichen Geldzahlungen den polyarchisch verfassten Orten zum einen, ihre Staatskassen ohne Erhebung zusätzlicher Steuern zu füllen. Zum anderen trugen die parallel einfließenden partikularen Pensionen an einzelne Magistraten zur Herausbildung und Verfestigung politischer Eliten bei. Insbesondere die heimlichen Geldtransfers wurden immer wieder zum Gegenstand von Korruptionskritik, die sich in den reformierten Städteorten in Verboten von „miet und gaben“ und in den katholischen Länderorten in wiederholten Unruhen und Faktionskämpfen manifestierte.2

Der von SIMONA SLANICKA an der Universität Bern organisierte Workshop hatte zum Ziel, den Formen und der Wirkungsmächtigkeit des „fremden Geldes“ in der Eidgenossenschaft nachzuspüren. Wie Slanicka in ihrer Einführung darlegte, war der Begriff der Pensionen zunächst im kirchlichen Kontext etabliert, erhielt in der Eidgenossenschaft im Anschluss an die Burgunderkriege aber ab dem ausgehenden 15. Jahrhundert die Bedeutung von öffentlichen oder geheimen Jahrgeldern an politische Körperschaften oder Einzelpersonen. Während die Geschichte der Pensionen lange Zeit vorwiegend in militärgeschichtlichen Zusammenhängen thematisiert worden sei, gelte es nun, diese Transfers und die sie begleitenden Praktiken und Diskurse umfassender in den Blick zu nehmen. Die Beiträge der ersten Sektion widmeten sich im Anschluss daran denn auch generell der Frage nach den Funktionen von Pensionen in der Eidgenossenschaft.

Wie NATHALIE BÜSSER (Zürich) am Beispiel von Schwyz und weiteren Länderorten darlegte, ist die Geschichte der Pensionen eine laute und eine leise zugleich – laut, weil das fremde Geld in vielen „Händeln“ eine wichtige Rolle spielte, und leise, weil die Transfers selbst wenig Niederschlag in schriftlichen Quellen fanden. Büsser wies darauf hin, dass die Pensionen in den Allianzverträgen nicht als Gegenleistungen für militärische Kapitulationen, sondern als einseitige Freundschafts- oder Gunsterweise dargestellt wurden, was die Orte semantisch in die Nähe von Vasallen auswärtiger Fürsten rückte. Dies kümmerte die Länderorte indes wenig, wie auch die Zweckbestimmungen der Pensionen. Die Landleute von Schwyz erhoben etwa ebenfalls Ansprüche auf einen Anteil („Teilkronen“) an den Partikularpensionen, offenbar nicht selten mit Erfolg. Ausgehend von solchen Praktiken plädierte Büsser für eine Mikrogeschichte des Pensionenwesens, welche den Verteilungslogiken vor Ort auf den Grund geht und besonders auch die materiellen Aspekte des Geldes in den Blickpunkt rückt.

OLIVER LANDOLT (Schwyz) ging sodann der Frage nach, inwiefern die Aussicht auf Pensionen politische Ämter ökonomisch attraktiv machte. Wie er vor allem am Beispiel Berns aufzeigte, stieg im späten 15. Jahrhundert die Arbeitsbelastung von Ratsherren, womit sich das von Max Weber beschriebene Problem der „Abkömmlichkeit“ stellte. Die Partikularpensionen auswärtiger Fürsten machten die sehr bescheidenen Vergütungen bei führenden Räten tatsächlich mehr als nur wett. Im Kontext der an Menschen verlustreichen Italienkriege wurden die geheimen Gelder aber dann zum Gegenstand oppositionellen Unwillens, der sich 1513 in Bern wie in mehreren anderen Orten gewaltsam entlud. Entschärft wurden die Spannungen durch die Umleitung der Gelder in die öffentlichen Kassen oder, in den Länderorten, in die Taschen aller Korporationsangehörigen. Regelmäßige Diätenzahlungen an Ratsherren hätten diese für ihren Arbeitsaufwand besser entschädigen und von fremden Geldern unabhängiger machen sollen.

DANIEL SCHLÄPPI (Bern) beschrieb im Anschluss unter Bezugnahme auf die Semantik des Geldes die alteidgenössische Diplomatie als „Handelsgeschäft“, die mehr mit Ökonomie als mit Staatlichkeit zu tun habe. Vorwiegend anhand von Akten der frankreichgebundenen Familie Zurlauben legte er dar, wie Geld als „Treibstoff der Politik“ in der Eidgenossenschaft verstanden worden sei, den es etwa im Vorfeld von Wahlen oder Tagsatzungen gezielt einzusetzen galt, um den Interessen des Königs zum Durchbruch zu helfen. Paradoxerweise hätten jedoch auch Zahlungsrückstände bei den Pensionen nicht etwa zu einer Abkehr der Orte und Klienten von der französischen Krone geführt, sondern sie vielmehr in einem „Schwebezustand gegenseitiger Verpflichtungen“ belassen und damit noch stärker und nachhaltiger an sie gebunden. Flossen die Ressourcen dann schließlich doch, kamen in den inneren Orten genossenschaftlich fundierte und geradezu ritualisierte Verteilungspraktiken zum Tragen, die auf den hohen Symbolgehalt des baren Geldes verweisen.

Die von Niels Grüne moderierte zweite Sektion widmete sich der Frage nach der Akzeptanz von Pensionen. PHILIPPE ROGGER (Bern) zeigte am Fall des Berner Venners Kaspar Wyler auf, wie der Vorwurf, heimlich Pensionen angenommen zu haben, als Waffe zur Skandalisierung klientelistischer Bindungen von konkurrierenden Ratsfaktionen dienen konnte. Wyler trieb im Kontext des Könizer Aufstands von 1513 zunächst die von der ländlichen Opposition geforderte Auflistung und Bestrafung französischer Pensionäre unter den Ratsherren voran, wurde dann aber bald selbst zum Ziel von Korruptionsvorwürfen, die vor den Augen einer lokalen Öffentlichkeit in mehreren Prozessen ausgetragen wurden. Wenngleich ein definitiver Nachweis ausblieb, war der Einfluss von Wyler nun weitgehend neutralisiert. Geheime Pensionen seien damit, so Rogger, zu Chiffren von Bestechlichkeit und Verrat geworden, ohne dass dies längerfristig viel an der Praxis der Außenverflechtung der Eliten geändert habe.

Tatsächlich konnte ANDREAS AFFOLTER (Bern) in seinem Beitrag nachweisen, dass hohe Berner Magistraten trotz der seit der Reformationszeit periodisch erneuerten Pensionenverbote auch im frühen 18. Jahrhundert noch Gelder der französischen Ambassade annahmen. Sie liefen dabei offenbar kaum Gefahr, dafür von ihren Ratskollegen belangt zu werden. Affolter deutete diesen „Konsens des Schweigens“ (wie es André Holenstein in der Diskussion ausdrückte) als Folge eines gewandelten Pensionendiskurses, der die heimliche Annahme fremder Gelder nicht mehr als prinzipielle Bedrohung des christlichen Gemeinwesens ansah, sondern unter den Prämissen eines republikanischen Staatsverständnisses betrachtete. Weniger die Annahme von Geldern an sich als der damit potentiell einhergehende Verrat politischer Geheimnisse habe nun als Gefahr für die Unabhängigkeit der Republik gegolten; konnte letzteres nicht nachgewiesen werden, erschien ersteres als erlässliches Kavaliersdelikt.

MAUD HARIVEL betrachtete im dritten Sektionsbeitrag die Beurteilung von Pensionen in der Korrespondenz zwischen dem französischen Hof, seiner Schweizer Vertretung und den Drei Bünden, einem ähnlich komplex strukturierten Gebilde wie der Eidgenossenschaft. Von Seiten der Krone sei der Nutzen von partikularen Pensionen in den 1760er Jahren zusehends hinterfragt worden; Transfers, deren Effektivität nicht nachgewiesen werden konnte, fielen dem Rotstift zum Opfer. Aus der Not machten an Frankreich gebundene Bündner Magistraten wie Ulysses von Salis-Marschlins eine Tugend und brandmarkten den korrumpierenden Einfluss des fremden – d.h. nun vorwiegend österreichischen – Geldes in einer souveränen Republik, um dagegen ihren eigenen selbstlosen Einsatz für das Vaterland hervorzuheben. Allerdings habe sich die französische Interessenpolitik ohne die hergebrachten Mittel dann in der Praxis doch als wenig erfolgreich erwiesen.

Die dritte und letzte, von Christian Windler moderierte Sektion widmete sich dem größten Konkurrenten der französischen Krone auf dem eidgenössischen Patronagemarkt im 17. Jahrhundert: der spanisch-mailändischen Diplomatie. RUDOLF BOLZERN (Bern) stellte den Umgang mit Pensionen während der Gesandtschaft von Alfonso Casati (1594-1621), der eine eigentliche Gesandtendynastie im katholischen Vorort begründete, in den Mittelpunkt seiner Betrachtung. Er zeigte dabei auf, wie die Verfügungsmacht über geheime, nicht schriftlich quittierte Pensionen Casati erhebliche Handlungsspielräume bot. Vorwürfe, das in ihn gesteckte Vertrauen zur persönlichen Bereicherung ausgenutzt zu haben, seien beim in Mailand und am Hof bestens vernetzten Gesandten aber stets ergebnislos verhallt. Angesichts eines erneuten Staatsbankrottes stellte sich auch hier die Frage nach günstigeren und effektiveren Alternativen zu den Jahrgeldern. Wenngleich die Zahlungen wie beim französischen Konterpart bisweilen ausblieben, wurde aber aus Furcht vor Repressionen gegen Mailand und Kooperationsverweigerung seitens der Orte letztlich nicht auf das Mittel verzichtet.

ANDREAS BEHR (Fribourg) ging in seinem Beitrag der Struktur des spanischen Pensionenwesens in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts und der Frage nach dem Nutzen von Partikularpensionen nach. Die öffentlichen wie die vertraglich festgelegten geheimen Pensionen seien von den Orten als fester Rechtsanspruch betrachtet worden und hätten damit ihren Charakter als Machtmittel weitgehend eingebüßt. Entsprechend flossen sie auch in der Regel nicht mehr durch die Hände der Gesandten. Die Casati konzentrierten ihre Arbeit als Broker finanzieller Ressourcen dagegen ganz auf partikulare Pensionen und außerordentliche Gratifikationen, die situativ zur Rekrutierung neuer Klienten, zur geheimen Informationsbeschaffung, für Werbungen oder für Stimmenkauf eingesetzt werden konnten. Sie sollten dabei, so Behr, nicht einseitig in ihrer Rolle von Agenten der Interessen des auswärtigen Souveräns betrachtet werden, sondern selbst als Teil eines Ressourcenkreislaufs zwischen dem Hof in Madrid, dem Herzogtum Mailand und den spanischen Parteigängern in den eidgenössischen Orten.

Die Schlussrunde des Workshops wurde von vier kurzen Statements eingeleitet. Nach CHRISTIAN WINDLER (Bern) weisen Pensionen zunächst auf die Grenzen der Staatsbildung hin, da sie vor allem Bindungen zwischen einzelnen Personen und korporativ verfassten Personenverbänden generierten. Andererseits hätten in den reformierten Orten gerade die Debatten um Pensionen seit dem 16. Jahrhundert zur Profilierung von Vorstellungen geführt, die darüber hinauswiesen, etwa die Unterscheidung von Person und Amt. NIELS GRÜNE (Innsbruck) fasste zusammen, dass die zeitgenössischen Bewertungen und Semantiken fremden Geldes stark variierten. Generell könne dabei aber ein affirmativ-legitimatorischer Kommunikationsmodus der Patronage von einem kritisch-delegitimatorischen der Korruption unterschieden werden. ANDREAS WÜRGLER (Bern) stellte mit Blick auf die Tagungsbeiträge fest, dass die herangezogenen Quellen vor allem die Binnenperspektive des Pensionenwesens widergäben, während etwa die kritische Publizistik (Pamphletliteratur) kaum berücksichtigt worden sei. Dies wäre künftig zu wünschen, da sich gerade der kritische Diskurs um Pensionen stark um Fragen der Sichtbarkeit und Transparenz drehte. Die Veranstalterin Simona Slanicka resümierte, dass Pensionen während dreihundert Jahren einen prägenden Faktor in der Geschichte der Eidgenossenschaft dargestellt hätten. Seit dem Beginn des Geldflusses von außen seien Pensionen von einem kritischen Paralleldiskurs begleitet worden, ohne dass sich an der Praxis viel geändert hätte. Künftige Forschungen könnten noch mehr auf die sie begleitenden Metaphern, die Materialität des Geldes und die Auswirkungen auf Staatsauffassungen, insbesondere hinsichtlich einer Trennung von Innen und Außen, achten.

In der abschließenden Diskussion wurde unter anderem die Frage nach der Exzeptionalität des eidgenössischen Falls gestellt. Dabei wurde darauf hingewiesen, dass etwa die französische Diplomatie bei weitem nicht nur in der Eidgenossenschaft auf Geld als Beeinflussungsmittel zurückgriff und die effektiv aufgewendeten Summen sich dabei zumindest situativ in ganz anderen Sphären bewegen konnten. Die lange Kontinuität der Transfers auf individueller wie kollektiver Ebene wie auch die Mechanismen der Distribution vor Ort erschienen demgegenüber als mögliche Spezifika, wozu es aber noch mehr vergleichender Studien bedürfte. Weitgehender Konsens bestand darüber, dass Pensionen als Patronageressource nicht isoliert betrachtet, sondern in Beziehung zu weiteren Transfers materieller oder symbolischer Ressourcen gesetzt werden sollten, die sie begleiteten, ergänzten oder gar substituierten: So waren etwa Salz- und Handelskonzessionen oder Regimenter in fremden Diensten ökonomisch nicht minder attraktiv als Pensionen und erlaubten es manchen Magistraten, Verbote von „miet und gaben“ einigermaßen elegant zu umschiffen. Die Orte Bern und Zürich verzichteten in der 1777 erneuerten Allianz mit der französischen Krone schließlich gänzlich auf die öffentlichen Pensionen, die sie mit ihrer Souveränität als unvereinbar betrachteten, und straften so die Binsenweisheit der auswärtigen Diplomaten Lügen. Insgesamt variierte der Stellenwert des baren Geldes als Mittel der Diplomatie damit auch innerhalb der Eidgenossenschaft je nach Zeit und Raum erheblich. Der Workshop zeigte aber auf, dass dem unvergleichlich fluiden Medium vom 15. Jahrhundert bis zum Ende des Ancien Régime eine besondere Anziehungs- und Sprengkraft eigen blieb.

Konferenzübersicht

1. Funktionen von Pensionen in der Eidgenossenschaft

Einführung und Moderation: Simona Slanicka (Bern)

Nathalie Büsser (Zürich): Wahre Liebe? Pensionen in den Länderorten der Alten Eidgenossenschaft

Oliver Landolt (Schwyz): Reich durch Politik? Zur Attraktivität von Pensionsgeldern für politische Entscheidungsträger in den eidgenössischen Orten im Übergang vom Spätmittelalter zur Frühen Neuzeit

Daniel Schläppi (Bern): „Wil der gmeine man nit mer wirt wellen den guoten Worten ohne werk glauben geben“. Fremdes Geld als Treibstoff der alteidgenössischen Politik

2. Akzeptanz von Pensionen
Moderation: Niels Grüne (Innsbruck)

Philippe Rogger (Bern): Pensionen und die Auseinandersetzung der städtischen Eliten um die politische Macht in Bern am Beginn des 16. Jahrhunderts: Der Fall Kaspar Wyler

Andreas Affolter (Bern): Äskulaps verbotene Medizin. Einsatz und Akzeptanz französischer Patronageressourcen in Bern (frühes 18. Jahrhundert)

Maud Harivel (Bern): Corruption et amour de la patrie. La valeur de l’argent dans la correspondance politique franco-grisonne (1763-1767)

3. Mailand-Spanien
Moderation: Christian Windler (Bern)

Rudolf Bolzern (Bern): „Gold würde zu Blei“. Strategien, Sachzwänge und Praxis Spaniens bei der Begleichung der geschuldeten Pensionen anfangs 17. Jh.

Andreas Behr (Fribourg): „Gastée et corrompue en toutes choses“. Spanische Pensionen in der Alten Eidgenossenschaft im ausgehenden 17. Jh.

4. Abschlussplenum

Christian Windler (Bern), Niels Grüne (Innsbruck), Andreas Würgler (Bern), Simona Slanicka (Bern)

Anmerkungen:
1 Vgl. Christian Windler, „Ohne Geld keine Schweizer“. Pensionen und Söldnerrekrutierung auf den eidgenössischen Patronagemärkten, in: Hillard von Thiessen / Ders. (Hrsg.), Nähe in der Ferne. Personale Verflechtung in den Außenbeziehungen der Frühen Neuzeit (ZHF Beihefte 36), Berlin 2005, S. 105-133.
2 Vgl. insbes. Valentin Groebner, Gefährliche Geschenke. Ritual, Politik und die Sprache der Korruption in der Eidgenossenschaft im späten Mittelalter und am Beginn der Neuzeit, Konstanz 2000; Andreas Suter, Korruption oder Patronage? Außenbeziehungen zwischen Frankreich und der Alten Eidgenossenschaft als Beispiel (16. bis 18. Jahrhundert), in: Zeitschrift für Historische Forschung 37 (2010), 2, S. 187-218.


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