Die 1960er Jahre als Umbruchszeit in religiösen Gemeinschaften. Arbeitskreis Ordensgeschichte 19./ 20. Jahrhundert

Die 1960er Jahre als Umbruchszeit in religiösen Gemeinschaften. Arbeitskreis Ordensgeschichte 19./ 20. Jahrhundert

Organisatoren
Arbeitskreis Ordensgeschichte 19./ 20. Jahrhundert
Ort
Vallendar
Land
Deutschland
Vom - Bis
01.02.2013 - 03.02.2013
Url der Konferenzwebsite
Von
Gisela Fleckenstein, Historisches Archiv der Stadt Köln

Schwerpunkthema der Tagung war „Die 1960er Jahre als Umbruchszeit in religiösen Gemeinschaften“. Dabei ging es um die Rezeption und Umsetzung der Beschlüsse des Zweiten Vatikanischen Konzils in den Ordensgemeinschaften und Kongregationen. Daneben wurden aktuelle Arbeiten zur Ordensgeschichte vorgestellt und von den 35 Teilnehmern und Teilnehmerinnen aus Deutschland, Österreich und den Niederlanden intensiv diskutiert.

Im Dekret über die zeitgemäße Erneuerung des Ordenslebens (Perfectae Caritatis) von 1965 wurde bestimmt, dass das Ordensgewand als Zeichen der Weihe den Umständen der Zeit, des Ortes und den Erfordernissen des Dienstes angepasst werden sollte. GISELA FLECKENSTEIN (Köln), zeigte auf, wie die traditionelle Kleiderordnung stark in Bewegung geriet. Es gab ein weites Spektrum des Umgangs mit der Kleiderfrage. Es reichte vom Festhalten am traditionellen Ordenskleid bis hin zu vollständigem Ablegen und Tragen ziviler Kleidung. In der Kleiderfrage kam zum Ausdruck, wie es um die Akzeptanz und Toleranz innerhalb einer Gemeinschaft bestellt war. War dies wichtig für das Selbstverständnis einer Gemeinschaft nach außen? Das Konzilsdekret hatte Veränderungen ausgelöst, deren Prozess bis heute nicht abgeschlossen ist. Das veränderte Symbol des Ordensgewands wurde zum Synonym für Ordensleben im Wandel.

Der Jesuit KLAUS SCHATZ, Philosophisch-Theologische Hochschule St. Georgen (Frankfurt am Main), berichtete aus eigener Erfahrung und aus archivischen Quellen von den unmittelbaren Umbrüchen im 1925 gegründeten Berchmannskolleg der Jesuiten, welches sich bis 1972 in Pullach befand. In diesem Studienhaus lebten 130-140 Studenten (Scholastiker) und etwa 40 Dozenten, die alle der Gesellschaft Jesu angehörten. Die von Rektor Johannes (Janos) Hegyi vertretene strenge Ordensdisziplin rückte in der Konzilszeit in die Kritik. Viele Regeln des ritualisierten Umgangs („Sie“-Regel, Verbot gegenseitiger Zimmerbesuche, Lateinsprechen außerhalb der Rekreation) fanden keine Akzeptanz mehr. Die Krise spitzte sich zu, als vor dem Ignatiusfest 1964 von Studenten eine Herz-Jesu-Statue entwendet wurde. Diese Tat – die bis zur Ordensleitung nach Rom drang – darf in ihrer symbolischen Bedeutung nicht unterschätzt werden. Nach einem Wechsel in der Ordensleitung, fanden ab 1964/66 Veränderungen im Kolleg statt. Die durch das Konzil ausgelöste Krise konnte stabilisiert werden und erst mit den 1968er-Jahren wurde es erneut turbulent.

JAN SLOOT (Utrecht), analysierte die Franziskanische Bewegung in den Niederlanden seit 1965. Ganz progressiv wurde 1962 „Franciscaanse Samenwerking“ als Organisation aller 24 niederländischen franziskanischen Orden und Kongregationen gegründet. Ab 1978 übernahmen verstärkt Laien, die franziskanisch leben wollten, die Initiative und brachten Themen ein, die sich an Gerechtigkeit, Frieden und Bewahrung der Schöpfung orientierten. 1996 wurde „Samenwerking“, wo nur Gemeinschaften Mitglied sein konnten, umgewandelt in die „Franziskanische Bewegung“, die aus Einzelmitgliedern bestand, die nicht konfessionell gebunden sein mussten. Die Zukunft der „Franziskanischen Bewegung“ ist ungewiss. Es fehlt jemand, der eine Führungsrolle übernimmt; die franziskanischen Kongregationen haben keine Zukunft, da es nach 1967 kaum noch Eintritte gab.

KIRSTEN OBOTH (Bochum) stellte Ergebnisse ihrer Dissertation vor. Im Mittelpunkt standen Transformationsprozesse bei den Schwestern vom Guten Hirten zwischen 1945-1985. Der Wandel des Selbstverständnisses dieser Kongregation spiegelt sich in den verschiedenen Fassungen ihrer Konstitutionen. Oboth hat die Konstitutionen von 1955, 1969 und 1985 in Bezug auf das dort vermittelte Verständnis von Gehorsam untersucht. Die Kongregation setzte sich in den nachkonziliaren Kapiteln intensiv mit Themen der Zeit auseinander (Armut, Sendung, Soziale Gerechtigkeit, Menschenwürde). Gehorsam wurde nun aufgefasst als ein aktives Suchen nach dem Willen Gottes in den Lebensbezügen. In den veränderten Konstitutionen zeigte sich ein starker theologischer Wandel, der die Lebenspraxis noch nicht unbedingt berührte.

ERIK SODER VON GÜLDENSTUBBE (Würzburg) ,Bistumshistoriker, zeigte an der Erarbeitung der neuen Lebensregel (Konstitutionen) der 1849 von Alphonsa Maria Eppinger gegründeten „Kongregation der Schwestern des Erlösers“ die Umsetzung der wesentlichen Forderungen des Konzilsdekretes Perfectae Caritatis auf. Es ging wesentlich um die Orientierung am Evangelium, an den ursprünglichen Stiftungsabsichten und an den aktuellen Lebensbedingungen. Durch die Änderung des Kirchenrechts mit dem CIC 1983 war eine erneute Anpassung der Lebensregel notwendig, die dann 1985 approbiert wurde. Die Schwestern sind auf drei Kontinenten vertreten und die Abstimmung der Lebensregel war ein mühsamer, aber letztlich erfolgreicher Prozess.

CLEMENS BRODKORB (München) vom Archiv der Deutschen Provinz der Jesuiten beleuchtete das Konzil aus der Perspektive der Münchener Kirchenarchive. In der Ausstellung „Erneuerung in Christus“ zeigten die Archive 2012, welche Bedeutung die Archive für die Konzilsforschung haben. Präsentiert wurden Akten aus privaten Nachlässen. In der Ausstellung, die mit zahlreichen Fotos vom Konzil illustriert wurde, konnte an den ausgewählten Dokumenten beispielhaft aufgezeigt werden, wie das Konzil arbeitete und welche Netzwerke gebildet wurden. Die vom Publikum gut angenommene Ausstellung war keine Würdigung des Konzils, sondern es wurde gezeigt, dass Konzilsforschung ohne die Archive unmöglich ist. Ein Begleitband (Katalog und Aufsätze) lud ein, das Gesehene zu vertiefen.

Auf der Tagung fanden auch weiter Themen Raum. REIMUND HAAS (Köln), Historisches Archiv des Erzbistums Köln, leitete seinen Beitrag über das Ruhrgebiet mit der bekannten Formel Österreich-Klösterreich ein und implizierte damit die ungewöhnliche Verbindung Ruhrgebiet-Klosterreich. Im heutigen Ruhrgebiet setzte der Klosterfrühling mit der Industrialisierung und der damit einhergehenden Bevölkerungsentwicklung im 19. Jahrhundert ein. Bis 1995 zählte man im Ruhrgebiet 450 Klöster bzw. Ordensniederlassungen. Damit war das Ruhrgebiet die größte Klosterlandschaft des deutschen Katholizismus. Haas plädierte für ein eigenes Klosterbuch Ruhrgebiet, welches die Klöster bis zur Gegenwart erfassen soll und sich damit von der zeitlichen Teilung der bisherigen Werke (Westfälisches Klosterbuch und Nordrheinisches Klosterbuch) abhebt.

Eine der von Reimund Haas eingeforderten Spezialstudien legte ARNE THOMSEN (Bochum) mit seiner Dissertation zum Katholischen Krankenhauswesen im Ruhrrevier vor. Im Mittelpunkt seiner Ausführungen stand die Arbeit der verschiedenen Schwesternkongregationen in 85 katholischen Krankenhäusern. Konfliktträchtig war das Verhältnis zur Ärzteschaft. Im Gegensatz zu den Schwestern, waren die Ärzte, die neben der Krankenhaustätigkeit eine eigene Praxis hatten, nicht durchgehend bei den Patienten. Die Schwestern wollten Krankheiten auch seelisch und moralisch heilen und die theologische Sicht auf die Krankheit prallte oft auf das medizinische Wissen der Ärzte. Beide hielten die andere Seite für nicht kompetent. In jedem Fall trugen die Schwestern zu einer Professionalisierung der Krankenhäuser bei.

Der Kapuziner LEONHARD LEHMANN, Pontificia Università Antonianum Rom, nahm die Restauration des Kapuzinerordens unter dem Generalminister Bernhard Christen von Andermatt (1884-1909) in den Blick. Ausgehend von der Autobiographie des Schweizer Kapuziners mit dem Titel „Meine Wiege stand in Andermatt“ stellte er die Selbst- und Fremdeinschätzung seiner Erfolge für die Erneuerungen im Gesamtorden gegenüber. Zu seinen Reformanliegen gehörten u.a.; die Einrichtung von Kollegien und Studienhäusern in allen Ordensprovinzen und die Neuorganisation der Missionen. Dies führte zu einer vorher nicht gekannten Intensivierung der Missionsarbeit, die zu einem Markenzeichen der Kapuziner wurde. Die erfolgreich durchgesetzten Reformen Andermatts hatten im Orden bis zum Zweiten Vatikanischen Konzil bestand.

EUGENE VAN DEUTEKOM (´s-Hertogenbosch) gab eine Einführung in die Bierproduktion belgischer Trappistenklöster. Trappistenbier ist ein durch oder unter Aufsicht von Trappistenmönchen gebrautes Bier. Es muss im Kloster oder in unmittelbarer Umgebung hergestellt und der Verkaufserlös darf nicht der Gewinnmaxierung des Klosters dienen, sondern muss für (soziale) Werke eingesetzt werden. Das obergärige Bier mit dem vollen Geschmack darf, wenn es so hergestellt wird, das Label „Authentic Trappist Product“ tragen. Das Bierbrauen in den Trappistenklöstern geht auf den Reformer des Ordens Armand Jean Le Bouthillier de Rancé (1626-1700) zurück, der den Wissenschaften abgeneigt, aber den praktischen Arbeiten zugewandt war. Er milderte die strengen Regeln ab und ließ die Mönche nicht nur Wasser trinken.

Die Rezeption der Dekrete des Zweiten Vatikanischen Konzils führte und führt zu tiefgreifenden Veränderungen bei den Orden und Kongregationen. Die Änderung des Ordensgewandes war nach außen sichtbar, doch viel einschneidender waren die Änderungen im Innern, im Zusammenleben und in den Lebensregeln der Gemeinschaften. In den Gemeinschaften gibt es viele Parallelen bei der Durchführung von Reformkapiteln und bei der Erarbeitung neuer Konstitutionen. Formal ist der durch das Konzil ausgelöste Prozess abgeschlossen, doch die Buchstaben müssen immer wieder mit Leben gefüllt werden. Zumal die Zahlen der Ordensmitglieder in den letzten Jahren rapide sinkt. In der Diskussion blieb offen, ob dies auch eine Folge des Konzils ist. Da viele Prozesse noch nicht abgeschlossen sind, ist eine historische Wertung des Zweiten Vatikanischen Konzils nach 50 Jahren noch zu früh.

Konferenzübersicht

Gisela Fleckenstein OFS: Ordensgewänder im Wandel. Ein Konzilsbeschluss und seine Folgen

Reimund Haas: Ein guter Anfang für ein Klosterbuch Ruhrgebiet. Zum Wandel der Klosterlandschaft im Ruhrbistum

Leonhard Lehmann OFMCap: Die Restauration des Kapuzinerordens unter dem Generalminister Bernhard Christen von Andermatt (1884-1909)

Arne Thomsen: Schwesternkongregationen in katholischen Krankenhäusern im Ruhrgebiet – Tätigkeiten, Motivation und Konflikte

Klaus Schatz SJ: Der Umbruch in Pullach (1960er Jahre)

Jan Sloot: Die franziskanische Bewegung in den Niederlanden

Kirsten Oboth: Zwischen Seelenheil und Menschenwürde – Transformationsprozesse der Schwestern vom Guten Hirten (1945-1985)

Eugène van Deutekom: Die Bierproduktion in belgischen Trappistenklöstern

Clemens Brodkorb: Erneuerung in Christus. Das Zweite Vatikanische Konzil (1962-1965) im Spiegel Münchener Kirchenarchive

Erik Soder von Güldenstubbe: Die neue Lebensregel der Erlöserschwestern als eine Frucht des Konzilsdekretes "Perfectae Caritatis" und der Neubesinnung auf ihre spirituellen Wurzeln


Redaktion
Veröffentlicht am
Klassifikation
Region(en)
Weitere Informationen
Land Veranstaltung
Sprache(n) der Konferenz
Deutsch
Sprache des Berichts