Authentizität – Artefakt und Versprechen in der Archäologie

Authentizität – Artefakt und Versprechen in der Archäologie

Organisatoren
Abteilung Ägyptologie mit Ägyptischem Museum des Institutes für Archäologie und Kulturanthropologie, Universität Bonn
Ort
Bonn
Land
Deutschland
Vom - Bis
10.05.2013 - 12.05.2013
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Von
Martin Fitzenreiter, Kurator - Ägyptisches Museum, Universität Bonn

Die Frage nach und das Versprechen von Authentizität ist die Gretchenfrage jeder Museumsarbeit. Es ist aber auch die Gretchenfrage jeder Form von Wissen und seiner Kommunikation: „Ist das wahr?“ ist ebenso wie „Ist das echt/alt/original...?“ eine Frage, die den Nachweis von Authentizität einfordert. Aber was ist der Nachweis von Authentizität bzw. welche Kriterien gelten im Rahmen bestimmter Diskurse als solche, die das Versprechen der Authentizität affirmieren? Antworten auf diese Frage dürften vielfältig sein und selbst mit dem Problem ihrer Authentizität zu kämpfen haben: Am Schnittpunkt von objektivem Wissen und subjektivem Meinen wird die Frage nach der Authentizität selbst zum Gegenstand einer Debatte. Raum und Zeit dieser Debatte sollte ein Workshop sein, der von einer konkreten Sammlung und einem konkreten Sammlungsgegenstand ausgehend – dem Ägyptischen Museum der Universität Bonn – einen halbwegs festen Punkt bot, um das zu problematisieren, was ein langes 19. Jahrhundert lang als sicher galt und durch eine bald ebenso lange Phase der Dekonstruktion immerhin als ein Versprechen geblieben ist. Der Workshop fand vom 10. bis 12. Mai an der Abteilung Ägyptologie des Institutes für Archäologie und Kulturanthropologie der Universität Bonn statt. Während am Freitag und Samstag in je drei Sektionen die Teilnehmer ihre Beiträge vorstellten und diskutierten, war die Abschlussdiskussion am Sonntagvormittag ganz dem Austausch gewidmet.

Eingeleitet wurde die Tagung durch einen Kurzbeitrag des Leiters der gastgebenden Institution, LUDWIG D. MORENZ (Bonn), der über das Konzept des Abbildes und seiner immanenten Wertigkeit sprach. Von der Ikone der „Veronika“ über die Bilder des Lebenden und des Toten in der frühen Neuzeit spannte sich der Bogen bis zum berühmt-berüchtigten Pharao Tutanchamun, dessen Namen als „Lebendes Abbild des Amun“ übersetzt werden kann. Dem schloss sich die Einleitung des Organisators der Tagung – Martin Fitzenreiter (Bonn) – an, der mit Terry Pratchets Roman „Der fünfte Elefant“ beginnend und bei Lessings „Ringparabel“ endend den Deutungsraum zwischen Original und Wirkung auslotete.

Die erste Sektion unter dem Titel „Fälschungen“ bot den Einstieg in die Diskussion der Objekt- oder Ding-bezogenen Aspekte von Authentizität. SARAH KONERT und SABRINA WEIL (beide Bonn) stellten je an einem Objekt der Bonner Sammlung das Herangehen an Fälschungen dar. Ein besonderer Schwerpunkt ihrer Darlegung lag darauf, den heuristischen Wert herauszustreichen, den die Beschäftigung mit Fälschungen hat. Auch der immer bleibende Grad von Unsicherheit in der Bestimmung eines Objektes als Fälschung wurde diskutiert. Mit dem Beitrag über gefälschte Papyri des unter Sammlern beliebten Totenbuches zeigte RITA LUCARELLI (Bonn), dass gerade auch sehr anspruchsvolle, nämlich texttragende Objekte gefälscht wurden und werden. Die hierin zu verfolgende Fixierung auf einen speziellen Markt konnte SUSANNE VOSS (Kairo) anhand der Aufzeichnungen Ludwig Borchardts aus der Zeit vor dem Ersten Weltkrieg untermauern. Steigende Nachfrage stimulierte die Erzeugung ganz spezifischer Fälschungen, die auf die aktuellen Ergebnisse von Ausgrabungstätigkeit und Forschung Bezug nahmen. Fälschungen blieben den Originalen stets auf der Spur, vermischten sich mit ihnen und konstituierten Handlungsräume für Experten.

War über diese Sektion der Dingbezug in der weiteren Diskussion etabliert, so deutete der Beitrag von Voss bereits auf die Rolle der Akteure bei der Beurteilung der Eigenschaften dieser Dinge. In der zweiten Sektion „Museum“ ging es daher darum, das Sammeln und die museale Funktion von Fälschungen zu diskutieren. WILFRED GEOMINY (Bonn) demonstrierte anhand einer von ihm kuratierten Ausstellung gefälschter griechischer Vasen nicht nur die Bandbreite des fälscherischen Könnens, sondern auch einen sich anbahnenden Paradigmenwechsel bei der Beurteilung von Fälschungen. Dieser Ansatz wurde durch MARTIN FITZENREITER (Bonn) vertieft. Anhand der aus einer privaten Sammlung hervorgegangenen Ausstellung pharaonischer Originale, Nachahmungen und Fälschungen im ehemaligen Museum im Stadtpark in Grevenbroich wurde gezeigt, welche Rolle nicht-originale Gegenstände bei der Konstruktion eines den gängigen Mustern der Rezeption folgenden Ägyptenbildes haben. Über die unterschiedlichen Ebenen an Authentizität, die ein museales Objekt haben kann bzw. in seiner Objektgeschichte durchlebt, sprach KARL HEINRICH VON STÜLPNAGEL (Leipzig). Auch hierbei zeigte sich, wie sehr das Erleben von Authentizität mit einem Wahrnehmungs- und Nutzungshorizont der jeweils Involvierten verbunden bleibt.

Solche Nutzungsprozesse und ihre Aushandlung standen im Zentrum der dritten Sektion des Tages, „Replik und Rekonstruktion“. JANA HELMBOLD-DOYÉ (Berlin) stellte mit der Abguss-Sammlung des Berliner Ägyptischen Museums die wechselnde Einbeziehung und damit Wertschätzung von Gipsabgüssen in die Rekonstruktion eines Bildes vom Alten Ägypten vor. Auch im Fall der Gipskopien ist ein Wandel der Einschätzung erkennbar, in dem nicht nur der hohe Grad einer mittelbaren Authentizität solcher Objekte geschätzt wird, sondern ihnen auch ganz neue Funktionen in einer auch auf haptisches Erleben gerichteten Inszenierung zukommen. Anhand der von ihm kuratierten Ausstellung „Tutanchamun – Sein Grab und seine Schätze“ erläuterte MARTIN VON FALCK (Hamburg) den Umgang mit Repliken im Rahmen einer solchen, ganz auf Originale verzichtenden Präsentation. Einerseits lassen Repliken einen flexiblen Umgang mit den Objekten zu, andererseits wird durch den offensiven Verzicht auf die Illusion der Authentizität auch ein unbefangener Blick auf die Inszenierung möglich. Im letzten Beitrag des Tages besprach STEFFEN KIRCHNER (Berlin) die Probleme, die bei der Zusammenarbeit von Archäologen und Informatikern auftreten, wenn es um die Erstellung virtueller Datenmodelle von Befunden geht. Spätestens in dem Moment, in dem der Archäologe „gefühlte“ Gewissheiten in nachvollziehbare Daten umwandeln soll, wird die große Diskrepanz deutlich, die zwischen vermeintlichem und vorhandenem Wissen klafft.

Bereits an diesem ersten Tag entwickelte sich in den Podiumsdiskussionen am Ende jeder Sektionen ein reger Gedankenaustausch, der aber auch die Problematik erkennbar machte, den Begriff Authentizität jenseits einer auf Gefühl und Vermutung angesiedelten Sphäre zu verwenden. Mehrere SprecherInnen betonten, dass sie ganz bewusst auf diesen Terminus verzichten, da er sich als Beschreibung nicht eigne.

Der Samstag begann mit einer etwas schwammig als „Theorien und Methoden“ beschriebenen Sektion, in der es vor allem darum gehen sollte, den Übergang von der objektbezogenen Diskussion hin zur Metaebene der Begrifflichkeit vorzubereiten. In ihrem einleitenden Essay beschrieb FRIEDERIKE WERNER (München) das Spiel mit den Topoi von Echtheit, Originalität und eben Authentizität in der Kunst. Hier wird Authentizität zu einem Zeichen, das genau auf die Konstruiertheit des vorgeführten Konzeptes verweist, gewissermaßen zur beabsichtigten Negation seiner selbst. Im folgenden Beitrag stellte STEFANIE SAMIDA (Potsdam) vor, welche große Bedeutung der Begriff Authentizität (der an dieser Stelle des Workshops schon fast beerdigt war) im Diskurs der Living History hat. Authentizität – in der community einfach als „A-Wort“ bezeichnet – ist eine zentrale Kategorie bei der Konstruktion einer vermeintlichen oder zu vermittelnden Wirklichkeit. Den so in die Diskussion zurückgeholten Begriff diskutierte ACHIM SAUPE (Potsdam) aus der Perspektive einer historischen Authentizitätsforschung. Im Rahmen eines am Zentrum für Zeithistorische Forschung angesiedelten Projektes werden Authentizitätskonstruktion selbst zu einem Forschungsgegenstand, in dem die Strategien der Akteure bei der Konstruktion, Nutzung und Einforderung von Authentizität analysiert werden.

Die Sektion „Quellen“ stellte einen ersten Testfall solcher Akteursstrategien in Bezug auf konkrete Gegenstände vor. ANDREAS BLASIUS (Bonn) beschrieb anhand einer möglichen Unterschrift Kleopatras VII., welche Dynamik eine solche in der Wissenschaft kontrovers diskutierte Deutung dann entwickelt, wenn sie in den Medien erscheint. Sonst als belanglos wahrgenommene Gegenstände können dabei kurzzeitig mit Bedeutung aufgeladen werden, die sich allein aus dem Umstand speist, dass hier eine Referenz auf einen gelebten Mythos vorliegt. Den Aushandlungsprozess solcher Bedeutungszuschreibungen und wie sie sich mit dem Diskurs verändern, diskutierte AMR El HAWARY (Bonn) anhand der Plastik „Ägyptens Erwachen“ von Mahmoud Mokhtar. Die Einbindung des Kunstwerkes in immer neue diskursive Kontexte deuten dieses einerseits um, lagern sich andererseits aber auch an die im Kunstwerk liegenden Potenzen an. Im zweiten Teil seines Beitrages diskutierte El Hawary Begriffe, in denen sich im Altägyptischen der modernen Vorstellung von Authentizität vergleichbare Konzepte einer immanenten Wirksamkeit niederschlagen. In einer Betrachtung der modernen Herrichtung von archäologischen Stätten (Akropolis von Athen, Forum Romanum in Rom und Empúries in Katalanien) reflektierte BEAT SCHWEIZER (Tübingen) schließlich über den Grad der Erlebbarkeit von Authentizität, der je nach Konditionierung des Besuchers und Inszenierung des Ortes erheblich differiert.

Die letzte Sektion „Kulturerbe“ schloss inhaltlich an diese Überlegungen an, ging es doch um den Umgang mit historischen Monumenten und Landschaften und um die Begründbarkeit von deren besonderem Status. CLAUDIA NÄSER (Berlin) stellte anhand einer Studie zu Nutzungsstrategien im Bereich der antiken Nekropole von Luxor dar, welche zum Teil extrem unterschiedlichen Ansprüche Akteursgruppen (Touristen, in der Tourismusbranche Beschäftigte, lokale Bewohner, Kulturerbeexperten etc.) an die von ihnen genutzten Objekte und Räume haben. Während von allen Akteuren immer auch der Anspruch erhoben wird, etwas Ursprüngliches, Notwendiges bzw. Authentisches zu erleben bzw. zu repräsentieren, liegen die Erlebnishorizonte selbst doch weit auseinander und zeugen von der Ambivalenz der in diesen Diskursen reklamierten Authentizitätskonzepte. HEINZ FELBER (Köln) beschrieb daran anschließend die verschiedenen Stufen der Begriffsarbeit am Konzept der authenticity (hier der nur partiellen Deckung mit dem deutschen Begriff halber besser im international english belassen), wie sie sich in den Dokumenten der UNESCO spiegelt. Während in der Anfangsphase der Begriff vor allem auf dingliche Eigenschaften („Echtheit“) zielte, wird er zunehmend als eine Beziehung zwischen Akteuren einerseits und Objekten und Räumen andererseits verstanden.

Die Abschlussdiskussion am Sonntag machte einmal mehr deutlich, dass das Konzept Authentizität im deutschsprachigen kulturtheoretischen Diskurs mit großen Unwägbarkeiten behaftet bleibt. Interessanterweise ließ sich nur für zwei Segmente ein affirmativer Gebrauch beobachten: im Kontext der Living History und in der Diskussion um das Weltkulturerbe. Alle anderen Kontexte zeichneten sich durch einen sehr gebrochenen, kritischen Umgang mit dem Konzept aus. Dabei konnte Authentizität primär als Eigenschaft auftreten („etwas ist solange authentisch, solange kein Widerspruch erhoben wird“) oder als Erfahrung (von „Aura“) und Ergebnis eines Aushandlungsprozesses. Während die erste, essentialistische Auffassung wenig Fürsprecher fand (der Beitrag zur ANT war leider entfallen), war die zweite recht verbreitet. Besonders die große Bedeutung der Authentizität lizenzierenden Akteure und die damit verbundenen Aneignungsstrategien wurden intensiv besprochen.1

Konferenzübersicht

Ludwig D. Morenz/Martin Fitzenreiter: Einführung

Sektion I: Fälschungen

Sarah Konert/Sabrina Weil: Fälschungen in der Bonner Sammlung von Aegyptiaca

Rita Lucarelli: Fälschungen für die Toten: gefälschte Papyri des altägyptisches Totenbuch

Susanne Voss: Ludwig Borchardts Berichte über Fälschungen im ägyptischen Antikenhandel von 1899 bis 1914: Aufkommen, Vertrieb, Techniken und Spezialisierungen

Sektion II: Museum

Wilfred Geominy: Über das Sammeln von Fälschungen

Martin Fitzenreiter: Ornament und Versprechen – Die Aegyptiaca im ehemaligen Stadtmuseum Grevenbroich

Karl-Heinrich von Stülpnagel: Der Authentizitätsbegriff aus Sicht eines Restaurators

Sektion III: Replik und Rekonstruktion

Jana Helmbold-Doyé: „von Lepsius besorgt“ – geschätzt und verdammt. Gipsabgüsse in der Sammlung des Ägyptischen Museums Berlin

Martin von Falck: Museologie und Repliken

Steffen Kirchner: Wie authentisch kann eine (Computer)-Rekonstruktion sein?

Sektion IV: Theorie und Methoden

Friederike Werner: „Abgekupfert, durchgepaust und second hand“. Ein Essay zur Authentizität in der Kunst

Stefanie Samida: Inszenierte Authentizität: Zum Umgang mit Vergangenheit im Kontext der Living History

Achim Saupe: Neue Perspektiven auf materiale, personale und kollektive Authentizitätsvorstellungen. Der Leibniz-Forschungsverbund 'Historische Authentizität'

Sektion V: Quellen

Andreas Blasius: Really Royal?!? - Ein Papyrushauch von Kleopatra

Amr El Hawary: Tellability. Oder: die Wiedererzählbarkeit des Authentischen

Beat Schweizer: Zur Authentizität archäologischer Stätten

Sektion VI: Kulturerbe

Claudia Näser: "The smallest real fact about the human past is more poetical than the best of poems and more romantic than the best novel" – Dimensionen von Authentizität in der Begegnung mit archäologischem Kulturerbe

Heinz Felber: Weltkulturerbe in Afrika. Authenticity, Integrity und OUV

Helmut Groschwitz: Wie Dinge Authentizität produzieren – Kulturerbe aus Sicht der Akteurs-Netzwerk-Theorie (ausgefallen)

Abschlussdiskussion

Anmerkung:
1 Es ist vorgesehen, die Beiträge des Workshops als Band XV der „Internet-Beiträge zur Ägyptologie und Sudanarchäologie“ in einer Print- und Onlinefassung zu publizieren (http://www2.rz.hu-berlin.de/nilus/net-publications/ibaes15/index.html). Zur Zeit sind dort die Abstracts der Beiträge abgelegt.


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