Neues aus dem Mittelalter

Neues aus dem Mittelalter

Organisatoren
Historisches Institut, Universität Mannheim; Insitut für Fränkisch-Pfälzische Geschichte und Landeskunde Heidelberg
Ort
Mannheim
Land
Deutschland
Vom - Bis
06.06.2013 - 07.06.2013
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Von
Julia Bruch, Historisches Institut, Universität zu Köln

Am 6. und 7. Juni 2013 tagten im Mannheimer Schloss die 6. Mannheim-Heidelberger Nachwuchsgespräche „Neues aus dem Mittelalter“. Tanja Skambraks (Mannheim) betonte in ihrer Begrüßung, dass dieses Format nun schon nahezu 10 Jahre bestand hat, um Nachwuchswissenschaftlern und -wissenschaftlerinnen eine Möglichkeit des Austausches sowie zur Diskussion ihrer Dissertations- und Habilitationsvorhaben zu bieten. Diese Chance der wechselseitigen Vorstellung sehr unterschiedlicher Themen haben zwölf Referenten und Referentinnen wahrgenommen und boten dem durch 20 Diskutanten und Diskutantinnen erweiterten Plenum ihre Berichte aus der Werkstatt zum Gespräch an.

LARISSA DÜCHTING (Erlangen) eröffnete die Tagung mit der Vorstellung ihres Dissertationsprojekts zu Heiligen und deren Verehrung in Unteritalien vom Ende des 7. Jahrhunderts bis zur normannischen Eroberung Süditaliens im 11. Jahrhundert. Anhand eines reichhaltigen Quellenkorpus – bestehend aus hagiographischen, liturgischen und historiographischen sowie architektonischen Quellen und Realien – untersuchte die Referentin das vornehmlich griechisch beeinflusste Neapel, das vor allem unter langobardischem Einfluss stehende Benevent und das unter wechselnder Vormacht stehende Bari als repräsentative Fallbeispiele für die Entwicklung und den Wandel von Heiligenkulten im frühmittelalterlichen Süditalien. Trotz unterschiedlicher Einflüsse sei die Entwicklung innerhalb dieser drei Städte sehr ähnlich verlaufen, beispielsweise sei bei allen dreien die Orientierung nach Byzanz deutlich zu erkennen.

Thematisch anknüpfen konnte CHRISTIAN OERTEL (Jena) mit einem Überblick über seine Doktorarbeit zu Erik dem Heiligen von Schweden. Oertel zeigte die Entwicklung dieses Heiligenkultes um den rex iustus aus Skandinavien seit dem 12. Jahrhundert. Ausgangspunkt der Verehrung sei Uppsala und Umgebung, wobei eine Verbreitung des Kultes erst seit Mitte des 13. Jahrhunderts nachweisbar sei. Zu dieser Zeit wurde Erik zu einem der Schutzheiligen des neuen Doms in Uppsala. Die größte Verbreitung fand der Kult im 15. Jahrhundert zur Zeit der Kalmarer Union. Oertel nahm eine sozialhistorische Perspektive ein und untersuchte die Initiatoren und Trägergruppen der Verbreitung des Heiligenkultes. Dabei verfolgten unterschiedliche Gruppen auch unterschiedliche Ziele mit ihrer Förderung der Verehrung von Erik von Schweden. Der Erzbischof und das Domkapitel von Uppsala förderten Erik als Schutzheiligen ihres Domes, die Königsdynastie nutzte den Heiligen als legitimatorische Quelle und unter den Adligen avancierte Erik zu einer Art „Modeheiligen“.

DOMINIK KAUFNER (Regensburg) stellte in äußerst klar strukturierter und analytischer Weise sein Dissertationsprojekt zur Abtei St. Emmeram in Regensburg vor. Der Untersuchungszeitraum von etwa 350 Jahren war nach der Loslösung der Abtei vom Hochstift Regensburg 975 von einem beständigen Ringen um Eigenständigkeit gekennzeichnet, das mit der Exemtion des Klosters im Jahr 1326 endete. Exemplarisch legte der Vortrag das Zusammenwirken eines städtischen Klosters und der Stadt sowie dem Umland dar. Dabei standen verschiedene Fragestellungen im Fokus der Untersuchung: etwa welche Personengruppen in Beziehung zum Kloster standen und auf welche Weise sie verbunden waren. Vor allem dem erhaltenen Quellenmaterial (Urkunden, Traditionsbücher, Urbare und Lehensbücher daneben nur ein Martyrolog-Necrolog) war es geschuldet, dass in der Arbeit sozial- und wirtschaftsgeschichtliche Aspekte miteinander verknüpft wurden. Untersucht wurden zuerst getrennt die drei Bereiche „Repräsentationsbedürfnis“, „Frömmigkeit“ und „Wirtschaft“ um mithilfe der Ergebnisse dieser Teiluntersuchungen das Beziehungsgeflecht des Klosters St. Emmeram darstellen zu können.

Aus dem klösterlichen Kontext stammt auch die Quelle, die die Basis von BETTINA MARIETTA RECKTENWALDs (Tübingen) Doktorarbeit darstellt. Sie untersucht und ediert einen aus dem Kloster Salem stammenden und im 19. Jahrhundert mit dem Namen „Handbüchlein des Pfisters“ versehenen Codex. Die aufgrund des Schriftbildes in das 15. Jahrhundert oder später zu datierende Handschrift enthält Aufgabenbeschreibungen zum Amt des Pfisters sowie des Mayers, darüber hinaus Lohnlisten. Die untersuchte Handschrift kann neben den wohl gleichzeitigen Oberbursarbüchern und der weiteren reichhaltigen Überlieferung zum Kloster Salem (alleine 8000 Urkunden!) einen Einblick in die wirtschaftsgeschichtlichen Entwicklungen des Klosters geben.

HENDRIK BAUMBACH (Marburg) blieb bei wirtschaftsgeschichtlich relevanten Fragestellungen und fragte in seinem Vortrag „Und wie viel kostet der Frieden?“. Baumbach stellte einen Teilaspekt seiner Dissertation zum Thema Königs- und Hofgerichtsbarkeit im Spätmittelalter und Mechanismen der Konfliktregelung vor. Für den exemplarisch dargestellten Mechanismus des Landfriedens in Franken und der Wetterau im 14. Jahrhundert konnte er auf ein großes Quellenkorpus bestehend aus Landfriedensvereinbarungen, Privilegien zur Regelung von Abgaben, Amts- und Stadtrechnungen sowie Quittungen und Belege zurückgreifen und diese unter rechts- und sozialgeschichtlichen Fragestellungen untersuchen. Der Referent legte überzeugend dar, dass die Ausgaben zur Friedenswahrung nicht nur aus regelmäßigen Aufwendungen für Sold für den Landfriedenshauptmann, für regelmäßige Landfriedenstreffen, für das Boten- und Schreiberwesen bestand, sondern auch aus unregelmäßigen Zahlungen für wechselseitige Hilfe zum Schutz des Friedens und für Wiedergutmachung von Kriegsschäden. Dieser enormen finanziellen Belastung aller Einungsmitglieder standen zuerst Transferzahlungen der Beteiligten gegenüber. Als diese Mechanismen nicht mehr ausreichten, führte man ab der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts Landfriedenszölle mit festen Zollstellen und -tarifen ein. Die Aufwendungen für diesen Mechanismus der Friedenswahrung war enorm, allerdings waren die Kosten für einen Krieg weitaus höher.

Mit einem Teilaspekt des mittelalterlichen Kriegswesens beschäftigt sich CHRISTIAN CHANDON (Bamberg) im Rahmen seiner Doktorarbeit. Er untersucht das städtische Wehrwesen der Stadt Bamberg im 15. Jahrhundert und will den Versuch unternehmen anhand des Wehrwesens einen Zugriff auf die Vorgänge in Bamberg einer Zeit zu erlangen, die gekennzeichnet ist vom Streit zwischen dem Bischof, dem Domkapitel und der Bürgerschaft um die Vormachtstellung in der Stadt. In seinem Vortrag stellte Chandon einen Gesichtspunkt des Bamberger Wehrwesens – nämlich das Schützenwesen – vor. Im 14. und 15. Jahrhundert besaß aufgrund des hohen finanziellen Aufwands lediglich die politische Führungsschicht Armbrüste. Wer die Waffe führte bleibt allerdings unklar. Diese Waffen wurden in Bamberg vor allem zur Verteidigung der Stadt, zu Repräsentationszwecken und um für Ruhe in der Stadt zu sorgen genutzt. Es kam auch vor, dass der Bischof die Schützen für eine seiner Heerfahrten verpflichtete. Chandon legte klar nachvollziehbar dar, dass die Anfang des 15. Jahrhunderts noch überwiegend militärischen Charakter besitzenden wöchentlichen Schussübungen sich im Laufe des Jahrhunderts zu größeren Veranstaltungen mit Schützen aus anderen Städten mit sportlichem Charakter wandelten. Als besonders hervorzuhebende Quelle zu dieser Entwicklung seien die erhaltenen Ladschreiben genannt, in denen im Vorfeld der Schützenfeste nahezu alles was das Armbrustschießen betraf, geregelt wurde.

HENDRIK HESS (Bonn) stellte in seinem Beitrag seine gerade begonnene Dissertation zur römischen Oberschicht in Gallien vor. Er untersucht anhand von Personennamen Abgrenzungs- und Anpassungsprozesse in der ‚Völkerwanderungszeit’ bis zum Aufstieg der Franken (5. bis 8. Jahrhundert) und möchte so darlegen, welchen Einfluss der Wandel in allen Bereichen des Lebens auf das Selbstverständnis der römischen Oberschicht hatte. Hess ging von der Annahme aus, dass die Wahl des Namens ein Ausdruck der Identität sei und unternahm einen Versuch den Habitus (nach Bourdieu) der ausgewählten sozialen Gruppe herauszuarbeiten.

Auch CHRISTIAN SCHOLL (Münster) beschäftigt sich in seinem Habilitationsprojekt mit Fragen zum Verhältnis von römischem Imperium und ‚Barbarenreichen’ vom 4. bis zum 9. Jahrhundert unter besonderer Berücksichtigung von Mechanismen des Kultur- und Techniktransfers. Scholl ging es darum zu belegen, dass dieser Transfer nicht nur in eine Richtung funktionierte: auch die ‚Barbaren’ hatten Fertigkeiten, die sie in ehemals römische Gebiete importierten. Scholl postulierte darüber hinaus einen wechselseitigen Austausch. Das Konzept, das dem Kulturtransfer nach Scholls Auffassung zugrunde liegt, steht der älteren Forschung diametral entgegen. Er geht davon aus, dass der Rezipient den aktiven Teil übernimmt und es durchaus einen Wunsch nach einem Import von Kulturgütern und -techniken gab. Anhand ausgewählter Beispiele kultureller Techniken wie Wassermühle, Ölpresse, Bier und Steigbügel, machte Scholl sein Konzept deutlich.

SEMIH HEINEN (Köln) beschäftigte sich in seinem sehr anschaulichen Vortrag mit der Frage, ob es sich bei der Hibernensis um eine Kanonessammlung oder um ein Florilegium handelt. Heinen konnte diese Frage überzeugend beantworten: die Hibernensis wurde als Florilegium angelegt. Gedacht war diese Kompilation aus römischen und irischen canones zum praktischen Gebrauch für Predigertätigkeiten während der peregrinatio. In seinem Dissertationsvorhaben untersucht Heinen den Kölner Codex der Hibernensis aus dem 8. Jahrhundert. Er konnte schlüssig nachweisen, dass der Kompilator dieses Codex die Hibernensis fälschlicherweise als Kanonessammlung interpretierte, mit altkirchlichem und gallischen Material anreicherte und somit den ursprünglichen Charakter des Florilegiums grundlegend veränderte. Diese Arbeitsweise lässt Rückschlüsse zu über den allgemeinen Umgang mit Kirchenrechtstexten vor der Admonitio Generalis Karls des Großen.

Das Günstlingswesen am englischen Hof im Spannungsfeld von Herrschaftspraxis und -kritik stellte SEBASTIAN ZANKE (München) in einem Vortrag zu seinem Postdoc-Projekt vor. Als Günstling definierte er all jene königsnahen Männer und Frauen, die sich durch einen vom König protegierten, steilen Aufstieg und einen ebenso tiefen Fall auszeichneten. Die Fälle von gefallenen Günstlingen lassen sich vor allem in unruhigen Zeiten und in Zeiten der Debatte um die Königsmacht ausmachen. Politischer Misserfolg der Könige traf zuerst die Favoriten, wobei Günstlingskritik gleichzusetzten mit Herrschaftskritik sei. Den Günstlingen wurde topisch ‚schlechter Rat’ vorgeworfen. Zanke sah den Fall von Günstlingen als Mittel der Konflikt- und Herrschaftsregulierung sowie in letzter Konsequenz als Mittel des politischen Widerstands der Großen des Reiches gegen den König.

Ebenfalls mit einer Form der Patronage beschäftigte sich der Vortrag von JULIA CRISPIN (Münster), wobei in diesem Fall Patronage einer anderen Definition unterliegt. Ihr Forschungsinteresse zielt auf englische Kunstpatronage in der France Anglaise. Anhand der Fallbeispiele John of Bedfords (Bedford Hours) und John Talbots (Shrewsbury Book) konnte sie nachweisen, dass die Repräsentanten der englischen Krone in der France Anglaise vorhandene Strukturen – Werkstätten und Künstler – nutzen, sich am französischen Kunstmarkt orientierten und dennoch ihre politischen Ansprüche durch die Kunstwerke repräsentieren und den englischen Thronanspruch visualisieren ließen.

PAUL TÖBELMANN (Heidelberg) beschloss die Tagung mit einem Vortrag über die Normierung adligen Sozialverhaltens, was auch Thema seiner Habilitationsschrift sein wird. Töbelmann ging der Frage nach, wie politische Akteure des Mittelalters das Auftreten in der Öffentlichkeit erlernten. Sein Quellenkorpus umfasst politiktheoretische und staatsphilosophische Schriften (Fürstenspiegel, Traktate), höfische Literatur (Epik) sowie Benimmbücher (livres de courtoisie) aus dem 13. und 14. Jahrhundert aus England und Frankreich. Anhand von Fallbeispielen zur Tafelrunde, zum Hosenbandorden und zum Orden vom Stern sowie zum Metzer Hoftag (1356) konnte er überzeugend darlegen, wie schwierig es ist die Anwendung von Benimmbüchern in der mittelalterlichen Praxis nachzuweisen. Töbelmann konnte allerdings ebenso nachvollziehbar zeigen, dass dieses Unterfangen auch nicht unmöglich ist.

Insgesamt zeichneten sich die Nachwuchsgespräche durch rege Diskussionen und interessante Nachfragen aus. Erneut hat es sich bewiesen, dass auch eine thematisch ungebundene Tagung durchaus fruchtbaren Austausch bringen kann. Es ist zu hoffen, dass die Veranstalter in Heidelberg und Mannheim auch in zwei Jahren wieder zu „Neues aus dem Mittelalter“ in nunmehr siebter Auflage einladen werden.

Konferenzübersicht

Begrüßung und Einleitung

Sektion 1: Heiligenverehrung im Süden und Norden
Moderation: Tanja Skambraks

Larissa Düchting (Erlangen-Nürnberg): Heilige in Unteritalien – Studien zur Entwicklung der Heiligenverehrung im Mittelalter

Christian Oertel (Jena): Erik der Heilige von Schweden. Sozialhistorische Implikationen der Förderung eines Heiligenkults

Sektion 2: Das Kloster und seine Umwelt
Moderation: Daniela Hoffmann

Dominik Kaufner (Regensburg): Kloster, Stadt und Umland. Die Abtei St. Emmeram in Regensburg (975-1326)

Bettina Marietta Recktenwald (Tübingen): „Das Handbuch des Pfisters“– Ein Blick in die Wirtschaft des Klosters Salem am Bodensee im 15. Jahrhundert

Sektion 3: Zwischen Krieg und Frieden
oderation: Andreas Schmidt

Hendrik Baumbach (Marburg): Und wie viel kostet der Frieden? Die Finanzierung von Landfrieden in Franken und in der Wetterau im 14. Jahrhundert

Christian Chandon (Bamberg): Von der Bürgermiliz zur Freizeitgesellschaft. Das Schützenwesen der Bischofsstadt Bamberg im Spätmittelalter

Sektion 4: Kultur und Recht im Frühmittelalter
Moderation: Daniel Wimmer

Hendrik Hess (Bonn): Die römische Oberschicht in Gallien. Zwischen Imperium und Barbarenreichen im Spiegel der Personennamen

Christian Scholl (Münster): Kultur- und Techniktransfer in den frühmittelalterlichen Barbarenreichen

Semih Heinen (Köln): Die Hibernensis – Collectio canonum oder doch ein Florilegium?

Sektion 5: Hofkultur im Spätmittelalter
Moderation: Christoph Mauntel

Sebastian Zanke (München): Face the music! (Englische) Günstlinge zwischen Herrschaftspraxis und Herrschaftskritik

Julia Crispin (Münster): Englische Kunstpatronage in der France Anglaise. Das Beispiel John of Bedfords

Paul Töbelmann (Heidelberg): Benimm lernen. Normierung adligen Sozialverhaltens im Spätmittelalter


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