Das Bismarck-Bild im zeitgenössischen Urteil Europas

Das Bismarck-Bild im zeitgenössischen Urteil Europas

Organisatoren
Otto-von-Bismarck-Stiftung, Friedrichsruh
Ort
Reinbek (bei Hamburg)
Land
Deutschland
Vom - Bis
02.06.2004 - 04.06.2004
Url der Konferenzwebsite
Von
Andrea Hopp, Hamburg

Wer sich mit Bismarck beschäftigt, erfährt viel über europäische Geschichte, über das 19. Jahrhundert und insbesondere über die Personen, die sich zu ihm und seinem Werk geäußert haben. Das ist der Befund der 4. wissenschaftlichen Tagung der Otto-von-Bismarck-Stiftung, die vom 2. bis 4. Juni in Reinbek bei Hamburg unter der wissenschaftlichen Leitung von Klaus Hildebrand und Eberhard Kolb stattfand und sich mit der Wahrnehmung Bismarcks im zeitgenössischen Europa auseinander setzte. Der Blick richtete sich dabei vor allem auf die Nachbarstaaten Deutschlands, Großmächte und Kleinstaaten gleichermaßen. Aus den Debatten der versammelten Historiker des In- und Auslands ging hervor, wie unterschiedlich die Sicht auf Bismarck bei Zeitgenossen und Nachgeborenen mitunter sein konnte. Nicht selten existierten auch mehrere Bismarck-Bilder zeitgleich nebeneinander. Allerdings ließ sich innerhalb der wechselnden historischen Kontexte in der Regel ein dominantes Bild ausmachen, ein vorherrschendes Muster, geeignet, innenpolitisch in Dienst genommen zu werden.

In seinem öffentlichen Abendvortrag über das "Bismarck-Bild im Wandel der Zeiten" hatte Volker Ullrich (Hamburg) die Etappen dieser Indienstnahme Bismarcks am deutschen Beispiel bis ins 20. Jahrhundert in großen Zügen vorgeführt. Neben zahlreichen Gemeinsamkeiten in der Bewertung Bismarcks förderten dann die Referate zu den einzelnen Ländern aber doch mancherlei Spezifisches zutage. Die herangezogenen Quellen reichten von der veröffentlichten Meinung in der Presse über Gesandtschaftsberichte bis hin zu privaten Aufzeichnungen einzelner Persönlichkeiten.

Für Österreich zeichnete Lothar Höbelt (Wien) nach, wie das Bismarckbild sich über die politischen Lager hinweg nach Königgrätz und Reichsgründung rasch vom Feindbild par excellence zum "systemkonformen Topos" gewandelt habe, aus gutem Grund - ließ sich doch die "Niederlage gegen ein Genie" leichter verschmerzen.

Die Wahrnehmung durch die tonangebende liberale Elite Italiens fasste Holger Afflerbach (Atlanta) mit dem Begriff des "Bismarckismo", der eine kritische Würdigung der Person Bismarcks umschrieb. Einerseits sei Bismarck mehrheitlich als "Autoritario" beurteilt worden, als Repräsentant des starken "großpreußischen" Staates, der die ursprünglich freiheitliche Nationalidee "pervertiert" habe. Andererseits war mit dem Dreibund - einem in der italienischen Öffentlichkeit vieldiskutierten Bündnis - das Bismarckreich Italiens stärkster Verbündeter und wurde die deutsche Sozialgesetzgebung zum Vorbild für eigene Reformen genommen. Nach Bismarcks Entlassung habe zunächst die Erleichterung überwogen, die aber bald verflog und einer Bismarck-Nostalgie Platz machte.

Horst Lademacher (Münster) machte deutlich, dass für Belgien und die Niederlande die Perspektive der kleinen Staaten maßgeblich war, die lediglich einen Beobachtungsposten im Ränkespiel der Großmächte einnahmen. In den Niederlanden habe dabei die Sorge überwogen, durch die Reichsgründung sei Recht durch Macht verdrängt worden. Hingegen habe Belgien, bedingt durch die Erfahrung der Unsicherheit, mit denen das Land seit dem Krimkrieg durch Napoleon III. konfrontiert gewesen war, den jungen deutschen Nationalstaat als Hort innerer und äußerer Ordnung verstanden. Die antiklerikalen Liberalen pflegten dieses Bild bereitwillig, während die belgischen Katholiken sich im Verlauf des Kulturkampfs zeitweilig in diesem Eindruck gestört fühlten und auch die belgischen Sozialisten die Perspektive der deutschen Sozialisten übernahmen.

Für die Schweiz konstatierte Peter Stadler (Zürich) ein wenig kohärentes Bild, in dem zunächst aber der Gesamteindruck überwogen habe, hier sei "ein Mann für gewaltsame Aushilfen" zum preußischen Ministerpräsidenten ernannt worden, der bald ausgewechselt werden würde. Mit Bismarcks Erfolg habe dann jedoch der Respekt zugenommen, aber auch die Furcht vor der Gefahr, die die Großmachtpolitik für die Kleinstaaten berge: " ... wer nicht zu einem Dreissig Millionenreich gehört, der schreit: Hilf Herr, wir versinken!" schrieb Jacob Burckhardt 1866 voller Sorge. Ohne gemeinsame Grenzen gab es indes auch wenig Reibungsflächen. So sei trotz der kurzzeitig aufwühlenden Wirkung seines Sturzes anzunehmen, dass Bismarck für die allgemeine Bevölkerung, von der diesbezüglich kaum Zeugnisse überliefert sind, kein "eigentlich schweizerisches Thema" gewesen sei.

In Dänemark habe das Bild einer historischen Persönlichkeit vorgeherrscht, die ihrer Leistungen halber zwar anerkannt war, die aber vor allem als gefährlicher Feind betrachtet wurde, der Dänemark einen entscheidenden Verlust zugefügt hatte und für dessen Marginalisierung verantwortlich war, wie Carsten Due-Nielsen (Kopenhagen) ausführte. Erst nach 1898, in der Rückschau also und im Vergleich zu dem "launenhaften und unberechenbaren" Wilhelm II., sei der Blick auf Bismarck nuancierter geworden.

Przemyslaw Matusik (Posen) zeichnete aus zeitgenössisch polnischer Sicht das Porträt eines als erfolgreich, bisweilen geradezu genial wahrgenommenen Staatsmannes, der nach den antipolnischen Maßnahmen Mitte der 80er Jahre und der Unterstützung des "Ostmarkenvereins" zum Inbegriff des "teutonischen Barbarismus" avancierte. Schärfer aber noch als durch seine Taten sei das polnische Bismarck-Bild durch Bismarcks verletzende, menschenverachtende Aussagen geprägt worden. Letztere waren nicht zuletzt seinen antipolnischen Reden zu entnehmen, denen die Posener und westpreußischen "Wallfahrer" in Varzin, Bismarcks Gut in Pommern, lauschten. Als "Varziner Fieber" galt denn auch die "Krankheit des Chauvinismus, an der die ganze teutonische Welt" leide. Kein Wunder also, dass dem Tenor nach die Artikel zu Bismarcks Tod vermeldeten, es sei der Mensch gestorben, der "uns am meisten gehasst hat".

Wie fließend die zeitgenössische Wahrnehmung Bismarcks in Großbritannien war, schilderte Karina Urbach (London) facettenreich. War das britische Interesse zunächst auf Frankreich und Russland konzentriert gewesen, so richtete sich seit den Einigungskriegen der Blick mehr und mehr auf den neuen preußischen Ministerpräsidenten. Das war nicht zuletzt erkennbar an einer zunehmenden Presseberichterstattung. Die britische Anerkennung seiner Tüchtigkeit, verbunden mit Klugheit und List, brachte ihm den Spitznamen "Busy" bzw. "Bizzy" ein (in Ableitung seines Namens und "biz" als Slang für "business"). Der Kulturkampf beispielsweise sei als protestantischer Kreuzzug und somit Bismarck als würdiger Nachfolger Luthers aufgefasst worden. "Homestories" hätten seine Naturverbundenheit und seine Liebe zu Hunden hervorgehoben; 1878 wurde gar eine preisgekrönte Bulldogge nach ihm benannt. Erst allmählich habe sich das Bild vom "teutonischen Kleiderschrank" ("a great eater, deep drinker, heavy smoker") durchgesetzt, auch das jedoch in enger Abhängigkeit zum Nutzen in der Tagespolitik, je nachdem, als wie bedrohlich seine Politik empfunden worden sei. Den hohen Rang, der Bismarck unabhängig von den verschiedenen Deutungsmustern als deutschem Staatsmann beigemessen wurde, spiegeln die Nekrologe mit Aussagen wie: Deutschland ohne Bismarck, das sei wie die Schweiz ohne Alpen.

Ganz anders sah die Bewertung in Frankreich aus, in dem das Bismarck-Bild gleichfalls Schwankungen unterlag und innenpolitisch instrumentalisiert wurde. Negativ prägend wirkte dabei insbesondere die Kriegs- und Besatzungszeit 1870/71. Seitdem habe Bismarck für die "Barbarisierung" Deutschlands gestanden. Sein Tod schließlich sei mit Erleichterung konstatiert worden, berichtete Sandrine Kott (Genf), habe er doch bezeugt, dass am Ende auch der "Eiserne Kanzler" "zerbrechlich" gewesen sei.

Eindrucksvoll haben die Referate mittels des gewählten Blickwinkels ein vertrautes Kapitel der europäischen Geschichte in ein neues Licht zu rücken vermocht. Die Beiträge werden als Tagungsband in der Wissenschaftlichen Reihe der Otto-von-Bismarck-Stiftung veröffentlicht.


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