Unternehmen und Krieg: Neuere Studien zum Ersten Weltkrieg

Unternehmen und Krieg: Neuere Studien zum Ersten Weltkrieg

Organisatoren
Gesellschaft für Unternehmensgeschichte (GUG) Frankfurt am Main
Ort
Mannheim
Land
Deutschland
Vom - Bis
10.10.2013 - 11.10.2013
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Von
Maren Rectanus, Universität Mannheim

Am 10. und 11. Oktober 2013 fand das 36. Wissenschaftliche Symposium der Gesellschaft für Unternehmensgeschichte (GUG) im TECHNOSEUM Landesmuseum für Technik und Arbeit in Mannheim statt. Unter dem Thema „Unternehmen und Krieg: Neuere Studien zum Ersten Weltkrieg“ gestaltete sich ein reger wissenschaftlicher Austausch zwischen den Vortragenden und Teilnehmern. Zur Eröffnung hieß Rolf Nonnenmacher als Vorsitzender des Vorstands der GUG die Anwesenden willkommen.

DIETER ZIEGLER (Bochum) erläuterte einführend, warum die Beschäftigung mit dem Ersten Weltkrieg schon ein Jahr vor dem großen Jubiläum zum Thema des Symposiums gemacht wurde. Er betonte, dass vor allem die wirtschafts- und unternehmensgeschichtliche Erforschung des Ersten Weltkriegs bislang zu kurz gekommen sei und sah das Symposium als Anstoß, diese Themen stärker in den Fokus zu nehmen.

Die erste Sektion „Ressourcenmanagement und Ersatzstoffwirtschaft“ wurde mit dem Vortrag von STEFANIE VAN DE KERKHOF (Mannheim) eröffnet. Unter dem Titel „Unternehmen in der Mangelwirtschaft – Desiderate und Perspektiven einer unternehmenshistorischen Rohstoffforschung zum Ersten Weltkrieg“ nahm sie die Ersatzstoffwirtschaft als eine Möglichkeit, der Mangelwirtschaft des Ersten Weltkriegs zu begegnen, in den Blick. Sie verwies darauf, dass die Ersatzstoffwirtschaft trotz ihrer großen Bedeutung für den Ersten Weltkrieg bisher noch wenig erforscht sei und kam zu dem Ergebnis, dass neben der zu erkennenden Ambivalenzen der Pfadabhängigkeiten die Ersatzstoffwirtschaft als großes Desiderat zu betrachten sei. In der anschließenden Diskussion wurde deutlich, dass vor allem die weitere Entwicklung der während des Ersten Weltkriegs entstandenen Substitute und hierbei vor allem der Verfahrenstechniken ein interessantes Forschungsfeld darstellt.

In ihrem Vortrag „Kriegswirtschaftliche Eigenlogik? Die Absatzgewinne des Ruhrsyndikats und der niederländische Markt“ stellte EVA-MARIA ROELEVINK (Bochum) Erkenntnisse aus ihrem Promotionsprojekt vor. Sie verwies dabei auf die komplexe Struktur des Ruhrsyndikats und ging der Frage nach, inwieweit das Ruhrsyndikat trotz staatlicher Eingriffe während des Ersten Weltkriegs weiterhin eigenständig handeln konnte. Beispielhaft ging sie dabei auf das Exportgeschäft des Syndikats mit den Niederlanden und die daraus resultierenden Gewinne ein. Sie zeigte, dass es durch die staatlichen Eingriffe zu strukturellen Veränderungen des Ruhrsyndikats kam, dass dieses aber entgegen weit verbreiteter Meinung in seinen Handlungsmöglichkeiten nicht komplett eingeschränkt wurde.

Zum Thema „Germany´s Need for Sulphur Products (Schwefelprodukte) and its Relations to Norway During the First World War” referierte ROLF HARALD STENSLAND (Bodø). Er betonte dabei die steigende Nachfrage Deutschlands nach Schwefelprodukten während des Ersten Weltkriegs und die Rolle, die Norwegen als neutraler Staat und Lieferant von Schwefelkies dabei spielte. Als Beispiel untersuchte er die norwegische Schwefelmine „Bjørkåsen“, die zeitweise unter deutscher Kontrolle stand. Er verwies auf den gestiegenen Schwefelabbau in der Mine seit 1915 und auf die Probleme, die der erhöhte Druck aus England mit sich brachte, sodass sich schließlich der deutsche Bezug von Schwefelprodukten stärker auf Schweden verlagerte.

Den letzten Beitrag der ersten Sektion hielt VERENA DOHRN (Hannover) zum Thema „Unter den Bedingungen von Krieg und Revolution. Die Ölunternehmen der Familie Chaim Kahan im Russischen Reich (1914-1920)“. Wesentlich auf den Nachlass der Familie Kahan gestützt, schilderte sie, wie das Ölimperium dieser Familie trotz schwieriger Umstände während und nach dem Ersten Weltkrieg an Größe und Bedeutung gewann. Dabei ging sie auf die Relevanz des Ölbooms in Baku sowie auf die Vorteile ein, die das Unternehmen aufgrund seiner Tätigkeit in der Ölwirtschaft während des Krieges erlangen konnte. Dank der Kooperationen nach West und Ost blieben die Ölunternehmen der Kahans trotz bolschewistischer Enteignungen fest im russischen Ölgeschäft etabliert.

Den ersten Tag abschließend befasste sich JULIA WALLECZEK-FRITZ (Wien) mit dem Thema „Rekrutierung hinter Stacheldraht. Der Arbeitseinsatz von Kriegsgefangenen in der Kriegswirtschaft Österreich-Ungarns im Ersten Weltkrieg“. Sie wies darauf hin, dass die österreichische Forschung über den Arbeitszwang noch ganz am Anfang sei und sie sich daher neue Erkenntnisse aus einem geplanten Forschungsprojekt erhoffe. Sie betonte den massiven Einsatz von Kriegsgefangenen in Österreich-Ungarn und die schlechten Bedingungen, unter denen diese leben und arbeiten mussten. Dabei verwies sie auf die Verletzung der Haager Landkriegsordnung, die der Einsatz von Kriegsgefangenen bedeutete. Außerdem stellte sie die Verbindung aus militärischem und zivilem Charakter der Zwangsarbeit heraus und zeigte auch Kontaktzonen des Arbeitseinsatzes auf, wie zum Beispiel Kulturtransfer sowie Migration und Integration.

Den zweiten Tag des Symposiums leitete WERNER PLUMPE (Frankfurt am Main) mit dem Vortrag „Die Eigendynamik des modernen Krieges und die Strategie der Unternehmen“ ein. Seine empirischen Befunde generalisierend hielt er fest, dass der Erste Weltkrieg wahrscheinlich der erste im strengen Sinne kapitalistische Krieg war, nicht weil die Unternehmen das so gewünscht und entsprechend forciert hätten, sondern weil seine technisch-militärische Dynamik die kriegführenden Staaten um den Preis ihres Untergangs zwang, alle vorhandenen Ressourcen zu mobilisieren.

Jener Staat und jenes Militär, so Plumpe, stand im Krieg am besten dar, der sich die kapitalistische Massenproduktion am besten zunutze machen konnte. Dieser Mechanismus mache die Entwicklung der Unternehmen im Krieg plausibel. Ihre zivilen Märkte wurden zerstört oder doch stark eingeschränkt. An deren Stelle trat die staatliche Nachfrage nach immer mehr Rüstungsgütern, der die Unternehmen nachkamen, wenn sich dies für sie lohnte und die damit verbundenen Risiken beherrschbar blieben, also vor allem der Staat aus den Unternehmen herausgehalten und die Kriegswirtschaftsorganisation zeitlich begrenzt werden konnte.

Der Krieg selbst war für die Unternehmen das weitaus schlechtere Geschäft, als es die Fortsetzung der Friedenswirtschaft je hätte sein können. Wenn es nach der Industrie und den Unternehmen gegangen wäre, hätte der Krieg nicht stattgefunden. Der Staat veranstaltete vielmehr mit dem Krieg ein Desaster, zu dessen Bewältigung er auf die Industrie angewiesen war, die in dieser Situation zwar wirtschaftlich profitierte, eine andere Lage aber entschieden vorgezogen hätte. Insofern fällt auch das Urteil über die Unternehmensentwicklung im Krieg zurückhaltend aus: Man suchte aus einer schwierigen Situation das Beste zu machen, und die Logik des Krieges gab zumindest hierfür auch Instrumente in die Hand, die genutzt wurden.

Die heute kaum mehr bekannte Geschichte des Stahlbeton-Schiffbaus im Ersten Weltkrieg behandelte KNUT STEGMANN (Münster). Er führte aus, dass nicht technische oder wirtschaftliche Vorteile den Auslöser für die Stahlbeton-Schiffbauprogramme im Ersten Weltkrieg bildeten, sondern dass die in schlagkräftiger Öffentlichkeitsarbeit erfahrene Betonindustrie die Ressourcenverknappung im Ersten Weltkrieg nutzte, um ein eigentlich nicht konkurrenzfähiges Produkt am Markt einzuführen. Deshalb kam bereits wenige Jahre nach dem Krieg der Stahlbeton-Schiffbau trotz aller Bemühungen der Industrie wieder zum Erliegen.

FLORIAN TRIEBEL (München) näherte sich der Gründung der Bayerischen Motoren Werke als Rüstungsunternehmen inmitten des Ersten Weltkriegs aus kommunikativer Perspektive. So erfolgte etwa die Umbenennung des Unternehmens im Juli 1917 von Rapp Motoren Werke in Bayerische Motoren Werke aus Image- und Vermarktungsgründen. Die Bemühungen zur Etablierung der Marke richteten sich an eine breite, am einzigen Produkt nur wenig interessierte Öffentlichkeit. Über frühe Ankündigungen zur Ausweitung des Geschäftsmodells durch eine breit angelegte Diversifizierung des Produktspektrums wurden Interesse und Aufmerksamkeit geweckt. Während der Konversionsphase nach Kriegsende wob das Unternehmen die positiven Reaktionen zu den BMW Flugmotoren geschickt in die Unternehmens- und Markenkommunikation ein, um seine einschlägigen technischen Kompetenzen zu unterstreichen und Abstrahleffekte auf die zivilen Ableitungen des Grundmotors zu erzielen. Im verwendeten Kommunikations-Instrumentarium finden sich auch Protoformen moderner Marketingansätze, wie die als ‚Guerilla Marketing’ konzipierten Höhenrekordflüge.

Wie MARTIN L. MÜLLER (Frankfurt am Main) ausführte, war auch für die deutschen Großbanken der Erste Weltkrieg der tiefgreifendste Einschnitt seit ihrer Entstehung Mitte des 19. Jahrhunderts. Ihr Geschäftsmodell, das sich allmählich entwickelt hatte und worin das Kapitalmarkt-, Kredit- und Handelsfinanzierungsgeschäft aufeinander abgestimmt waren, wurde mit Kriegsbeginn hinfällig. Noch während des Krieges reagierten die Großbanken auf den Wegfall ihres Auslands- und Kapitalmarktgeschäfts mit dem Ausbau ihrer Geschäftstätigkeit im Inland, im Wesentlichen durch räumliche Expansion in die wichtigsten Wirtschaftszentren Deutschlands. Damit einher ging eine deutliche Konzentrationswelle im deutschen Bankwesen. Die Einberufung rund eines Drittels der Stammbelegschaft und die Ausdehnung des Geschäftsbetriebes erforderte erstmals die Einstellung ungelernter und zugleich meist weiblicher Angestellter im großen Maßstab. Müller wies weiter darauf hin, dass die im Verlauf des Krieges Eingestellten nach Kriegsende ein anderes Selbstverständnis und Konfliktverhalten zeigten als die sich als ‚Bankbeamte‘ verstehenden ‚alten‘ Angestellten. Langfristig, so Müller, zeichnete sich ein Statusverlust der Bankbeamten, einer der ökonomischen Eliten des Kaiserreichs, ab.

Die das Symposium abschließende Sektion lenkte den Blick auf „Ausländische Unternehmen in der Kriegswirtschaft der Mittelmächte“.

„Schweizerische Unternehmen als Zulieferer und Produzenten in der deutschen Stickstoffwirtschaft“ untersuchte SANDRO FEHR (Bern). Auch die Schweiz war zur Deckung des Stickstoffbedarfs von Landwirtschaft und Armee von Chilesalpeter aus Übersee abhängig und musste diesen nach Kriegsausbruch durch die industrielle Fixierung des Stickstoffs der Luft ersetzen. Im Bereich des Kalkstickstoffverfahrens war die Produktion der Schweiz sogar so groß, dass bescheidene Exporte zugunsten der deutschen Kriegswirtschaft möglich waren. Wesentlich umfangreicher jedoch waren die Exporte von Karbid, das als Speicher elektrischer Energie diente und in Deutschland im großen Stil der Kalkstickstoffindustrie zugute kam. Daneben wurde die deutsche Stickstoffwirtschaft auch direkt mit Schweizer Elektrizität beliefert.

Bis heute fehle eine detaillierte Untersuchung der schweizerischen Kriegsmateriallieferungen, konstatierte ROMAN ROSSFELD (Zürich). Er rekonstruierte den Umfang und die Entwicklung der angesichts der schweizerischen Neutralität umstrittenen Kriegsmaterialexporte Schweizer Unternehmen, insbesondere der Uhrenindustrie, an verschiedene kriegführende Länder. Ebenso wie die Organisation und Abwicklung dieser Geschäfte zeichnete er auch den Widerstand gegen diese Kriegsmaterialexporte sowohl innerhalb der Uhrenindustrie als auch durch Kriegsgegner und Pazifisten nach.

Im Ergebnis der Veranstaltung wurde festgehalten, dass die Zahl der aktuellen Forschungen zu Unternehmen im Ersten Weltkrieg noch sehr gering ist und zu hoffen bleibt, dass in den kommenden Jahren noch weitere Erkenntnisse gewonnen werden.

Konferenzüberblick:
Einführung
Dieter Ziegler (Bochum)

Sektion I: Ressourcenmanagement und Ersatzstoffwirtschaft
Leitung: Harm Schröter (Bergen)

Stefanie van de Kerkhof (Mannheim): Unternehmen in der Mangelwirtschaft – Desiderate und Perspektiven einer unternehmenshistorischen Rohstoffforschung zum Ersten Weltkrieg

Eva-Maria Roelevink (Bochum): Kriegswirtschaftliche Eigenlogik? Die Absatzgewinne des Ruhrsyndikats und der niederländische Markt

Rolf Harald Stensland (Bodø): Germany's Need for Sulphur Products (Schwefelprodukte) and its Relations to Norway During the First World War

Verena Dohrn (Hannover): Unter den Bedingungen von Krieg und Revolution. Die Ölunternehmen der Familie Chaim Kahan im Russischen Reich (1914-1920)

Sektion II: Arbeitskräfteeinsatz und soziale Konflikte
Leitung: Carsten Burhop (Wien)

Julia Walleczek-Fritz (Wien): Rekrutierung hinter Stacheldraht. Der Arbeitseinsatz von Kriegsgefangenen in der Kriegswirtschaft Österreich-Ungarns im Ersten Weltkrieg

Sektion III: Die Anpassung der Unternehmen an die kriegswirtschaftliche Regulierung
Leitung: Dieter Ziegler (Bochum)

Werner Plumpe ( Frankfurt am Main): Die Eigendynamik des modernen Krieges und die Strategie der Unternehmen

Knut Stegmann (Münster): Zur Geschichte einer gescheiterten Innovation – Der deutsche Stahlbeton-Schiffbau im Ersten Weltkrieg

Florian Triebel (München): BMW – Ein Rüstungs-Startup des Ersten Weltkriegs

Martin L. Müller (Frankfurt am Main): “Die normale Arbeit hat so gut wie vollständig aufgehört.“ Die deutschen Großbanken, ihre Geschäftstätigkeit und ihre Angestellten im Ersten Weltkrieg

Sektion IV: Ausländische Unternehmen in der Kriegswirtschaft der Mittelmächte
Leitung: Werner Plumpe (Frankfurt am Main)

Sandro Fehr (Bern): Energie für den Krieg. Schweizerische Unternehmen als Zulieferer und Produzenten in der deutschen Stickstoffwirtschaft während des Ersten Weltkriegs

Roman Rossfeld (Zürich): Kriegsgewinne – Munitionslieferungen – Wirtschaftsneutralität: Anmerkungen zum Kriegsmaterialexport der schweizerischen Uhren-, Metall- und Maschinenindustrie im Ersten Weltkrieg


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