Die preußisch-welfische Hochzeit 1913: Das dynastische Europa in seinem letzten Friedensjahr

Die preußisch-welfische Hochzeit 1913: Das dynastische Europa in seinem letzten Friedensjahr

Organisatoren
Historisches Seminar, Technische Universität Braunschweig; Stiftung Braunschweigischer Kulturbesitz
Ort
Wolfenbüttel
Land
Deutschland
Vom - Bis
11.12.2013 - 13.12.2013
Url der Konferenzwebsite
Von
Andreas Eberhard / Christian Götter, Historisches Seminar, Technische Universität Braunschweig

Das 100jährige Jubiläum der Hochzeit zwischen Viktoria Luise von Preußen und Ernst August von Cumberland sowie der Inthronisierung des neuen Herzogs von Braunschweig war Anlass eines internationalen Kolloquiums des Historischen Seminars der Technischen Universität (TU) Braunschweig und der Stiftung Braunschweigischer Kulturbesitz in der Herzog-August-Bibliothek in Wolfenbüttel. Die Veranstaltung nahm sich zur Aufgabe, in Anknüpfung an das dynastische Fest von 1913 Realitäten und Möglichkeiten des letzten Jahres vor dem Ersten Weltkrieg in den Blick zu nehmen. Hierdurch sollte zum von der Stadt Braunschweig proklamierten „Themenjahr 1913“ ein fachlicher Beitrag geleistet werden, der die offiziell und medial erinnerten Ereignisse in größere Kontexte der europäischen Geschichte stellte.

In ihrer Einführung lenkte UTE DANIEL (Braunschweig) die Aufmerksamkeit auf vier übergreifende Zusammenhänge, in denen das Tagungsthema von den Teilnehmern reflektiert werde. Zunächst betonte sie die grenzüberschreitenden Verflechtungen dieser Epoche. Daneben fragte sie nach verschiedenen Perspektiven: Welche Rolle spielten der Hochadel und seine Hochzeit für andere soziale Gruppen? Drittens verwies sie auf die zeitlichen Kontexte, auf Erfahrungen ebenso wie auf Zukunftserwartungen. Schließlich sollte auch die Alltagsgeschichte in den Blick genommen werden: „Was hörten die Ohren der Zeitgenossen tatsächlich? Eben nicht den aus der Rückschau vermeintlich dröhnenden Schritt der Geschichte.“

Dass Fürsten und ihre Feiern, dass Monarchien im letzten Friedensjahr vor dem Ersten Weltkrieg zur europäischen Normalität gehörten, betonte DIETER LANGEWIESCHE (Tübingen). Am Ende des „langen 19. Jahrhunderts“ sei von der ursprünglichen Gegnerschaft zwischen Republik und Monarchie nichts mehr übrig gewesen. Monarchien hätten sich längst als ebenso wandlungs- und anpassungsfähig erwiesen wie Republiken. Erst das Ende des Ersten Weltkriegs mit seinen Revolutionen und den Friedensbedingungen der Siegermächte habe dieses „Ergebnis des 19. Jahrhunderts widerrufen“, und die Auseinandersetzung über die Staatsmodelle Monarchie und Republik seien erneut virulent geworden. Zumindest galt dies, wie in der Diskussion präzisierend zur Sprache kam, aufseiten der Kriegsverlierer.

In ihrem gemeinsamen Vortrag analysierten DANIEL SCHÖNPFLUG (Berlin) und HENNING HOLSTEN (Berlin) die Hochzeitsfeierlichkeiten in Berlin im Fokus dreier historischer „Problemkomplexe“: Unter den Gesichtspunkten eines romantisch gewandelten Liebes- und Ehedenkens, der Wahrnehmung terroristischer Bedrohungen und einer massenmedialen Öffentlichkeit zeigten die Referenten, dass die Monarchie imstande war, das „vormoderne Ereignis“ eines dynastischen Fests der „modernen“ Gegenwart 1913 anzupassen. Angesichts der medialen Berichterstattung sei sogar „eine Ausweitung monarchischer Inszenierung“ zu konstatieren gewesen.

HEIDI MEHRKENS (St Andrews) beleuchtete die Hochzeit aus britischen Perspektiven. Das Außenministerium habe, um die außenpolitische Annäherung an Frankreich nicht zu stören, den unpolitischen, rein familiären Charakter des „royal visit“ betont. Die britische Presse hingegen sah in der Teilnahme des Königspaares an der Hochzeit des „britischen Prinzen“ Ernst August mit der Kaisertochter Viktoria Luise eine „Gelegenheit zur staatlichen Verständigung“ mit Deutschland. Im Gefolge des Königspaares schließlich war man vor allem zufrieden mit dem tadellosen Eindruck, den der britische Besuch gegeben habe. Zusammenfassend betonte Mehrkens die Funktion monarchischer Inszenierung als Projektionsfläche der Zeitgenossen.

Anhand der Wiener „Neuen Freien Presse“ der zweiten Maihälfte 1913 zeigte HELMUT ALTRICHTER (Erlangen) die begrenzte mediale Aufmerksamkeit, die das Ereignis in Österreich erhielt. In der Presse sei das langjährige Exil der Welfen in Österreich – wohl aufgrund politischer Weisungen – unerwähnt geblieben. Einen zentralen Grund für das Fernbleiben Kaiser Franz Josephs in Berlin sah Altrichter in eben jener Rolle des greisen Monarchen als „Protektor der Welfen“. Als Kontrastfolie zur Hochzeit 1913 verwies Altrichter auf die Feiern zum 70. Thronjubiläum Franz Josephs 1908, die die „Einheit des Volkes mit Kaiser und Reich“ demonstrieren sollten, jedoch politisch wirkungslos geblieben seien.

KAI DREWES (Göttingen / Braunschweig) widmete sich den „fließenden Grenzen zwischen Bürgertum und Adel“ im Deutschen Kaiserreich. Die Frage der Affinität des Bürgertums zu Adelstiteln sei geeignet, den Wandel der Rezeption des Kaiserreiches in der Forschung zu verdeutlichen. Die Monarchie sei 1913, anders als vielfach behauptet werde, „kein Auslaufmodell“ gewesen. Die Nachfrage nach Adelstiteln zeige dies, und die deutsche Situation sei diesbezüglich keine Ausnahme gewesen. Die in vielen Darstellungen kolportierte Ablehnung von Adelstiteln aus Bürgerstolz bezeichnete Drewes als Mythos, der einer Überprüfung nicht standhalte. In der anschließenden Diskussion wurde darauf hingewiesen, dass es notwendig sei, das Bürgertum mit seinen verschiedenen Strömungen differenziert zu betrachten.

In seinem Vortrag lieferte TORSTEN RIOTTE (Frankfurt am Main) Innenansichten der welfischen Bewegung von ihren Ursprüngen nach 1866 bis zur Revolution 1918/19. Aufgrund regionaler Loyalitäten der Exekutiv- und Justizbehörden in Braunschweig habe die preußische Regierung kaum eine Handhabe gegen Angehörige der konservativen welfischen Opposition gehabt. Anhand der Inthronisation Ernst Augusts 1913, die für die Deutsch-Hannoversche Partei (DHP) gleichbedeutend mit dem Verlust des politischen Hauptziels war, verwies Riotte auf die Interessenunterschiede zwischen der welfischen Bewegung und der Dynastie. Das Überleben letzterer sei auch nach 1918 im Exil gewährleistet gewesen.

Um die Zukunft des Jahres 1913 ging es am letzten Tag der Tagung. MONIKA WIENFORT (Berlin) befasste sich unter diesem Aspekt mit adeligen wie bürgerlichen preußischen Gutsfrauen und konnte zeigen, dass diese Teil einer konservativen Modernisierungsbewegung waren. Über Vereine oder Wohltätigkeitsaktivitäten, oft mithilfe kirchlicher oder staatlicher Stellen, eroberten sie sich politische Rollen, die jedoch als unpolitisch galten. Bestimmend gewesen sei die „Vorstellung einer Partizipation ohne politische Emanzipation“. Zu den akzeptierten Rollen gehörten ab 1909 auch Vorbereitungskurse für Lazaretthelferinnen, womit die Erwartung eines Krieges im weiblichen Teil des ländlich-konservativen Milieus Raum griff.

Im Anschluss widmete sich CHRISTIAN FREY (Braunschweig) dem jungen Braunschweiger Herzogspaar und seiner Rolle im Ersten Weltkrieg. Er konnte verdeutlichen, dass dessen Rolle trotz seiner weitgesteckten reformerischen Ziele äußerst begrenzt war, da eine stark ausgeprägte Bürokratie letztlich die Fäden der Macht in der Hand hielt. Deren Autonomie wuchs angesichts der häufigen Abwesenheit des Herzogs in den Kriegsjahren und beschränkte den Entscheidungsspielraum des Monarchen letztlich auf die Gestaltung von Orden und Uniformen. Als Ernst August am Ende des Krieges abdanken musste, habe er dies als Erleichterung empfunden. In der Diskussion wurde der Wert der von Christian Frey erstmals benutzten Quellen für die Regionalgeschichtsschreibung hervorgehoben.

Insbesondere betonte diesen Wert HANS-ULRICH LUDEWIG (Braunschweig), der sich in seinem anschließenden Vortrag mit dem Antagonismus zwischen der Braunschweiger Arbeiterbewegung und dem ‚Bürgertum‘ beschäftigte, worunter aus Sicht der Arbeiter letztlich alle anderen politischen Kräfte fielen. Er konnte zeigen, dass diese Wahrnehmung einerseits und die Aktionsformen der Arbeiterbewegung mit Protesten auf der Straße andererseits im Krieg verfestigt wurden. Hiermit erklärte Ludewig die rasche und programmatisch besonders ‚linke‘ Revolution 1918, die sich allerdings im Folgejahr, auch aufgrund einer bürgerlichen Gegenstreikbewegung, nicht halten konnte. In der anschließenden Diskussion wurde deutlich, dass bei allem Wissen über das Militär, die Arbeiterbewegung und inzwischen auch das Herzogshaus noch immer so gut wie keine Informationen über die eigentlichen Braunschweiger Machthaber, die Regierung und die Beamtenschaft vorliegen.

Der Tagung gelang es, anhand der Vielzahl verschiedener Perspektiven auf die preußisch-welfische Hochzeit und ihr Umfeld deutlich zu machen, dass es ‚die eine‘ abschließende Deutung zum letzten Friedensjahr 1913 ebenso wenig geben kann, wie es unter den Zeitgenossen ‚die eine‘ Sicht auf die Fürstenhochzeit gab. Dass viele Zeitgenossen in Braunschweig sogar vergleichsweise wenig an den Vorgängen interessiert waren, die heute im „Themenjahr 1913“ als erinnernswert hervorgehoben werden, demonstrierte eindrucksvoll ein Theaterstück, das Studentinnen und Studenten der TU Braunschweig auf Basis alltagsgeschichtlicher Quellen ausgearbeitet hatten. Indem das dreitägige Symposium wesentliche das Jahr prägende Strukturen, Persönlichkeiten und Perspektiven auslotete, zeigte sich, dass die scheinbar widersprüchlichen Realitäten eines ‚vormodernen‘ monarchischen Staates mit dynastischen Festen einerseits und einer ‚modernen‘ Gesellschaft mit Massenmedien, einer starken Arbeiterbewegung und politisch engagierten Frauen andererseits im Europa des Jahres 1913 in relativer Eintracht parallel existierten und miteinander verflochten waren. Ein Krieg, wie er 1914-1918 schließlich stattfand, so zeigte die Tagung, war nicht Bestandteil des Erwartungshorizonts der Zeitgenossen.

Konferenzübersicht:

Gert Hoffmann (Präsident der Stiftung Braunschweigischer Kulturbesitz) / Ute Daniel (Historisches Seminar, TU Braunschweig), Begrüßung und Einführung

Dieter Langewiesche (Tübingen), Monarchismus und Republikanismus als Widerlager der Vorkriegszeit

Studierende des Historischen Seminars der TU Braunschweig: Erlebte Gegenwart / Erwartete Zukunft 1913 – Ein historisches Dokumentarstück

Teil 1: 1913 im dynastischen Europa

Daniel Schönpflug / Henning Holsten (Berlin), Über die Schwierigkeiten eines dynastischen Gipfeltreffens im Jahr 1913

Heidi Mehrkens (St Andrews), Die welfisch-preußische Hochzeit 1913 aus britischer Perspektive

Helmut Altrichter (Erlangen), Die welfisch-preußische Hochzeit 1913 aus habsburgischer Perspektive

Kai Drewes (Göttingen / Braunschweig), Ausgezeichnete Bürger. Bilder vom wilhelminischen Bürgertum im Wandel

Torsten Riotte (Frankfurt am Main), „Geht unsere ganze Volksbewegung jetzt zu Grunde ...“ Die welfische Bewegung und der braunschweigische Herzogstitel vor und nach 1913

Teil 2: Die unbekannte Zukunft von 1913

Monika Wienfort (Berlin), Zukunftsängste und Zukunftserwartungen im konservativ-ländlichen Milieu

Christian Frey (Braunschweig), Die Braunschweiger Dynastie im Weltkrieg und in der Novemberrevolution

Hans-Ulrich Ludewig (Braunschweig), Erster Weltkrieg und Novemberrevolution in Braunschweig


Redaktion
Veröffentlicht am