Zeit – Planung – Emotionen. Zur Anwendbarkeit temporaler Analysekategorien in der Planungs- und Emotionsgeschichte

Zeit – Planung – Emotionen. Zur Anwendbarkeit temporaler Analysekategorien in der Planungs- und Emotionsgeschichte

Organisatoren
Carla Aßmann / Matthias Kuhnert / Sebastian Rojek / Konrad Sziedat / Anna Ullrich / Institut für Zeitgeschichte, Ludwig-Maximilians-Universität München
Ort
München
Land
Deutschland
Vom - Bis
22.11.2013 -
Url der Konferenzwebsite
Von
Karl Siebengartner, Historisches Seminar, Ludwig-Maximilians-Universität München

Die drei Begriffe „Zeit, Planung, Emotionen“ bezeichnen drei vieldiskutierte Ansätze der (zeit-)historischen Forschung. Das Ziel des Symposiums „Zeit – Planung – Emotionen. Zur Anwendbarkeit temporaler Analysekategorien in der Planungs- und Emotionsgeschichte“ sei es – so SEBASTIAN ROJEK (München) in seinem Eröffnungsvortrag – die analytischen Potentiale und Verbindungslinien zwischen diesen drei Ansätzen der Forschung zu diskutieren. Zu diesem Zweck hatten die Veranstalter/innen der Leibniz Graduate School „Enttäuschung im 20. Jahrhundert. Utopieverlust – Verweigerung – Neuverhandlung“ ausgewiesene Vertreter/innen der unterschiedlichen Ansätze eingeladen, die in drei Panels miteinander ins Gespräch kommen sollten. Dementsprechend bestand der größte Teil der Tagung aus einem lebhaften Podiumsgespräch. In drei Panels sowie einer Abschlussdiskussion, die jeweils mit kurzen Vorträgen eingeleitet wurden, stand also der Austausch im Vordergrund, an dem sich auch das zahlreich erschienene Publikum beteiligte. Primär ging es um drei Fragen: 1. Wie kann die temporale Dimension historischer Prozesse analytisch fruchtbar gemacht und methodisch umgesetzt werden? 2. Welche Rolle spielt die Analyse zeitlicher Prozesse in der Planungsgeschichte? 3. Wie kann man Zeit und Gefühle zusammendenken?

Insgesamt lag der Fokus nicht auf einer Detailbesprechung aller möglichen Dimensionen der einzelnen Begriffe. Vielmehr ging es darum, die Schnittstellen zwischen den Konzepten zu erörtern. Rojek schilderte, wie die relative Neugewichtung von „Erfahrungsraum und Erwartungshorizont“ (Reinhart Koselleck) seit der Sattelzeit einen Beschleunigungsprozess zur Folge gehabt habe. Diese in der Forschung ausführlich diskutierte und von dem Sozialwissenschaftler Hartmut Rosa in eine große Theorie gefasste Annahme sollte mit den Forschungsergebnissen der Planungsgeschichte seit dem ausgehenden 19. Jahrhundert in Beziehung gesetzt werden. Festzustellen sei dabei ein Anstieg von Planungs- und Steuerungsversuchen parallel zum Abschmelzen von Erwartungsstabilitäten. Darauf reagierten die historischen Akteure in der Regel mit einer Intensivierung ihrer Planungsbemühungen bei gleichzeitiger Steigerung der Enttäuschungswahrscheinlichkeit. Die Erwartungen, die sich auf prognostizierte Entwicklungen in der Zukunft richten seien dabei stets emotional grundiert, so dass die Planungsgeschichte auch diese Dimension stärker beachten müsse.

Die anwesenden Fachvertreter/innen haben sich in ihren Arbeiten mit unterschiedlichen Aspekten der jeweiligen Forschungsfelder Zeit, Planung und Emotionen auseinandergesetzt, so BENNO GAMMERL (Berlin) und MARTINA KESSEL (Bielefeld) mit der Geschichte der Gefühle, bzw. dem Zusammenhang zwischen Zeit und Gefühlen, LUCIAN HÖLSCHER und TILL KÖSSLER (beide Bochum) sowie OLIVER ZIMMER (Oxford) mit der Geschichte von Zukunftserwartungen und der Dimension der Zeit auf den Ebenen der Wahrnehmung und der Politik, während DIRK VAN LAAK (Gießen) Studien zur Geschichte großer Planungsprojekte vorgelegt hat.

Zum Einstieg in das erste Panel problematisierte MATTHIAS KUHNERT (München) die verschiedenen Zeitkonzepte in der historischen Forschung. Er betonte, dass es hier nicht darum gehen könne, eine allgemeingültige Definition von Zeit zu erarbeiten, sondern der Frage nachzugehen, wie die Dimension Zeit in der historischen Quellenanalyse gewinnbringend einzusetzen sei. Kuhnert grenzte sich dabei sowohl von einer Ideengeschichte der Zeitvorstellungen, als auch von der Geschichte der Zeitmessung ab. Im Hinblick auf die beiden anderen Konzepte sei es fruchtbarer, sich auf die Zeitwahrnehmungen und Zeitpraktiken historischer Akteure zu konzentrieren. Methodisch knüpfte er an Koselleck und Rosa an. Weiterführend erschien ihm der Begriff der Synchronisierung. Dieser könne ein Mittel bilden, um gesellschaftliche Konfliktlagen aufzuschlüsseln – etwa inwiefern verschiedene soziale Zeitregime (Alltagszeit, Arbeitszeit, Legislaturperioden et cetera) miteinander verbunden oder eben nicht verbunden worden sind.

Zu Beginn berichteten die Expert/innen wie sie in ihrer Forschung mit dem Problem der Zeit umgingen. Die Debatte fokussierte sich dabei auf den von Till Kössler eingebrachten Begriff des Zeitangebotes, der in seinen verschiedenen Dimensionen diskutiert wurde. Es sei dabei insbesondere zu beachten, dass Angebote von Zeit immer einen individuellen Gestaltungsspielraum ließen. Historiker/innen könnten etwa analysieren, welche temporalen Angebote politische Parteiprogramme ihren Wählern machten, denn die Analyse zeitlicher Programme böten das Potential, die Relation von Individuen und Strukturen neu zu betrachten. Martina Kessel mahnte, jenseits dieser politischen Ebene auch die temporale Konstruktion von Identität im Blick zu behalten. Zudem diskutierte die Gruppe das Verhältnis von Zeit und Macht. Der Faktor Zeit sei eine Möglichkeit, die Machtverteilungen innerhalb einer Gesellschaft zu untersuchen. Ertragreich könne es sein, danach zu fragen, welche Akteure welchen anderen Akteuren ihre jeweiligen Rhythmen aufzuzwingen oder diese unter Zeitdruck zu setzen vermochten. Ein treffendes Beispiel böten etwa die deutschen Militärs während der Julikrise 1914, während der sie der Politik mit dem Schlieffen-Plan ein neues Zeitregime aufzwangen.

Auf methodologischer Ebene könne die genaue Rekonstruktion von Erfahrungsräumen und Erwartungshorizonten spezifischer Akteursgruppen verhindern, einzelne Geschichten zu stark von ihrem Ende her zu interpretieren. Damit könne ein Gespür für die Offenheit historischer Konstellationen und den ehemals angelegten Möglichkeiten gewahrt werden. Die Theorieangebote von Koselleck und Rosa könnten bei solchen Vorhaben als Anregungen dienen, müssten jedoch stets kritisch an den Quellen überprüft werden. Es herrschte Einigkeit, dass weitere Theorieangebote gegebenenfalls aus konkreten, empirisch fundierten Studien erst noch zu erarbeiten seien. Ebenso klar sei zudem, dass die Möglichkeiten temporaler Analysen noch längst nicht ausgeschöpft seien.

CARLA AßMANN(München) führte in das zweite Panel „Zukunft und Planung“ ein. Ihren Ausgangspunkt bildete die in der Forschung vertretene These, dass das 20. Jahrhundert insbesondere in seiner ersten Hälfe, von der Idee der Planbarkeit geprägt worden sei. Der Faktor Zeit spiele in Planungsprozessen stets eine Rolle. Zunächst auf der Ebene der für Historiker/innen nicht immer leicht rekonstruierbaren Chronologie von Planungsprojekten. Mitunter führten lange Wege von der ersten Idee bis zur Ausführung. Im Hinblick auf die Akteure seien verschiedene Zeithorizonte zu unterscheiden, die nicht immer mit dem Planungsprozess kongruent seien. Die unterschiedlichen Erwartungen und Zeit-Räume, in denen sich Politiker, Planer, Arbeiter und Medien bewegten, hätten nicht selten zu Synchronisierungsproblemen geführt, die Planungsprozesse erheblich veränderten. Zudem seien Planungen auf allen Ebenen von Emotionen durchtränkt, sowohl auf Seiten der Planer, als auch der Planungsbetroffenen. Die einen entwarfen das Bild einer positiven Zukunft, während die anderen mitunter negative Entwicklungen befürchteten. Die bisherige Forschung habe sich stark auf technokratische Großplanungen konzentriert, doch ließen sich Formen des zukunftsgerichteten Planungshandelns nicht auf allen möglichen Ebenen finden? Gäbe es Akteure, die nicht planten? Müssten demnach nicht die Ergebnisse der Planungsgeschichte auch in anderen Forschungsfeldern stärker Beachtung finden?

Lucian Hölscher interpretierte Planung als Komplexitätsreduktion: sie arbeite mit einer begrenzten Zahl von Variablen, während andere Faktoren als irrelevant oder konstant angesehen würden. Die Runde griff dies auf und diskutierte darüber, inwieweit Großprojekte von den Beteiligten weitgehend stabile Haltungen und Affekte verlangten, ohne die lange Realisierungsspannen nicht überbrückt werden könnten Im Folgenden fokussierte sich die Diskussion auf den Begriff der Lebensplanung, in dem Strukturen des Planungshandelns in die konkrete Lebensführung übertragen würden. Die Vorstellung von Ideallebensläufen befördere die Utopie eines planbaren Lebens. Interessant für die Geschichtswissenschaft sei neben der Untersuchung solcher Vorstellungen und deren Verbreitung gerade, inwiefern Akteure reagierten, deren Lebenslauf von der eigenen oder gesellschaftlichen Norm abwichen. In der Analyse der Diskrepanz zwischen Ideal und Realität läge der besondere Mehrwert der Planungsgeschichte für die historische Analyse. Dirk van Laak betonte dabei, dass Planung seit der Aufklärung eine gesellschaftliche Notwendigkeit geworden sei. Dabei stand allerdings die Frage im Raum, in welchen Strategien keine Elemente von Planung enthalten seien, und ob planerisches Handeln letztlich nicht so allgegenwärtig sei wie Zeit oder Emotionen. Benno Gammerl plädierte dafür, dass das analytische Vokabular der Planungsgeschichte differenziert werden müsse, um technokratische Großplanungen von individuellen Planungsvorhaben abgrenzen zu können. Zahlreiche Aspekte kamen hinzu, etwa die Rolle von Versicherungen oder Religion, sowie die Bedeutung von Emotionen im nüchternen Habitus von Planungsexperten, oder mit einzelnen Projekten verknüpften Ängsten oder Hoffnungen. Als Ergebnis wurde festgehalten, dass bei der Arbeit mit dem Begriff der Lebensplanung nicht nur die Akteure, sondern vor allem auch deren Zeitkontext immer im Blick behalten werden müsse. Gerade unter Berücksichtigung dieses Aspektes böte sich für die Planungsgeschichte eine Vielzahl von Forschungsmöglichkeiten.

Im dritten Panel widmete sich ANNA ULLRICH in ihrem Einführungsvortrag dem Verhältnis von Zeit und Emotionen. Unter Bezugnahme auf die vorhergehenden Diskussionen attestiere Ullrich Gefühlen eine Omnipräsenz. Ihre Spuren ließen sich überall auffinden, wobei gerade auch die Planungsgeschichte zeige, dass eine klare Trennung zwischen angeblich sachlicher Rationalität und irrationaler Emotionalität analytisch wenig fruchtbar, nichtsdestotrotz in historischen Kontexten wirksam geworden sei. Sie verdeutlichte ferner die enge Verschränkung von Zeit und Emotionen. So verwiesen Teile unseres Gefühlsvokabulars – wie Langeweile oder Sehnsucht – unmittelbar auf eine temporale Dimension, während in einer emotionsgeschichtlichen Untersuchung immer auch die zeitlichen Umstände (der Zeitpunkt) einer emotionalen Äußerung bedacht werden müsse. Der Blick auf Zeit und Gefühle führe zu verschiedenen offenen Fragen: Wie etwa lasse sich der Wandel von Gefühlen im Lauf der Zeit methodisch fassen? Wie sei mit emotionalen Äußerungen aus Ego-Dokumenten umzugehen, die mit erheblichem Abstand zum Ereignis aufgezeichnet worden seien? Wenn die Prämisse einer zunehmenden Beschleunigung zahlreicher Lebensverhältnisse stimme, wie wirke sich dies auf die Gefühlswelten aus? Mussten Gefühle permanent reevaluiert und angepasst werden? Angesichts dieser methodischen Probleme eröffnete Ullrich die Diskussion mit der Frage danach, welche Bedeutung Gefühlen in der historischen Arbeit der Expert/innen zukäme.

Oliver Zimmer berichtete zunächst aus seinem laufenden Forschungsprojekt zu den Erfahrungen von Eisenbahnreisenden in Deutschland und England im 19. Jahrhundert. Hierbei spielte der Zusammenhang zwischen Zeit und Gefühlen eine große Rolle. Der Fahrplantakt, die Pünktlichkeit oder Unpünktlichkeit der Züge führte zu Gefühlen des individuellen Zeitverlustes, der vergeudeten oder der gewonnenen Zeit. Ausgehend von diesen Ausführungen zur modernen Technik diskutierte die Gruppe die emotionale Dimension von Fortschrittsvorstellungen. Zudem ging es um die Regeln des Sagbaren im Zusammenhang mit Gefühlen in verschiedenen Kommunikationsräumen, seien es private Briefe, Autobiographien oder in Parlamenten. Spannend könnte es sein – sofern die Quellenlage dies erlaube – retrospektive Narrative vergangener Hoffnungen und Sehnsüchte mit anderen Quellen zu vergleichen. Die Rekonstruktion vergangener Gefühlswelten müsse methodisch die kommunikativen Kontexte und den temporalen Verlauf gleichermaßen im Blick behalten, um zu belastbaren Aussagen zu gelangen.

KONRAD SZIEDAT (München) führte in die Abschlussdiskussion ein und fasste die Ergebnisse noch einmal zusammen. Hierbei stellte er heraus, dass Zeit und Emotionen quasi allgegenwärtige Dimensionen historischen Handelns darstellten, während dies bei Planungen zunächst weniger offensichtlich sei, wobei jenseits der Fokussierung auf Großplanungen auf individuelle Planungshorizonte für Akteure stets relevant seien. Die Expert/innen warnten abschließend noch einmal vor der allzu raschen Übernahme der Prämissen gängiger Theorien. Alle waren sich einig, dass es fruchtbar sein könnte, die bisher weitgehend getrennt existierenden Forschungsfelder in empirischen Arbeiten stärker zu verknüpfen. Insgesamt erschienen die Diskussionen konstruktiv und zeichneten sich vor allem durch Ideenreichtum und ein hohes Anregungspotential für weitere Forschungen aus.

Die Idee die drei Begriffe Zeit, Planung und Emotionen zusammenzudenken ging in der offenen Diskussionsform der einzelnen Panels auf. Die Expert/innen traten dadurch in einen Dialog mit dem Plenum, wodurch sich eine Vieldimensionalität der Konzepte zu entwickeln begann. Die Veranstalter/innen der Leibniz Graduate School und die geladenen Gäste waren somit in der Lage wichtige Schnittstellen der drei Kategorien auszumachen und zu vertiefen.

Konferenzübersicht

Panel I: Zeitkonzepte und ihre praktische Anwendung
Einführung u. Moderation: Matthias Kuhnert (München)

Panel II: Zukunft und Planung
Einführung u. Moderation : Carla Aßmann (München)

Panel III: Zeit und Gefühle
Einführung u. Moderation: Anna Ullrich (München)

Teilnehmende Expert/innen: Benno Gammerl (Berlin), Lucian Hölscher (Bochum), Martina Kessel (Bielefeld), Till Kössler (Bochum), Dirk van Laak (Gießen), Oliver Zimmer (Oxford)