Wittelsbach, Bayern und die Pfalz: das letzte Jahrhundert

Wittelsbach, Bayern und die Pfalz: das letzte Jahrhundert

Organisatoren
Karsten Ruppert, Katholische Universität Eichstätt-Ingolstadt
Ort
Edenkoben
Land
Deutschland
Vom - Bis
28.03.2014 - 29.03.2014
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Von
Markus Meyer, Fachgebiet Geschichte, Katholische Universität Eichstätt-Ingolstadt

800 Jahre nach der Übertragung der Pfalzgrafschaft bei Rhein an die Familie der Wittelsbacher durch Kaiser Friedrich II., die über 700 Jahr währen sollte, befasste sich die wissenschaftliche Tagung „Wittelsbach, Bayern und die Pfalz: das letzte Jahrhundert“ mit zentralen Aspekten der Stellung der Pfalz im Königreich Bayern. Ausgewiesene Experten referierten am 28. und 29. März 2014 auf Schloss Villa Ludwigshöhe bei Edenkoben in drei Sektionen über das besondere Verhältnis der Pfalz zum Königreich Bayern zwischen deren Angliederung im Jahre 1816 und dem Ende der Wittelsbacher Herrschaft 1918. Ein besonderes Anliegen der von Karsten Ruppert, Katholische Universität Eichstätt-Ingolstadt, initiierten Tagung war die Belebung des Dialoges zwischen den bayerischen und pfälzischen Historikern über diese Epoche der gemeinsamen Geschichte.

Die Veranstaltung war ein gemeinsames Projekt der „Generaldirektion Kulturelles Erbe“ (GDKE) des Landes Rheinland-Pfalz, der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt und der „Hambach-Gesellschaft für historische Forschung und politische Bildung“. Eine Unterstützung gewährte die Stiftung Bayern-Pfalz. Nach der Begrüßung durch die Direktorin der Sektion „Burgen, Schlösser, Altertümer“ der GDKE, Angela Kaiser-Lahme, die über die Geschichte und Bedeutung des Tagungsortes informierte, führte KARSTEN RUPPERT (Eichstätt) in die Konzeption der Tagung ein: Von allen neu erworbenen Gebieten habe sich Bayern mit der Pfalz am schwersten getan. Dass die Integration dennoch gelungen sei, sei einer Politik zu verdanken gewesen, die so viel Einheitlichkeit wie nötig eingefordert und so viel Selbständigkeit wie möglich gewährt habe. So sei bis zum Vorabend des Weltkriegs der Beweis erbracht worden, dass ein starker Staat sich durchaus mit lebendigen Regionen vereinbaren ließ.

Den Auftakt zur Sektion „Politik, Verfassung, Recht“ machte HANS FENSKE (Freiburg) mit einem Referat über „Die pfälzische Sonderkultur in der politischen Entwicklung Bayerns bis zur Revolution von 1848/49“. Darin betonte er sowohl die populäre Zustimmung zur Beibehaltung der verfassungspolitischen Errungenschaften aus der französischen Zeit („Rheinische Institutionen“) wie auch die Bereitschaft der bayerischen Regierung und der führenden Verwaltungsbeamten zur „Verbürgung des pfälzischen Sonderstatus“. Mit der im Anschluss an die Pariser Julirevolution 1830 einsetzenden „konservativen Wende“ Ludwigs I., die vom Hambacher Fest 1832 verstärkt wurde, kam diese Phase zu einem vorläufigen Ende. Im Verlauf der Revolution 1848/49 wurde durch die liberalen Reformen jedoch eine Angleichung der rechts- an die linksrheinischen Verhältnisse erzielt, weshalb „von einer Sonderkultur dann kaum noch die Rede sein“ konnte.

WILHELM KREUTZ (Mannheim) porträtierte „Die politische Entwicklung Bayerns und der Pfalz von 1848/49 bis 1918“. Hatte das Jahr 1849 mit der Lossagung der Pfalz von Bayern durch die Provisorische Regierung im Rahmen der Reichsverfassungskampagne den „Tiefpunkt des bayerisch-pfälzischen Verhältnisses“ markiert, so endete damit auch die geschlossene oppositionelle Blockhaltung durch Betonung der (französisch geprägten) politischen Autonomie. In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts sei ein Streben nach einer „historischen Kulturlandschaft ‚Pfalz‘“ durch die Umdeutung der Pfälzer in einen „eigenen deutschen Stamm“ neben Franken, Schwaben und Altbayern unter Betonung der Einheit von politischem Territorium und geographischem Gebiet erkennbar. Gleichzeitig wurde neben dieser „kulturellen Transformation der Identität“ unter Dominanz der nationalliberal orientierten „Flaschenbarone“ die Annäherung an die deutsche Kultur und das ‚Reich‘ wichtiger.

FRANZ MAIER (Speyer) bestätigte die Befunde der Vorredner. Die Vereinheitlichung auf staatlicher Ebene sei bis 1862 nahezu vollständig vollzogen worden und Neuerungen aus der französischen Zeit seien nicht nur belassen worden, sondern sie seien vielfach auch im rechtsrheinischen Bayern übernommen worden. Auf der kleinsten Verwaltungsebene, die Maier in seinem Vortrag über „Die Entwicklung der Verwaltung und Kommunalverfassung in der Pfalz und im rechtsrheinischen Bayern“ besonders im Blick hatte, ist es hingegen bis zum Ende der Monarchie zu keiner Angleichung gekommen; die erweiterten Selbstverwaltungskompetenzen wurden nicht berührt. Zu groß wären die Eingriffe in das alltägliche Leben der Menschen gewesen.

Den Vorbildcharakter der pfälzischen Freiheitsrechte für das rechtsrheinische Bayern, besonders für das aufgeklärte Milieu, untermauerte auch REINHARD HEYDENREUTHER (Eichstätt / München) in seinem Referat über die „Rechtsordnung und Justizverfassung der Pfalz“. Mit der Übernahme respektive Garantie der Freiheit und Sicherheit der Person sowie des Eigentums, der Gleichheit vor dem Gesetz, der Freiheit des Gewerbes, der Trennung von Justiz und Verwaltung, der Öffentlichkeit der Gerichtssitzungen und der Trennung des Geistlichen vom Weltlichen wurde im Kernland jedoch erst 1848 begonnen.

Der Beitrag ALOIS SEIDLS (Weihenstephan) über „Die pfälzische Landwirtschaft des 19. Jahrhunderts im Spiegel des bayerischen Stammlandes“, beleuchtete die großen Unterschiede in den landwirtschaftlichen Verhältnissen als Auftakt zur Sektion „Wirtschaft und Gesellschaft“. Die seit der französischen Zeit bestehende moderne Agrarverfassung („Bauernbefreiung“) machte die Bauern in der Pfalz zu Eigentümern und Unternehmern gleichermaßen; die Realteilung hatte allerdings die Ausbildung einer kleinbetrieblichen Agrarstruktur („Parzellierung“) und im Verein mit der Bevölkerungsexplosion des 19. Jahrhunderts mehrere Ernährungskrisen zur Folge. Auch auf die Entwicklung moderner Produktionstechniken wirkte sich die Dominanz der Parzellenbetriebe nachteilig aus. Durch die korporativ betriebene Agrarbildung fand jedoch eine gegenseitige Befruchtung zwischen dem Stammland und der Pfalz statt.

DIRK GÖTSCHMANN (Würzburg) schloss mit seinem Vortrag über „Industrialisierung und Gewerbe der Pfalz“ daran an. Die agrarische Pfalz (bis zur Mitte des Jahrhunderts waren rund 70 % der Beschäftigten in der Landwirtschaft tätig) mit überwiegend Subsistenzwirtschaft habe nur wenig Produktivkraft entfaltet. Andererseits habe die Abhängigkeit von einem – oft häuslich betriebenen – Zuerwerb, der aufgrund der liberalen Gewerbeverfassung ohne Restriktionen aufgenommen werden konnte, der Pfalz gegenüber dem rechtsrheinischen Bayern einen Vorsprung bei der aufkommenden Industrialisierung und Globalisierung verschafft. Die Erweiterung der Absatzmöglichkeiten durch den Deutschen Zollverein von 1834, den Anschluss an die Eisenbahn und die Schifffahrt seit den 1840er-Jahren machten die Klein- und Kleinstbetriebe (heute: „Mittelstand“) der Pfalz zu Profiteuren auf dem Binnen- und Weltmarkt.

MARKUS RAASCH (Mainz) relativierte mit seinem Beitrag zu „Adel und Bürgertum. Bayern und die Pfalz aus gesellschaftshistorischer Perspektive“ die weitverbreitete Auffassung, wonach in der Pfalz feudale Lebensformen keine Rolle gespielt hätten. Durch zahlreiche Nobilitierungen habe sich zwar durchaus eine sehr heterogene Adelslandschaft mit zahlreichen Zerfallserscheinungen ergeben; allerdings seien diese Beleg für eine „ausgeprägte Kontinuität in der Diskontinuität“. Auch seien die Verfassung von 1818 sowie die Revolution von 1848/49 wichtige Zäsuren, doch sei der Abbau von Vorrechten stets mit staatlichen Konzessionsangeboten einhergegangen. Überdies zeuge der überproportionale Anteil des Adels in Bürokratie und Politik von Erfolgen im „Kampf ums Obenbleiben“. Dem Wandel der Besitzverhältnisse konnte der Adel ferner durch Allianzen mit dem Besitzbürgertum entgegenwirken, das mit der Adaption adliger Lebensformen diese weiterführte.

In die dritte Sektion, „Religion und Kultur“, führte WERNER K. BLESSING (Erlangen) mit dem Vortrag über den „Pfälzer ‚Eigen-Sinn‘ – Der Unionsprotestantismus im Königreich Bayern“ ein. Die pfälzische Kirche könne insofern als „Seismograph des Zeitgeschehens“ gelten, als sie gegen die reaktionäre Kulturpolitik Ludwigs I. durch eine starke rationalistische Gegenbewegung Widerstand leistete. Politische Bedeutung erlangte die speziell auf gemeindlicher Ebene praktizierte „protestantische Freiheit“ dadurch, dass sie sich mit der frühliberalen Kritik an der konservativen Staatsführung verband; der Kampf um die Unabhängigkeit der Unierten Kirche der Pfalz vom orthodoxen „Neuluthertum“, welches das Oberkonsistorium in München dominierte, sollte auch die politische Autonomie befördern. Die Unionskirche wirkte als „geistig neutrales Band“ entscheidend an der Entwicklung einer gemeinsamen Identität mit.

Die andere große Konfession hatte KLAUS UNTERBURGER (Regensburg) im Blick, als er „Zwischen bayerischem Staatskirchentum und Milieubildung: Strukturelle Rahmenbedingungen und spezifische Eigenheiten des Pfälzer Katholizismus“ referierte. Er strich heraus, dass die beiden aus dem Mainzer Kreis kommenden Bischöfe, Geissel und Weis, sich für eine Stärkung und Reform des Katholizismus nach dem Niedergang in der „Franzosenzeit“ im Sinne des Ultramontanismus eingesetzt hätten. Unter dem Einfluss des frühliberal-rationalistischen Protestantismus und der kleinstädtischen Struktur der Pfalz sei die Ausbildung eines praktizierenden katholischen Milieus erschwert worden. Letzteres sei in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts daher einen anderen Weg zur politischen Partizipation gegangen als der pfälzische Protestantismus: statt vornehmlich über den Parlamentarismus über Vereine, eine katholische Presse, Parteien und karitative Orden.

LENELOTTE MÖLLER (Speyer) machte in ihrer Betrachtung über „Schulwesen und höhere Bildungsanstalten der Pfalz im Rahmen des bayerischen Bildungssystems“ deutlich, dass im gesamten Jahrhundert ein beeindruckender Fortschritt erkennbar ist und eine massive, vor allem von den Gemeinden getragene Aufbauarbeit geleistet wurde: Nachdem die Beschulung zur öffentlichen Aufgabe eines territorial und bildungssystemisch weitgehend homogenisierten Staates geworden war, konnte eine ebenso verbesserte Eliten- wie Breitenförderung und damit ein großer Anstieg der Alphabetisierung verzeichnet werden. Eine Besonderheit der Pfalz blieb der große Anteil der bis ins 20. Jahrhundert hinein bestehenden kommunalen Gemeinschaftsschulen.

Abschließend stellte JÜRGEN VORDERSTEMANN (Speyer) die Frage „Pfälzische Kulturlandschaft oder kulturelle Provinz?“ Zwar hätten die bayerischen Könige, vor allem unter Ludwig I. und in der Prinzregentenzeit, einige kulturelle Aktivitäten entfaltet, doch seien diese weit hinter denen in München und anderen Teilen Bayerns zurückgeblieben. Umso mehr Gewicht sei daher den erfreulich zahlreichen Initiativen der Bürgergesellschaft zuzumessen. Zur Provinzialisierung habe schließlich noch beigetragen, dass kein Pfälzer Künstler von Rang in seiner Heimat geblieben sei. Die Zurücksetzung der Pfalz gegenüber dem Kernland, die während der Tagung in verschiedenen Referaten angeklungen war, in der Kulturpolitik war sie am deutlichsten.

Auf der Tagung wurden zentrale Fragen der Stellung der Pfalz im Königreich Bayern zwischen der Angliederung im Jahre 1816 und dem Ende der Wittelsbacher Herrschaft 1918 in der Form von thematischen Längsschnitten behandelt. Dabei wurde die jeweilige Lage der Pfalz dadurch herausgearbeitet, dass sie innerhalb der gesamtbayerischen Situation gedeutet wurde. Dieser vergleichende Ansatz machte deren spezielles Profil sichtbar, indem verdeutlicht wurde, wann, wie, und warum der Landesteil klar erkennbare Konturen innerhalb des Königreiches hatte. Dadurch wurde gegenüber der bisherigen Forschung ein eigener Akzent gesetzt. Daher können die Ergebnisse dieser Tagung bis auf weiteres die Lücke einer fehlenden Gesamtdarstellung dieses Zeitraums füllen. Darüber hinaus hat die Veranstaltung dazu beigetragen, den notwendigen Dialog zwischen der bayerischen und pfälzischen Geschichtsforschung zu beleben. Denn selbst Standardwerke zur bayerischen Geschichte dieses Zeitraums gehen auf die Pfalz gar nicht mehr ein. Andererseits scheint in der pfälzischen Geschichtsforschung immer wieder in Vergessenheit zu geraten, dass die Entwicklung der Pfalz in diesem Jahrhundert nur aus der gesamtbayerischen heraus zu verstehen ist.

Konferenzübersicht:

Karsten Ruppert (Katholische Universität Eichstätt-Ingolstadt), Begrüßung und Einführung

Sektion: Politik, Verfassung, Recht
Leitung: Karsten Ruppert

Hans Fenske (Universität Freiburg), Die pfälzische Sonderkultur in der politischen Entwicklung Bayerns bis zur Revolution von 1848/49

Wilhelm Kreutz (Universität Mannheim), Zwischen zwei Revolutionen: Die politische Entwicklung Bayerns und der Pfalz von 1848/49 bis 1918

Franz Maier (Landesarchiv Speyer), Die Entwicklung der Verwaltung und Kommunalverfassung in der Pfalz und im rechtsrheinischen Bayern

Reinhard Heydenreuther (Katholische Universität Eichstätt / Staatsarchiv München), Rechtsordnung und Justizverfassung der Pfalz

Sektion Wirtschaft und Gesellschaft
Leitung: Wilhelm Kreutz

Alois Seidl (Fachhochschule Weihenstephan, Wissenschaftszentrum Weihenstephan der Technischen Universität München), Die pfälzische Landwirtschaft des 19. Jahrhunderts im Spiegel des bayerischen Stammlandes

Dirk Götschmann (Universität Würzburg), Industrialisierung und Gewerbe der Pfalz

Markus Raasch (Katholische Universität Eichstätt-Ingolstadt / Universität Mainz), Von Adel und Bürgertum. Bayern und die Pfalz aus gesellschaftshistorischer Perspektive.

Sektion: Religion und Kultur
Leitung: Markus Raasch

Werner K. Blessing (Universität Erlangen-Nürnberg), Pfälzer „Eigen-Sinn“ - Der Unionsprotestantismus im Königreich Bayern

Klaus Unterburger (Universität Regensburg), Zwischen bayerischem Staatskirchentum und Milieubildung. Strukturelle Rahmenbedingungen und spezifische Eigenheiten des Pfälzer Katholizismus

Lenelotte Möller (Speyer), Schulwesen und höhere Bildungsanstalten der Pfalz im Rahmen des bayerischen Bildungssystems

Jürgen Vorderstemann (Speyer), Pfälzische Kulturlandschaft oder kulturelle Provinz?


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