Joseph Oppenheimer, genannt "Jud Süß": Zur Wirkungsmacht einer 'ikonischen Figur'

Joseph Oppenheimer, genannt "Jud Süß": Zur Wirkungsmacht einer 'ikonischen Figur'

Organisatoren
Dr. Alexandra Przyrembel (Universität Göttingen, Seminar für Mittlere und Neuere Geschichte), Prof. Dr. Jörg Schönert (Universität Hamburg, Institut für Germanistik II), Hamburg
Ort
Hamburg
Land
Deutschland
Vom - Bis
08.07.2004 - 10.07.2004
Url der Konferenzwebsite
Von
Irene Aue, Max-Planck-Institut für Geschichte Göttingen

Vom 8. bis 10. Juli 2004 fand im Hamburger Haus Rissen die von Alexandra Przyrembel (Universität Göttingen) und Jörg Schönert (Universität Hamburg) organisierte und von der DFG geförderte internationale Tagung "Joseph Oppenheimer, genannt ‚Jud Süß': Zur Wirkungsmacht einer ‚ikonischen Figur'" statt.

Diese interdisziplinäre Tagung war die erste wissenschaftliche Fachtagung, die zum Württemberger Hoffaktoren Joseph Süß Oppenheimer (1698/99-1738) veranstaltet wurde - jener "Jud Süß", dessen Rezeptionsgeschichte noch immer nicht abgeschlossen ist und der eine der zentralen Gestalten deutsch-jüdischer Geschichte darstellt.
Betrachtet man einerseits die umfangreiche Rezeptionsgeschichte und Tradierung des "Mythos Jud Süß" und andererseits die historische Forschung zu dem Thema, so wird ein Mißverhältnis deutlich. Auch die jüngste Biographie Joseph Süß Oppenheimers war eine populärwissenschaftliche Arbeit.1 Offenbar ist es schwer, wenn nicht gar unmöglich, einen Zugang zum historischen Joseph Süß Oppenheimer zu finden, der unabhängig von der Wirkungsmacht der ‚ikonischen Figur' "Jud Süß" ist.

Die Frage nach der Konstruktion des Bildes "Jud Süß" und der Wirkungsmacht der Figur stellte die zentrale Perspektive der Hamburger Tagung dar. Es ging hierbei zum einen um die verschiedenen Elemente dieses Bildes - die Sexualisierung der Figur, die Bedeutung des Geldes in der Darstellung des "Jud Süß", Entwürfe jüdischer Männlichkeit - und zum anderen um die Frage des Zusammenhangs von der historischen Person und der Figur "Jud Süß". Themen waren ferner die Kontinuitäten und Brüche in der Rezeption der Figur sowie die verschiedenen inhaltlichen und medialen Formen und Grenzen von Bedeutungsanlagerungen an die Figur.

Den Auftakt der Tagung bildete ein Panel zur historischen Person Joseph Süß Oppenheimers, in dem es um seine Rolle als Hoffaktor Herzog Karl Alexanders von Württemberg sowie um die Hintergründe des gegen ihn geführten Prozesses ging, der zu seiner Hinrichtung in Stuttgart im Jahre 1738 führte. Vor dem Hintergrund der Geschichte des Hofjudentums, des Absolutismus und Merkantilismus relativierte Rotraud Ries (Düsseldorf) einerseits die angebliche Besonderheit der Rolle Süß Oppenheimers als Hoffaktor, betonte jedoch andererseits, daß er sich im Hinblick auf seine Ungebundenheit in religiöser Hinsicht und seinen höfischen Habitus durchaus von anderen Hofjuden absetzte. Rebekka Habermas (Göttingen) forderte in ihrem Kommentar eine stärkere historische Kontextualisierung des "Falles" unter Einbeziehungen jüngerer Forschungen zum Absolutismus. Aus dieser Perspektive erschienen die Reformen des Herzogs und Oppenheimers nicht mehr als die Versuche der Schaffung eines modernen Staatssystems, sondern als die Maßnahmen politischer "Außenseiter" (der katholische Herzog und der landfremde Hoffaktor), die die politische Situation und die Praxis des Aushandelns der Macht nicht gekannt und gegen dieses Prinzip verstoßen hätten.
Auch im Hinblick auf Gudrun Embergers (Gotha) Beschreibung der Rechtsbrüche im Prozeßverlauf merkte Habermas an, daß diese nicht überzubetonen seien, sondern vielmehr der gängigen Gerichtspraxis der Frühen Neuzeit entsprächen.
Die von Emberger in ihrem Vortrag über den Prozeß gegen Oppenheimer aufgestellte These der Präformierung der Rezeptionsgeschichte durch den Prozeß wurde in der Diskussion dahingehend modifiziert, daß die spätere Sexualisierung der Figur im Prozeß keine derartige Relevanz gehabt habe und auch die späteren antisemitischen Stereotype nicht ohne weiteres mit dem Antjudaismus des frühen 18. Jahrhunderts gleichgesetzt werden könnten.

Es waren im weiteren Verlauf der Tagung vor allem die "prominenten" Stationen der Rezeptionsgeschichte des "Jud Süß", anhand derer sich die Referenten und Referentinnen mit verschiedenen Aspekten der Rezeption auseinandersetzten.
Gabriele von Glasenapp (Köln) untersuchte Wilhelm Hauffs Erzählung "Jud Süß" von 1827 im Hinblick darauf, wie dieser Text zur Etablierung, Verfestigung und Tradierung eines antijüdischen Stereotyps führen konnte. Gründe dafür sah sie vor allem in der Bekanntheit Hauffs und in der Popularität des Genres des historischen Romans, dem man durchaus den Rang historischer Authentizität beigemessen habe. Darüber hinaus habe Hauff in seiner Erzählung an bereits bekannte und populäre antijüdische Stereotypen angeknüpft, durch die Erzählperspektive einen Bezug zur eigenen Gegenwart hergestellt und das Geschehen so mit der antijüdischen Stimmung der Restaurationsepoche verknüpft. Von Glasenapp resümierte, daß Hauffs Text keineswegs als naiv-antisemitischer Text, sondern vielmehr als genau durchdacht betrachtet werden müsse.

Eine Reihe von Vorträgen setzte sich mit dem 1925 erschienenen historischen Roman "Jud Süß" von Lion Feuchtwanger auseinander. Britta Hermann (Bayreuth) stellte den Roman als eine Analyse der Macht vor. Indem Süß verschiedene Strategien des sozialen Aufstiegs nutzte - so etwa, indem er den klischeehaften Erwartungen an "den Juden" entsprochen, sie aber bisweilen auch gezielt enttäuscht habe - erscheine er als hybride Figur. Feuchtwanger betone die diskursive Verfasstheit des ‚Jüdischseins'. Das Ringen um ein jüdisches Selbstbewußtsein sei laut Herrmann eines der zentralen Themen des Romans. Feuchtwanger habe das Judentum in dem Roman als das "Andere der Macht" entworfen, wie Hermann u.a. anhand des Machtverzichts Joseph Süß Oppenheimers aufzeigte. Mona Körte (Berlin) beleuchtete in ihrem Vortrag die medialen und narrativen Verfahren der Vermittlung von Geschichte und die Frage, wie öffentliche Figuren entstehen. In diesem Zusammenhang untersuchte sie Feuchtwangers Umgang mit der Legendenfigur "Ahasver" sowie der historischen Figur "Jud Süß" und stellte seinen Roman als eine Variante im literarischen Umgang mit Stereotypen dar.
Itta Shedletzky (Jerusalem) vertrat die These, daß der Roman Lion Feuchtwangers sowie die von der Historikerin Selma Stern verfaßte wissenschaftliche Biographie Oppenheimers aus dem Jahre 1929 maßgeblich durch das jeweilige jüdische Selbstverständnis der Autoren geprägt worden sei. Feuchtwanger habe mit dem Roman seine Studien zur "jüdischen Mentalität" fortgeführt, die er als Konstante "des Jüdischen" von der Antike bis in die Moderne betrachtet habe. In der Arbeit Selma Sterns hingegen erscheine "das Jüdische" als geistiges Prinzip, wobei sie Judentum und Aufklärung empathisch gleichgesetzt habe. Die Rezeption der Sternschen Biographie Süß Oppenheimers untersuchte Irene Aue (Göttingen) in ihrem Vortrag. Anhand von Kritiken der Biographie zeigte sie auf, wie selektiv Sterns Darstellung am Ende der Weimarer Republik wahrgenommen wurde. Als maßgebliche Einflußfaktoren auf diese Lesarten identifizierte Aue den hohen antisemitischen Druck der Mehrheitsgesellschaft in den letzten Jahren der Weimarer Republik sowie Selma Sterns besondere Position als jüdische Historikerin.

Das besondere Gewicht von Veit Harlans Film für die Prägung der Figur "Jud Süß" (1940) kam in der vergleichsweise großen Anzahl von Beiträgen zum Film, seinen Folgen sowie zu den juristischen Auseinandersetzungen um Veit Harlan in den beiden Schwurgerichtsprozessen von 1949 und 1950 zum Ausdruck.
Anke-Marie Lohmeier (Saarbrücken) stellte basierend auf einer Analyse der semantischen Struktur des Filmes die These auf, das der Film Ambivalenzen aufzeige und nicht durchgängig, "störungsfrei" als antisemitisch bezeichnet werden könne. Die nach dem Krieg einsetzende reduzierte Deutung des Filmes als dem antisemitischen Film des NS-Regimes, die vor allem durch den Prozeß gegen Harlan vorangetrieben worden sei, bewertete Lohmeier als Selbstentlastungsversuch. Diese Thesen Lohmeiers waren in der sich anschließenden Diskussion stark umstritten. Kritisiert wurde dabei einerseits, daß eine Analyse der Textstruktur des Filmes kein ausreichender Beleg für ihre These sei, denn auf der bildlichen Ebene würden keine Ambivalenzen auftreten. Andererseits habe die Doppeldeutigkeit der Figur der nationalsozialistischen Propaganda keineswegs widersprochen, sei es doch auch darum gegangen, den "ewigen Juden" im "akkulturierten Juden aufzudecken".
Daniel Uziel (Jerusalem) untersuchte in seinem Beitrag die Produktion und den Einsatz des Filmes als Teil der nationalsozialistischen antisemitischen Propaganda. Statt dabei jedoch von einer Rezeption im Sinne von "Wirkung" dieser Propaganda auszugehen, wies er auf mögliche Lesarten des Filmes hin. Indem er dabei auf die Kontexte der Filmvorführungen hinwies, etwa den Zusammenhang mit der Wochenschau oder beispielsweise Sondervorführungen des Filmes vor Soldaten, verdeutlichte er, daß dadurch bestimmte Lesarten des Filmes nahe gelegt und verstärkt werden konnten. Ähnlich argumentierte auch Armin Nolzen (Bochum), der in seinem Vortrag über die Rezeption des Filmes "Jud Süß" in der deutschen Bevölkerung der Jahre 1940/41 auf die problematische Quellenlage für die Erforschung dieses Themas hinwies. Auf Basis der vorhandenen Quellen seien nur in sehr begrenztem Maße Aussagen zur Wirkung des Filmes möglich. Mit dieser Kritik wandte sich Armin Nolzen gegen die bisherige Dominanz des wirkungshypothetischen Ansatzes in der Rezeptionsforschung zum NS-Film und plädierte für einen Perspektivwechsel hin zu den Rezipienten des Films. Vor diesem Hintergrund wies er auf den Kinobesuch geschlossener Formationen von NSDAP, SA, SS oder HJ hin und stellte die These auf, daß die Deutung des Filmes maßgeblich durch die NSDAP und ihre Organisationen bestimmt worden sei.

In seinem Vortrag über die "Anti-Harlan-Bewegung" der Jahre 1951-1954, einer Boykottbewegung gegen die Nachkriegsfilme Harlans, zeigte Wolfgang Kraushaar (Hamburg) auf, daß der Figur "Jud Süß" in dieser Zeit gewissermaßen die Bedeutung einer Chiffre für Ausschwitz und den Antisemitismus zukam. Kraushaar stellte diese im Kern studentische Bewegung, die hinter der Aktion "Friede mit Israel" stand und den Protest mit der Forderung nach Wiedergutmachung verband, als exemplarisch für die gesellschaftspolitischen Konflikte der frühen Bundesrepublik dar. Denn in ihr, so Kraushaar, verband sich in einer ersten Auseinandersetzung mit der NS-Geschichte die Frage nach demokratischer Lernfähigkeit.
Anhand der Schwurgerichtsverfahren gegen Veit Harlan von 1949/50 untersuchte Frank Liebert (Göttingen/Hamburg) kollektive Entlastungsversuche am Einzelfall. In der Auseinandersetzung um Harlan seien Verhaltens- und Argumentationsweisen im Hinblick auf die Vergangenheit entwickelt worden, die Liebert als Teil der Konstruktion, Organisation und Homogenisierung einer Transformation von der Diktatur zur Demokratie beschrieb. Die Abgrenzung von den Verantwortlichen und "Schuldigen" (NS-Führung und einzelne Täter) sowie die Abwehr eigener Schuldanteile durch den Verweis auf die eigene "unpolitische" Tätigkeit beschrieb er dabei als zentrale Argumente. Diese Abgrenzung von und der Umgang mit der NS-Vergangenheit habe Liebert zufolge eine zentrale Bedeutung für die bundesrepublikanische Gesellschaft gehabt.
Einen Wandel in der Einschätzung und Behandlung des Filmes "Jud Süß" zeigte Thomas Henne (Frankfurt a.M.) anhand des sogenannten "Lüth-Urteils" des Bundesverfassungsgerichts aus dem Jahre 1958 2 und dem Bundesgerichtshofentscheid von 1963 auf, in dem der Film "Jud Süß" als verfassungsfeindlich, volksverhetzend und Kollektivbeleidigung der "jüdischen Staatsbürger der Bundesrepublik" bewertet wurde. Während in zeitlicher Parallele zum Lüth-Prozeß noch über eine Neuverfilmung der Thematik nachgedacht worden sei, hätte mit dem Bundesgerichtshofentscheid eine zunehmend restriktive Handhabung der Aufführungsrechte begonnen. Über die tatsächlichen Gründe dieser restriktiven Aufführungsauflagen war man sich in der Diskussion des Vortrags nicht einig. Die zunehmende Unsichtbarkeit von "Jud Süß" sei einerseits Ausdruck einer Leerstelle und Schlußstrichmentalität, gleichzeitig aber auch Ausdruck öffentlicher Ächtung des Antisemitismus. Henne gab zu bedenken, daß das Verbot der Filmaufführung zu einer Dämonisierung der Figur beitrage und eine Historisierung behindere.

Mit den Problemen von Inszenierungen des Themas "Jud Süß" nach 1945 beschäftigten sich Friedrich Knillis (Berlin) und Anat Feinbergs (Heidelberg) in ihren Beiträgen. Knilli prognostizierte auf Basis einer medienwissenschaftlichen Marktanalyse des Stoffes "Jud Süß" ein Ende seiner Mediengeschichte, wenn der Stoff keinen Anschluß an die israelische Gegenwart finden würde, denn durch diese sei heute in Deutschland das Bild von Juden maßgeblich geprägt. Diese These konnte letztendlich nicht überzeugen. Es bestehe keinerlei Bezug zwischen dem Stoff und Israel und als viel maßgeblicher für das Ende der Aktualisierung des historischen "Jud Süß"-Stoffes kristallisierte sich in der Diskussion der Film Harlans heraus, hinter den nicht mehr zurückzugehen sei. Anat Feinberg referierte im Anschluß daran über einen solchen Versuch der Aktualisierung des Stoffes: das 1999 am Stuttgarter Staatstheater aufgeführte Drama "Jud Süß" von Klaus Pohl. Sie beschrieb das Stück als gut gemeinten, aber mißlungenen Teil eines ‚Wiedergutmachungs-Versuches' der Stadt Stuttgart: Pohls Inszenierung sei zu holzschnittartig, die Figuren zu extrem dargestellt, als das sie hätten überzeugen können.

Allein anhand dieser ‚herausragenden' Stationen konnte die Kontinuität der "Jud Süß"-Rezeption nur bedingt erklärt werden. Weitere Texte und Facetten dieser Rezeptionsgeschichte fanden auf der Tagung am Rande Erwähnung und nähere Untersuchungen wären hier im Hinblick auf Tradierungsprozesse und Modifikationen der Figur wünschenswert (gewesen?). Sehr interessant war in dieser Hinsicht der Beitrag von Anne von der Heiden (Essen), die auf die Kontinuität des antijüdischen Stereotyps vom Schacherer und Wucherer sowie die Vorstellung von Geldkreisläufen in den Flugschriften des 18. Jahrhunderts und in Feuchtwangers Roman verwies.3 Die Frage, warum zu bestimmten Zeitpunkten die Figur "Jud Süß" aufgegriffen und aktualisiert werden konnte, stellte Uffa Jensen (Brighton) ins Zentrum seiner Überlegungen. Am Beispiel von Wilhelm Hauffs Erzählung arbeitete Jensen heraus, wie die Figur "Jud Süß" im 19. Jahrhundert erst im soziokulturellen Kontext bürgerlicher Bildungskultur und vor dem Hintergrund spezifischer Wahrnehmungsmuster von jüdischem und nichtjüdischem Zusammenleben wirkungsmächtig werden konnte. Die Figur "Jud Süß" habe sich mit einer spezifisch zeitgenössischen Wahrnehmung des Juden als Materialisten gedeckt, einem negativen Gegenbild zum bürgerlichen Ideal des selbstlosen Idealisten. Wirkungsmächtig konnte die Figur Jensen zufolge jedoch vor allem dadurch werden, daß sie nicht allein negativ, sondern vielmehr ambivalent gezeichnet war.

Im abschließenden Vortrag der Tagung betrachtete Christina von Braun (Berlin) die Wirkungsmacht der Figur "Jud Süß" aus der Perspektive der Geschichte des Geldes und seiner Bedeutung im christlich-jüdischen Verhältnis. Ausgehend von einer Definition des Geldes als einem abstrakten Zeichensystem, das auf materielle Werte verweise, erläuterte sie die gegensätzlichen Vorstellungen vom Zusammenhang zwischen Symbol und Symbolisierten im Judentum (Trennung von Heiligem und Profanem) und im Christentum (Materialisierung des Zeichens). Aus diesen unterschiedlichen Verständnissen von Zeichensystemen hätten sich verschiedene Formen wirtschaftlichen Denkens herausgebildet. Aus christlicher Perspektive stelle dabei die zunehmende Abstraktion des Geldes ein Problem dar, da jegliche Entfernung von einer Materialisierung des Zeichens als Widerspruch zur Heilslehre aufgefaßt werde. Von Braun vertrat die These, daß dieser Konflikt des Christentums wiederholt als Schuldzuweisung auf die Juden, die "Jesusmörder" projiziert würde. Indem Joseph Süß Oppenheimer als wirtschaftlicher und finanzpolitischer Modernisierer aufgetreten sei, sei ihm genau dieses zum Verhängnis geworden.

Die Tagung zeigte, daß vor allem die aktuellen beziehungsweise aktualisierbaren Elemente der Figur "Jud Süß" von zentraler Bedeutung für ihre Wirkungsmacht sind. Vor diesem Hintergrund wurde in der abschließenden Diskussion der Begrifflichkeit der "Denk- und Wahrnehmungsmuster" gegenüber dem eher statischen Begriff des "Stereotyps" der Vorrang eingeräumt, da sich darin diskursive Prozesse und die doppelte Perspektive einer gegenwärtigen Sichtweise und des sozialen Kontextes der Beziehungen zwischen Juden und Nichtjuden in Verbindung zum Vergangenheitsbezug besser ausdrücken ließen. Daß sich die Aktualisierbarkeit der Figur "Jud Süß" nach dem Film Veit Harlans möglicherweise erschöpft haben könnte, stand als zu überprüfende These am Ende der Tagung. Kritisch anzumerken ist, daß das vielfältige, aber zeitlich enge Programm verhältnismäßig wenig Raum und Zeit für die Diskussion und Zusammenführung der einzelnen Beiträge ließ. Angesichts der großen zeitlichen Spanne des Themas sowie auch im Hinblick auf die verschiedenen beteiligten Disziplinen wäre dies sicherlich wertvoll gewesen, vor allem um übergeordnete Fragestellungen - wie etwa die Frage der Ikonographie des "Jud Süß" - verfolgen zu können.

Die Veröffentlichung der Beiträge in einem Tagungsband ist vorgesehen.

Anmerkungen:
1 Hellmut G. Haasis, Joseph Süß Oppenheimer, genannt Jud Süß: Finanzier, Freidenker, Justizopfer. Reinbek bei Hamburg 1998.
2 Nachdem Veit Harlan in den beiden Schwurgerichtsprozessen den Freispruch erzielte, hatte der Hamburger Senatsdirektor Erich Lüth zum Boykott von Harlans Nachkriegsfilmen aufgerufen. Als ihm dies zivilrechtlich auf Betreiben Harlans untersagt worden war, zog er vor das Bundesverfassungsgericht und gewann.
3 Als Überblick zur Rezeptionsgeschichte, mit einem Schwerpunkt auf den Texten des 18. Jahrhunderts siehe die grundlegende Arbeit von Barbara Gerber: Jud Süß: Aufstieg und Fall im frühen 18. Jahrhundert; ein Beitrag zur historischen Antisemitismus- und Rezeptionsforschung (Hamburger Beiträge zur Geschichte der deutschen Juden, 16), Hamburg 1990. Eine Teilnahme Barbara Gerbers an der Tagung wäre sehr wünschenswert gewesen.


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