Geheimdienste: Netzwerke, Seilschaften und Patronage in nachrichtendienstlichen Institutionen

Geheimdienste: Netzwerke, Seilschaften und Patronage in nachrichtendienstlichen Institutionen

Organisatoren
Eva Jobs, Philipps-Universität Marburg; Gerhard Sälter, Unabhängige Historikerkommission zur Geschichte des BND, Philipps-Universität Marburg
Ort
Erfurt
Land
Deutschland
Vom - Bis
04.09.2014 - 06.09.2014
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Von
Michael Rupp, London School of Economics

In der kleinen Synagoge, Erfurt tagten vom 4. bis 6. September 2014 Historiker der Spezialdisziplin Geheimdienstgeschichte, mit dem Ziel, die Funktion und Wirkungsweise von Netzwerken, Seilschaften und Patronage in solchen Organisationen zu eruieren und sich über mögliche Methoden des Zugangs zu verständigen.

Begrüßt wurden die Gäste von den Organisatoren Gerhard Sälter und Eva Jobs. In seinen Eingangsworten ging Sälter auf die Entstehungsbedingungen moderner Geheimdienste im 20. Jahrhundert ein. Deren wesentliche Merkmale seien die Verstetigung und Institutionalisierung von Tätigkeiten, die im Grunde nicht neu seien. Für den Entstehungsprozess dieser Dienste waren eine Technisierung des Krieges und moderner Kommunikationsmittel relevant, welche einen permanenten Informationsfluss verlangten. Sälter gab jedoch zu bedenken, dass dies weder ihre organisatorische Unabhängigkeit vom Militär noch ihr großes Wachstum in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts hinreichend erkläre. Es habe dagegen den Anschein, als hätten die Staaten sich angesichts eines Strukturwandels der Öffentlichkeit und einer Tendenz zur Demokratisierung mit den Geheimdiensten „abgeschlossene Räume“ für einen Teil ihres Regierungshandelns geschaffen, der durch Diskretion und Geheimhaltung vor dem Einfluss demokratischer Gesellschaften geschützt seien. Eva Jobs legte den Schwerpunkt ihrer Einführung auf die Wechselwirkung von Diensten und Öffentlichkeit. Ein Vakuum von Nicht-Wissen und wuchernde Spekulationen seien dabei Teile des gleichen Phänomens, dessen Wurzel in den unklaren Konturen der Aufgabenfelder von Diensten zu finden ist, in der Praxis und mehr noch im öffentlichen Bewusstsein. Aufgrund der sich stetig verbessernden Quellenlage sei nicht mehr die Frage ob, sondern wie die historische Forschung sich dem Aufgabenfeld zu nähern habe.

Einen spannenden Einstieg in die Vortragsreihe bot FLORIAN ALTENHÖNER (Berlin), der unter dem Titel „Die Männer hinter Canaris“ einen Blick auf das wenig erforschte Offizierskorps der Abwehr warf. Wenngleich quantitative Angaben (zum Beispiel die Gesamtzahl der Abwehrangehörigen) aufgrund der Quellenlage schwierig seien, zeichne sich ein Sozialprofil der Abwehroffiziere in Umrissen ab. Überraschenderweise stellte die Abwehrtätigkeit für Berufsoffiziere kein soziales Hindernis dar, bis in den Generalsrang aufzusteigen. Ihnen waren sogenannte Ergänzungsoffiziere an die Seite gestellt, die im Regelfall Veteranen des Ersten Weltkrieges waren. Altenhöner betonte den mobilen, truppengebundenen Charakter der Abwehr. Zudem verdichten sich die Hinweise, dass eine Verschmelzung der Abwehr mit dem Amt VI des Reichssicherheitshauptamts (SD Ausland) 1944 geplant war, aber nicht zum Abschluss gebracht werden konnte. Wesentliche Netzwerkstrukturen sah Altenhöner in, neben, gegen und nach der Abwehr: Zu nennen seien vor allem die Protektion oder die Behinderung durch Canaris, Fälle von systematischer Korruption, sowie das Wirken der Veteranenverbände nach 1945.

Dass biographische Forschungen eine gute Möglichkeit der Netzwerkanalyse darstellen, demonstrierte PETER M. QUADFLIEG (Aachen) anhand seiner Forschungen zu Graf von Schwerin. Dieser war 1950 als Sicherheitsberater Konrad Adenauers am Aufbau des „F.W.Heinz-Dienstes“, der Keimzelle des späteren Militärischen Abschirmdienstes (MAD), beteiligt. Quadflieg zeigte, wie im Konkurrenzverhältnis zur „Organisation Gehlen“ entlang der Personalachse Oster-Heinz-Pabst-Schwerin mehrere politische und militärische Sozialisierungserfahrungen ineinander griffen und vertrauensbildend wirkten: Freikorps-Verbindungen, Kontakte zum 20. Juli sowie Aktivitäten in Veteranenverbänden der Abwehr nach 1945. Quadflieg leitete daraus zentrale Thesen zum Umgang mit historischer Netzwerkanalyse in Bezug auf Geheimdienste ab: zunächst der besondere Umstand, dass, informationsökonomisch betrachtet, ‚hidden information‘ und ‚hidden action‘ systemimmanent sind. Veränderungen im Gefüge und personelle Beziehungen sind schwer beobachtbar. Eine Täuschungsabsicht muss bei der Quellenuntersuchung immer mitgedacht werden, weshalb Vorgänge quellenmäßig stets von mehreren Seiten betrachtet werden müssen. Quadflieg betonte in diesem Zusammenhang die zentrale persönliche Stellung sogenannter ‚Gatekeepers‘.

ENRICO HEITZER (Berlin/Oranienburg) präsentierte seine Forschungen zur „Kampfgruppe gegen Unmenschlichkeit“ (KgU), einer antikommunistischen Organisation, die wesentlich aus CIA-Geldern finanziert wurde und teilweise Geheimdienstcharakter aufwies. Die KgU sah sich selbst als Avant-Garde des Antikommunismus im Kampf gegen die DDR. Heitzer definierte sie treffend als „Gemischtwarenladen“, die Grenze zum Terrorismus wurde gelegentlich überschritten. Als nachrichtendienstartiges Netzwerk ist die KgU vor allem zu begreifen, weil Informationsbeschaffung und verdeckte Tätigkeit ineinander griffen. Vor allem der Suchdienst der KgU diente hierbei als Deckmantel, um die systematische Beschaffung von Informationen aus der DDR durch ein Netz von Informanten hinter der Suche nach Informationen über den Verbleib inhaftierter Personen in der SBZ/DDR zu verstecken. Im Mischcharakter der KgU sah Heitzer einen latenten Widerspruch von Ethik und Aktion, der letztlich zum Scheitern der Gruppe beitrug.

EVA JOBS (Marburg/Berlin) warf einen Blick auf Männerbünde als Vertrauenspraxis in Geheimdiensten. Jobs schlug methodisch vor eine historische Netzwerkanalyse anzustreben, deren zentrale Analysekategorien Vertrauen und Misstrauen dem besonderen organisatorischen Charakter der Dienste gerecht werden. Die Bestimmung der Zugehörigkeits-Vorstellungen erfolgt dabei unter anderem „ex negativo“: über die Bestimmung der Grenzen zur Devianz. Jobs beschäftigte sich unter diesen Gesichtspunkten mit persönlichen Beziehungen zwischen amerikanischen und deutschen Geheimdienstmitarbeitern ab 1947 bis in die frühen 1960er-Jahre. Jobs leitete daraus eine soziologische Operationalisierung des Vertrauensbegriffes ab, welche sich von anderen existierenden Konzepten abgrenzt. Vertrauen sei dabei weniger eine dem Individuum inhärente Emotion, sondern vielmehr eine soziale Praxis einerseits („trust“) und ein im institutionellen Selbstverständnis angelegter Sprechakt andererseits („confidence“).

KATHARINA LENSKI (Jena) setzte sich in ihrem Vortrag über die Verquickung von Staatssicherheit und Universität kritisch mit der „Deckerzählung“ von der Wissenschaft als vergleichsweise ideologiefreier Gesellschaftssphäre auseinander. Unter dem Aspekt der Netzwerkanalyse wies sie darauf hin, dass Beziehungen paradoxerweise nicht nur auf Vertrauen, sondern in diesem Fall auf dessen Gegenteil basierten. Die Doppelstruktur von wissenschaftlicher Arbeit und Tätigkeit im Sicherheitsapparat zeigte Lenski dabei am Beispiel eines Wissenschaftlers, wie dessen Karrieren im Wissenschaftsapparat, im Parteiapparat und im Ministerium für Staatssicherheit (MfS) sich gegenseitig beförderten. Gerade dieser systemimmanente Zusammenhang von wissenschaftlicher und geheimpolizeilicher Tätigkeit zeige, wie Partei- und Stasi-Tätigkeit die wissenschaftlichen Kriterien überformten und dies schließlich zu einer systematischen „bürokratisch-militärischen Blockade des Wissenschaftsraums“ führte.

Einen anders akzentuierten Blick warf OLGA GALANOVA (Potsdam) auf das MfS. Sie argumentierte, dass Geheimdienste einen Extremfall der Notwendigkeit von Kontrolle organisationsinterner Informationsflüsse darstellen, wie sie in anderen Organisationstypen in geringerem Maße notwendig ist. Galanova konnte anhand von dienstlichen Dokumenten rekonstruieren, durch welche rituellen Akte Geheimhaltung und Vertrauen repräsentiert und inszeniert wurden. Sie wies dabei auf das grundsätzliche Paradox hin, wonach Klandestinität als Ritual notwendig sei, jedoch gleichzeitig permanentes Misstrauen erzeuge: ein strukturelles Dilemma.

Die NS-Kontinuitäten im Bundesnachrichtendienst skizzierte GERHARD SÄLTER (Marburg/Berlin) ebenfalls anhand eines biographischen Längsschnittes. Sälter dokumentierte die Bewertung der Tätigkeit eines leitenden Gestapo-Beamten nach 1945 im und außerhalb des BND. Dieser war unter anderem an Verhören der Verschwörer des 20.Juli beteiligt gewesen. Nach dem durchlaufenen Entnazifizierungsverfahren hatte Litzenberg Mitte der 1950er-Jahre eine Anstellung beim BND als freiberuflicher Mitarbeiter finden können. Bei der Analyse seiner Wiedereinstellung fällt auf, dass Litzenberg situativ verschiedene Narrative zu seiner Gestapo-Tätigkeit formulierte und durch jeweils wechselnde Kronzeugen zu belegen suchte. Eigentlich widersprüchliche Charakterisierungen als Sympathisant des Widerstandes einerseits und als fleißiger Gestapo-Beamter andererseits griffen dabei ineinander und beförderten sich gleichzeitig.

BORIS KLECINA stellte sein geplantes Forschungsvorhaben zu den Aktivitäten des jugoslawischen Geheimdiensts UDBA in Deutschland vor, dem zahlreiche Morde an Dissidenten in der BRD zur Last gelegt werden. Mit Verweis auf die extrem schwierige Quellenlage und die diplomatischen Brisanz des Themas – das die Möglichkeit einer stillschweigende Duldung tödlicher Racheakte durch westdeutsche Behörden beinhaltet – konstatierte er ein Desinteresse der historischen Forschung. Sein Ziel ist eine erweiterte Grundlagenforschung, die sich von einer Institutionengeschichte bis zur Analyse geheimer Netzwerke erstreckt.

Im letzten Vortrag präsentierten FREDERICK MÜLLERS (Mainz) und MICHAEL RUPP (London) das von der Henkel-Stiftung geförderte Projekt „Kulturen der Intelligence“. Im Zuge einer vergleichenden Kulturgeschichte (Deutschland, USA, Großbritannien) sollen dabei nationale Spezifika im Umgang mit Intelligence herausgearbeitet werden. Betrachtet wird dabei der Zeitraum der institutionellen Verankerung der Dienste (ca. 1900-1950). Müllers stellte am Beispiel seines Projektes (Deutsches Reich) die Tätigkeit der Doktoranden vor: analysiert werden Quellenkorpora, die Auskunft über (1.) Stellenwert der Dienste, (2.) deren Personifizierung, sowie (3.) ihre skizzierte Tätigkeit in öffentlichen, zeitgenössischen Diskursen. Michael Rupp ergänzte Müllers Einführungen, in dem er Überlegungen zur Operationalisierung des Kultur-Begriffes auf das Feld der Intelligence vorstellte.

Im Rahmen der Abschlussdiskussion wurde unter anderem die Frage erörtert, in welcher Form die akademische Arbeit zum Thema Nachrichtendienste institutionell verankert werden könne. Angesichts der Relevanz des Themas müsse das Feld mittelfristig für eine seriöse Forschung zugänglich gemacht werden, damit Verschwörungstheorien, Sensationsjournalismus und anekdotische Erinnerungsliteratur in den Hintergrund treten könnten. Die Teilnehmer kamen überein, die Gründung eines außeruniversitären Arbeitskreises „Geschichte der Geheim- und Nachrichtendienste“ ins Auge zu fassen, um dieses Forschungsfeld in der Geschichtswissenschaft zu etablieren, seine Konturen zu beschreiben und methodische wie theoretische Zugänge zu erschließen.

Konferenzübersicht:

Begrüßung und Einführung

Gerhard Sälter (Marburg/Berlin): Dieses obskure Objekt des Interesses: Warum eine Geschichte der Geheimdienste lohnend ist

Eva Jobs (Marburg/Berlin): Mythen, Gerüchte, Spekulationen – Zur Wissenschaftlichkeit von Geheimdienstgeschichte

Sektion 1: Vernetzte Männer

Florian Altenhöner (Berlin): Die Männer hinter Canaris: Rahmendaten zum Personal der Abwehr zwischen 1918 und 1944/1945

Eva Jobs (Marburg/Berlin): Geheime Männerbünde. Bedeutung und Praxis von Netzwerken in Nachrichtendiensten

Sektion 2: Informelle Verbindungen und ihre Kontrolle im MfS

Katharina Lenski (Jena): Netzwerke der DDR-Staatssicherheit

Olga Galanova (Potsdam): Steuerungsmethoden von Netzwerken beim Ministerium für Staatssicherheit: Zur (In-)Stabilität netzwerklicher Informationszirkulation

Sektion 3: Netzwerke in westdeutschen Geheimdienste während des Kalten Krieges

Peter M. Quadflieg (Aachen): „Teamwork, done by Gentlemen…“. Netzwerke und Seilschaften beim Aufbau des ersten militärischen Nachrichtendienstes im Bundeskanzleramt im Sommer 1950

Enrico Heitzer (Berlin/Oranienburg): Die Kampfgruppe gegen Unmenschlichkeit (KgU) als Netzwerk. Überlegungen zu Rekrutierung und Praxis von Hauptamtlichen und V-Leuten

Freie Sektion: Projekte und erste Ergebnisse

Gerhard Sälter (Marburg/Berlin): Die Bewertung von NS-Kontinuitäten im BND am Beispiel des Gestapo-Beamten Willy Litzenberg

Boris Klecina: Die jugoslawische UDBA in Deutschland (Projektvorstellung)

Frederik Müllers (Mainz) / Michael Rupp (London): Kulturen der Intelligence (Projektvorstellung)


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