Orthodoxa Confessio? Konfessionsbildung, Konfessionalisierung und ihre Folgen in der östlichen Christenheit Europas (13.-20. Jahrhundert)

Orthodoxa Confessio? Konfessionsbildung, Konfessionalisierung und ihre Folgen in der östlichen Christenheit Europas (13.-20. Jahrhundert)

Organisatoren
Leibniz-Institut für Europäische Geschichte, Mainz
Ort
Mainz
Land
Deutschland
Vom - Bis
05.03.2015 - 07.03.2015
Url der Konferenzwebsite
Von
Martin-Paul Buchholz, Graduiertenkolleg "Die christlichen Kirchen vor der Herausforderung ›Europa‹", Mainz

Vom 5.–7. März 2015 fand in Mainz am Leibniz-Institut für Europäische Geschichte ein Workshop zu dem Thema „Orthodoxa Confessio? Konfessionsbildung, Konfessionalisierung und ihre Folgen in der östlichen Christenheit Europas (13.-20. Jahrhundert)“ statt. Ziel des Workshops sollte es sein, die Thesen zu Konfessionalisierung und Konfessionsbildung, die in West- und Mitteleuropa entwickelt wurden, auf ihre Anwendbarkeit und Kompatibilität für den orthodoxen Raum zu überprüfen. Die östliche Christenheit, so betonte Mihai-D. Grigore in seinen Begrüßungsworten, sei bei der Entwicklung des Konfessionalisierungsparadigmas Europas bisher immer vernachlässigt worden. Der Workshop war auf einen interdisziplinären Zugriff der longue durée konzipiert. So umfassten die Beiträge den Zeitraum vom 13. bis zum 20. Jahrhundert.

Der Eröffnungsvortrag des Workshops über Strukturen und Verlaufsformen bei Bekenntnisbildung und Konfessionalisierung war als Keynote gedacht und wurde von IRENE DINGEL (Mainz) gehalten. Im Hintergrund standen die Konfessionalisierungsparadigmen der letzten Jahrzehnte und deren Übertragbarkeit auf die Ostkirchen. Der Vortrag widmete sich der Thematik in drei Abschnitten. Im ersten Abschnitt wurde die Entwicklung des Forschungsparadigmas und dessen Problematik aufgezeigt. So wurde die Frage nach der terminologischen Klarheit erst ab den 1980er-Jahren aufgeworfen mit den Arbeiten von Heinz Schilling und Wolfgang Reinhard. Als Problematiken nannte der Vortrag die Verkürzungen eines interdisziplinären Forschungsansatzes, die Ungleichzeitigkeit von Konfessionalisierungs- und Konfessionsbildungsprozessen und die Frage der Ausweitung auf einen gesamteuropäischen Raum. Im zweiten Abschnitt griff Irene Dingel den Aspekt des Stellenwertes von Bekenntnis und Bekenntnisbildung im Konfessionalisierungsprozess auf, indem sie die Entstehung, Form und Bedeutung der „Confessio“ anhand protestantischer und katholischer Beispiele im Alten Reich darstellte. Der dritte Abschnitt behandelte die Strukturen und Verlaufsformen der Konfessionalisierung von der Umsetzung theologischer Unterscheidungslehren in eine rituelle Praxis über die Verpflichtung auf die „Confessio“ als Ausgangspunkt der politisch geschichtlichen und kirchlichen Umstrukturierungen, bis hin zu den Obrigkeiten, die in diesem Prozess als Akteure auftraten. Irene Dingel plädierte in ihrem Resümee mit Rückgriff auf die Problematiken des Forschungsparadigmas auf eine erweiterte Konfessionalisierungsdefinition, die auf eine Durchdringung von Gesellschaft und Kultur abzielt.

Die ersten Beiträge waren einer allgemeinen und theoretischen Heranführung an die Thematik in Bezug auf den orthodoxen Raum gewidmet. Der erste Beitrag des Workshops von VASILIOS N. MAKRIDES (Erfurt) gab einen umfassenden Überblick über konfessionelle Prozesse in der orthodoxen Welt. Wurde „Konfessionalisierung“ bisher hauptsächlich in Bezug auf den Protestantismus und römischen Katholizismus verwendet, so könnte man in der Forschung heute doch auch von einer „orthodoxen Konfessionalisierung“ in verschiedenen Kontexten sprechen. Mehrere orthodoxe Glaubensbekenntnisse und die für die Orthodoxie wichtigen Phänomene der Interkonfessionalität und Multikonfessionalität, welche ohne Konfessionalisierungsprozesse nicht zu denken sind, wurden neben weiteren Aspekten erörtert und anhand vieler historischer und zeitgenössischer Fallbeispiele dargestellt um deren Hauptcharakteristika herauszuarbeiten und eine Systematisierung zu erarbeiten.

Im zweiten Beitrag wurde von KLAUS BUCHENAU (Regensburg) noch einmal verdeutlicht, dass „Konfessionalisierung“ ein hochterminologisches Konzept der Geschichtswissenschaft geworden sei, welches von seinem mitteleuropäischen Entstehungszusammenhang nicht einfach gelöst werden könne. Das Verhältnis von Religion und Staat, wie es charakteristisch für die frühneuzeitlichen Territorialstaaten war, lasse sich nicht auf den ost- und südosteuropäischen Raum und dessen Imperien übertragen. Erst für das 19. und 20. Jahrhundert könne man von konfessionalisierungsähnlichen Prozessen in diesem Raum sprechen. Diesem Blick von außen durch die Konfessionalisierungsforschung, stellte Klaus Buchenau einen Blick von innen, die Rezeption entgegen und betonte die Antikonfessionalisierung der Orthodoxie, die sich in ihrem Selbstverständnis nicht als Konfession sieht.

Mit der Frage, ob es im Moskau der frühen Neuzeit eine Konfessionalisierung gab, leitete JAN KUSBER (Mainz) die Fallbeispiele des Workshops ein. Ausgehend von der Konfessionalisierungsdefinition als „gesellschaftlicher Fundamentalvorgang“ wurde in drei Schritten der Ausgangsfrage nachgegangen. Im ersten Schritt beschrieb Jan Kusber die Autokephaliebestrebungen Moskaus. Nachdem der Kiewer Metropolit Isidor aufgrund seiner Teilnahme am Konzil von Ferrara Florenz in Moskau inhaftiert wurde, erklärte sich die russische Kirche für autokephal. Unter Beteiligung des Zaren wurde das Moskauer Patriarchat gegründet. Im zweiten Schritt stand die Kirchenspaltung unter Patriarch Nikon im Vordergrund, der durch die von ihm initiierte Kirchenreform seine Kirche den griechischen Riten wieder annähern wollte. Es entstand die Gruppierung der „Altgläubigen“, diejenigen, die sich weigerten die Änderungen zu akzeptieren. Im dritten Schritt wurden Definitionskriterien aufgegriffen und abschließend festgestellt, dass der Akt der Autokephalie zwar bedeutend für den Staat und Herrscher, aber nicht für das Individuum war. Beide Fallbeispiele zögen keine institutionellen Organisationen mit sich und dienten auch nicht der Disziplinierung der Untertanengesellschaft, was als Folge der Konfessionalisierung konstatiert wird.

Bereits vor den von der Reformation intensivierten konfessionellen Ausdifferenzierungen gab es Konfessionalisierung und Konfessionsbildung ähnliche Prozesse, wie die folgenden Beiträge zeigten. Solche Prozesse zwischen der Lateinischen Kirche und der Ostkirche in den byzantinischen Nachfolgestaaten wurden in den Beiträgen von Günter Prinzing und Leonie Exarchos thematisiert. Im Beitrag von GÜNTER PRINZING (Mainz) wurde am Beispiel der Gründung des Lateinischen Kaiserreiches 1204 und der daraufhin folgenden Einrichtung eines lateinischen Patriarchates mit einem römischen Patriarchen im Zentrum der Orthodoxie deutlich gemacht, dass Konfessionalisierungsprozesse bei der Durchsetzung von Hierarchie eine nicht zu unterschätzende Rolle gespielt haben. Dieses Prinzip stellte Günter Prinzing anhand des Staates Epiros, der byzantinisch orthodoxen Seite dar. Ab ca. 1210 konnte Epiros politische Eroberungen auf lateinischem Gebiet verzeichnen und es kam zu Kontakten und Unionsgesprächen auf beiden Seiten.

LEONIE EXARCHOS (Mainz) beleuchtete das Verhältnis von Lateinern und Orthodoxen während der Unionsbemühungen des Kaiserreichs Nikaia (1204-1261). Durch die Unionsverhandlungen zwischen der orthodoxen Seite und der römischen Kirche kam durch den Disput eine Auseinandersetzung mit dem jeweiligen Gegenüber zu Stande. Als Folge der Unionsverhandlungen kam es auf der orthodoxen Seite zur Ausdifferenzierung der eigenen orthodoxen Identität durch Ablehnung und Distanznahme der lateinischen Positionen und nicht durch die Ausarbeitung von Bekenntnisschriften, wie diese von der lateinischen Seite bei den Verhandlungen immer wieder eingefordert worden waren.

Der Beitrag von CHRISTIAN GASTGEBER (Wien) beruhte auf dem sogenannten Patriarchatsregister von Konstantinopel, einer rund 700 Schriftstücke enthaltende Sammlung in Buchform aus dem 14. Jahrhundert, in welchem auch Glaubensbekenntnisse von zwei Patriarchen enthalten sind, anhand derer der Vortragende exemplarisch die Erweiterungsmöglichkeiten und Adaptionsmöglichkeiten aufzeigte, die sich ständig kontextabhängig ergaben neben ihrer eigentlichen Funktion einer Zusammenfassung der orthodoxen Glaubenslehre. Solange das Grundbekenntnis bleibe, sei der Text erweiterbar und variierbar.

MIHAI-D. GRIGORE (Mainz) führte in einen weiteren geographischen Raum ein, den Donau-Karpatenraum. Sein Vortrag stellte die konfessionelle Ambiguität in der Walachei von der Gründung des Metropolitansitzes im Jahre 1359 bis ins 16. Jahrhundert dar und endete mit dem Glaubensgutachten an den Fürsten der Walachei, Neagoe Basarab. Der Unterschied in den Glaubensbekenntnissen und Riten zwischen den lateinischen Christen und den Anhängern des östlichen Ritus war bei den dort lebenden Christen kaum bekannt. Nachdem die Herrscher der Walachei sich im 14. Jahrhundert für die Jurisdiktion von Konstantinopel entschieden hatten, begann die wirtschaftliche Konsolidierung orthodoxer Infrastruktur und es folgte eine verstärkte Auseinandersetzung der Orthodoxen mit den Lateinern, die zur Etablierung von auf Bekenntnissen beruhenden Unterschieden führte.

KRISTA ZACH (München) machte in ihrem Beitrag, der die Rumänen im innerkarpatischen Raum unter der Perspektive der longue durée behandelte, zwei Perioden mit erhöhter „konfessioneller Dynamik“ aus. In der ersten Periode erblickte sie Anstöße eines konfessionellen Konfliktes im 13./14. Jahrhundert durch die Kurie, Missionare und einzelnen Monarchen. Die zweite Periode verortete sie im 16./17.Jahrhundert im Zeitalter der Reformation. Krista Zach sah aufgrund der Quellenlage weniger eine konfessionelle Ausdifferenzierung im innerkarpatischen Raum, als vielmehr ein abgrenzendes konfessionelles Nebeneinander.

HANS-CHRISTIAN MANER (Mainz) schlug mit seinem Beitrag über die unierte Kirche Siebenbürgens den historischen Bogen von der Entstehung der Union Ende des 17. Jahrhunderts und erste Positionierungen der kirchlichen Elite über erste religiöse Schriften (Katechismen), bis hin zu ersten rumänischen Schriften als Reaktion auf die Antiunionsbewegungen, zum 19. Jahrhundert, wobei er sich auf die Zeit des 18. Jahrhunderts im Raum Siebenbürgen und die dort von ihm verortete konfessionelle Formierung einer griechisch-katholischen Identität konzentrierte.

FLORIAN KÜHRER-WIELACH (München) setzte sich zum Ziel den von Olaf Blasche geprägten Begriff der „Zweiten Konfessionalisierung“ für das 19. und 20. Jahrhundert, der für Mittel- und Westeuropa entwickelt worden war, auf seine Anwendbarkeit im Donau-Karpatenraum nach dem Ersten Weltkrieg zu überprüfen. Geographisch konzentrierte er sich auf die Gebiete Siebenbürgen und Banat, die 1918/1920 von Ungarn an Rumänien übergegangen waren. Kührer-Wielach stellte die These auf, dass das Konzept der „zweiten Konfessionalisierung“ für den angegebenen Raum, trotz eigener Spezifik, eine Bereicherung darstellt.

Ursprünglich war der Beitrag von ALFONS BRÜNING (Nijmegen) über zentrale Elemente des Konfessionalisierungsparadigmas im orthodoxen Osten Europas für den ersten theoretisch einleitenden Teil des Workshops vorgesehen. In einer Paralleldarstellung stellte er abschließend die kirchlichen Reforminitiativen des orthodoxen Ostens der Zeit gegenüber, in der die Konfessionalisierung im Westen ihren Ausgang nahm und ging der Frage nach, was ausschlaggebend dafür war, dass aus kirchlichen Reformen eine Konfessionalisierung wurde bzw. nicht werden konnte. Auch ohne eine abschließende Antwort geben zu können, nahm der Beitrag die bisherigen Themenaspekte und Diskussionen des Workshops mit auf und präzisierte sie an vielen Stellen.

CHRISTOPHER VOIGT-GOY (Mainz) legte mit seinem Beitrag eine „Ausleitung“ des Workshops in systematisierender Perspektive vor, indem er noch einmal auf die Theorie der Konfessionalisierung einging, dann das von Thomas Kaufmann entwickelte Konzept der Konfessionskultur als Ergänzung kurz darstellte, um dann auf den Begriff der Konfessionalitätsforschung zu kommen, der als Hilfsbegriff verstanden werden könne und bei welchem Akteure und Aushandlungsprozesse im Vordergrund stehen.

Der Workshop hat sicher keine endgültige Antwort auf die Frage nach einer erweiterten Anwendung des Konfessionalisierungsparadigmas auf den orthodoxen Raum geben können, doch konnte herausgestellt werden, dass sich Konfessionalisierung sowohl nach ihrer klassischen Definition von Wolfgang Reinhard, als auch mit einer erweiterten, Gesellschaft und Kultur durchdringenden Definition, im orthodoxen Raum erkennen lässt. Durch die Vielzahl der Interdisziplinarität geschuldeten Herangehensweisen an die Thematik hat der Workshop sicher für eine Sensibilisierung mit der Konfessionalisierungsthematik sorgen können und stellt aufgrund der Systematisierungskonzepte, die sich aus dem Workshop ergaben, eine solide Grundlage für zukünftige Forschungsprojekte.

Konferenzübersicht:

Keynote
Irene Dingel (Mainz), Bekenntnisbildung und Konfessionalisierung – Strukturen und Verlaufsformen

Vasilios N. Makrides (Erfurt), Konfessionalisierungsprozesse in der gesamtorthodoxen Welt: Ein Periodisierungs- und Systematisierungsversuch

Klaus Buchenau (Regensburg), Konfessionalisierung? Reflexion über die Anwendbarkeit des Begriffs auf die orthodoxe Slavia

Jan Kusber (Mainz), Gab es im Moskau der Frühen Neuzeit eine Konfessionalisierung?

Günter Prinzing (Mainz), Zur Konfrontation zwischen orthodoxer und römischer Geistlichkeit (1204—ca. 1240) in den europäischen Herrschaftsgebieten des sog. Lateinischen Reiches bzw. im Staat von Epiros

Leonie Exarchos (Mainz), Orthodoxe Identitätsbildung durch Distanznahme und Abgrenzung. Zum Verhältnis von Lateinern und Orthodoxen während der Unionsbemühungen des Kaiserreichs Nikaia (1204-1261)

Christian Gastgeber (Wien), Schriftliche Bekenntnisse zum Glauben: der Patriarch von Konstantinopel im Register des 14. Jahrhunderts

Mihai-D. Grigore (Mainz), Ein Glaubensgutachten für Neagoe Basarab (1512–1521). Jurisdiktion und Glaube in der Walachei am Anfang des 16. Jahrhunderts

Krista Zach (München), Konfessionelle Dynamik unter der Perspektive der longue durée. Die Rumänen im innerkarpatischen Raum

Hans-Christian Maner (Mainz), Zwischen katholischer Kirche und dem ‚Gesetz der Urahnen‘. Die unierte Kirche Siebenbürgens von der Union bis zum 19. Jahrhundert

Florian Kührer-Wielach (München), ‚Welch orthodoxer Jesuitismus, welch katholischer Mystizismus!‘ Konfessionalismus im Donau-Karpaten-Raum nach dem Ersten Weltkrieg

Alfons Brüning (Nijmegen), Von der kirchlichen Reform zur Konfessionalisierung – oder nicht? Zentrale Elemente des Konfessionalisierungsparadigmas im orthodoxen Osten Europas

Christopher Voigt-Goy (Mainz), Von der Konfessionalisierungsthese zur Konfessionalitätsforschung