Von Küste zu Küste – der westliche Ostseeraum als Kontaktzone vom Frühmittelalter bis zur Frühen Neuzeit

Von Küste zu Küste – der westliche Ostseeraum als Kontaktzone vom Frühmittelalter bis zur Frühen Neuzeit

Organisatoren
Kulturhistorisches Museum Stralsund; Untere Denkmalschutzbehörde Stralsund; Deutsches Meeresmuseum; Ozeaneum Stralsund
Ort
Stralsund
Land
Deutschland
Vom - Bis
04.06.2015 - 06.06.2015
Url der Konferenzwebsite
Von
Thomas Eisentraut, Stiftung Schleswig-Holsteinische Landesmuseen Schloss Gottorf, Archäologisches Landesmuseum, Schleswig

Die Hansestadt Stralsund erwies sich als gute Gastgeberin für die internationale Tagung „Von Küste zu Küste – der westliche Ostseeraum als Kontaktzone vom Frühmittelalter bis zur Frühen Neuzeit“, die vom 4. – 6. Juni 2015 stattfand. Das interdisziplinäre Thema der Tagung spiegelte sich durch die teilnehmenden Referenten – Archäologen, Historiker und Kunsthistoriker aus den Ländern Dänemark, Deutschland und Schweden – wider. Insgesamt vierzehn Vorträge widmeten sich dem westlichen Ostseeraum, der über ein Jahrtausend hindurch, vom 8.–18. Jahrhundert, als eine Region des intensiven kulturellen Austausches betrachtet wurde. Diskutiert wurde die zentrale Rolle der westlichen Ostsee als verbindendes Element, sowohl für Handel, Kultur, Politik als auch Wissenschaft.

FELIX BIERMANN (Göttingen) eröffnete die Tagung mit seinem Beitrag über die Ausdehnung des wikingerzeitlichen Ostseehandels im nordwestslawischen Binnenland, speziell im heutigen Mecklenburg-Vorpommern. Pointiert wurde die Veränderung der gesellschaftlichen und politischen Entwicklungen der niedergelassenen Bevölkerung in Relation zu der geographischen Entfernung vom Küstengebiet. Auch in den küstenfernen Regionen wurden orientalische Metallfunde entdeckt, die man eher im direkten Küstengebiet erwartet hätte. Möglicherweise war der Handel während des 8.–12. Jahrhunderts wesentlich ausgeprägter als man bisher annahm. Funde die im Kontakt zum Ostseehandel stehen, ließen sich bis ins Gebiet der Flüsse Havel, Spree und Oder entdecken. Diese Wasserwege spielten bei dem Transport von Waren und Nachrichten demnach bereits relativ früh eine entscheidende Rolle.

Zwei wikingerzeitliche, skandinavische Handelszentren auf den Inseln Lolland und Falster und deren unmittelbare Rolle als kultureller Umschlagplatz, standen im Fokus des Vortrages von ANDERS RASMUSSEN (Nykøping / Falster). Vorgestellt und interpretiert wurden zudem neue Funde, die bei jüngsten Detektorgängen ans Tageslicht kamen und zugleich demonstrierten, dass der Handel zwischen Südskandinavien und dem kontinentalen Europa stark auf feste Handelsplätze konzentriert war.

ANDERS REISNERT (Malmö) stellte den Aufbau und die Bedeutung der wikingerzeitlichen Ringburgen während der Regierungszeit König Haralds I. von Dänemark (um 910-987) dar. Schwerpunkt des Referates bildete die Schilderung und Erläuterung der archäologischen Funde aus der Ringburg Borgeby, im heutigen Südschweden. Als ein neues Forschungsergebnis konnte hierbei die Tatsache präsentiert werden, dass bei der dänischen Stadt Køge, südlich von Kopenhagen gelegen, kürzlich ebenfalls eine bisher unbekannte Wikingerburg entdeckt wurde.

Dass das slawische, kulturelle und religiöse Zentrum Arkona auf der Insel Rügen viele Jahre hindurch stark umkämpft war, veranschaulichte FRED RUCHHÖFT (Greifswald) in seinem Beitrag. Die archäologischen Funde belegen eine Vielzahl von kriegerischen Auseinandersetzungen mit einer Konzentration auf das 11. und 12. Jahrhundert. Die hohe Anzahl von fremdländischen Funden sowie die nachgewiesenen militärischen Auseinandersetzungen verdeutlichen, das Arkona eindeutig eine überregionale Bedeutung besaß. Aufmerksam gemacht wurde auf die schwierigen Bedingungen bei den Ausgrabungen, welche durch den Küstenabbruch der Kreidefelsen bedingt, nur unter sehr hohen Sicherheitsvorkehrungen durchgeführt werden können. Zudem stellt die ständige Veränderung der Küstenzone, eine besondere Herausforderung für die Rekonstruktion der ursprünglichen Tempelburg Arkona dar.

CLAUDIA HOFFMANN (Stralsund) informierte über die Geschichte des Goldschatzes von Hiddensee und stellte dessen im Dunkeln liegende Entdeckungsgeschichte aus den Jahren 1873–1874 sowie die Erforschung des aus sechzehn Teilen bestehenden Schmuckes in den Fokus ihres Vortrages. Der Goldschmuck selbst konnte am Abend von den Tagungsgästen in Augenschein genommen werden, was zugleich den Höhepunkt des Abendprogrammes darstellte.

Die westliche Ostsee zwischen Dänemark und Heiligem Römischen Reich, während der so genannten Waldemarer Zeit (ca. 1168–1241), wurde durch JENS E. OLESEN (Greifswald) anschaulich präsentiert. Im Einzelnen wurde auf die Beziehungen in den Grenzregionen und auf den Austausch der politischen sowie rechtlichen Strukturen hingewiesen. Es existierte eine deutlich bessere Kommunikation als bisher angenommen. Betont wurde ferner der grenzüberschreitende Austausch von Informationen und Erfahrungen, der in beiden Ländern langfristig zu einer wechselseitigen kulturellen Umgestaltung führte.

Die Städtegründung Lübecks 1143 unter Einbeziehung von Alt Lübeck wurde durch DORIS MÜHRENBERG (Lübeck) abwechselnd aus archäologischer und historischer Sicht betrachtet. Der Vortrag wurde in einem zweiten Teil durch MANFRED GLÄSER (Lübeck) fortgeführt und behandelte die Beziehungen zwischen Dänemark und Lübeck, mit einem Schwerpunkt auf den Jahren 1201–1227, der so genannten „Dänenzeit“, die ein unruhiges Kapitel der Geschichte offenbarte und zugleich anschaulich den zeitlichen Übergang von hölzernen Siedlungen hin zur mittelalterlichen steinernen Großstadt bildete.

Der historische Übergang von Mittelalter zur Frühen Neuzeit wurde mit dem Vortrag von THOMAS EISENTRAUT (Schleswig) vollzogen. Thematisiert wurde das Tagebuch von Nils Trosner, einem norwegischen Matrosen der von 1710–1714 ein privates Tagebuch an Bord der dänischen Kriegsflotte führte. Die Aufzeichnungen fallen in die Zeit des Großen Nordischen Krieges (1700–1721) und spiegeln auf über 870 farblich illustrierten Seiten das Leben eines einfachen Mannes in Kriegszeiten wider. So finden sich nicht nur Angaben zum Leben an Bord eines Kriegsschiffes, sondern Informationen aus den unterschiedlichsten Themenfeldern, wie beispielsweise der Verbreitung von Nachrichten, der Auswirkung der letzten großen Pestwelle im Ostseeraum und einer anschaulichen Dokumentation des Fortschreitens der Sozialdisziplinierung.

Die Schwedenzeit in Pommern brachte innerhalb der Jahre 1692–1709 eine geographische Landvermessung mit sich. Als Ergebnis präsentierte STEFAN KROLL (Rostock) die schwedische Landesaufnahme und die daraus innerhalb von vier Jahren entwickelte Online-Edition.1 Es wurde die Entwicklung von den originalen Kartenzeichnungen über das Transkribieren, die Kontrollphasen, bis zur finalen elektronischen Anwendung demonstriert. Das Projekt bietet interdisziplinäre Ansätze für weitere Forschungen, insbesondere der Wirtschafts- und Sozialgeschichte aber auch für die Klimaforschung, so lassen sich unter anderem die Küstenlinien Pommerns um 1700 teilweise rekonstruieren.

THOMAS FÖRSTER (Stralsund) befasste sich mit dem Schiffbau und dessen Traditionen im Ostseeraum. Funde von Schiffswracks lassen Rückschlüsse auf deren Bauweise und Konstruktion aber auch auf deren Verbreitung und Nutzung zu. „Wandel“ und „Kontinuität“ waren die zentralen Stichwörter des Vortrages, der viele unterschiedliche Schiffstypen beschrieb und zugleich auf die aktuelle Problematik – den Zustand und künftigen Verbleib heutiger Holzschiffe – aufmerksam machte.

Die unentbehrlichen maritimen Hilfsmittel Kompass, Karte und Lot standen im Zentrum des Vortrages von CHRISTIAN PEPLOW (Greifswald). Zeitlich bewegte sich der Vortrag in der Übergangsphase von Mittelalter zur Frühen Neuzeit und beleuchtete grenzüberschreitend Navigationstechniken und deren Anwendung. Zunächst wurde die Frage aufgeworfen, welche Hilfsmittel man in der Zeit des Mittelalters für die Navigation verwendete. Insbesondere das Lot und der Einsatz von lokalen Lotsen sowie deren kontinuierliche Nutzung zeigten, dass man sich beim Segeln in der Übergangsphase vom Mittelalter zur Frühen Neuzeit sowohl auf messbare Größen, aber eben auch die persönlichen Fähigkeiten und erlernten Kenntnisse verließ.

Die in Vergessenheit geratene Rolle der küstennahen Flößerei in Vorpommern setzte GUNNAR MÖLLER (Stralsund) ins rechte Licht. Die Versorgung mit Holz für den Haus- und Schiffbau stellte nicht nur die Hansestädte vor größere, logistische Aufgaben. Bereits für das 13. Jahrhundert lässt sich die Flößerei in der pommerschen Region nachweisen. Untersuchungen des verwendeten Baumaterials der profanen und sakralen Bauten der Städte, brachten die charakteristischen Merkmale – Bohrungen und Verzapfungen – zutage. Die Bearbeitungspuren stammen von der Fixierung der losen Baumstämme, welche zu Flößen zusammengefügt wurden. Die Handelswege sind in den schriftlichen Quellen überliefert und spiegeln den Transport vom Wald bis zur Stadt wider. Das Ende der Flößerei fällt in die Zeit des 18. Jahrhunderts, wobei anzumerken ist, dass die Flößerei in einigen Regionen des Ostseeraumes bis heute betrieben wird.

Den abschließenden Vortrag hielt EDGAR RING (Lüneburg) über die Produktion renaissancezeitlicher Terrakotten im 16. Jahrhundert. Analysiert wurde zum einen die Verbreitung der Produktion durch die Ziegelmacher Statius von Düren und Hans Fhase. Zum anderen wurde der Frage nachgegangen, ob der Ursprung der renaissancezeitlichen Terrakotten in Lüneburg oder Lübeck zu finden ist, der sich zeitlich für das Jahr 1543 bzw. 1551 nachweisen lässt.

Die Tagung endete mit einer abschließenden Diskussion, die die weitgefächerte Bedeutung des westlichen Ostseeraumes kommentiert hervorhob. Das Meer wurde einheitlich als verbindendes Element, zwischen Skandinavien und dem kontinentalen Europa gelegen, gekennzeichnet und dies nicht nur für die Zeit vom Frühmittelalter bis zur Frühen Neuzeit. Deutlich gemacht werden konnte, dass es sich um einen einzigartigen Lebensraum handelt, der durch seine maritime Lage geprägt ist und infolgedessen eine besondere kulturelle Position einnimmt. Kriege, Handel und Städtegründungen führten durch Jahrhunderte hinweg zu einer gegenseitigen Beeinflussung, die diesen Lebensraum maßgeblich prägten. Das große positive Interesse an den Vorträgen und Gesprächen führte zu dem Wunsch, dass es ein weiteres Treffen geben soll, welches sich neuen, „küstennahen“ Themen und deren Erforschung widmen soll. Diese Tatsache kann nur begrüßt werden und zeigt zugleich das ungebrochene Interesse an der Kommunikation zwischen regionaler und internationaler Forschung.

Konferenzübersicht:

Felix Biermann (Göttingen), Die Reichweite des wikingerzeitlichen Ostseehandels im nordwestslawischen Binnenland

Anders Rasmussen (Nykøping / Falster), Detector Finds from the Island of Lolland and Falster as Trace

Anders Reisnert (Malmö), King Harold of Denmark, with the nickname Bluetooth, ruled Denmark between 940 until his death 986

Fred Ruchhöft (Greifswald), Arkona - ein multikulturelles Zentrum im westlichen Ostseeraum

Claudia Hoffmann (Stralsund), Der Goldschmuck von Hiddensee

Jens E. Olesen (Greifswald), Die Beziehungen Dänemarks zum Heiligen Römischen Reich in der Großmachtzeit der Waldemarer (ca. 1168–1241)

Doris Mührenberg (Lübeck), Alt Lübeck und seine Beziehungen zu Dänemark

Manfred Gläser (Lübeck), Lübeck und seine Beziehungen zu Dänemark

Stefan Kroll (Rostock), Die Online-Edition der schwedischen Landesaufnahme von Pommern 1692–1709

Thomas Eisentraut (Schleswig), Fußvolk zur See – Das Tagebuch von Nils Trosner. Ein Matrose berichtet aus der Zeit des Großen Nordischen Krieges (1700–1721)

Thomas Förster (Stralsund), Wandel und Kontinuität – Schiffbautraditionen im Ostseeraum

Christian Peplow (Greifswald), Mit Kompass, Karte oder Lot? – Navigationstechniken im Ostseeraum in Mittelalter und Früher Neuzeit

Gunnar Möller (Stralsund), Küstennahe Flößerei in Vorpommern vom 13.–18. Jahrhundert

Edgar Ring (Lüneburg), Statius von Düren vs. Hans Fhase. Produktion renaissancezeitlicher Terrakotten im Ostseeraum.

Anmerkung:
1 SVEA-Pommern Karten und Texte der Schwedischen Landesaufnahme von Pommern 1692–1709, <www.svea-pommern.de> (10.7.2015).