Schulbücher und Schulbuchprojekte zur (Minderheiten-) Geschichte der Deutschen in einzelnen Ländern Europas

Schulbücher und Schulbuchprojekte zur (Minderheiten-) Geschichte der Deutschen in einzelnen Ländern Europas

Organisatoren
Robert Maier / Stephanie Zloch / Marcin Wiatr, Georg-Eckert-Institut – Leibniz-Institut für internationale Schulbuchforschung in Braunschweig; Gerhard Seewann, Stiftungsprofessur für deutsche Geschichte und Kultur im südöstlichen Mitteleuropa an der Universität Fünfkirchen/Pécs, Ungarn
Ort
Bad Kissingen
Land
Deutschland
Vom - Bis
31.05.2015 - 02.06.2015
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Von
Marco Bogade, Akademie Mitteleuropa e.V.

In Kooperation mit dem Georg-Eckert-Institut – Leibniz-Institut für internationale Schulbuchforschung in Braunschweig (Dr. Robert Maier, Dr. Stephanie Zloch, Marcin Wiatr) sowie der Stiftungsprofessur für deutsche Geschichte und Kultur im südöstlichen Mitteleuropa an der Universität Fünfkirchen/Pécs, Ungarn, (Prof. Dr. Gerhard Seewann) fand an der Akademie Mitteleuropa e.V. in Bad Kissingen vom 31. Mai bis 2. Juni 2015 der wissenschaftliche Workshop „Schulbücher und Schulbuchprojekte zur (Minderheiten-) Geschichte der Deutschen in einzelnen Ländern Europas“ statt.

Die Veranstaltung ermöglichte den fachlichen und Erfahrungsaustausch zwischen deutschsprachigen Osteuropa- und Mitteleuropahistorikern sowie Autoren und Didaktikern, die im Rahmen von Schulbuchprojekten zur Geschichte und Kultur der Deutschen im östlichen und südöstlichen Europa gearbeitet haben oder aktuell arbeiten. Die wissenschaftliche, pädagogische und auch politische Relevanz des Themas ergibt sich aus den bisher überwiegend national verstandenen Historiografien besonders in den Ländern Ostmittel- und Südosteuropas, bei denen Minderheiten im Geschichtsbild der Titularnationen entweder gar nicht oder nur ganz am Rande berücksichtigt werden. Das gilt gerade auch für die deutschen Minderheiten, selbst wenn nolens volens auf die Beziehungsgeschichte der Titularnation mit Deutschland Bezug genommen wird. Dem zugrunde liegen häufig nationale „Entstehungsmythen“, historische und historiografische Konzepte von „Landnahmen“ und „autochtoner Bevökerung“, die in besonderem Maße am Beispiel Ungarn beobachtet werden können. Schulbücher zur Geschichte der deutschen Minderheit stehen daher im Allgemeinen vor der Herausforderung, ein eigenständiges Narrativ zu entwickeln, das transregional und transnational angelegt die Beziehungsgeschichte sowohl mit der Titularnation als auch mit Deutschland berücksichtigt.

In einem komparatistischen Ansatz wurden im Rahmen des Workshops Länder Ostmittel- und Südosteuropas (Sowjetunion/Russland, Polen, Tschechien, Rumänien, Ungarn) anderen europäischen Ländern bzw. Regionen (Nordschleswig/Dänemark, Südtirol/Italien, Oberschlesien/Polen) gegenübergestellt und mit diesen verglichen.

Die inhaltliche Federführung und Konzeption der Tagung lag bei Gerhard Seewann, der zusammen mit Nóra Rutsch (Fünfkirchen/Pécs) eine „Geschichte der Deutschen in Ungarn für die 9.–12. Klasse“ erarbeitet hat, die auch online abrufbar ist (http://udgeschichte.hu/) und von László Schindler vorgestellt wurde. Bisherige deutschsprachige Geschichtsbücher in Ungarn stellen laut Nóra Rutsch reine Übersetzungen ungarischsprachiger Werke dar, bei denen auf die Rolle von Minderheiten, auch der deutschen Minderheit, kaum eingegangen wird.

Wie ROBERT MAIER (Braunschweig) betonte, gibt es in russländischen Geschichtsbüchern eine Diskrepanz zwischen einer „nationalen“ Geschichtsschreibung, bei denen die Minderheitsgeschichte der Deutschen in der Regel kaum und wenn, dann in der Regel negativ konnotiert wird, wogegen in regionalen Geschichtsbüchern die Rolle der Deutschen – oft als „Pioniere“ – wesentlich positiver bewertet und die regionale Beziehungsgeschichte betont wird. MARCIN WIATR (Braunschweig) stellte mit Fokus auf Schlesien bzw. Oberschlesien fest, dass die Befunde seines durch die BKM geförderten und 2016 als Monografie vorliegenden Forschungsprojektes „Oberschlesien und sein kulturelles Erbe“ zeigen, dass in den polnischen Bildungsmedien das Urteil über eine vermeintliche „ethnische Homogenität“ des Landes deutlich positiver aufgeladen wird, als in den wenigen Darstellungen heutiger, multiethnischer geografischer Räume Polens. Symptomatisch bleibt weiterhin eine negative Aufladung minderheitenpolitisch relevanter Räume wie Oberschlesien, während mit Blick auf lediglich als multiethnisch erinnerte Regionen wie etwa Ostpreußen starre, nationalzentrierte Geschichtskonstruktionen zunehmend problematisiert und durch transnationale Bezüge aufgebrochen werden. STEFANIE ZLOCH (Braunschweig) präsentierte die Ergebnisse des DFG-Projekts „Das Pruzzenland als Erinnerungsregion“ vor, bei dem rund 800 Schulbücher der Fächer Geschichte und Geografie aus Deutschland, Polen, Russland und Litauen hinsichtlich ihrer Erinnerungsorte in der Region untersucht wurden. Das der Untersuchung zugrunde liegende Konzept einer Region als „imagined community“ (Benedict Anderson) richtete seinen Fokus dabei mit verschiedenen Schwerpunkten auf gemeinsame Erfahrungen und Wissensbestände, weniger auf (politische) Institutionen. Im Schuljahr 1999/2000 wurde an den deutschsprachigen Schulen in Rumänien das Schulfach „Geschichte und Traditionen der deutschen Minderheit in Rumänien“ etabliert. HANNELORE BAIER (Hermannstadt/Sibiu) stellte als Mit-Autorin ein spezifisches Geschichtsbuch für die 6. und 7. Klassen vor, das mittlerweile überwiegend von rumänischen Schülern an Schulen mit Deutsch als Unterrichtssprache rezipiert wird. WALTER PICHLER (Lana) zeigte am Beispiel Südtirols, dass in Italien je nach Region und dem Mehrheiten-Minderheiten-Verhältnis in der Bevölkerung der Bedarf einer regionalspezifischen Geschichtsdarstellung variiert. Es existieren unterschiedliche Lehrbücher und Schwerpunkte im Geschichtsunterricht, auch in Hinblick auf die nationale Geschichte Italiens und die regionale, deutsch geprägte Geschichte Südtirols, auf die die Schulen jeweils selbstständig (Schulautonomie) zurückgreifen können. Die Beschulung findet dabei nach Sprachgruppen getrennt (deutsch, italienisch, ladinisch) statt. Eine im Jahre 2008 ins Leben gerufene Arbeitsgruppe „Geschichtsbuch Mittelschule“ entwickelte zusammen mit einem Schulbuchverlag bis 2013 eine Regionalausgabe für Südtirol. Als weitere Vergleichsregion zu den Ländern und Regionen in Ostmittel- und Südosteuropa diente Nordschleswig. FRANK LUBOWITZ (Apenrade/Aabenraa) verglich die Schulbücher und Schulbehelfe für die signifikante deutsche Minderheit in der Region mit den spezifischen pädagogischen und didaktischen Angeboten für die dänische Minderheit in Südschleswig. Er kommt zu dem Ergebnis, dass Schulbücher des Fachs Geschichte nur sehr eingeschränkt auf die spezifische Regionalgeschichte und minderheitenbezogene Fragen eingehen und der „Lehrerfolg“ deutlich vom persönlichen Engagement des Lehrers abhängt.

Resümee: Bei der Konferenz wurde die Notwendigkeit weiterführender regionalhistorischer Untersuchungen und Darstellungen („area studies“) deutlich, die ein Korrektiv zu den oft pauschalisierenden nationalen Historiografien darstellen können, und – in didaktischen Publikationen – ihre nachhaltige (gesellschafts-) politische Relevanz entfalten können. Die Bedeutung von Schulbüchern nicht nur in der Forschung, sondern im weitergefassten gesellschaftspolitischen Kontext wird mit Blick auf das derzeit am Georg-Eckert-Institut realisierte Projekt „Migration und Bildung nach 1945“ oder aber auch die deutsch-tschechische Schulbuchkommission deutlich, die sich zukünftig auch dem Thema „Migration“ widmet.

Konferenzübersicht:

Begrüßung, Besprechen organisatorischer Belange, Einführung in die Tagungsthematik durch Gerhard Seewann (Fünfkirchen/Pécs) und Marco Bogade (Bad Kissingen)

Robert Maier (Braunschweig): Die deutsche Nationalität in russischen Geschichts-Schulbüchern

Marcin Wiatr (Braunschweig): Die deutsche Nationalität in polnischen Geschichts-Schulbüchern

Stephanie Zloch (Braunschweig): Die Geschichte der Region „Pruzzenland“ in Schulbüchern

Frank Lubowitz (Apenrade/Aabenraa): Schulbücher und -behelfe des deutschen Schul- und Sprachvereins in Dänemark

Walter Pichler (Lana): Schulbücher zur Geschichte Südtirols und der Südtiroler Deutschen

Hannelore Baier (Hermannstadt/Sibiu): Das Schulbuch zur Geschichte der Deutschen in Rumänien

Gerhard Seewann (Fünfkirchen/Pécs): Das Schulbuch zur Geschichte der Deutschen in Ungarn

Nóra Rutsch (Fünfkirchen/Pécs): Die deutsche Nationalität in ungarischen Geschichts-Schulbüchern


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