Der Hof und die Stadt / La cour et la ville

Der Hof und die Stadt / La cour et la ville

Organisatoren
Residenzen-Kommission der Akademie der Wissenschaften in Göttingen; Historische Kommission für Sachsen-Anhalt; Institut für Geschichte der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg; Deutsches Historisches Institut Paris
Ort
Halle an der Saale
Land
Deutschland
Vom - Bis
25.09.2004 - 28.09.2004
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Von
Harm von Seggern, Christian-Albrechts-Universität Kiel

Mit der Frage nach dem Verhältnis zwischen den Höfen und den Städten hatte das 9. Symposium der Residenzen-Kommission ein grundlegendes Thema zum Gegenstand, wie der Vorsitzende der Kommission Werner Paravicini (Paris) in seiner Einleitung hervorhob, denn ohne die Stadt sei eine Residenz schlechterdings nicht zu denken. Seit dem 15. Jahrhundert ist im Reich ein Erstarken der Fürsten feststellbar, die in zunehmendem Maße selbst größere Städte ihrer Macht unterwerfen konnten, nachdem im 13./14. Jahrhundert sich viele Städte dem stadtherrlichen Zugriff zu entziehen vermocht hatten. Problematisch bleibt aber die Erklärung dieses Phänomens, zumal die Städte ihre Autonomie zu wahren suchten. Der Rückgriff auf die Städte konnte in der Regel allein mit großen Konflikten erfolgen, weswegen sich die Frage stellt, warum die Fürsten diese Auseinandersetzung auf sich nahmen und wie die Städte sich in der Folge verhielten.

Das Symposium gliederte sich in drei Sektionen. Die erste Sektion stand unter dem Titel "Nach dem Sieg: Stadt und Hof als Gewinner und Verlierer". Die hier gehaltenen vier Vorträge verfolgten das Thema in erster Linie in ereignis-, verfassungsgeschichtlicher und sozio-ökonomischer Perspektive. Mit zehn Vorträgen folgte eine Doppelsektion, in der es um den "´Krieg der Zeichen´? Die symbolische Besetzung des öffentlichen Raumes durch Stadt und Hof" ging, womit die kulturgeschichtlich angeregten Fragestellungen nach den Herrschaftszeichen, der Öffentlichkeit, der Repräsentation und Wahrnehmung der Herrschaft bzw. ihre dezidierte Ablehnung im Vordergrund standen; der Schwerpunkt der Diskussion lag folglich auf diesem Forschungsfeld. Die letzte Sektion, sechs Vorträge umfassend, galt dem Problem "Stadtgesellschaft - Hofgesellschaft: Spannungen und Verflechtungen", wobei hier die rein historische Perspektive in interdisziplinärer Hinsicht erweitert und ökonomische und literarische Interpretationen vorgestellt wurden.

In einem historiographie-geschichtlich ausgerichteten Vortrag, der den Titel "Überregionale Aspekte der spannungsreichen Beziehung zwischen Hof und Stadt im späten Mittelalter und in der frühen Neuzeit" trug, stellte Jörg Wettlaufer (Kiel) fest, dass die Forschung trotz der jahrzehntelangen Bemühungen bisher keine Systematik zur Beschreibung des Hof-Stadt-Verhältnisses entwickelt hat, so dass ein vergleichender und typologisierender Ansatz erst noch aufzustellen bleibt. Ein Grund hierfür liegt in dem Umstand, dass nicht nur die Städte, sondern auch die Fürstentümer bisher vornehmlich in ihrer Individualität beschrieben wurden. Ein wichtiges Hilfsmittel für einen vergleichenden Ansatz bietet das jüngst von der Residenzen-Kommission veröffentlichte dynastisch-topographische Handbuch der Residenzorte, das somit seinen besonderen Wert erweist.

Das ältere Vorurteil der sächsischen Landesgeschichte von dem ländlich-beschaulichen Charakter der Kleinstädte, vor denen einzig und allein die Residenz Dresden hervorstach, zu widerlegen war das Anliegen von Matthias Meinhardt (Halle a.d. Saale), dessen Vortrag den Titel "Chancengewinn durch Autonomieverlust? Sächsische und anhaltische Residenzstädte im Spannungsfeld zwischen fürstlichem Gestaltungswillen und politischer Selbstbestimmung" trug. Mit Hilfe einer Betrachtung der sozio-ökonomischen Entwicklung der Städte Weimar, Wittenberg, Bernburg und Zerbst in der Zeit vom 15. bis zum 17. Jahrhundert vermochte der Referent das bestehende Bild deutlich zu relativieren. Die Städte erlebten eine überdurchschnittliche Bevölkerungszunahme, die Ansiedlung von neuen Gewerben, vor allem für den gehobenen Bedarf des Hofes, führte zur Gründung von Zünften und Innungen. Dem gegenüber steht jedoch der Umstand, dass die Städte hinsichtlich ihrer rechtlichen Selbstbestimmung zurückgedrängt wurden. Die Fürsten zogen teilweise das Bauwesen an sich, setzten im Rahmen der Reformation ihr Patronat bei der städtischen Pfarrkirche durch und drangen auf Freiheit der Hofangehörigen von städtischen Steuern. Etwas überspitzt könnte man sagen, dass dem wirtschaftlichen Gewinn ein rechtlicher Verlust gegenüber stand.

Ausgehend von einem ereignisnahen Augenzeugenbericht konnte Michael Scholz (Potsdam) die Umstände und Folgen der Übername der Stadtherrschaft in Halle durch den Magdeburger Erzbischof im Jahr 1478 detailliert aufzeigen ("… da zoge mein herre mit macht hinein … Die Stadt Halle nach der Unterwerfung durch den Erzbischof von Magdeburg"). Der tiefere Grund für den Griff des Erzbischofs nach der städtischen Macht bestand in dem Zugang zu den Einnahmemöglichkeiten, die die Salzquellen in der Stadt boten, deren Ausbeutung seit dem 13. Jahrhundert jedoch als Lehen ausgegeben war. Ohne Mitwirkung einer erzbischöflichen Partei innerhalb des Rates hätte diese Machtausweitung nicht funktioniert, ja dem Erzbischof wurden sogar von seinen Anhängern die Tore der Stadt geöffnet. Kurzfristig vermochte diese Partei die Geschicke der Stadt zu lenken und die Pfänner, die Patrizier, aus ihren Ämtern zu verdrängen, doch schon nach ungefähr fünf Jahren gelangten diese wieder in ihre alten Machtpositionen zurück, ohne ihre innerstädtischen Gegner völlig zu eliminieren. Bis weit ins 16. Jahrhundert gab es immer wieder einzelne Parteigänger wie den städtischen Baumeister Gregor Ockel, die die erzbischöfliche Sache zu der ihren machten.

Die weiter westlich gelegene fränkische Metropole Würzburg war Gegenstand der Ausführungen von Joachim Schneider (Würzburg), der die "Soziale Verflechtung der Würzburger Ratsfamilien mit dem bischöflichen Hof um 1500" untersuchte, was insofern nicht einfach war, als dass weder der bischöfliche Hof mit seinen Amtsträger noch der städtische Rat bisher auf ihre personale Struktur hin befragt wurden. Erst während der Regierungszeit des Bischofs Lorenz von Bibra wird die Überlieferung dichter und erlaubt genauere Aussagen in prosopographischer Hinsicht. Eine Besonderheit Würzburgs bildet dabei der Umstand, dass es in der Stadt nicht zu einer Ausbildung eines Patriziats kam, so dass der Bischof und das Domkapitel immer wieder eine entscheidende Rolle bei der Besetzung des Rates spielen konnten. Insgesamt handelte es sich bei Würzburg nicht um eine der großen prosperierenden Städte im Reich, auch wenn es einzelne vermögende Großkaufleute im Weinhandel gab, sondern die Stadt blieb eng in das regionale Machtsystem des Bischofs eingebunden.

Einen geradezu entgegen gesetzten Fall nahm sich Pierre Monnet (Versailles Saint-Quentin-en-Yvelines) vor, der die Rolle Frankfurts am Main im Hinblick auf das Königtum untersuchte ("Le cas de Francfort: Une ville ´capitale´ sans cour est-elle-possible à la fin du Moyen Age?"). Dabei verfolgte er in einem weit ausholenden Bogen die zentrale Funktion der Stadt in dezidierter Anlehnung an Walter Christallers Theorie von der spätkarolingischen Zeit bis ins 15. Jahrhundert. Die zentrale Funktion für das Königtum nahm neben der räumlichen Dimension, wie sie sich in der Wahl Frankfurts als Ort der Hoftage bzw. königlosen Tage niederschlug, weitere, ideelle Formen an, die sich in der Bestimmung Frankfurts als Ort der Königswahl manifestierte. Viel wichtiger noch waren daneben die bestehenden personellen und finanziellen Beziehungen zu den Höfen der Könige und des Adels im Süden des Reichs. Folglich hatte diese Stadt eine andere Funktion als Prag oder Wien im 14. und 15. Jahrhundert, Städte, die stärker durch die Anwesenheit des regierenden Königs und deren Höfe geprägt waren.

Als erstes referierte in der zweiten, kulturgeschichtlich ausgerichteten Sektion, Arnd Reitemeier (Kiel) über das Thema "Hof und Pfarrkirche" und ging dem bisher nicht systematisch und vergleichend untersuchten Verhältnis der Fürsten zu den Pfarrkirchen der Residenzstädte nach. Kann man überhaupt ein besonderes Engagement, ja gar eine regelrechte Identifikation der Fürsten mit ´ihren´ Pfarrkirchen feststellen, oder war das Verhältnis eher von Konflikten belastet? Das waren die Fragen, die anhand der Rechnungsbücher der Kirchenfabriken, die aus insgesamt ca. 90 Städten des Reiches überliefert sind, zu beantworten versucht wurden. Neben Geldgeschenken, Stiftungen und Ausstattungsstücken für die Kirchen gibt es nur geringe Indizien für ein direktes Eingreifen in die kirchlichen Verhältnisse. Nur selten erhielten die Fürsten das Patronatsrecht, eher kam es im Laufe der Zeit zu einem indirekten Eingreifen dadurch, dass fürstliche Amtsträger Aufgaben in der Kirchenverwaltung übernahmen. Von größerer Bedeutung hingegen waren die Fälle, bei denen die Pfarrkirchen in Stiftskirchen umgewandelt wurden, wie insbesondere am Beispiel Düsseldorf näher ausgeführt wurde. Insgesamt wurde das Verhältnis als relativ konfliktarm beschrieben.

Kunstgeschichtlich ausgerichtet war der Vortrag von Renate Kohn (Wien) über "Stadtpfarrkirche und landesfürstlicher Dom. Der Interpretationsdualismus der Wiener Stephanskirche", bei der der Umbau der erst in der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts fertig gestellten spätromanischen Basilika zum dreischiffigen gotischen Dom während des 14. Jahrhunderts im Mittelpunkt stand. Das Bauvorhaben befand sich eigentlich unter der Aufsicht der Stadt Wien, doch Herzog Rudolf IV., der 1358 ein Kollegiatkapitel stiftete, griff in das Bauvorhaben ein und änderte Teile des Programms so, dass es sich als propagandistische Antwort auf die Ausgestaltung Prags durch Kaiser Karl IV. verstehen lässt. Im Einzelnen ließ sich dies an der Darstellung von Rudolf und seiner Ehefrau Katharine, der ältesten Tochter Karls IV., als Stifterfiguren und anderen künstlerischen Details aufzeigen.

Jörg Martin Merz (Augsburg) sprach über "Öffentliche Denkmäler zwischen städtischer und höfischer Repräsentation" am Beispiel der Stadt Augsburg und der Fugger. In der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts übernahm die reiche Bankiersfamilie bei der Gestaltung in Stein gehauener Brunnen, die seit ungefähr 1500 vermehrt in den Städten aufgestellt wurden, Formelemente, wie sie bis dahin nur von fürstlichen Auftraggebern verwandt wurden. Im Besonderen verwies der Referent dabei auf den Herkules- und den Merkurbrunnen in Augsburg, in denen sich eher die fürstlichen Ambitionen der Fugger widerspiegeln als die gemein-städtischen Vorstellungen, die sich zeittypisch eher in Justitia-Darstellungen geäußert hätten.

Mit dem Beispiel der Stadt Mailand unter den Herzögen aus der Familie Sforza wurde ein prominentes Beispiel außerhalb des Reichs (Deutscher Nation) behandelt. Insbesondere spielte die Regierungszeit Galeazzo Maria Sforzas (1466-1476) eine große Rolle in den Betrachtungen Patrick Boucherons (Paris) über "La cour, la ville, l´espace public: Guerre des signes et dispute des lieux à Milan au XVe siècle". Obwohl mit dem Umzug der Herzöge aus dem im Zentrum der Stadt gelegenen Palais de l´Arengo in die vor der Stadt befindliche Zitadelle Castello di Porte Giovia aus eine räumliche Veränderung festzustellen ist, so ging es in dem Vortrag doch weniger um äußere topographische bzw. bauliche Veränderungen als vielmehr um die Bezeichnung und damit um inhaltliche Belegung von Orten, insbesondere Plätzen, die für die Herrschaft bzw. das kulturelle Gedächtnis der Stadtgemeinde von Bedeutung waren. Der Hof verließ die Stadt und wurde hinfort auch als solcher (corte) tituliert, das Gebäude wurde das Castello. Auch bei Kunstwerken wie Reiterstandbildern, selbst in den für das Castello nur geplanten von Leonardo da Vinci, oder Fresken von Giotto lässt sich eine nach außen auf die Stadt und nach innen auf den Hof gerichtete unterschiedliche Propaganda feststellen. Schmähende Inschriften belegen, dass die Reiterstatuen beispielsweise auch als Mittel der Propaganda wahrgenommen wurden. Nicht zuletzt bei Prozessionen und öffentlichen Festen, überhaupt wichtigen Mitteln der Herrschaftsrepräsentation, griffen die Sforza ein, indem sie beispielsweise die Routen der Prozessionen so verlegten, dass der Zug durch die herzogliche Zwingburg zu gehen hatte, zumal die Herzöge die Verehrung des Hl. Georg förderten, während die Stadtgemeinde wie früher dem Hl. Ambrosius den Vorzug gab.

Fortgesetzt wurde das Symposium am zweiten Tag mit dem Vortrag Guido von Bürens (Jülich), der "Den Ausbau Jülichs zu einer Residenzstadt des Herzogtums Jülich-Kleve-Berg in der Mitte des 16. Jahrhunderts" zum Gegenstand hatte. Leider ist die Stadt im Zweiten Weltkrieg weitgehend zerstört worden, so dass man auf Rekonstruktionen der Residenzanlage angewiesen ist. Sie entsprach nach der Errichtung der Burg, die nach dem großen Stadtbrand des Jahres 1546 in Angriff genommen wurde, dem, so der Referent, Idealfall einer ´Zitadelle vor kleiner Stadt´. Schloss und Stadt wurden ab 1547 von einem italienischen Architekten nach Mustern der damals verbreiteten Idealstadt geplant und umgesetzt, wobei mehrere Zwingburgen im niederländisch-niederrheinischen Raum als direkte Vorbilder fungiert haben können. Bei dem Schloss selbst handelte es sich um keinen Zweckwohnbau, sondern es diente vorrangig der Machtdemonstration. Die Herzöge wohnten in kleineren Gebäuden in der Stadt. Zentrale Funktion besaß das kleine Jülich bereits im 14. Jahrhundert, als die Grafen, später Herzöge von Jülich mehrfach den Ort aufsuchten. Auch für Versammlungen der Landstände diente Jülich. Bemerkenswert ist, dass die Anlage der Zitadelle bei dem Jülicher Rat Konrad von Heresbach auf scharfe Kritik stieß: Eine solche zöge Kriege und Belagerungen eher an als sie fernzuhalten, eine Einschätzung, die sich bei dem Jülich-klevischen Erbfolgekrieg 1610 bewahrheiten sollte, bei dem faktisch nur die Festung Jülich belagert wurde.

In einem Kurzreferat verglich Harriet Rudolph (Trier) die Kaiserbesuche in Dresden 1575 und 1617 im Hinblick auf das Agieren von "Fürstenhof und Residenzstadt als Gastgeber", so der Titel ihres Vortrags, und arbeitete so Unterschiede heraus, die die Entwicklung Dresdens verdeutlichten. Im Jahr 1617 wurde auch die Neustadt beim Einzug des Kaisers mit bedacht. Eine Ausweitung erfuhren beide Besuche dadurch, dass die Kurfürsten von Sachsen die Landstände einluden, während der Kaiserhof von weiteren Reichsfürsten begleitet wurde. Die Ordnung des Einzugs sowie die Festlegung der Folge - natürlich unter Beachtung des Rangs - war eine Angelegenheit des sächsischen Hofs, wobei die Stadt sich zwar präsentieren konnte, aber im Prinzip lediglich Spalier stand; Frauen und Angehörige der Unterschichten hatten von den Straßen fernzubleiben. Einen Unterschied gab es noch insofern, als der Einzug des Jahres 1617 im Zeichen des Reformationsjubiläums stand und die Kurfürsten ihr Land Sachsen gleichsam als Mutterland der Reformation darstellten. Während des Einzugs spielte daher die Farbensymbolik eine große Rolle. Schwarz, Gelb und Weiß waren die vorherrschenden Farben, während in Rot ein Narr gekleidet war, was als Anspielung auf das Rot der Kardinäle verstanden werden konnte.

Ebenfalls in einem Kurzreferat schilderte Barbara Uppenkamp (Hamburg) ausgesprochen quellennah "Einen Streit über das Nützliche und das Schädliche, über Schönheit, Neuerung und Tradition" am Beispiel der "Wolfenbütteler Ratswaage im Jahr 1602", ein Vorgang, der vor dem Hintergrund des gezielten, jedoch nie vollendeten Ausbaus Wolfenbüttels zur Residenz unter Herzog Julius von Braunschweig-Lüneburg ab 1570 zu verstehen ist. Ein Teil Wolfenbüttels, die Heinrichstadt, verfügte über kein eigenes Rathaus. In Schenken musste der Rat wechselndes Quartier nehmen. Erst 1602 erhielt der Rat die herzogliche Genehmigung, das am Stadtmarkt gelegene Wohn- und Wirtschaftshaus des Nikolaus Bauermeister zu kaufen und umzubauen. Über dieses Vorhaben kam es zum Streit zwischen dem Rat und dem Verkäufer, da der Rat auch den Abriss der Krambuden vorsah, die dem Nikolaus Bauermeister gehörten. Das Verfahren zog sich mehrere Jahre hin, ruhte zwischenzeitlich auch eine Zeit lang. Den angefertigten Gutachten in dieser Sache ist zu entnehmen, dass es strittige Vorstellungen darüber gab, wie die individuellen Bauwünsche mit den Maßgaben der Idealstadt zu vereinbaren waren, bei denen ein gleichmäßiger Stadtgrundriss mit abgeschlossenen Plätzen entstehen sollte. Gebaut wurde letztlich nie.

Die sich bereits im Spätmittelalter herausbildende reichsstädtische Zeremonie bei Schwörtagen, Herrschereinzügen usw. war Gegenstand des von Wolfgang Wüst (Erlangen) und André Krischer (Münster) gehaltenen Doppelreferats "Ceremonialia Augustana et Colonienses. Visualisierungen fürstlicher Herrschafts- und reichsstädtischer Autonomieansprüche in Augsburg und Köln". Ausgehend von den überlieferten Zeremonial-, Protokoll- und Titulaturbüchern, die in größerem Umfang in beiden Städten überliefert sind, gelang es den Referenten, das sich in den Zeremonien niedergeschlagene symbolische Handeln in den Kontext der politischen Auseinandersetzungen einzuordnen, wie es sich beispielsweise beim sog. Ersten Einzug des Kölner Erzbischofs in die Stadt mit der Bestätigung der Privilegien, der Huldigung und der Inbesitznahme des Hochgerichts seit 1372 gepflogen wurde. Erst die Kenntnis des Formenschatzes des höfischen und diplomatischen Verkehrs erlaubt es, die verschiedenen Haltungen bezüglich der Freiheit, des Standes der Reichsstädte zu erkennen, die für die ehemaligen Stadtherren noch während der gesamten frühen Neuzeit eine stete Provokation darstellten.

Anhand der "Luxusgüter aus London" konnte Sybille Schröder (Berlin) dem Thema "Die Stadt und ihr Einfluss auf die materielle Kultur am Hof Heinrichs II. von England" nachgehen. Quellengrundlage hierfür waren die Rechnungen über die Pacht des Sheriff-Amts von London beim Exchequer und die Pipe-Rolls, die die Kleidungsausgaben des königlichen Hofs wiedergeben. Merkwürdigerweise wurden zumindest teilweise hochwertige Textilien und andere Luxusgüter wie Schmuck oder Pelze nämlich nicht direkt vom Hof erworben, sondern von den Londoner Sheriffs, die hierbei relativ selbständig im Auftrag des Königs agierten. Dieses betraf nicht nur das Vorstrecken von Geldern für den Einkauf, sondern erstreckte sich auch auf die künstlerische, ja propagandistische Ausgestaltung der Waren. Insbesondere Edward Blund und Heinrich von Cornwall sind hier zu nennen, die aus der Schicht der Londoner Großkaufleute stammen und nicht nur dort familiär und geschäftlich eingebunden waren, sondern auch enge Beziehungen zum Königshof unterhielten. Letztere gingen sogar soweit, dass sie über den reinen Einkauf hinaus so etwas wie modern gesprochen "Event-Manager", so die Referentin, waren, die auch die Einzüge des Königs in die Stadt London organisierten.

Die Entstehung des Wehrsystems der Stadt Paris war Gegenstand des Vortrags von Andreas Sohn (Paris), der den Titel "Paris als Festung. Zu Architektur und Infrastruktur der französischen Hauptstadt im hohen Mittelalter" trug. Der Referent konnte im Einzelnen deutlich machen, dass der Ausbau der Befestigungsanlagen nicht stetig vonstatten ging, sondern jeweils durch besondere politische Umstände anlassgebunden war. Bemerkenswert sind die Größe und der Umfang, den die Mauer der stets unter direkter königlicher Verwaltung stehenden Stadt Paris in der Regierungszeit Philipp II. August erhalten hatte: Insgesamt 70 Türme und 13 Tore umfasste die Anlage, von denen sich heute noch 20 Stellen mit baulichen Resten erhalten haben. Ergänzt wurde die Anlage durch den Louvre, einer Flussfestung mit einem Donjon, einem Tierpark und einem Garten für die Haltung der Jagdhunde. Die Präsenz des Königs in der Stadt führte beispielsweise dazu, dass die Hauptverkehrsachsen durch den Bau einer neuen Großen Brücke in den direkten Kontrollbereich des Königs hinein verlegt wurden. Der König ließ sich durch einen Prévôt vertreten, der in dem Grand Châtelet, einer Burg inmitten der Stadt, die auch als Gefängnis diente, seinen Sitz hatte. Paris präsentierte sich im 13. Jahrhundert auch baulich als große königliche Festung mit mächtiger Ummauerung, die von einem königlichen Amtsträger beherrscht wurde.

´Wenn da nicht die anderen Adligen wären´, so muss man mit dem dem folgenden Vortrag von Claude Gauvard (Paris) anschließen, der zeitlich etwas später ansetzte, nämlich im ausgehenden 14. und frühen 15. Jahrhundert, und das Verhältnis zwischen den anderen fürstlichen Höfen, dem Königshof, dem königlichen Gericht und der Einwohnerschaft von Paris behandelte. "La ville de Paris et les cours royales et princières à la fin du Moyen Age" lautete der Titel ihres Vortrags. Die Referentin stellte zunächst die besondere Struktur der Pariser Gerichtsverfassung dar, bei der der königliche Prévôt nicht nur Recht sprach, sondern zunächst einmal die Politik des Königs gegenüber der Stadtgemeinde durchsetzte. Daneben bestimmte jedoch der hohe Adel zu weiten Teilen das gesellschaftliche Leben, dort hatten sie ihre großen Stadthöfe. Zu den Adelshaushalten gehörten mehr oder minder große Klientelgruppen in der Stadtbevölkerung, ja die Adligen unterhielten Schlägertrupps, regelrechte Banden, die eigentlich für den Fall eines Konflikts mit einem anderen Adligen gebraucht wurden, sich jedoch verselbständigten und eine Aura der Rechtlosigkeit schufen, gegen die der Prévôt nur sehr schwer angehen konnte. Seit den 1390er Jahren ist eine Zunahme der Kriminalität in den Gerichtsbüchern festzustellen. Daran entzündete sich die Kritk der nicht-adligen Stadtgemeinde. Obwohl es enge Beziehungen zwischen den Adligen und den höheren bürgerlichen Schichten gab, so existierten doch unterschiedliche Vorstellungen darüber, wie die Ehre nach ihrer Verletzung öffentlich wiederhergestellt werden konnte. Zunehmend erhoben die Bürger Forderungen bezüglich der Berücksichtigung ihrer Vorstellungen, was zusammen mit der weiter eskalierenden Gewalt dazu führte, dass der König 1437 die Stadt verließ und erst gegen Ende des 15. Jahrhunderts wieder einzog.

Mit einem ganz anderen methodischen Instrumentarium näherte sich Ulf Christian Ewert (Chemnitz) dem Problem von "Fürstlicher Standortpolitik und städtischer Wirtschaftsförderung", indem er nämlich "Eine ökonomische Analyse des Verhältnisses von Hof und Stadt im vormodernen Europa", so der Untertitel seines Vortrags, vorstellte. Bei der Auswertung der Itinerare der vier burgundischen Herzöge von 1348 bis 1477 sei eine Wiederentdeckung der Städte als Aufenthaltsorte des Hofes zu erkennen. Insbesondere bei Herzog Philipp dem Guten lasse das Itinerar ein regelrechtes ´Zur-Ruhe-Kommen´ ab den 1430er Jahren feststellen. Das heißt jedoch nicht, dass die Reiseherrschaft abgeschafft wurde, sondern tatsächlich handelte es sich um so etwas wie eine Mischform von Residenz- und Reiseherrschaft. Gegenstand der Untersuchung war sodann die modellhafte Feststellung der gegenseitigen Interessen am Aufenthalt des Herzogs in einer Stadt. Während den Herzögen an einem Zugang zu den ökonomischen Ressourcen der Städte gelegen war, so schätzten die Städte ihrerseits die gesteigerte Nachfrage auf dem städtischen Markt, die Nähe zur Entscheidungsfindung am Herzogshof und die mögliche Kontrolle des Herrschers. Im letzten Teil ging es dann um die Kosten-Nutzen-Abwägung beider Seiten in einem mathematischen, auf der Spieltheorie basierenden Modell der Standortentscheidung. Als Ergebnis lässt sich festhalten, dass die Stadtaufenthalte der Herzöge modern gesprochen "nachfrage-orientiert" waren, d.h., dass die Herzöge aktiv nachfragten, aber auch mächtig genug waren, die Bedingungen des Spiels zu diktieren.

Um Aussagen über das Hof-Stadt-Verhältnis aus literarischen Texten gewinnen zu können, verglich Christian Schneider (Emsdetten) einen Autor, der von der Forschung der bürgerlichen Sphäre zugerechnet wird, Heinrich Teichner, mit einem der höfischen Sphäre, Peter Suchenwirt, die beide in der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts in Wien wirkten. Der Vortrag trug den Titel "Eliten des Hofes - Eliten der Stadt. Höfische Verhaltenskonzepte und gesellschaftliche Identitätsbildung im Reflex der Literatur um Herzog Albrecht III. von Habsburg 1365-1395". Ausgehend von einer an Sigmund Freud angelehnten Problematisierung der literarischen Imagination kritisierte der Referent die kultursoziologischen Theorien Norbert Elias´ und griff stattdessen auf die Systemtheorie von Niklas Luhmann zurück, mit der die "Semantik der Oberschichtkommunikation", die sich in literarischen Texten niedergeschlagen habe, besser erfassen lasse. Mittelalterliche Literatur gibt mehr her, als die Soziologie (und die auf ihr basierende Sozialgeschichte der Literatur) bisher konstatiert habe. Zwischen den beiden untersuchten Autoren gab es einesteils Gemeinsamkeiten, anderenteils deutliche Unterschiede dabei, welche Werte und Tugenden einem Bürger oder einem Adligen zugeschrieben werden. Moralische Vorstellungen sind bei beiden Autoren kirchlich geprägt, z.T. gar standardisiert. Bemerkenswerterweise war der Begriff der Ehre bei Teichner nicht an einen Stand gebunden, während Suchenwirt in dieser Hinsicht bestimmter war, nämlich auf den Adel fokussiert. Zusammenfassend wurde der literarische Umgang mit der Wirklichkeit als eine Art Spiel beschrieben, womit das einleitend formulierte, an Freud angelehnte Modell der Kreativität und Phantasie der Autoren zur Sprache kam.

Prosopographisch und statistisch vergleichend war der Vortrag von Christian Hesse (Bern) ausgerichtet, der die personelle Verknüpfung von höheren Amtsträgern der Fürsten Bayerns, Sachsen, Württembergs und Hessens (jeweils in allen ihren Linien) mit den Oberschichten der Residenzstädten verglich ("Städtisch-bürgerliche Eliten am Hof - Die Einbindung der Residenzstadt in die fürstliche Herrschaft"). Inhaltlich ergab sich eine Nähe zu dem bereits genannten Vortrag von Joachim Schneider über die geistliche Residenz Würzburg. Allerdings legte Chr. Hesse einen anderen zeitlichen Horizont, indem er die für die Herausbildung der landesherrlichen Verwaltung entscheidenden Jahre 1450-1510 seiner Untersuchung zu Grunde legte. Insgesamt dienten die Residenzstädte so gut wie gar nicht als Personalreservoir für die Fürsten, allenfalls kleinere Amtsträger wie Schreiber, Heizer usw. rekrutierten sich aus den durchweg kleineren Städten, ja in Hessen (Marburg) dominierten sie dieses Feld sogar. Für die höheren Positionen am Hof wurden eher die wirtschaftlichen Eliten der Handelsstädte herangezogen, in Sachsen z.B. aus der Messestadt Leipzig. Bei den höchsten Stellen wie dem Kanzleramt war stets das Vertrauensverhältnis zum Fürsten entscheidend, die örtliche Herkunft spielte hierbei überhaupt keine Rolle. In Bayern-Landshut beispielsweise war das Kanzleramt über Generationen hinweg fest in Händen einer Familie, für Außenstehende gab es keine Möglichkeit, diese Stelle zu bekleiden. Gleichsam in einer Gegenprobe fragte der Referent zum Schluss nach der Herkunft der höheren Amtsträger und stellte dabei zunächst fest, dass es unterschiedliche Strategien des Zugangs zum Hof gab. Führend waren jedoch die Großkaufleute aus den Nicht-Residenz-Städten, die jedoch sehr wohl Haus- und Grundbesitz in den Residenzen erwarben.

Zum Abschluss der Tagung stellte Marc von der Höh (Halle a.d. Saale) mit dem auch heute noch sehr kleinen Stolberg einen Fall vor, der in mancher Hinsicht das genaue Gegenteil der großen Residenzen darstellte. Dennoch wies das höfisch-städtische Miteinander viele Gemeinsamkeiten mit dem gesellschaftlichen Leben der anderen Städte auf, so dass die die Residenzenforschung seit längerem beschäftigende Frage, ob man auch von gräflichen Residenzen sprechen kann oder sie nur den Fürsten bzw. Landesherrn zuschreiben sollte, vom Referenten eindeutig in ersterem Sinne beantwortet wurde ("Das Spiel der Ressourcen. Stadt und Hof in der Grafschaft Stolberg/Harz im 15. Jahrhundert"). Die Überlieferungslage der Quellen entspricht keineswegs der Kleinheit der Verhältnisse. Immerhin gibt es eine seit 1490 einsetzende Rechnungsüberlieferung des Hofes, auch vereinzelte Stadtrechnungen des 15. Jahrhunderts liegen vor, und so lassen sich doch viele Aussagen über die Hofhaltung und das Wirtschaftsleben gewinnen. Bei der Stadt selbst handelte es sich um eine Kleinstadt ohne Mauern, die sich gegen den Grafen also nicht abschirmen konnte. Abgesehen von der Anwesenheit des Grafen und dessen Hof verfügte die Stadt über keine weitere ökonomische Mittelpunktsfunktion. Hochwertige Güter erwarb der Hof in der ungefähr eine Tagesreise entfernten Reichsstadt Nordhausen. Gräfliche Vasallen und Dienstleute hatten ihre Häuser und Wohnungen in der Stadt, besetzten auch Posten in der städtischen Verwaltung, und der gräfliche Kanzler war zeitweise der reichste Mann in der Stadt. Auswirkungen hatte die Anwesenheit vor allem für die Handwerkerschaft. Der Hof hingegen war nicht klein, ungefähr 100 Personen zählten nach Ausweis der Rechnungen zum gräflichen Haushalt. Auch für die anderen Harz-Grafen, mit denen die Stolberger enge Kontakte pflegten, war der kleine Ort durchaus von Bedeutung. Beispielsweise wurde 1456 in Stolberg ein Turnier abgehalten, das des benötigten Platzes wegen typischerweise in der Stadt und nicht auf der Burg stattfand.

In der Zusammenfassung konnte Andreas Ranft (Halle a.d. Saale) feststellen, dass es bei den Vorträgen einen deutlichen Schwerpunkt auf dem 15. Jahrhundert gab, wobei man jedoch beachten sollte, dass das Phänomen der ambivalenten Hof-Stadt-Beziehungen weitaus älter ist. Insgesamt ist das Thema nur schwer auf einen Nenner zu bringen. Das gilt bereits für die Chronologie, da die Überlieferung in der Regel erst spät einsetzte. Mit Hof und Stadt waren zwei unterschiedliche bis gegensätzliche soziale Lebensformen zu untersuchen gewesen, die von einer Gleichzeitigkeit von Integration und Konflikt geprägt seien, wobei die Überlieferung zu den Konflikten (mal wieder) reicher ist als die der friedlichen Normalfälle. Wichtig ist ferner die vergleichende Betrachtung. Während der Tagung kamen die hochmittelalterlichen Königsresidenzen und Großstädte Westeuropas (Paris, London), die spätmittelalterlichen Fürstenresidenzen Mitteleuropas, die den westlichen Großstädten hinsichtlich der Einwohnerzahl, wirtschaftlicher Bedeutung und in baulicher Ausgestaltung deutlich nachstanden (Dresden, Würzburg, Marburg u.v.a.m.), dann die von den Fürsten im Laufe des 16. Jahrhunderts künstlich installierten, wenn man sie so bezeichnen darf, Hauptstädtlein (Jülich, Wolfenbüttel) und schließlich die von dem gräflichen Hof völlig dominierten Minderstädte (Stolberg) zur Sprache. Zum Zwecke der Differenzierung darf, ja muss man Paris und Stolberg vergleichend betrachten.

Die Beiträge werden in einem Band der Reihe "Residenzenforschung" publiziert, der im Jahr 2006 zur nächsten, in Gottorf/Schleswig zum Thema "Hofwirtschaft" stattfindenden Tagung, erscheinen soll.