Kommunale Gebietsreform in Nordrhein-Westfalen in historischer Perspektive: Zwischen Planungseuphorie und lokaler Realität

Kommunale Gebietsreform in Nordrhein-Westfalen in historischer Perspektive: Zwischen Planungseuphorie und lokaler Realität

Organisatoren
Landschaftsverband Rheinland, Fachstelle für Regional- und Heimatgeschichte in Verbindung mit Historikerinnen und Historiker vor Ort e.V.
Ort
Köln
Land
Deutschland
Vom - Bis
24.09.2004 -
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Von
Andrea Niewerth, Gladbeck

Am 24.9.2004 fand im Rahmen der renommierten „Deutzer Gespräche“, die seit 1987 aktuelle Themen der Landesgeschichte in größerem Kontext aufgreifen, eine vom Landschaftsverband Rheinland (LVR) in Kooperation mit dem Verein Historikerinnen und Historiker vor Ort e.V. (HvO) organisierte Tagung zum Thema „Kommunale Gebietsreform“ statt.

In den Jahren von 1967 bis 1975 wurden in Nordrhein-Westfalen weitreichende Neuordnungsmaßnahmen ergriffen. Die Zahl der Gemeinden in Bundesrepublik schrumpfte von 24.357 um 65% auf 8.518; gleichzeitig wurde bundesweit die Zahl der Kreise von 425 auf 235 und damit um 44,7% reduziert. Am weitesten gingen bei der Umsetzung der kommunalen Neuordnung Nordrhein-Westfalen, Hessen und das Saarland. Von der kommunalen Gebietsreform war jeder Kreis und mit wenigen Ausnahmen alle Gemeinden unmittelbar betroffen. Damit ist innerhalb nur eines Jahrzehntes das Programm der kommunalen Gebietsreform in acht Flächenländern der Bundesrepublik durchgeführt worden.
Inhaltlicher Anspruch der Tagung war es, durch sowohl übergeordnete Fragestellungen als auch lokale Fallbeispiele einen Querschnitt durch die Thematik zu geben. Entsprechend widmete sich der erste Teil der Tagung einleitend dem Prozess der kommunalen Gebietsreform aus planungsgeschichtlicher und aus verwaltungsgeschichtlicher Perspektive. Der zweite große Komplex war danach vier konkreten Fallbeispielen gewidmet.

Christoph Nonn (Lehrstuhl Neueste Geschichte und Landesgeschichte, Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf) konzentrierte sich in seinem Vortrag auf die „Planungseuphorie“ der 1960er Jahre, hier vor allem auf die Jahre 1966-1968. Ausgehend vom „Reformpaket“ der 1960er Jahre, welches die Reorganisation der Bundesregierung, die föderale Neuordnung sowie die Gebietsreform umfasste, habe die Durchsetzung der kommunalen Neugliederung vor allem darin ihren Ursprung gehabt, dass die angestrebten Reformen über weite Teile nicht umgesetzt werden konnten. Von Beginn an habe die Gebietsreform damit jedoch dem Vorwurf unterlegen, keine demokratische Entscheidung gewesen, sondern vielmehr vom „grünen Tisch“ aus geplant worden zu sein. Der Frage, worin diese technokratischen und undemokratischen Entscheidungsprozesse ihre Wurzeln hatten, widmete Nonn seine weiteren Ausführungen, die er historisch-chronologisch gliederte.
Die Weimarer Republik als Hochzeit technokratischer Planungen sei als „Vor-Sommer“ der Planungseuphorie zu bezeichnen. In diese Atmosphäre des Aufbruchs fiel die erste große Phase kommunaler Neugliederung. Die Ansprüche nationalsozialistischer Planungspolitik waren nachfolgend vor allem Effizienz, eine gelenkte Entwicklung sowie die Entballung der Industrie. Die Wirklichkeit gestaltete sich in den 1940er Jahren jedoch gegenläufig: Der Ausbau der Industrialisierung war vonnöten, und auch die Raumplanung unterstand in der Realität der Durchsetzung nationalistischer und rassistischer Utopien. Die Zeit nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges unterlag zunächst einem Planungs-Tabu. In den 1950er Jahren distanzierte man sich deutlich von den extremen Auswüchsen der nationalsozialistischen Raumplanung, indem man sich von den großen NS-Dimensionen abkehrte und kleinere Strukturen ins Auge fasste. Die 1960er Jahre waren dann vor allem durch materielle Sicherheit geprägt, welche als Rahmen für die neu ausbrechende Planungseuphorie diente. Ursache für diesen Wandel wäre das Verschwinden des anti-urbanen Affektes, der bedingt war durch einen politischen Machtwechsel und einher ging mit einem Mentalitätswandel (Akzeptanz der Industriegesellschaft), gewesen. Die in den 1950er Jahren angestrebte Entballung lief damit quasi von selbst an.
Diese historischen Entwicklungen resümierend, könnten, so Nonn, die 1960er Jahre mit recht als der „Sommer der Planungseuphorie“ bezeichnet werden. Das Streben nach Effizienz und Partizipation kollidierten jedoch, so dass schon der Keim des Niedergangs abzusehen gewesen sei.

Der historische Überblick Nonns wurde ergänzt durch einen verwaltungsgeschichtlichen, in welchem Horst Romeyk (Hauptstaatsarchiv Düsseldorf) im Wesentlichen auf die Umsetzung der Gebietsreform sowie den hieran maßgeblich beteiligten Personenkreis einging.
Bereits Ende der 1920er Jahre (1926-29) fand die erste kommunale Gebietsreform in den rheinisch-westfälischen Landkreisen statt. Die Neugliederung des rheinisch-westfälischen Industriegebietes sollte durch „notwendige Anpassungen“ eine „Beruhigung der kommunalen Grenzen“ ergeben. Erst nach 1945 wurde dann vor allem der Bonner Raum mit Hilfe eines geänderten Verfahrensganges neu gegliedert. Am 5.10.1965 erfolgte schließlich der „Startschuss“ für die Gebietsreform, die dem Wandel der Gesellschaft Rechnung tragen sollte. Die eigens dafür eingesetzte Gutachterkommission brachte insgesamt drei Gutachten hervor, auf deren Basis nach und nach die kommunale Neugliederung durchgesetzt wurde: Von 1967-69 ist zunächst im Rahmen des ersten Neugliederungsprogramms der ländliche Raum umstrukturiert worden. Nachfolgend wurde die Kreisreform durchgeführt, welche vor allem das Ruhrgebiet betraf. Im Ergebnis standen den ursprünglich 57 Kreisen, 2.365 Gemeinden und 39 kreisfreien Städten in NRW nun 31 Kreise, 396 Gemeinden und 23 kreisfreie Städte gegenüber. Trotz einer Vielzahl lokaler Kontroversen, Bürgerinitiativen gegen Zusammenlegungen und sogar Verfassungsklagen, die in den folgenden Fallbeispielen ausführlich beleuchtet wurden, ist das Verfahren der kommunalen Neugliederung termingerecht abgeschlossen und eine Revision der Gebietsreform abgelehnt worden.
Mit einem Blick auf die Riege des leitenden Ministerialpersonals rundete Romeyk seinen verwaltungsgeschichtlichen Vortrag ab. Bestimmend waren hierbei u.a. Persönlichkeiten wie NRW-Innenminister Willi Weyer, der Vorsitzende der Gutachterkommission Fritz Rietdorf oder auch Friedo Wagner, Leiter des Planungsstabes beim Ministerpräsidenten.

Die sich um die kommunale Neuordnung entspannenden Widerstände haben zwar im Ergebnis kaum eine Rolle gespielt, waren jedoch insgesamt von hohem lokalen Engagement und Kampf um die eigene Identität geprägt. Am Beispiel der Städte Gladbeck, Leverkusen, Meerbusch und Wesseling wurde die Ausgangslage sowie die Umsetzung vor Ort, die Folgen von Eingemeindungen und Zusammenschlüssen sowie die Mentalitätsgeschichte nachgezeichnet.

Zur kommunalen Neugliederung im Punkt „Glabotki“ (Zusammenschluss der Städte Gladbeck und Bottrop sowie der Landgemeinde Kirchhellen zur neuen Stadt Bottrop) erklärte das Verfassungsgericht des Landes NRW in Münster am 6.12.1975 das „Ruhrgebiets-Gesetz“ für verfassungswidrig. Es gab damit einer von der Stadt Gladbeck und der Landgemeinde Kirchhellen eingereichten Verfassungsbeschwerde statt. Bottrop und Kirchhellen schlossen sich zur Stadt Bottrop zusammen; Gladbeck blieb selbständig, jedoch Teil der Kreisstadt Recklinghausen. Wie es zu diesem Ergebnis kam, war Inhalt der Ausführungen von Rainer Weichelt, Archivleiter der Stadt Gladbeck.
Für die Stadt Gladbeck war das Gutachten C der Rietdorf-Kommission bestimmend, mit dessen Veröffentlichung 1968 alle Landespolitiker zu Stellungnahmen aufgerufen waren. In Gladbeck war man sich zunächst einig darüber, dass man sich „sinnvollen“ Eingemeindungen nicht verschließen wollte. Grundsätzlich stand man der Eingemeindung von Kirchhellen offen gegenüber, um so den beginnenden Strukturwandel durch Gebietserweiterung – nach dem Motto: „mehr Raum, mehr Möglichkeiten“ – umzusetzen. Insgesamt bildeten 16 Beschlüsse und Stellungnahmen den Beratungshintergrund der Fraktionen. Dabei stand man vor der Entscheidung, ob man das Städte- und Kreismodell (also Eingemeindungen) wollte, oder sich für das Städteverbandsmodell aussprach. Das weitere Verfahren, in welchem sich am Ende Modell 1, das Städte- und Kreismodell, durchsetzte, war personell vor allem durch den Bottroper Oberbürgermeister Ernst Wilczock geprägt, der sich auch auf Landesebene als Handlungsträger für die Interessen Bottrops einzusetzen wusste. Gladbecks OB Kalinowski verhielt sich dagegen eher abwartend, und auch sein Nachfolger, Norbert Aust, vermochte die Interessen Gladbecks auf Landesebene nicht geeignet zu vertreten.
1972 wurde die 127-seitige Stellungsnahme der Stadt Gladbeck zum Ministerialvorschlag vorgelegt: Das Städte- und Kreismodell wurde abgelehnt und im Falle der Durchsetzung dieses Modells eine Verfassungsklage angekündigt. Gleichzeitig zeigte sich Gladbeck jedoch einverstanden mit dem Städteverbandsmodell. Bottrops Stellungsnahme umfasste dagegen lediglich fünf Seiten: Bottrop lehnte das Städteverbandsmodell rigoros ab und befürwortete Modell 1. In dieses Wirrwarr städtischer Eingemeindungen schaltete sich nun auch Gelsenkirchen ein und bot verschiedenen Gemeinden die Vereinigung an. Nachdem im Juni 1973 schließlich Modell 1 beschlossen wurde, organisierte sich 1974 in Gladbeck die „Aktion Bürgerwille“ und initiierte ein Volksbegehren. Im Juni 1974 wurde seitens der Stadt Gladbeck Verfassungsbeschwerde eingelegt, welcher am 6.12.1975 stattgegeben wurde. 1976 folgte der Gebietsänderungsvertrag; gleichzeitig gab der Gerichtshof dem Gesetzgeber eine Reparatur auf, die im Landtag NRW am 20.5.1976 beschlossen wurde: Bottrop und Kirchhellen schlossen sich zur neuen Stadt Bottrop zusammen, Gladbeck blieb selbstständig, allerdings als kreisangehörige Stadt im Kreis Recklinghausen.
Das halbe Jahr vom Verfassungsgerichtsurteil bis zum Reparaturgesetz war der dramatische und temporeiche Schlussakt einer fast zehnjährigen Diskussion über die kommunale Neugliederung im Ruhrgebiet. Mit Blick zurück, so Weichelt, sei Bottrop zwar der große Gewinner der kommunalen Gebietsreform gewesen, Gladbeck habe jedoch wesentlich an Selbstbewusstsein gewonnen.

Am 5.11.1975 regelte als letztes der acht großen Neuordnungsgesetze das „Köln-Gesetz“ den Neugliederungsraum Köln. Mit Wirkung zum 1.1.1975 wurden damit die Städte Leverkusen, Opladen, Bergisch Neukirchen sowie Monheims Stadtteil Hitdorf zur neuen kreisfreien Stadt Leverkusen zusammengeschlossen. Mit Blick auf die allgemeinen Entwicklungen, analysierte Sabine Mecking (Westfälisches Institut für Regionalgeschichte) am Beispiel der Stadt Leverkusen sowohl die Abwehrreaktionen gegenüber den Expansionsgelüsten des südlichen Nachbarn Köln als auch die eigenen Gebietserweiterungsforderungen Leverkusens. Besonderes Augenmerk legte die Referentin dabei auf die sich formierenden Bürgerinitiativen sowie die Entwicklungen nach der Eingemeindung.
Auch für Leverkusen hatte es im Vorfeld mehrere Neuordnungsalternativen gegeben: 1. die Eingemeindung nach Köln, 2. die Einkreisung der selbständigen Stadt in den Rhein-Wupper-Kreis und 3. den Erhalt der Kreisfreiheit als vergrößerte, kreisfreie Stadt. Leverkusen, seit 1963 Großstadt, war zunächst nicht expansionsinteressiert und auch Köln zeigte sich noch Anfang der 1970er Jahre nicht an einer Eingemeindung von Leverkusen interessiert. Erst Anfang 1973 artikulierte Leverkusen Eingemeindungswünsche und schlug die Bildung einer neuen kreisfreien Großstadt aus Leverkusen, Opladen, Bergisch Neukirchen, Hitdorf und einigen kleineren Ortschaften vor. Im März 1974 gab der Innenminister dann seinen Vorschlag zur Neugliederung des Raumes Köln bekannt. Noch lag für Leverkusen jedoch keine eindeutige Entscheidung vor. Dennoch – das „Ringen“ um Leverkusen geriet in die heiße Phase: Köln signalisierte Interesse an der Eingemeindung der Kreisstadt. Bei der zweiten Lesung des Köln-Gesetzes im Herbst 1974 wurden nach langem Ringen nur noch zwei Alternativen besprochen und schließlich zugunsten der 3. Lösung (Erhalt der Kreisfreiheit als vergrößerte, kreisfreie Stadt) das Köln-Gesetz verabschiedet.
Parallel zum Einsatz um den Erhalt der kommunalen Selbständigkeit lässt sich in zahlreichen Städten ab 1972/73 ein hohes Engagement aus der Bürgerschaft beobachten. Hier vor allem die von Klaus Steilmann (Wattenscheid) landesweit ins Leben gerufene „Aktion Bürgerwille“, die für ein stärkeres Mitspracherecht der kommunalen Vertreter im Reformprozess plädierte. In Leverkusen gaben jedoch lediglich 0,5% der Bürger ihre Stimme ab, was ein Indiz dafür gewesen sei, dass man, so Mecking, zu diesem Zeitpunkt grundsätzlich zufrieden mit dem Ergebnis der Neugliederung war. (Insgesamt scheiterte die „Aktion Bürgerwille“ auch landesweit, da nur 6% der Wahlberechtigten das Begehren unterzeichneten.) Anfang August 1974 formierte sich in Leverkusen die Aktionsgemeinschaft „LEV muss leben“, die sich gegen die Eingemeindung nach Köln aussprach. Obgleich in erster Linie getragen von engagierten Bürgern, erfuhr die Initiative massive Unterstützung durch die Bayer AG, die im Falle der Eingemeindung nach Köln eine wirtschaftliche Schwächung durch Einflussverlust auf die Stadtpolitik befürchtete. Insgesamt konnten über 200 freiwillige Helfer rund 66.000 Unterschriften gegen die Eingemeindung sammeln. Auch in Opladen hatte sich Anfang August 1974 eine Bürgerinitiative gegründet. Die Aktion „Gemeinsamer Lebensraum OP-LEV“ sprach sich für die Einkreisung der Stadt Leverkusen aus und konnte immerhin insgesamt 8.500 Stimmen sammeln.
Nach der Verabschiedung des Köln-Gesetzes wurde das Stadtgebiet Groß-Leverkusens in drei Stadtbezirke mit separaten Bezirksvertretungen eingeteilt. Dieser Teilung trug auch die Stadtplanung („Drei-Zentren-Politik“) Rechnung. Damit wurde Leverkusen ein Konglomerat einzelner Ortsteile. Im Ergebnis hat die Dynamik, die dem Reformprozess innewohnte, bei den Leverkusenern über die Jahre ein basisdemokratisches Denken entwickelt: Man wehrte sich vehement gegen die Eingemeindung nach Köln, ohne jedoch dabei die kommunale Neugliederung generell abzulehnen. Vielmehr hatte man aus dem Verfahren gelernt, sich Gehör zu verschaffen und selbst – wie im Fall der Neugliederung – einen Expansionswillen zu artikulieren.

Einen erbitterten Kampf auf lokal- und kommunalpolitischer Ebene gab es Anfang der 1970er Jahre um die neu geschaffene Stadt Meerbusch, das Peter Dohms (Landesarchiv NRW) als drittes der Fallbeispiele anführte.
Grundsätzliche Idee des „Kempen-Krefeld-Gesetzes“ war die Entballung der rheinischen Städte Düsseldorf und Krefeld. Hierzu erfolgte 1968 der Neugliederungsvorschlag, insgesamt acht unterschiedlichen Kreisen angehörende Gemeinden im Ballungsrandgebiet von Düsseldorf und Krefeld zu einer neuen Stadt zusammen zu schließen. Nachdem hierfür zunächst der Name „Rheinau“ vorgesehen war, schrieb das am 12.12.1969 verabschiedete und am 1.1.1970 in Kraft tretende Gesetz für die neue Gemeinde den Namen „Stadt Meerbusch“ fest.
Sowohl Düsseldorf als auch Krefeld hatten sich im Vorfeld gegen die Schaffung von Meerbusch ausgesprochen. Obgleich im Januar 1974 die Gründung der neuen Stadt nochmals bestätigt wurde, plädierten die beiden rheinischen Metropolen nach wie vor für deren Zerschlagung. Bis zum endgültigen Entscheid war der „Fall Meerbusch“ geprägt von überaus heftigen kommunalpolitischen Auseinandersetzungen, in deren Folge die Erhaltung – durch lokale Initiativen wie z.B. das Bürgerkomitee „Ja zu Meerbusch“ – sowie die Auflösung Meerbuschs – auf Drängen von Düsseldorf und Krefeld – sich abwechselten.
Anders als in den beiden vorgenannten Beispielen, wo Bürgerinitiativen für den Erhalt ihrer jeweiligen Städte kämpften, war das Ringen um die neu geschaffene Stadt Meerbusch vor allem ein politischer „Klüngel“. Die unverhohlene Gegnerschaft der umliegenden Städte Düsseldorf und Krefeld war in erster Linie wirtschaftlich motiviert: Krefeld hoffte durch die Auflösung Meerbuschs auf den Zuschlag der umliegenden Gemeinden, um so die angestrebte Hafenerweiterung voranzutreiben; Düsseldorf hatte mit der Sicherung der Flughafen-Einflugschneise ein ähnliches Anliegen. Schlussendlich wurde der Erhalt der Stadt Meerbusch mit denkbar knappem Vorsprung – 94 zu 92 Stimmen – beschlossen.

Das abschließende Beispiel Wesseling, vorgetragen durch Herbert Heermann (Brühl), war aufgrund seines engagierten und hohen Bürgerbegehrens eine von bundesweit nur vier erfolgreichen Verfassungsklagen.
Nach einem Überblick über die historische Entwicklung Wesselings führte Heermann die auch im Fall von Wesseling vorliegenden, unterschiedlichen Konzepte zur kommunalen Neugliederung aus. Bereits Anfang 1968 hatte es erste Gespräche über eine Zusammenlegung von Brühl und Wesseling gegeben.1969 wurde dann zunächst ein Ortsteil von Hersel zu Wesseling geschlagen; der Rest Hersels wurde Bornheim zugezählt. In den folgenden Jahren bis 1972 folgten dann verschiedene Neugliederungskonzeptionen, die vor allem den Zusammenschluss von Brühl, Rodenkirchen und Wesseling vorsahen, zu denen es jedoch aufgrund unterschiedlicher politischer Strategien der Kommunen nicht kam. Gleichzeitig bemühte sich Wesseling seit 1968 um die Stadtwerdung. Nach einer ersten Ablehnung im April 1969 führte Wesseling eine Reihe von Infrastrukturmaßnahmen durch und stellte 1971 erneut einen Antrag auf Verleihung der Stadtrechte, die schließlich im Oktober 1972 gewährt wurden.
Bereits 1971 forderte der NRW-Städtetag, dass nun Rodenkirchen und Wesseling zu Köln einzugemeinden seien. Bis Ende 1973 lagen sowohl der Erlass des Innenministers als auch der Neugliederungsbeschluss des Kölner Stadtrates vor. Die Gründung der Aktion „Bürgerwille Wesseling e.V.“ konnte seit 1974 über 83% Zustimmung in der Bürgerschaft gegen die Eingemeindung nach Köln erreichen. Trotz dieses extrem hohen Engagements wurde Wesseling mit Wirkung zum 1. Januar 1975 Stadtteil der Rheinmetropole. Im November 1974 wurde hieraufhin Verfassungsbeschwerde beim NRW-Verfassungsgericht eingereicht, der im Dezember 1975 stattgegeben wurde. Von März bis Mai 1976 erfolgte ein neues Gesetzgebungsverfahren und zum 1.7.1976 wurde Wesseling selbständige Stadt und Mitglied des Rhein-Erft-Kreises.

Die Tagung resümierend formulierte Georg Mölich (LVR) abschließend drei Überlegungen: Zunächst wies er darauf hin, dass als Quellenbasis für diese Thematik vor allem Nachlässe von Journalisten von großem Interesse sein könnten. Darüber hinaus habe sich ergeben, dass im Hinblick auf die atmosphärische Wahrnehmung vielfach eine regelrechte „Wild-West-Mentalität“ geherrscht habe. Daneben sei in methodologischer Hinsicht die Kommunalreform der 1960er und 1970er Jahre im Vergleich zur Reichsreformdebatte der 1920er Jahre bestimmt gewesen von „Hinterzimmerdiplomatie“ und „politischem Klüngel“.
Zusammenfassend haben die lokalen Beispiele vor allem gezeigt, dass die ehemaligen Grenzen zwischen den zusammengeschlossenen Städten und Gemeinden vielfach immer noch zu erkennen sind und dass sich ein Zusammengehörigkeitsgefühl fast nur für die ehemaligen Territorien erkennen lässt. Eine regionale Identität der Bürger existiere nur ansatzweise, vielmehr habe die Diskussion um Gebietsreformierungen ein starkes Ortsbewusstsein bei den Bürgern hervorgebracht.


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