Totgesagte leben länger? Geschichte und Aktualität ländlicher Gemeingüter in vergleichender Perspektive

Totgesagte leben länger? Geschichte und Aktualität ländlicher Gemeingüter in vergleichender Perspektive

Organisatoren
Gesellschaft für Agrargeschichte; Niels Grüne (Universität Innsbruck), Jonas Hübner (Universität Duisburg-Essen), Gerhard Siegl (Universität Innsbruck)
Ort
Regensburg
Land
Deutschland
Vom - Bis
12.06.2015 - 13.06.2015
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Von
Friederike Scholten, Institut für Wirtschafts- und Sozialgeschichte, Westfälische Wilhelms-Universität Münster

„Totgesagte leben länger?“ – ein markant gewählter Titel für die Fachtagung der „Gesellschaft für Agrargeschichte“ die sich am 12. und 13. Juni 2015 in Regensburg neuen Forschungen zur kollektiven Ressourcennutzung in der Agrarwirtschaft widmete und anhand aktueller Fallstudien eine europäische Perspektive auf ländliche Gemeingüter einnahm. Organisiert von Niels Grüne (Innsbruck), Jonas Hübner (Duisburg-Essen) und Gerhard Siegl (Innsbruck), war das Tagungsthema aus der Vorbereitung eines demnächst erscheinenden Bands der „Jahrbücher für Geschichte des ländlichen Raumes“ (JGLR) entstanden, in dem Gemeingüter als Ressourcensysteme und institutionelle Arrangements begriffen werden. Der Fokus richtet sich vor allem auf Phänomene der Inklusion und Exklusion und die daraus resultierenden Konflikte, auf die Einbettung in neuzeitliche Verfassungsstrukturen und auf langfristige Wandlungsprozesse. Damit reihte sich die Tagung in die momentane Hochkonjunktur der Commons-Forschung in diversen Disziplinen ein, der es bisher jedoch vor allem in historischer Hinsicht an großräumigen Synthesen mangelt.

Den Schwerpunkt der neun Einzelvorträge bildeten lokal- und regionalgeschichtliche Fallstudien. Dabei ging es insbesondere um die Frage, wer die Nutzer ländlicher Gemeingüter waren, wie der Zugang zu diesen geregelt wurde und welche Prozesse der Institutionalisierung sich bei der Organisation und Aneignung kollektiver Ressourcen beobachten lassen. Überdies wurden Kontinuität und Wandel agrarischer Ressourcenregime betrachtet, um exogene wie endogene Faktoren zu identifizieren, die zur Persistenz oder Auflösung von Gemeingütern beitrugen. Deutlich stellte sich vor diesem Hintergrund heraus, dass Commons als vermeintlich zukunftweisendes Paradigma nachhaltiger sozioökonomischer Entwicklung jenseits von Markt und Staat einer kritischen Historisierung bedürfen.

Nach der Einführung der Veranstalter gab STEFAN BRAKENSIEK (Duisburg-Essen) in der ersten Sektion zunächst einen Überblick über die aktuelle historische Forschung zu ländlichen Gemeingütern im deutschsprachigen Raum. Dort sei gerade die geringe Anzahl einschlägiger neuer Studien symptomatisch, was nicht zuletzt auf ein generell schwindendes Interesse an wirtschafts- und sozialgeschichtlichen Fragestellungen zurückgeführt werden könne. Ansonsten werde das Thema in der jüngeren Agrargeschichte oftmals nur am Rande behandelt. Als maßgebliche Untersuchungsfelder, in denen die Verwaltung und Nutzung ländlicher Gemeingüter bislang angesprochen werde, erkannte Brakensiek (1) Lokal- und Regionalstudien zur Geschichte bäuerlicher Gemeinden, (2) die Widerstands- und Konfliktforschung, namentlich im Hinblick auf das Verhältnis zwischen Bauern und Herren, und (3) Arbeiten über die gemeinschaftliche Nutzung von Forsten und Wäldern, die sich allerdings selten mit anderen kollektiv bewirtschafteten Flächen wie Weiden, Heiden und Mooren befassen. Den Wandel in der Verwaltungs- und Nutzungsweise der Gemeinheiten erkläre die heutige Forschung überwiegend multifaktoriell, also mittels einer Kombination demo-ökonomischer und herrschaftsstruktureller Ansätze. Darüber hinaus fehle bislang jedoch eine systematische Analyse der Auswirkungen, welche die kriegerischen Auseinandersetzungen vor allem des 17. und 18. Jahrhunderts auf die Institutionen kollektiver Ressourcennutzung hatten. In seinem Resümee betonte Brakensiek, dass es sich bei der Auflösung der Gemeingüter um einen schon seit dem Spätmittelalter beobachtbaren Prozess der Individualisierung gehandelt habe, der bereits im 16. Jahrhundert an Fahrt aufnahm und mithin keineswegs ein ausschließliches Phänomen des 18. und 19. Jahrhunderts war.

TERESA MASSINGER (Eichstätt-Ingolstadt) problematisierte die Allmende- und Herrschaftskonflikte im fränkisch-schwäbischen Raum im Hinblick auf die administrative Ordnung und praktische Nutzung der Gemeingüter im umstrittenen Gebiet des territorium inclausum. Am lokalen Beispiel der Markungsgemeinde Aufkirchen-Gerolfingen ging sie der Frage nach, wie in einem Raum der kleinteiligen Überlappung diverser Herrschaftsrechte die gemeinsame Verwaltung und Nutzung einer Gemarkung zwischen zwei vielherrigen Dörfern unter machtpolitisch konkurrierenden Ansprüchen gelingen konnte. Der dortige Streit um die Landeshoheit führte schließlich zu einer deutlichen Einschränkung der gemeindlichen Autonomie und Selbstverwaltung bis hin zur Auflösung der gemeinsamen Gemarkung durch die Ziehung einer eindeutigen territorialen Grenze. Damit einher ging zunächst eine umfassende Änderung der Verfassung des Nutzungsverbandes und schließlich dessen völlige Aufhebung. Kommunale Ressourcenkonflikte zwischen und in den beiden Orten gingen demnach in größeren herrschaftlichen und landeshoheitlichen Auseinandersetzungen auf.

Der durch ständische Ungleichheit und Herrschaft vermittelten Gemeingüterverwaltung und -nutzung in einer frühneuzeitlichen Markgenossenschaft ging JONAS HÜBNER (Duisburg-Essen) am Beispiel der Essener Mark bei Osnabrück nach. Er charakterisierte die Mark als „feudal-genossenschaftliches Ressourcenregime“, in dem Adelige und Bauern zusammenwirkten, um jeweils standesspezifische Modalitäten der Ressourcenallokation auszuhandeln und ungleiche Verwaltungs- und Nutzungsrechte an Gemeingütern auszuüben. Das ressourcenbezogene Kooperations- und Konflikthandeln dieser ländlichen Statusgruppen stand Hübner zufolge in einem komplexen Bedingungszusammenhang von Ökonomie, sozialer Struktur und politischer Ordnung, den er in Anlehnung an ein Forschungskonzept von Gabriele Jancke und Daniel Schläppi als „Ökonomie sozialer Beziehungen“ entwarf. Diese Ökonomie hatte auf lange Sicht – aller Konflikte zum Trotz – insofern eine ordnungsstabilisierende Wirkung, als sie die Akteure durch die kollektive Ressourcennutzung einerseits horizontal und durch die (besitz-)ständische Ressourcenorganisation der Markgenossenschaft andererseits vertikal in die lokale Gesellschaft integrierte. Horizontale und vertikale Integration standen in einem Verhältnis wechselseitiger Verstärkung und sicherten so die institutionelle Persistenz der Essener Mark als integralen Bestandteil der Ständegesellschaft. Der Vortrag verdeutlichte, dass Gemeingüter nicht nur als materielle sondern auch als soziale Güter zu betrachten sind und vor diesem Hintergrund auch als Instanzen sozialer Ungleichheit und Exklusion fungieren konnten.

In der zweiten Sektion eröffneten drei Beiträge die Perspektive auf ländliche Gemeingüter in Böhmen, Ungarn und im südlichen Afrika: In der tschechischen Forschung habe die geschichtswissenschaftliche Auseinandersetzung mit diesem Thema bis heute kaum stattgefunden – so die Einschätzung von EDUARD MAUR (Prag). Dabei wäre das Erkenntnispotential groß, denn vor allem in Böhmen sei die Nutzung der Gemeingüter seit dem Hochmittelalter ein integraler Bestandteil der bäuerlichen Wirtschaft und dörflichen Gesellschaft gewesen. Aus soziodemographischer Perspektive waren es Maur zufolge insbesondere die Gemeingüter, welche die Subsistenz der Landbewohner absicherten und als Landreserven schließlich den Bevölkerungsdruck des 18. Jahrhunderts abfedern konnten. Obrigkeitliche Privatisierungsinitiativen, die ab der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts zur Auflösung der gemeinschaftlich genutzten Hutweiden führen sollten, kamen aufgrund von sozialen Protesten nur langsam voran. Letztlich fanden die Gemeingüterkonflikte erst durch die staatliche Kollektivierung der Landwirtschaft nach 1948 ihr definitives Ende.

Wie sein Vorredner bestätigte ANTAL SZÁNTAY (Budapest) auch für die ungarische Geschichtsforschung das mangelnde Interesse am Thema der Rural Commons. Er führte aus, dass es im Ungarn des 18. Jahrhunderts noch keine exklusiven Besitzrechte an Land und seinen Ressourcen gegeben habe, wohl aber mehrschichtig strukturierte Eigentums- und Nutzungsrechte. Diese Gemengelage quantitativ und qualitativ vielfältig dimensionierter Verfügungsrechte mit ständisch abgestuften Partizipationsmöglichkeiten führte zu diffusen Besitzverhältnissen, die sich in der historischen Rekonstruktion einer eindeutigen Qualifizierung als „privat“ oder „kollektiv“ weitgehend entziehen. Zu einer verstärkten Regulierung des Gemeinbesitzes und der kollektiven Bewirtschaftungsformen kam es erst infolge der beschleunigten demographischen und institutionellen Veränderungen des 18. und 19. Jahrhunderts. So erforderte insbesondere die flächendeckende Einführung der Zwei- und Dreifelderwirtschaft nach 1750 mehr Kooperation und Kontrolle, um die Einhaltung des Flurzwangs zu gewährleisten. Gleichzeitig galt es angesichts steigender Nachfrage, die Agrarproduktion weiter auszudehnen, was eine Verminderung der traditionell gemeinschaftlich genutzten Wälder und eine Ausweitung der Ackerflächen zur Folge hatte. Die vermehrte Nutzung des infolgedessen verringerten Gemeinbesitzes zog wiederum eine intensivierte Regulierung kollektiver Nutzungen und dadurch auch viele Ressourcenkonflikte nach sich. Im Laufe des 19. Jahrhundert gingen die Institutionen kollektiver Ressourcennutzung schließlich fast völlig in einer individualisierten Agrarwirtschaft und Eigentümergesellschaft auf.

Wie entwickelten sich ländliche Gemeingüter in den postkolonialen Gesellschaften des südlichen Afrika? Dieser Frage ging HEIN VAN GILS (Windhoek) in seinem Vortrag nach, indem er die Ökosystemleistungen verschiedener Gemeingüter in den südafrikanischen Nachbarländern Botswana und Namibia miteinander verglich. Dabei stellte er heraus, dass es die nationale Unabhängigkeit der beiden Länder gewesen sei, die das doppelte Besitzrecht am Land (Eigentums- und Aneignungsrechte) maßgeblich gestärkt habe. Infolge der Landreform kam es allerdings auch zu einer staatlich initiierten Zentralisierung der Ressourcenallokation: Weniger die lokalen Autoritäten, sondern der Staat verfügte nunmehr größtenteils oder sogar gänzlich über den Gemeinbesitz und die kollektiven Ressourcen. So wurden in Botswana die Verwaltungsbefugnisse über die Gemeingüter den lokalen Stammesversammlungen (Kgotla) entzogen und kommunalen Amtsvertretern des Staates übertragen. In Namibia hingegen verblieben diese Befugnisse bei den traditionellen Autoritäten, einzelne Verfügungsrechte (Landverpachtung, Jagd) wurden gleichwohl ebenfalls an staatliche Institutionen delegiert.

In der dritten Sektion wurde der Blick auf den Schweizer, Tiroler und südwestdeutschen Raum gelenkt: Das ganze Ausmaß der Bedeutung ländlichen Gemeinbesitzes für den alpinen und voralpinen Raum betonte ANNE-LISE HEAD-KÖNIG (Genf): Bis in die Gegenwart gibt es im Hoch- und Bergland bedeutende Gemeingüterflächen (1960er-/70er-Jahre: Kanton Uri 94 Prozent; Kanton Ticino 80 Prozent). Der Zugang zu den kollektiven Ressourcen gewann bis ins 19. Jahrhundert auch deshalb eine derartige Relevanz, weil die Freizügigkeit der Arbeitskräfte gesetzlich behindert wurde. Gerade die landlose und -arme Bevölkerung profitierte folglich von den Gemeingütern, da diese ihnen das Überleben sicherten. So stellten nicht zuletzt in proto-industriellen Regionen (Glarus, Toggenburg, Appenzell) die aus den Gemeingütern generierten Einkünfte bis zur ersten Industrialisierungsphase einen wichtigen Zusatzerwerb für diese rasch anwachsende ländliche Bevölkerungsgruppe dar. Exemplarisch zeigte Head-König ausblickend auf, wie durch die industriellen und gesamtwirtschaftlichen Dynamiken im 20. Jahrhundert, vor allem nach 1945, die ökonomische Bedeutung der Commons in- und außerhalb der Bergregionen allmählich zurückging.

Weniger die Auflösung und Privatisierung ländlicher Gemeingüter, sondern vielmehr divergierende Entwicklungspfade ihrer Fortexistenz erörterten NIELS GRÜNE und GERHARD SIEGL (beide Innsbruck) für zwei in mehrfacher Hinsicht miteinander kontrastierende Agrarregionen: Tirol und die badische Pfalz. Trotz verschiedener ökonomischer, sozialer, politischer und rechtlicher Rahmenbedingungen können in beiden Regionen bis ins 18. Jahrhundert ähnliche Tendenzen festgestellt werden. Spätestens an der Wende zum 19. Jahrhundert traten dann jedoch markante Unterschiede hervor: Während in Tirol der Gemeinbesitz weiterhin hauptsächlich aus Wald und (Hoch-)Weide bestand (über 50 Prozent der produktiven Landesfläche), waren in der badischen Pfalz nach der Parzellierung der Gemeinweiden vorwiegend Acker- und Wiesenallmenden zu finden (unter 25 Prozent der produktiven Landesfläche). Im Gegensatz zu Tirol konnten die Aneigner in der Pfalz den kollektiven Besitz durch individuelle Intensivierung in Wert setzen, was den Wandel von einer elitären zu einer egalitären Nutzung begünstigte. Während in der badischen Pfalz die Gemeingüter in den 1950er-Jahren schließlich aufgehoben wurden, vermochte die bäuerliche Führungsschicht in Tirol ihre privilegierte Stellung bei der Organisation und Aneignung kollektiver Ressourcen zu behaupten und den Gemeinbesitz in ihrem Interesse zu konsolidieren. Ursache für das lange Fortdauern der kollektiven Ressourcenverwaltung, so das Ergebnis der komparativen Analyse, war in beiden Regionen die flexible Anpassung an endogene wie exogene Faktoren. In Tirol zeitigten Konflikte und Reformen bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts kaum Auswirkungen auf die Gemeingüter. In der Pfalz hingegen konnte sich schon am Ende des 18. Jahrhunderts im Verlauf von Individualisierungsprozessen das System der „Allmendrangordnung“ als funktionaler Mechanismus der Ressourcenallokation erfolgreich etablieren.

Für Südtirol wies EVI PECHLANER (Bozen) den Gemeingütern ebenfalls eine tragende Rolle in vormodernen ländlichen Ökonomien zu: Sie wurden von der Dorfgemeinschaft verwaltet und genutzt, der Landesherr war jedoch durch entsprechende Hoheitsrechte (Allmendregal, Forstregal) Obereigentümer dieser kollektiv bewirtschafteten (Hoch-)Weide- und Waldflächen. Im Zuge vermehrter Konflikte um Gemeinnutzungsrechte in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts und der rechtlichen Verankerung der politischen Gemeinde als unterste Verwaltungsebene des sich ausformenden Zentralstaats entstand zunehmend Uneinigkeit über den Rechtscharakter der Gemeingüter: Welche Flächen waren damit gemeint, wer verfügte über Eigentums- und wer lediglich über Nutzungsrechte? Zahlreiche gesetzliche Regulierungen bis zum Ende des 19. Jahrhunderts sollten das unübersichtliche Geflecht von Servituten und Nutzungsrechten innerhalb der Gemeinden, aber auch zwischen ihnen auflösen; diese legislativen Maßnahmen waren ortsabhängig mehr oder minder erfolgreich. Nachdem das heutige Südtirol 1919 Italien zugeschlagen worden war, schuf die italienische Verwaltung 1927 eine einheitliche Gesetzesgrundlage zur Behandlung von Gemeingütern und -rechten, was Pechlaner als Schlüsselmoment für die weitere Entwicklung des gemeinschaftlichen Besitzes interpretierte. Die Eigentums- und Nutzungsrechte an den Gemeingütern standen nun nicht mehr den traditionellen Nutzergemeinschaften zu, sondern wurden zu einem öffentlichen Gut erklärt und somit „verstaatlicht“. In der Folge lösten sich die Nutzerverbände („Agrargemeinschaften“) mehrheitlich auf. Erst mit den Autonomiestatuten von 1948 und 1972 konnten sich die Agrargemeinschaften auf privatrechtlicher Grundlage neu organisieren.

Zum Auftakt der Podiums- und Schlussdiskussion resümierten STEFAN BRAKENSIEK (Duisburg-Essen), DANIEL SCHLÄPPI (Bern) und CLEMENS ZIMMERMANN (Saarbrücken) die Ergebnisse der Beiträge und umrissen darüber hinaus die Potentiale einer künftigen Rural Commons-Forschung. In der Plenumsdebatte wurden viele Aspekte noch einmal aufgegriffen, die bereits in den Einzelvorträgen zum Tragen gekommen waren. So müssten historische Studien zur kollektiven Ressourcenverwaltung und -nutzung in der Vormoderne immer auch die Differenzierungslogik ständischer Gesellschaften berücksichtigen, um Partizipationsformen strukturell zu kontextualisieren. Zudem sollten nicht nur die Prozesse der Auflösung ländlicher Gemeingüter untersucht, sondern vielmehr die institutionellen Faktoren ihrer (oftmals beachtlichen) Langlebigkeit in den Blick genommen werden; diese Faktoren bestehen im Wesentlichen in den vielfältigen lokalen Institutionen und Praktiken der Sanktionierung, der Konfliktregulierung und des Interessenausgleichs. Aus epochenübergreifender Sicht stellte sich ferner die Frage, ob ländliche Gemeingüter einem gesellschaftlichen Wahrnehmungs- und Funktionswandel unterlagen, der sich in einer Relevanzverschiebung vom Sozialen (Vormoderne) über die Ökonomie (Moderne) zur Ökologie (Postmoderne) manifestiere. Abschließend setzten sich die Teilnehmer/innen mit den Implikationen eines weit gefassten, sozialwissenschaftlich inspirierten Gemeingutbegriffs für die agrargeschichtliche Forschung auseinander. Dessen Erkenntniswert bestehe insbesondere darin, die Perspektive über einen spezifischen Organisationsmodus (land-)wirtschaftlicher Ressourcennutzung hinaus für dessen konstitutive Verschränkung mit gesellschaftlichen Ordnungsprinzipien zu öffnen. Mit einem solchen Ansatz verband sich die Erwartung, im interdisziplinären Rahmen künftig auch den Sprung von der Mikro- zur Makroebene theoretisch und methodisch stringenter zu bewältigen.

Konferenzübersicht:

Sektion 1: Moderation: Niels Grüne (Innsbruck)

Stefan Brakensiek (Duisburg-Essen): Die aktuelle historische Forschung zu ländlichen Gemeingütern im deutschsprachigen Raum. Ein Überblick

Teresa Massinger (Eichstätt-Ingolstadt): Allmendkonflikte und Landeshoheit im territorium inclausum. Das Beispiel der Gemarkungsgemeinde Aufkirchen-Gerolfingen in der herrschaftspolitischen Auseinandersetzung zwischen Brandenburg-Ansbach und Oettingen

Jonas Hübner (Duisburg-Essen): Soziale Ungleichheit in einem ländlichen Ressourcenregime der Frühen Neuzeit: die „Essener Mark“ bei Osnabrück

Sektion 2: Moderation: Gerhard Siegl (Innsbruck)

Eduard Maur (Prag): Ländliche Gemeingüter in Böhmen vom späten Mittelalter bis 1848

Antal Szántay (Budapest): Ländliche Gemeingüter in Ungarn im 18. Jahrhundert

Hein van Gils (Windhoek): Ökosystemleistungen ländlicher Gemeingüter im südlichen Afrika. Ein Vergleich zwischen Botswana und Namibia unter Berücksichtigung kolonialer Vergangenheiten

Sektion 3: Moderation: Jonas Hübner (Duisburg-Essen)

Anne-Lise Head-König (Genf): Gemeingüter und Kollektivbesitz in der voralpinen und alpinen Schweiz. Spannungen mit Blick auf Ressourcenzugang und -allokation

Niels Grüne / Gerhard Siegl (Innsbruck): Kontrastierende Persistenz ländlicher Gemeingüter in Tirol und der badischen Pfalz (18.-20. Jahrhundert)

Evi Pechlaner (Bozen): Die Entwicklung der Gemeinnutzungsgüter und Agrargemeinschaften in Südtirol nach 1918

Podiums- und Schlussdiskussion: Moderation: Niels Grüne (Innsbruck)

Stefan Brakensiek (Duisburg-Essen) / Daniel Schläppi (Bern) / Clemens Zimmermann (Saarbrücken): Rural Commons in Vergangenheit und Gegenwart: Potentiale eines neuen Paradigmas für die Gemeingüterforschung