Biographien des Buches

Biographien des Buches

Organisatoren
Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel (HAB) im Forschungsverbund Marbach Weimar Wolfenbüttel (MWW)
Ort
Wolfenbüttel
Land
Deutschland
Vom - Bis
05.04.2016 - 08.04.2016
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Von
Hanne Grießmann / Katja Jensch / Katharina Koitz / Rieke Schole, Graduiertenkolleg Wissensspeicher und Argumentationsarsenal, Universität Osnabrück

Veranstaltet vom Forschungsverbund Marbach Weimar Wolfenbüttel und konzipiert von Ulrike Gleixner in Zusammenarbeit mit der Wolfenbütteler MWW-Arbeitsgruppe – bestehend aus Sarah Melzian, Hole Rößler, Ursula Kundert, Jörn Münkner, Constanze Baum und Timo Steyer –, bildete die internationale Tagung „Biographien des Buches“ den Rahmen für die Diskussion lebensgeschichtlicher Zugänge und Verknüpfungen von Buchsammlungen, Büchern und Buchfragmenten. Ausgehend von Igor Kopytoffs Konzept “kultureller Biographien“ von Dingen1, eng verbunden mit dem Fragen nach deren Herkunft, Entstehungszusammenhang und Ausrichtung, wurden in fünf Sektionen unterschiedliche thematische und methodische Zugangsweisen erörtert. Im Spannungsfeld von Medialität und Materialität, Krisen und Konjunkturen, Singulärem und Allgemeinem, handelndem Subjekt und behandeltem Objekt, Fluidität und Rahmung wurden Beispiele unterschiedlicher Epochen diskutiert.

Im Eröffnungsvortrag hielt WILLIAM H. SHERMAN (London) ein reich bebildertes Plädoyer für eine methodisch ausdifferenziertere Auseinandersetzung mit Marginalien und Randzeichnungen und stellte deren großen Wert als Quelle für historische Buchpraktiken dar. Analyse und Interpretation vermeintlich randständiger Auslassungen historischer Leser/innen würden nicht nur Erkenntnisse über die Benutzungsgeschichte annotierter Codices liefern, sondern böten auch eine Möglichkeit, Lesepraktiken der Frühen Neuzeit zu erschließen. Sherman machte deutlich, dass es sich, besonders bei Randzeichnungen, um mehr als nur Beiwerk zum eigentlichen Haupttext handele. Vielmehr präsentiere sich mit diesem „imagetext“ ein umfassendes graphisch-literarisches Phänomen, das Teil einer stark auf das Bild und das Visuelle konzentrierten frühneuzeitlichen Lese- und Wissenskultur gewesen sei.

Sektion I: Dutzendware – Unikat

Petra Feuerstein-Herz’ (Wolfenbüttel) Vortrag zur Anwendbarkeit des Paradigmas Dutzendware – Unikat auf alte Drucke musste entfallen. An ihrer Stelle referierte HOLE RÖßLER (Wolfenbüttel), der sich mit seinem Beitrag der Begrifflichkeit des Unikalen näherte. Der einzigartige Status eines Buches ergebe sich demnach aus der Differenz zu anderen Exemplaren. Das Vorhandensein von Dutzendware bilde die theoretische Voraussetzung für die Rede vom Unikat. Anhand des von Rößler gebotenen Klassifizierungskataloges erwies sich, dass die verschiedenen Spielarten der Unikalisierung terminologisch vielfältig fassbar sind. Der Begriff der Unikalisierung selbst veranlasste die Anwesenden im Anschluss zu einer angeregten Diskussion über eine eventuell notwendige Unterscheidung zwischen Singularisierung und Unikalisierung, ohne hierbei zu einem abschließenden Ergebnis zu gelangen.

Dem Blick auf das einzelne Exemplar stellte ARMIN SCHLECHTER (Speyer) die Makroperspektive der Statistik gegenüber. Ausgehend von den 1.022 Wiegendrucken aus dem Benediktinerkloster Petershausen und dem Zisterzienserkloster Salem, die heute in der Universitätsbibliothek Heidelberg verwahrt werden, skizzierte er die „Lebensläufe von Inkunabeln“. Dabei unternahm er den Versuch, mittels verschiedener Faktoren wie physischem Zustand und Quantität der Annotationen, den Zugang zu der Frage nach ihrem Nutzungsgrad und damit ihrer Begehrtheit zu ermitteln. Sie boten die Grundlage seiner These, dass vorrangig Exemplare, die Gebrauchsspuren besäßen, biographische Aussagen ermöglichen würden. Die anschließende Diskussionsrunde relativierte diese Behauptung dahingehend, dass eine Differenzierung zwischen fassbaren und nicht-fassbaren Biographien angeraten sei.

CARSTEN ROHDE (Weimar) wählte mit den „Faust-Volksbüchern“ ein Beispiel, an dem er den Weg „von der Dutzendware zum auratisierten Sammlungsobjekt“ beschrieb. Dabei versah er die Volksbücher, geschuldet der problematischen Quellenlage zu ihrer Entstehung, mit einer eher offenen Definition. Einen sehr klaren Einblick gab er in die spezifischen Ausprägungsformen der ‚volkstümlichen‘ Faust-Rezeption und ihrer jeweils zeitgenössischen Wahrnehmung in der Zeit vom 17. bis zum 20. Jahrhundert. Einst als „Jahrmarktsliteratur“ verschrien, sei der buchhändlerische Waren- respektive literarische Gebrauchswert der ephemeren Schriften heute zugunsten eines kaum schätzbaren symbolisch-auratischen Sammlungswertes in den Hintergrund getreten.

Sektion II: Medium – Akteur

In ihrem Vortrag betrachtete JILL BEPLER (Wolfenbüttel), inwieweit Fürstinnen Bücher als Medien der Einflussnahme auf Familienmitglieder verwendet haben. Hochadelige Frauen hätten Bücher über deren spezifische Inhalte genutzt, um ihren persönlichen Einflussbereich auszuweiten; durch Vererbung, um das Gedenken an die eigene Person für die Nachwelt zu sichern, oder als Geschenk, um Netzwerke einzurichten und zu erhalten. Durch dieses Vorgehen seien zugleich die Biographien der Bücher angereichert worden. Hand und Ansinnen der Frauen hätten derart die Inhalte, die Funktion wie auch die besondere Materialität der Bücher bestimmt, die so mehr oder weniger erfolgreich in ihrem Sinne an ihr Umfeld vermittelt worden seien.

ALFRED MESSERLI (Zürich) erschloss das Buch im Spannungsfeld von Sprache, medialem Status und Akteur-Charakter hinsichtlich seiner „magischen“ Aufladung. Das magische Moment selbst identifizierte er als „rhetorisch-metaphorischen Effekt“, greifbar etwa, wenn Bücher von ihren Besitzern dazu angehalten würden, durch Inschriften auf dem Titelblatt deren Interessen zu sichern und mittels Fluch den potenziellen Diebstahl zu sanktionieren. Eine ähnlich “magische“ Aura hätten Bücher, die sich im Kontext protestantisch-erbaulicher Wundergeschichten ihrer Beschädigung durch Feuer oder Wasser widersetzten. Das Buch erscheine damit doppelt konstituiert als objekthaft zu Handhabendes wie auch als subjekthaft Sprechendes und Handelndes. Darüber hinaus erhalte das Buch nach Messerli den Status einer Art „Superzeichen“, indem es gleichermaßen Informationen von seinen Besitzern/innen und Lesern/innen verarbeite als auch solche vermittle. Diese „magischen“ Zuschreibungen würden dabei im Besonderen die materielle wie ideelle Wertschätzung des Mediums Buch betonen.

In welcher Weise der Leser/in einen Text erweiterte, behandelte CLAUDINE MOULIN (Trier). Zunächst hielt Moulin fest, dass der mittelalterliche Codex, wie die Leserannotationen belegten, ein fluides, sequentielles Medium darstelle. Um diesem Umstand in der Forschung adäquat begegnen zu können, sollten sowohl Methoden der Objektgeschichte als auch der Archäologie des Buches herangezogen werden. Insbesondere die volkssprachigen Lesespuren seien als biographische Indikatoren auf verschiedenen Ebenen, etwa einer diachronischen oder diamedialen, zu analysieren. Mit der Untersuchung des Vernakularen anhand dieser Kategorien könne ein Beitrag zur spezifischen Biographie von Büchern geleistet werden.

ULRICH JOHANNES SCHNEIDER (Leipzig) nobilitierte das Medium ‚versehrtes Buch‘ und im Besonderen den Wurmfraß als methodischen Ansatz für die Provenienzforschung. Als „materieller Paratext“ betrachtet geben die durch Larven verursachten Tunnel Aufschluss über historische Buchblockzusammenhänge vor allem des 16. und 17. Jahrhunderts. Sogenannte Misch- oder Sammelbände waren im Zuge der ab dem 18. Jahrhundert einsetzenden und im Folgejahrhundert systematisch betriebenen autorfixierten Neuordnung der Bibliotheken zerlegt, neu gebunden und entsprechend signiert worden. Ein Zusammenpuzzeln der Wurmlöcher würde es nach Schneider ermöglichen, ursprüngliche Nachbarschaften nunmehr zergliederter Schriften zu erschließen und somit ältere Sammelordnungen zu rekonstruieren.

Sektion III: Transfer – Transformation

CHRISTIAN HEITZMANN (Wolfenbüttel) referierte über den aktuellen Stand der Erschließung und Katalogisierung mittelalterlicher Handschriftenfragmente an der HAB. Anhand eines Wiegendruckes aus den Beständen der HAB veranschaulichte Heitzmann, wie heterogen und wenig systematisiert die Erforschung derartiger Fragmente bis heute noch sei. Neben einer Systematisierung der Makulatur-Erschließung sprach er sich vor allen Dingen für die Digitalisierung von Handschriften und Drucken aus, um so – gekoppelt an die Entwicklung vereinheitlichter Recherchemöglichkeiten und an das Potenzial des crowd sourcing – den Zugriff auf und die Untersuchung von bislang unbekannten Fragmenten zu ermöglichen.

Der Beitrag „Das Buch als Versteck“ von Christine Haug (München) entfiel.

In ihrem vorgezogenen Vortrag besprach SUSANNA BROGI (Marbach) am Beispiel der Bibliothek des Kritikers Kurt Pinthus (1886–1975) verschiedene Transformationsprozesse und damit den Charakter und die jeweilige Funktionsweise der Sammlung. Ebenso nahm sie das enge Wechselverhältnis von Sammler- und Bibliotheksbiographie in den Blick. Als prägnante Zäsur für beide gelte etwa das Jahr der Machtergreifung der Nationalsozialisten: Mit der bewussten Zusammenstellung indizierter Werke sei die Bibliothek zu einem Ort des politischen „Widerstands und Sich-Behauptens“ geworden. In ihrer inhaltlichen Ausrichtung immer stark an Pinthus' jeweilige berufliche Tätigkeit gebunden sei die Sammlung mit ihrem Eingang in das Deutsche Literaturarchiv Marbach heute jedoch nur noch indirekt mit dessen Biographie verbunden.

Mit dem Beitrag von CONSTANZE BAUM (Wolfenbüttel / Hannover) wurde die Transformation des Mediums Buch in das Digitale – den „Hyperraum“ – in den Blick genommen. Baum sprach verschiedene Aspekte an, die die aktuelle Diskussion um und über den derzeit stattfindenden Medienwechsel prägen. So stellte sie etwa dar, dass es sich bei Digitalisaten keineswegs um vormals reale und jetzt entmaterialisierte Bücher handele, die im unendlichen „HyperFluss“ eine ‚unfassbare‘ und unkontrollierbare zweite Existenz führen würden. Entgegen verbreiteter Ansichten vom Verlust der Materialität, und damit sinnlicher Erfahrbarkeit, im Zuge der Digitalisierung, machte sie eine Verschiebung und Veränderung der Materialität in andere Erfahrungsbereiche stark.

Sektion IV: Konjunkturen

PATRIZIA CARMASSI (Wolfenbüttel) referierte zur Bedeutung von „Bücherleben“ in Metaphorik und Paratexten mittelalterlicher und frühneuzeitlicher Bücher aus der Sammlung Marquard Gudes (1635–1689). Vergleichbar dem Befund Messerlis, attestierte auch sie dem Buch einen Doppelstatus als (zugeschrieben) „Lebendiges“ wie auch als „Instrument zur Vermittlung des Lebendigen“. In der Rolle eines Quasi-Subjekts begegne das Medium Buch etwa in der metaphorischen Bestimmung als ganzer oder im Falle seiner Versehrtheit als „arthritischer“ oder „gelbsüchtiger“ Körper, wie Carmassi anhand eines Codex aus dem 14. Jahrhundert aufzeigte. Hierneben könnten in Manuskripten aber auch, vor allem anhand der hinzugefügten, erhaltenen oder entfernten Besitzvermerke und Notizen, agonale Erwerbssituationen sowie Formen der gelehrten Kommunikation und Interaktion erschlossen werden.

ANDREAS LEHNARDT (Mainz) fokussierte sich in seinem Beitrag auf die Rolle von Stillstellung und Gewalt für das Verständnis bio-bibliographischer Konjunkturen. Hierfür stellte er zunächst die klassische Genisa als Ablageort für sakrale, jedoch nicht mehr gebrauchte oder beschädigte Schriften, Textilien und Gegenstände dar. Als Genisa im weiteren Sinn besprach Lehnardt die Verwendung makulierter hebräischer Manuskripte für die Einbandherstellung. Dabei begegne diese Praxis zum einen innerhalb der jüdischen Kultur und ließe sich dort als Bewertungsmarker für Handschriftliches oder Gedrucktes heranziehen. Zum anderen seien entsprechende Materialien – nicht zuletzt als gewaltsam in Pogromen entwendetes Raubgut – durch nichtjüdische Buchbinder erworben und verarbeitet worden. Der besondere Wert der Funde in den Genisot liegt Lehnardt zufolge in der durch sie ermöglichten Rekonstruktion hebräischer Schriften und ihrer Verbreitung.

Das mit dem Titel „Stoffwechsel – Biographien zensierter Bücher“ überschriebene Referat von Stephanie Jacobs (Leipzig) entfiel.

ACHATZ VON MÜLLER (Lüneburg) erörterte das konjunkturelle Moment der Bücherleben im Spiegel der Krise. Als Etappen auf dem Weg zu dieser materiellen wie symbolischen Zwangslage konstatierte er eine Abfolge verschiedener Kategorien, mittels derer der Wert eines Buches definiert und bemessen werde. Auf das Buch als Geheimnis folge seine Wertschätzung als Kunstobjekt, abgelöst vom Status als Textbehältnis und schließlich degeneriert in Form einer entauratisierten Handelsware. Die Herausbildung des letzten Stadiums erschloss er als Konsequenz der Genese des Buchmarktes, weg von einer Adressierung des „öffentlichen Büchermoments“ hin zu einer Unterfütterung des Schwarzmarkts. Analog hierzu stünde die Opferung des Originals im Zuge sich ausbreitender Digitalisierungsmaßnahmen.

Sektion IV: Fetisch – Makulatur

ANNEGRET PELZ (Wien) verband in ihrem Referat – einem Nachtrag zur Sektion „Dutzendware – Unikat“ – auf Grundlage von Roland Barthes' Theorien die Biographien von Büchern sowohl untereinander als auch mit der des/der Lesers/in. Romane, die als Dutzendware klassifiziert werden, würden die Biographie des/der Lesers/in beeinflussen, während jedoch die Biographie des/der Autors/in nur minimal in den Roman übergehe. Alben und Notizbücher hingegen seien durch die Unmittelbarkeit ihrer Entstehung eine Darstellung der jeweiligen Gegenwart des/der Autors/in – seiner/ihrer Biographie – und damit Unikate. Zwischen diesen drei Werkformen könnten wiederum Beziehungen durch ihre Leser/innen oder Autoren/innen hergestellt werden. Diese Interaktion müsse als ein Austausch der Werke bezeichnet werden und führe damit zu einer Entgrenzung sowie Erneuerung von Buchformen und der Beziehungen im Leben der Bücher.

Mit dem Beitrag von ALMUTH CORBACH (Wolfenbüttel) wurde der Schwerpunkt auf die praktische Verwertung der ermittelbaren Buchbiographien gelegt. So sind die im Laufe des Forschungsprojektes „Kupferstichkabinett online“ der Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel entdeckten kodikologischen und kunsttechnologischen Spuren an losen Einzelblättern, zerteilten Buchblöcken und ‚entleibten‘ Einbänden, wie sie sich in der Graphischen Reserve der Graphischen Sammlungen der HAB finden, auf das Beste geeignet, frühere Überlieferungszustände der einstmals gebundenen Werke in Teilen oder gar komplett zu rekonstruieren. Anhand einer vorgestellten Fallstudie machte Corbach außerdem deutlich, dass durch die Verknüpfung mit den digitalen Medien dem Entstehen einer Virtuellen Kunstbibliothek Vorschub geleistet werden würde.

Als einen Fetisch stellte CORNELIA ORTLIEB (Erlangen) Goethes Schreibkalender vor. Nach der Nutzung als Kalender wurde dieser von Goethe als Notizbuch verwendet. Durch seine Einträge zu Erlebtem, die zum Teil als Vorstufe literarischer Werke gesehen werden, sei ein besonderer Wert für Goetheverehrer, die Goetheforschung als auch für die Literaturwissenschaft entstanden. Die Notizen Goethes und ihr Bezug zu seinem Leben und Schaffen hätten diesen Kalender deshalb von einer Makulatur vor der Bindung zu einem Fetisch der Bewunderer Goethes werden lassen.

Inhaltlich anschließend an die Ausführungen von Christian Heitzmann lenkte NICHOLAS PICKWOAD (London) das Augenmerk auf die komplexe und aussagekräftige Beschaffenheit von frühneuzeitlichen und modernen Bucheinbänden als „repositories of a bewildering variety of materials“. Bei vielen von ihnen handele es sich, aufgrund der Wiederverwendung verschiedenster, vorher in einem anderen Gebrauchszusammenhang stehender Materialien, um signifikante Objekte für die Provenienzforschung, die Erforschung der Buchgeschichte(n), des Buchhandels, des Buchgebrauchs und den sich teilweise wechselwirkend bedingenden Biographien von Büchern. Pickwoad verwies zudem auf die konservatorischen und restauratorischen Probleme, mit denen man in der Einbandforschung konfrontiert werde, und sprach sich für ein sorgsames Austarieren zwischen verschiedenen Interessen unter Berücksichtigung der neusten technischen Möglichkeiten aus.

Die Tagung beschloss URSULA RAUTENBERG (Erlangen), die mit ihren Überlegungen auf eine Verortung des Buches zwischen „Medium und Materialität“ zielte und es schließlich als ein „materielles Kommunikationsmedium“ bestimmte. Zentraler Dreh- und Angelpunkt sei dabei das Begehren, welches der/die jeweilige Nutzer/in mit dem Buch verbinde. Dass dieses nicht immer positiv ausgeprägt sein müsse und die Lebensgeschichte eines Buches verschiedene Wechselfälle durchlaufe, bewies sie mit der detaillierten Darstellung der Exemplarbiographie eines Herbarius latinus vom 15. bis zum 21. Jahrhundert, gedruckt 1484 in der Mainzer Offizin Peter Schöffers und heute im Besitz der Universitätsbibliothek Erlangen-Nürnberg.

Die intensiven Sektionsdiskussionen, welche ausgehend von den Einzelbeiträgen immer wieder auf die Grundfragen der „Biographien des Buches“ Bezug nahmen, widmeten sich besonders folgenden Schwerpunkten: der Entstehung, dem Verlauf und sogar dem Ende von Bücherlebensläufen, den interdisziplinären Möglichkeiten ihrer Interpretation sowie der Bedeutung von Digitalisierungsprozessen für Bücher, ihre Biographien und deren Erforschung.

Konferenzübersicht:

Eröffnungsvortrag

William H. Sherman (London): The Social Lives of Books

Sektion I: Dutzendware – Unikat

Petra Feuerstein-Herz (Wolfenbüttel): Vom Exemplar zum Unikat (entfiel)
Hole Rößler (Wolfenbüttel): Vom Exemplar zum Unikat
Armin Schlechter (Speyer): Begehrt oder Ballast? Lebensläufe von Inkunabeln
Carsten Rohde (Weimar): Von der Dutzendware zum auratisierten Sammlungsobjekt. Faust-Volksbücher

Sektion II: Medium – Akteur

Jill Bepler (Wolfenbüttel): Making Books Matter: Dynastic Women and the Composition of Book Objects in Early Modern Germany
Alfred Messerli (Zürich): Das Buch als magisches Objekt
Claudine Moulin (Trier): Sich einschreiben. Spielarten des Vernakularen in mittelalterlichen Codices
Ulrich Johannes Schneider (Leipzig): Das Buch und sein Wurm

Sektion III: Transfer – Transformation

Christian Heitzmann (Wolfenbüttel): Aus alt mach neu. Fragmente mittelalterlicher Handschriften als Einbandmakulatur in den Beständen der Herzog August Bibliothek
Christine Haug (München): Das Buch als Versteck (entfiel)
Susanna Brogi (Marbach): Gelehrtenbibliothek – Seminarapparat – Forschungsdesiderat: Transitstationen und Zuschreibung einer „Exil“-Bibliothek
Constanze Baum (Wolfenbüttel / Hannover): Im HyperFluss. Von Lettern zu Daten

Sektion IV: Konjunkturen

Patrizia Carmassi (Wolfenbüttel): Bücherleben zwischen Produktion und Kollektion. Beispiele aus der Sammlung Marquard Gude
Andreas Lehnardt (Mainz): Genisa – Fundorte jüdischer Buchreste auf Dachböden und in Bucheinbänden
Stephanie Jacobs (Leipzig): Stoffwechsel – Biographien zensierter Bücher (entfiel)
Achatz von Müller (Lüneburg): Buchkonjunkturen. Materialität und Aura der Ware Buch

Sektion V: Fetisch – Makulatur

Annegret Pelz (Wien): Zwischen Dutzendware und Unikat. Zur Dialektik von Buch und Album
Almuth Corbach (Wolfenbüttel): Brüche in der Biographie – eine Spurensicherung
Cornelia Ortlieb (Erlangen): Das Artefakt der Dichtung. „Goethe’s Schreib-Calender 1822“
Nicholas Pickwoad (London): Salvage and Salvation: Bookbindings as Agents of Preservation

Abschlussvortrag

Ursula Rautenberg (Erlangen): Das offene Buch: zwischen Medium und Materialität

Anmerkung:
1 Igor Kopytoff, The Cultural Biography of Things. Comoditization as Process, in: Arjun Appadurai (Hrsg.), The Social Life of Things. Commodities in Cultural Perspective, 11. Aufl. Cambridge 2013 (1. Aufl. 1986), S. 64–91.


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