Drittes Internationales Doktorandenforum Kunstgeschichte des östlichen Europas

Drittes Internationales Doktorandenforum Kunstgeschichte des östlichen Europas

Organisatoren
Michaela Marek; Jan Elantkowski, Institut für Kunst- und Bildgeschichte, Humboldt-Universität zu Berlin
Ort
Berlin
Land
Deutschland
Vom - Bis
29.04.2016 -
Url der Konferenzwebsite
Von
Katja Bernhardt, Institut für Kunst- und Bildgeschichte, Humboldt-Universität zu Berlin

Im Frühjahr 2016 lud die Professur für Kunstgeschichte Osteuropas an der Humboldt-Universität zu Berlin erneut zum Internationalen Doktorandenforum Kunstgeschichte des östlichen Europas ein. Das Forum erfuhr auch in seiner nunmehr dritten Auflage mit circa 60 Teilnehmern und Teilnehmerinnen aus vielen, nicht nur europäischen, Ländern bemerkenswerten Zuspruch. Das zeigte sich auch in den lebhaften, von Neugier im besten Sinne getragenen Debatten, die sich über alle Sprach- und wissenschaftskulturellen Grenzen hinweg bis in die Abendstunden fortsetzten. Wie in den Jahren zuvor hatten, neben den neun Referenten, auch dieses Mal alle Angereisten die Gelegenheit, in einem zweiminütigen Beitrag Thema, Fragestellung und methodischen Zugang ihres Dissertationsprojektes vorzustellen. Die eingesandten Exposés wurden mit Einverständnis der Promovenden auf den Internetseiten des Doktorandenforums veröffentlicht.1

Neben historischen und thematischen Schwerpunkten, wie sie schon beim vorjährigen Forum beobachtet werden konnten,2 zeichneten sich in diesem Jahr einige übergeordnete Fragestellungen ab, die, und zwar über Ländergrenzen hinweg, Tendenzen der Forschung zur Kunstgeschichte des östlichen Europas anzuzeigen scheinen. Diese überschneiden sich mit aktuellen Perspektiven allgemeiner kunstgeschichtlicher Forschung, bilden jedoch mit Blick auf die historischen Eigenheiten der Region Modifikationen und spezifische Problemlagen aus.

Großes Augenmerk liegt auf der Bedingtheit der Entstehung und der Rezeption von Kunst sowie auf deren gesellschaftlicher und politischer Rolle. Das Nachdenken über Konstrukte nationaler Deutungen von Kunst bleibt weiterhin virulent. Allerdings ist ein Perspektivwechsel zu beobachten: Die Auseinandersetzung mit diesem Thema überschreitet die Grenzen des jeweiligen nationalen Diskurses und es werden Fragestellungen formuliert und neues Material erschlossen, mit denen das Ineinandergreifen und die Wechselbezüge verschiedener nationaler, regionaler oder lokaler Wirkungs-, Deutungs- und Identifikationsdimensionen von Kunst und Institutionen der Kunst untersucht werden. In diesem Zusammenhang steigt auch die Aufmerksamkeit für Probleme und Objekte, die – nicht ausschließlich, aber auch nicht zuletzt – im Ergebnis eben jener nationalen Diskurse lange Zeit als Fremdes im eigenen Land wahrgenommen und von der kunsthistorischen Forschung ausgeklammert wurden. Mit diesem Perspektivwechsel eng verbunden ist ein Interesse an der Wanderung von Künstlern, Objekten und Formen, das auf das komplexe Wechselverhältnis von Migration, räumlichem und historischem Kontext und der Semantik künstlerischer Formen gerichtet ist. In diesen auch methodisch reflektierten Zugängen, die Fragen der Kunsthistoriografie mit einschließen, dürfte sich ein Generationswechsel abzeichnen, der zugleich eine erfrischende Gegenbewegung zu den renationalisierten Formen aktueller Geschichtspolitik in Europa bildet.

Der Fokus des Interesses bleibt auf das 19. und 20. Jahrhundert gerichtet. Während für die Zeit bis ca. 1945 das Spektrum der behandelten Gegenstände und der Zugänge breit ist und Themen, die sich nicht in vorherrschende Narrative der Kunstgeschichte einfügen, aufgegriffen werden (bspw. die Kunst in der Zeit nationalsozialistischer Besetzung), findet die Auseinandersetzung mit der Kunst nach 1945 nach wie vor nur punktuell aus der Selbstverbannung in die Gefilde der Neoavantgarden bzw. oppositioneller Kunstformen heraus.

Die vorgestellten Referate spiegelten diese Gewichtungen und Tendenzen wider, gleichwohl hatten sich die Organisatoren des Forums bemüht, mit der Auswahl der Referate der gesamten historischen Breite des Faches gerecht zu werden. So war das Mittelalter mit dem Beitrag „The Painted Fortified Monastic Churches of Moldavia. Bastions of Orthodoxy in a Post-Byzantine World“ von ALICE SULLIVAN (Michigan) vertreten. Das Erkenntnisinteresse der Referentin richtete sich auf die Frage, wie sich in der Erscheinung moldavischer Klosterkirchen aus dem 15. und 16. Jahrhundert der Kontakt und Austausch verschiedener Kulturen in der Grenzregion zwischen der christlichen und der islamischen Hemisphäre niedergeschlagen hat. In bemerkenswerter Weise seien Formen katholischer, orthodoxer, byzantinischer und slawischer, ab dem Beginn des 17. Jahrhunderts auch islamischer Provenienz in der Architektur und bildlichen Ausstattung der Kirchen aufgegriffen und amalgamiert worden. Mit Blick auf diesen Prozess ließen sich, so die Referentin, die scheinbar retrospektiven Formen als Mittel einer historisch-regional spezifischen Modernisierung interpretieren.

Der Beitrag von AGNES KUSLER (Budapest) zu „Emblematic Regulation of Monastic Spaces“ war insofern ähnlich gelagert, als auch hier das Verhältnis von bildlicher Ausstattung, Raum, Funktion und Nutzung mit Blick auf übergeordnete Bezugssysteme diskutiert wurde. Die Referentin untersuchte am Beispiel des Refektoriums des Benediktinerklosters von Pannonhalma und des Refektoriums im Palais des Abtes des Benediktinerklosters in Györ die Übertragung von Emblemen in das ikonografische Programm der Räumlichkeiten. Mit Blick auf die Praxis klösterlichen Lebens lasse sich dieses Phänomen als ein Mittel deuten, mit dem die Mönche auf die Gebote der Ordensregel eingeschworen und der Orden in der praktisch vollzogenen Rezeption der Embleme integriert werden sollte.

KRISTINA JOEKALDA (Tallinn) stellte mit ihrem Beitrag „Balten und ihre Bauten. Local and National in the 19th-Century Baltic Heritage Discourse“ ein Projekt vor, in dem sie untersucht, wie historische Bauten in Estland und Livland als Erbe bestimmt und angeeignet wurden. In diesem Prozess verflocht sich die Suche nach nationaler Identität mit regionalen und lokalen Interessen sowie mit sich etablierenden Formen wissenschaftlicher und außerwissenschaftlicher Auseinandersetzung mit der Geschichte und deren Zeugnissen in der Region. Die zunächst von deutschsprachigen Akteuren vorangetriebenen kulturellen Prozesse verflochten sich zunehmend mit der estnischen Nationalbewegung, die Strategien entwickelte, das als deutschbaltisch deklarierte ‚Erbe‘ in die eigene nationale Narration zu integrieren.

Während Joekalda die, in diesem Falle virtuelle, Zusammenstellung von Bauten und Objekten ausgehend von übergeordneten Bezugssystemen, Ort, Region, Nation, untersucht, fokussierte MILENA WOZNIAK-KOCH (Warszawa) mit ihrem Beitrag „Warsaw Art Collecting in the Years Between 1880 and 1939. In Search of a Method“ die Mikroebene, und zwar jüdische Sammler. Im Anschluss an Überlegungen von Krzysztof Pomian und Mieke Bal entwarf sie ein Projekt, mit dem sie im Sinne einer „materiellen Autobiografie“ eine eng an der Person des Sammlers entwickelte Geschichte der jeweiligen Sammlung zu schreiben beabsichtigt. Dementsprechend stellt sie den Prozess des Sammelns in den Vordergrund und begreift ihn als individuelle wie auch soziale Praxis, mit der sich die jüdischen Sammler in die polnische Gesellschaft zu integrieren bemühten.

Das Zusammenführen von Kunstwerken stand auch im Zentrum des Beitrages „The Reversed Power of the Image. Graphic Art Biennials in Eastern Europe during the Cold War“ von WIKTOR KOMOROWSKI (London), mit dem der Referent die Bedeutung der Bi- bzw. Triennalen der Grafischen Künste in Ljubljana, Krakau und Tallinn diskutierte. Ausgehend von der Feststellung, dass der Druckgrafik in der Hierarchie der Künste im Sozialismus eine nur nachrangige Stellung zugewiesen wurde, formulierte er die These, dass gerade dadurch der Druckgrafik eine spezifische Rolle im Kunstgeschehen zugekommen sei. Aufgrund des oft kollektiven Herstellungsprozesses, ihrer Reproduzierbarkeit und vergleichsweise leichten Zugänglichkeit sei die Druckgrafik ein Medium gewesen, mittels dessen zum einen das Netzwerk der Künstler innerhalb der sozialistischen Länder aufgebaut und gefestigt, zum anderen Impulse aus dem Westen aufgenommen und verbreitet werden konnten.

In vier weiteren Beiträgen wurden Projekte vorgestellt, in denen Architektur und Stadt als Gegenstände und Räume begriffen werden, in und mit denen gesellschaftliche Prozesse gestaltet werden, sich politische Umbrüche und Machtstrukturen manifestieren. Die Zugänge zu diesem breiten Problemfeld waren vielgestaltig; allen Beträgen gemein war jedoch, dass mit dem Gegenstand, den gewählten Quellen und der methodischen Herangehensweise Architektur- und Stadtbaugeschichte eng mit kultur- und sozialgeschichtlichen, aber auch mit medienbezogenen Fragestellungen verklammert wurde. BASAN KUBERLINOV (Elista) etwa stellte mit seinem Beitrag „The Houses of Soviets. Socio-political Changes and Constructivist Architecture“ ein Projekt vor, in dem er eine Bauaufgabe untersucht, der zentrale Bedeutung für die Installation und Durchsetzung sowjetischer Macht zukam. Er begreift dabei die Architektur als ‚social agent‘, mittels dessen die politischen und sozialen Akteure ihre Intentionen artikulierten. Kuberlinov untersucht hierauf gründend die Entwurfs- und Realisierungsprozesse von Häusern für die Sowjets in den peripheren Regionen der Sowjetunion in den 1920er Jahren und deren Verknüpfung mit konstruktivistischen Konzepten.

Auch MICHAL KURZ (Prag) diskutierte in seinem Beitrag „Historische Stadt im sozialistischen Aufbau. Prag und Leipzig zwischen Vision und Wirklichkeit des Stalinismus“ das Verhältnis von Doktrin und Realität. In seinem Projekt fragt er nach den Strategien und Vorgängen der Umgestaltung der historischen Altstädte im Sinne des stalinistisch verstandenen sozialistischen Realismus sowie danach, welchen Transformationen die aus der Sowjetunion übernommene Doktrin unterzogen, welche Rolle dem historischen Raum samt seiner Bauten bei der Umsetzung des Ideals einer sozialistischen Stadt zugeschrieben und wie im Ergebnis dessen ein ‚eigener‘ Raum für die stalinistische ‚Zivilisation‘ (im Anschluss an Henri Lefèbvre) gestaltet wurde.

LEA HORVAT (Hamburg) stellte mit dem Beitrag „Der Plattenbau in Jugoslawien zwischen den 1950er und den 2000er Jahren“ ein Projekt vor, in dem sie sich der sozialistischen Architektur von der diskursiven Seite her annähert. Sie stellte einen Zugang zur Diskussion, mit dessen Hilfe sie den ‚Mythos‘ und den ‚Antimythos‘ des Plattenbaus dekonstruieren will: indem sie das Ineinandergreifen von Fachdiskursen, Popkultur, und der Realität von Wohn- und Lebensstilen nachzuzeichnen sucht. Das Forschungsprojekt Horvats reicht bis in die nachjugoslawische Zeit hinein, in der auch der Beitrag „Authentizität von Orten und Konstruktion von Stadtbildern. Semantische Transformation des Stadtzentrums von Skopje“ von BILJANA STEFANOVSKA (Darmstadt) angesiedelt war. Die Referentin stellte das unter dem Titel „Skopje 2014“ firmierende Großprojekt vor, mit dem die Regierung Mazedoniens – unter massivem Protest aus der Öffentlichkeit – das Zentrum der Hauptstadt mit neuen Bauten und Denkmälern einer tiefgreifenden Umgestaltung unterzieht. Die eklektizistischen Objekte würden, so die Referentin, mit einer Semantik verknüpft, die sich gegen das ‚moderne‘ Skopje richtet, wie es nach Entwürfen von Kenzo Tange nach dem Erdbeben von 1963 entstanden war. Mit „Skopje 2014“ werde demgegenüber ein nationaler Herkunfts- und Identitätsmythos entworfen und stadträumlich installiert, der sich mit der Imagination eines „alten Skopjes“ verbindet.

Es ist sehr erfreulich, dass die Veranstaltung neben dem vom DAAD geförderten Strategienetzwerk CENTRAL an der Humboldt-Universität auch vom Internationalen Büro der Humboldt-Universität zu Berlin großzügige finanzielle Unterstützung erfahren hat. Darüber hinaus wurde das diesjährige Doktorandenforum durch das Polnische Institut Berlin und den Gebr. Mann Verlag gefördert.

Konferenzübersicht:

Michaela Marek: Welcome

Kristina Joekalda (Tallinn): Balten und ihre Bauten: Local and National in the 19th-Century Baltic Heritage Discourse

Milena Wozniak-Koch (Warszawa): Warsaw Art Collecting in the Years between 1880 and 1939. In Search of a Method

Wiktor Komorowski (London): The Reversed Power of the Image: Graphic Art Biennials in Eastern Europe during the Cold War

Kurzvorstellungen

Agnes Kusler (Budapest): Emblematic Regulations of Monastic Spaces. The Decoration of the Refectory of the Pannonhalma Benedictine Archabbey in the Context of 18th-Century Monastic Emblematics

Alice Sullivan (Michigan): The Painted Fortified Monastic Churches of Moldavia: Bastions of Orthodoxy in a Post-Byzantine World

Basan Kuberlinov (Elista): The Houses of Soviets: Socio-political Change and Constructivist Architecture

Lea Horvat (Hamburg): Der Plattenbau in Jugoslawien zwischen den 1950er und den 2000er Jahren

Michal Kurz (Praha): Historische Stadt im sozialistischen Aufbau. Prag und Leipzig zwischen Vision und Wirklichkeit des Stalinismus

Biljana Stefanovska (Darmstadt): Authentizität von Orten und Konstruktion von Stadtbildern: Semantische Transformation des Stadtzentrums von Skopje

Empfang im Polnischen Institut Berlin

Anmerkungen:
1 Vgl. <http://www.kunstgeschichte.hu-berlin.de/institut/lehrstuehle/lehrstuhl-fuer-kunstgeschichte-osteuropas/internationales-doktorandenforum/> (26.08.2016).
2 Katja Bernhardt: [Tagungsbericht zu:] Zweites Doktorandenforum Kunstgeschichte östliches Europa (Berlin, 30.04.2015). In: H-ArtHist, 25.11.2015. (11.07.2016). <http://arthist.net/reviews/11573>. Natalia Anna Olszewska / Orsolya Szender: [Tagungsbericht zu:] Erstes Doktorandenforum Kunstgeschichte östliches Europa (Berlin, 09.05.2014). In: H-Soz-Kult, 10.12.2014, <http://www.hsozkult.de/conferencereport/id/tagungsberichte-5714>. (27.07.2016).


Redaktion
Veröffentlicht am
Klassifikation
Weitere Informationen
Land Veranstaltung
Sprache(n) der Konferenz
Deutsch
Sprache des Berichts