Netzwerke der Diplomatie – Habsburgische Gesandte an der Hohen Pforte

Netzwerke der Diplomatie – Habsburgische Gesandte an der Hohen Pforte

Organisatoren
Universität Szeged; Universität Salzburg
Ort
Szeged
Land
Hungary
Vom - Bis
26.05.2016 - 28.05.2016
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Von
Zsuzsanna Cziráki, Universität Szeged; Elisabeth Lobenwein, Universität Salzburg

Das frühneuzeitliche habsburgische Gesandtschaftswesen in Konstantinopel gehört seit langem zum gemeinsamen wissenschaftlichen Interessenfeld der österreichischen und ungarischen Geschichtsforschung. Bereits seit zwei Jahrhunderten wurden bzw. werden bis heute von HistorikerInnen historisch-kritische Editionen habsburgischer Gesandtschaftsberichte des 16. und 17. Jahrhunderts aus Konstantinopel publiziert. Zurzeit werden die Berichte des ständigen Residenten Alexander von Greiffenklau (1643–1648) an der Universität Salzburg in Österreich unter der Leitung von Arno Strohmeyer, die Berichte des Residenten Simon Reniger (1649–1665) an der Universität Szeged in Ungarn von Sándor Papps Forschungsgruppe bearbeitet. Während der parallel verlaufenden Editionsarbeiten etablierte sich eine wissenschaftliche Kooperation zwischen den beiden Teams, die den Wissensaustausch der breit angelegten Themenfelder der Gesandtschaftsberichte sowie eine weiterführende methodologische Diskussion ermöglicht. Im Rahmen dieser Zusammenarbeit wurde der Workshop „Netzwerke der Diplomatie – Habsburgische Gesandte an der Hohen Pforte“ vom 26. bis zum 28. Mai 2016 in Szeged veranstaltet. Die MitarbeiterInnen bzw. StudentInnen beider Institutionen wurden eingeladen, diplomatische Netzwerke der frühneuzeitlichen kaiserlichen Botschaft in Konstantinopel in Bezug auf ihr engeres Forschungsfeld schwerpunktmäßig zu untersuchen.

Der Workshop wurde mit dem theoretischen Vortrag von LENA OETZEL (Bonn / Salzburg) eingeleitet. Sie betonte, dass die Bedeutung von Netzwerken in der Frühen Neuzeit, gerade auch im Kontext der Diplomatiegeschichte, seit den Studien Wolfgang Reinhards und seiner Schüler außer Zweifel steht. Ebenso floriere seit einiger Zeit das Feld der Historischen Netzwerkforschung, die mit computergestützten Analysen Netzwerke quantitativ und qualitativ zu untersuchen und abzubilden versucht. Der Beitrag ging den methodischen Möglichkeiten und Grenzen der Netzwerkforschung für die Diplomatiegeschichte der Frühen Neuzeit nach, wobei die folgenden Fragestellungen ausführlicher besprochen wurden: Welche Erkenntnisgewinne bringen historische Netzwerke und welche Schwierigkeiten treten bei der Forschungspraxis auf? Welche Anforderungen stellen sich an das Quellenmaterial und wie kann man mit den Begrenzungen durch die jeweilige Überlieferungssituation umgehen? Schließlich wies Oetzel noch auf spezifische Untersuchungsfelder der frühneuzeitlichen Diplomatiegeschichte in Hinblick auf historische Netzwerkforschung hin.

ARNO STROHMEYER (Salzburg) analysierte in einer vergleichenden Fallstudie die Netzwerke des David Ungnad, Freiherr von Sonnegg, der den Kaiser 1572 sowie 1573–1578 an der Hohen Pforte vertrat, und des Hans Graf von Khevenhüller-Frankenburg, der 1574–1606 als kaiserlicher Botschafter in Madrid tätig war. Die Gegenüberstellung der beiden Netzwerke offenbarte grundlegende strategische Gemeinsamkeiten beim Aufbau interpersonaler Beziehungen, zeigte jedoch auch etliche Unterschiede auf, etwa in der Möglichkeit der Instrumentalisierung dynastischer Verbindungen der Casa de Austria beim Zugang zur Hofgesellschaft und zu höfischen Eliten und der Nähe zum Herrscher. Ein fundamentaler Unterschied war außerdem die Integration Khevenhüllers in das Klientelsystem Philipps II. Insgesamt war eine starke kontextuelle Prägung der Netzwerke zu erkennen.

Es folgte der Vortrag von vier Dissertanten – CSABA GÖNCÖL, JÁNOS SZABADOS, GELLÉRT MARTON, GERGELY BRANDL (Szeged) – der sogenannten ,,Szőnyer Forschungsgruppe” an der Universität Szeged. Die Gruppe schilderte ihr aktuelles Forschungsprojekt über die habsburgisch-osmanischen Friedensverhandlungen von Szőny (1627), wobei textkritische Aspekte der einschlägigen osmanisch-türkischen, deutschen, ungarischen und lateinischen Archivmaterialien besonders hervorgehoben wurden. Sie erörterten das bereits bearbeitete Quellenmaterial und richteten die Aufmerksamkeit auf bisher unerschlossene bzw. unbekannte Quellen. Die Forschungsgruppe strebt künftig – in Anlehnung an die bisher durchgeführten Untersuchungen zum Szőnyer Friedensabkommen – die Auseinandersetzung mit weiteren habsburgisch-osmanischen Friedensschlüssen aus dem 17. Jahrhundert an.

Der Vortrag von ELISABETH LOBENWEIN (Salzburg) bezog sich auf einen Projektentwurf, wobei die engen Verflechtungen und Austauschbeziehungen zwischen dem christlichen Europa und der muslimischen Welt aus der Perspektive interkultureller diplomatischer Beziehungen thematisiert werden soll. Als konkreter Forschungsgegenstand wurde die Ausbildung von (Informations)netzwerken des in Konstantinopel residierenden kaiserlichen Botschafters Giovanni Battista Casanova (1665–1672) und der zeitgenössischen englischen, französischen, venezianischen und niederländischen diplomantischen Vertreter gewählt. In der Untersuchung sollen insbesondere mikropolitische Aspekte, vor allem in Bezug auf ein System komplexer Beziehungen zwischen einzelnen Akteuren und die dahinter liegenden Mechanismen von Klientel-Patronage-Beziehungen analysiert werden.

Daran anschließend präsentierte ZSUZSANNA CZIRÁKI (Szeged) ihre Forschungsergebnisse in Bezug auf die Klientel-Patronage-Beziehung zwischen zwei kaiserlichen Residenten in Konstantinopel: Johann Rudolf Schmid zum Schwarzenhorn (1629–1643) und Simon Reniger (1649–1665). Schmid, ab 1643 führender orientalischer Fachexperte am Wiener Hofkriegsrat, hatte sich dafür eingesetzt, dass der unerfahrene Reniger mit dem Amt des Residenten betraut wurde, ferner, dass dieser auf die Herausforderungen in Konstantinopel gut vorbereitet wurde und diesen somit verhältnismäßig schnell gewachsen war. Aufgrund einschlägiger Archivquellen konnte festgestellt werden, dass die alten Vernetzungen Schmids vor allem zum Erfolg Renigers als kaiserlicher Resident während seiner ersten Dienstjahre sowohl in Konstantinopel als auch in Wien beigetragen hatten.

SÁNDOR PAPP (Szeged) fokussierte in seinen Ausführungen auf den osmanischen Bekanntenkreis des kaiserlichen Residenten in Konstantinopel, Simon Reniger, dessen Mitglieder nach verschiedenen Aspekten klassifiziert wurden. Dabei machte Papp auf ein methodologisches Problem aufmerksam: Die mittleren und niederen Schichten der Pfortendiener können lediglich in weit verstreuten ungarischen, österreichischen und türkischen Archivmaterialien nachgewiesen werden und sind interessanterweise in den offiziellen osmanischen Reichsgeschichten kaum zu finden. Am Beispiel von Fallstudien zu verschiedenen Würdenträgern – eines Scheihülislams und eines osmanischen Botschafters in Wien namens Hassan Aga – konnten die Identifizierungsschwierigkeiten osmanischer Persönlichkeiten aufgezeigt werden. Als wichtiges Forschungsresultat konnte ferner festgestellt werden, dass der habsburgische Resident über einen Bekanntenkreis verfügte, der vorrangig aus ungarischen Renegaten an der Hohen Pforte bestand.

Die nächste Referentin, HAJNALKA TÓTH (Szeged) setzte sich mit dem außerordentlichen Austauschprozess von zwei Gefangenen am ungarischen Grenzgebiet auseinander: dem ungarischen Grenzoffizier Ferenc Uki und dem türkischen Gesandten Mustafa Tschaus. Die beiden hatten zwar keine wichtigen Ämter inne, trotzdem verhandelten die Hofburg und die Hohe Pforte knapp zehn Jahre über deren Befreiung und deren gegenseitigen Austausch. Forschungen haben ergeben, dass die Befreiung von Gefangenen eine Art Prestigefrage für beide Höfe gewesen ist. Der Vortrag illustrierte die verzweigten – türkischen, ungarischen und österreichischen – Beziehungsnetzwerke der beiden Gefangenen, die den größten Einfluss auf den Befreiungsprozess hatten.

Der Vortrag von GÁBOR KÁRMÁN (Budapest) zeichnete die wesentlichen Unterschiede zwischen den Netzwerken der osmanischen Tributärstaaten auf, an den Beispielen von Siebenbürgen einerseits sowie Moldau und Wallachei andererseits. Die beiden Letzteren waren viel stärker in das osmanische Herrschaftssystem integriert als das Fürstentum. Ihr diplomatisches Corps bestand nicht nur aus Gesandten aus dem eigenen Land, sondern die Woiwoden haben oft wichtige Persönlichkeiten aus Konstantinopel mit der Vertretung ihrer Interessen bei der Hohen Pforte beauftragt. Hingegen wurde von siebenbürgischer Seite her versucht, die osmanischen Würdenträger durch die Etablierung symbolischer Verwandtschaften sowie durch ungarische Renegaten und Pfortendolmetscher zu beeinflussen. Anhand des Beispiels des ungarischstämmigen Pfortendolmetschers Zülfikar Aga wurde die erwähnte Strategie erläutert.

TAMÁS KRUPPA (Szeged) befasste sich in seinem Beitrag mit dem venezianischen Informationsnetzwerk in Konstantinopel, das durch den Kriegszustand zwischen der Republik Venedig und dem Osmanischen Reich bereits ab dem Ausbruch des Krieges um Kreta beeinflusst wurde. Nach der Abberufung des Gesandten von Venedig wurden dessen Aufgaben dem Sekretär Giovanni Battista Ballarin übertragen. Während des Krieges um Kreta haben die sogenannten „Confidenti“ eine besonders wichtige Rolle gespielt. Das von ihnen aufgebaute Informationsnetzwerk erwies sich als unentbehrlich: Gemeinsam mit ihren Agenten konnten sie sich frei bewegen und heimlich Informationen nach Venedig übermitteln. Die Republik Venedig hatte des Weiteren noch geplant, durch ihren Gesandten in Wien einen neuen Informationsweg über das Fürstentum Siebenbürgen aufzubauen, allerdings konnte dieser Plan nicht verwirklicht werden.

Der Beitrag von ANNA HUEMER (Salzburg) nahm die „offiziellen“ kaiserlichen Geschenksendungen dreier habsburgischer Großbotschaften im 17. Jahrhundert in den Blick, die im Auftrag des Kaisers zur Ratifizierung der Waffenstillstandsverträge von Zsitvatorok (1606), Eisenburg/Vasvár (1664) und Karlowitz (1699) an die Hohe Pforte gesandt wurden. Die diplomatischen Gaben dienten in diesem Kontext primär der Konsolidierung des Friedens. Als „dingliches Beweismaterial“ der Verträge zwischen Kaiser und Sultan waren sie aber auch wichtige Indikatoren der Beziehungslage der beiden Großreiche zueinander sowie wesentlicher Faktor im Prozess der Vermeidung weiterer Konflikte, zumal eine adäquate Gabenauswahl durch die Schenker symbolisch Konzilianz und Freundschaft auf der Empfängerebene vermittelte. Anhand der Analyse der kaiserlichen Geschenklisten wurde eine Rekonstruktion der Empfänger- und Materialhierachie am Hof der Sultane im Kontext jener drei Großbotschaften vorgenommen, die zugleich die Sicht auf ein elaboriertes diplomatisches Netzwerk im „Spiegel der Gaben“ freilegte, an dem nicht nur der Sultan und dessen höchste Würdenträger, sondern viele andere Akteure an der Pforte „beteiligt“ waren.

CHRISTOPH WÜRFLINGER (Salzburg) untersuchte anhand der Berichte von Anton Corfiz Ulfeld, der sich 1740/41 als habsburgischer Großbotschafter in Konstantinopel aufhielt, welche Rolle das Zeremoniell in frühneuzeitlichen diplomatischen Netzwerken spielte. Als Fallbeispiele wurden dabei der Einzug Ulfelds in Konstantinopel, seine Antrittsaudienz beim Großwesir und die Ankunft des russischen Botschafters herausgegriffen. Bei diesen Ereignissen handelte es sich um symbolträchtige Höhepunkte des diplomatischen Lebens in Konstantinopel, deren Abläufe langwierigen Aushandlungsprozessen unterlagen. Für diese Verhandlungen waren gute Kontakte zu den osmanischen Würdenträgern unverzichtbar. Das Zeremoniell kann somit als bedeutender Faktor in diplomatischen Netzwerken gesehen werden.

Die Vorträge machten wichtige Merkmale der (Informations)netzwerke in und um die frühmoderne habsburgische Vertretung in Konstantinopel greifbar. Zusammenfassend konnte festgestellt werden, dass die verschiedenen Netzwerksysteme und Klientel-Patronage-Verbindungen der Akteure sich sehr häufig überschnitten und das Wirkungsfeld der konstantinopolitanischen Diplomatie grundsätzlich beeinflussten. Es wurden auch die wichtigsten Schlüsselfiguren in Konstantinopel, Wien, Venedig und Madrid in den behandelten Epochen identifiziert, die den Informationsfluss und die daraus resultierenden politischen Handlungen wesentlich beeinflussten. Aus den Fallstudien ging aber nicht nur die Bedeutung der multilateralen Verbindungen verschiedener Akteure und die Mechanik frühmoderner Vernetzungen deutlich hervor. Es wurden auch traditionelle Problemfelder der Forschung – die Rolle der Geschenke im Botschaftswesen, zeremonielle Symbolik der Gesandtschaften, Konflikte und Gefangene an der Militärgrenze, Integrationsebenen der Tributärstaaten im diplomatischen Kontext des Osmanischen Reichs – durch praxeologisch gerichtete, situative Analysen behandelt.

Der Workshop zeigte klar die Gemeinsamkeiten der diplomatiegeschichtlichen Untersuchungen beider Teams: die Beiträge griffen auf profunde Archivforschungen zurück, wobei die Bedeutung der einschlägigen Archivmaterialien – aus österreichischen, ungarischen, venezianischen und türkischen Archiven – als primäre Forschungsbasis akzentuiert wurde. Die quellenorientierten Ansätze der ReferentInnen wurden durch weiterführende theoretische Fragestellungen und methodologische Problemfelder im Bereich der Archivforschung ergänzt.

Konferenzübersicht:

LENA OETZEL (Bonn / Salzburg), Vernetzung als Kategorie der Diplomatiegeschichte der Frühen Neuzeit

ARNO STROHMEYER (Salzburg), Die Vernetzung habsburgischer Diplomaten in Konstantinopel und Madrid im Vergleich (zweite Hälfte 16. Jahrhundert)

JÁNOS SZABADOS – GERGELY BRANDL – CSABA GÖNCÖL – GELLÉRT ERNŐ MARTON (Szeged), Friedensverhandlungen zwischen Osmanen und Habsburgern. Der Friedensvertrag von Szőny aus textkritischer Perspektive

ELISABETH LOBENWEIN (Salzburg), Diplomatische Netzwerke in Konstantinopel in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts

ZSUZSANNA CZIRÁKI (Szeged), Überlappungen im Verbindungsnetz von Johann Rudolf Schmid und Simon Reniger

SÁNDOR PAPP (Szeged), Türkische Funktionäre im Informationsnetz Simon Renigers (1649–1665)

HAJNALKA TÓTH (Szeged), Formale und informale Netzwerke an der ungarischen Militärgrenze angesichts der Berichte von Simon Reniger

GÁBOR KÁRMÁN (Budapest), Netzwerke am nordöstlichen Rand des Osmanischen Reichs (Moldau, Walachei, Polen) in der Mitte des 17. Jahrhunderts

TAMÁS KRUPPA (Szeged), Informationsnetzwerke Venedigs an der Hohen Pforte zur Zeit Simon Reningers

ANNA HUEMER (Salzburg), Geschenke als Praxis der Vernetzung habsburgischer Diplomaten in Konstantinopel (17./18. Jahrhundert)

CHRISTOPH WÜRFLINGER (Salzburg), Vernetzung und Zeremoniell: Die Großbotschaft des Anton Corfiz Graf Ulfeldt an die Hohe Pforte (1740)


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