Domestic Life and how Museums present it

Domestic Life and how Museums present it

Organisatoren
SNF-Sinergia-Projekt „Doing House and Family. Material Culture, Social Space, and Knowledge in Transition (1700-1850)"
Ort
Bern
Land
Deutschland
Vom - Bis
08.09.2016 - 09.09.2016
Url der Konferenzwebsite
Von
Corina Liebi, Universität Bern; Lena-Sophie Margelisch, Universität Bern

Am 08. und 09. September 2016 fand an der Universität Bern und im Freilichtmuseum Ballenberg die vom SNF-Sinergia-Projekt „Doing House and Family. Material Culture, Social Space, and Knowledge in Transition (1700-1850)” initiierte Tagung „Domestic Life and how Museums present it” statt. Die Tagung wurde vollumfänglich vom Schweizerischen Nationalfonds als „International Exploratory Workshop“ finanziert. Im Fokus der zweitägigen Veranstaltung standen museale Rekonstruktionen von Lebens- und Wohnwelten und Fragen nach deren Selektivität, Methodik und Authentizität, wobei gezielt der interdisziplinäre Austausch zwischen HistorikerInnen und MuseumswisschenschaftlerInnen bzw. –-praktikerInnen gefördert werden sollte.

JOACHIM EIBACH (Bern) stellte in seinem einleitenden Vortrag „Domestic Life as Social Sphere and Material Culture“ das breite Forschungsfeld um den Themenkomplex häuslicher Wohnwelten in ihren verschiedenen sozialen und kulturellen Ausprägungen in den Vordergrund. Angelehnt an Pierre Bourdieu zeigte Eibach durch gezielte Beispiele auf, dass Häuser ein zentrales Repräsentationsmittel darstellen. Die Materialität der Häuser spiegelt sowohl den individuellen Charakter und den Lebensstil der BewohnerInnen als auch zeitgenössische kulturelle Strömungen und Ideale. Eibach unterstrich damit die kulturhistorische Relevanz der mikrohistorisch fassbaren häuslichen Sphären in Bezug auf weiterführende soziokulturelle Fragen der Geschichtsschreibung. Museen, welche sich die Wiederherstellung repräsentativer Wohn- und Lebenswelten zur Aufgabe machen, haben für Eibach dabei einen besonderen Stellenwert, da sie durch die Zusammenführung verschiedener sensueller Wahrnehmungsempfindungen erst die gesamte Wirkungsmacht eines Raumes zu entfalten vermögen. In den verschiedenen Arbeitsfeldern und -techniken der Museologie und der Kulturgeschichte ergäbe sich laut Eibach eine Schnittmenge methodologischer Fragen, die den Leitfragen der Tagung entsprechen würden: Wie können vergangene Lebenswelten und materielle Kultur möglichst authentisch rekonstruiert werden? Welche Quellen und Methoden sollen dabei in Betracht gezogen werden und wie selektioniert man diese? Welche Aspekte des häuslichen Lebens werden genau beleuchtet und inwiefern verändert die Auswahl die jeweilige Gesamtinterpretation? Welche Rekonstruktionstechniken und Repräsentationsformen werden genutzt?

Ein zweiter einleitender Teil der Tagung bestand aus der Vorstellung zweier laufender Dissertationen des Sinergia-Projekts. Sie sollten das von Eibach skizzierte breite Beschäftigungsfeld des Projektes demonstrieren und die übergreifenden Fragekomplexe der Tagung aus geschichtswissenschaftlicher Sicht am konkreten Beispiel darstellen. ANNE SCHILLIG (Luzern) erläuterte, wie sie in ihrem Projekt „Rural Housing in Switzerland: Material Culture and Domestic Relations“ anhand der investigativen Vergleichsanalyse von vierzig Schweizer Bauernhäusern den Möglichkeiten einer Untersuchung häuslicher Lebenswelten während der Übergangszeit zwischen frühmoderner und moderner Gesellschaft im 18. und 19. Jahrhundert nachgeht. Dabei ging es um die Betrachtung der Bauernhäuser als solche und um die Untersuchung der materiellen Kultur innerhalb der Häuser.

Im Anschluss zeigte ERIC HÄUSLER (Bern) in seinem Vortrag „Bankruptcy as Historiographical Windfall: Examples of Domestic Life in Bern“ exemplarisch am Fall des Berner Mediziners Johann Georg Albrecht Höpfner auf, wie er in seinem Dissertationsprojekt anhand einer quantitativen und qualitativen Auswertung von „Geltstagsrödeln“ (Bankrott-Inventare) zwischen 1760 und 1892 in der Stadt Bern Fragen der Gestaltung und Neugestaltung von häuslichen Mikrosphären nachgeht. Ausgehend vom Ereignis des Bankrotts ging Häusler auf die sozialen und familiären Netzwerke des „Vergeltstagers“ ein.

HELEN BIERI THOMSON (Waadt) stellte in ihrem Beitrag „Noblesse oblige! An Attempt to present Life at a Château in the Eighteenth Century“, das Château de Prangins vor, welches sie als Geschäftsführerin leitet. Im Fokus stand dabei, wie anhand der kunsthistorischen Analyse von disponiblen baulichen Raumstrukturen und schriftlichen Quellen, in Form des Tagebuchs des ehemaligen Besitzers Baron Louis Guiguer und dessen Nachlassinventar, die Räumlichkeiten des Schlosses mit ihren ursprünglichen Funktionen am Ende des Ancien Régime rekonstruiert werden konnten. Laut Bieri Thomson werde im Château de Prangins auf eine authentische Rekonstruktion der Räume, nicht zuletzt aufgrund des teilweise erheblichen Interpretationsspielraums der vorliegenden Quellen sowie der Beschränkung der Dauerausstellung auf einzelne Räume des Schlosses, verzichtet. Durch die Ausstattung der Räume mit zeitgenössischen Objekten, welche mit den in den Quellen erwähnten vergleichbar sind, versucht das Museum, die einstige Raumfunktion und Raumgestaltung zu imitieren. Damit sollen insbesondere die kulturellen und sozialen Praktiken des aristokratischen Umfelds der damaligen Zeit aufgezeigt werden, die sich in der räumlichen Gestaltungsdichotomie zwischen öffentlichen Empfangsräumen und privaten Rückzugsorten zeigen.

DAVID BAGNALL (Chigaco), Kurator und Director of Interpretation des Frank Lloyd Wright Trust, präsentierte in seinem Beitrag „From Origin to Icon: Curating Frank Lloyd Wright’s Early Interiors“ das architektonische Vermächtnis des amerikanischen Architekten Frank Lloyd Wright, das in Form eines Museums von Wrights „Home and Studio“ der Öffentlichkeit zugänglich gemacht wurde. Im vorliegenden Museumskonzept wolle man laut Bagnall nicht die tatsächliche Lebenswelt der darin lebenden Bewohner rekonstruieren, sondern vielmehr die ästhetischen Wohnkonzepte und architektonischen Ideale Frank Lloyd Wrights präsentieren. Mit dem Ziel, in erster Linie das Gebäude an sich als Gesamtkunstwerk zu betrachten, in dem Wright in Kombination von Design und Technologie einen eigenen amerikanischen Stil zu entwerfen versuchte, wurde die Innenausstattung bewusst auf das Minimum reduziert. Authentizität wird nach Bagnall nicht durch die Rekonstruktion einzelner Raumfunktionen und deren Möblierung geschaffen, was den Fokus auf die Lebensweise der darin wohnenden Akteure gelenkt hätte, sondern durch die Ästhetik der architektonischen Gesamtkonzeption.

Ein völlig anderes Museumskonzept präsentierte MIRIAM BADER (New York City) in ihrem Beitrag „The Tenement Museum: Homes, Families, and the Power of Personal Stories“. Sie schilderte in ihrer Funktion als Bildungsdirektorin des Museums, wie die authentischen Rekonstruktionen von persönlichen Geschichten und Lebenswelten dazu genutzt werden würden, normative und Empathie stiftende Leitintentionen des Museums zu unterstützen. Ziel des Museums sei es, die Geschichte der amerikanischen Immigrationsgesellschaft am Beispiel der BewohnerInnen der Tenement-Wohnungen, welche zumeist neu angekommene ImmigrantInnen waren, aufzuzeigen und zu bewahren. Einerseits soll laut Bader den Museumsbesuchern durch die Darstellung persönlicher Erfahrungen der Tenement-Bewohner in einem sozialen und kulturell diversen Umfeld Empathie für die individuellen Migrationsschicksale vermittelt werden, anderseits soll auch auf die profunde Rolle von Immigration für die Bildung amerikanischer Identität bis in die Gegenwart aufmerksam gemacht werden. Einen speziellen Fokus setzen die Museumsbetreiber auf die Schaffung von mikrohistorischen Sphären in Form von szenischen Momentaufnahmen, in denen tägliche soziale Herausforderungen wie auch kulturelle Gepflogenheiten der jeweiligen Familien dargestellt werden. Die Wohnungsszenerien sollen laut Bader gezielt das Sinnieren über individuelle Vorstellungen von Häuslichkeit anregen und zugleich zur Interaktion und zum Erfahrungsaustausch mit anderen Besuchern führen.

Ähnlich wie Miriam Bader widmete sich KEITH ROBINSON (Birmingham) in seinem Beitrag „The Back to Backs – why relevance
and authenticity matter“ als Vertreter des vom britischen National Trust finanzierten Birmingham Back to Backs-Museums der Frage, wie didaktische, emotionale und normative Intentionen mit historischer Authentizität innerhalb des Back to Backs-Museums verbunden werden können. Als einzig noch in England erhaltene sogenannte Back to Back-Häuser mit gemeinsamem Innenhof wurde der Wohnkomplex der darin lebenden working class im Jahr 2001 als historisch wertvolles Kulturgut dem National Trust unterstellt. Die Häuser sind als chronologisch geordnete Themenkomplexe vier Familien aus unterschiedlichen Dekaden gewidmet, die als repräsentative Exempel nicht nur den historischen Kontext Birminghams, sondern auch relevante Aspekte sozialer Schichtenzugehörigkeit widerspiegeln. Ziel der Gestaltung sei sowohl die anschauliche und historisch möglichst realitätsnahe Darstellung der Gebäude und ihrer Bewohner während den unterschiedlichen Wohnphasen als auch die Evokation von Empathie und emotionaler Gebundenheit an die eigene Geschichte in Form kollektiver Identität. Obwohl versucht wurde, eine möglichst authentische Rekonstruktion der Einrichtung zu gewährleisten, betonte Robinson, dass gerade die normativen Intentionen gegenüber dem Zielpublikum durchaus höher priorisiert seien. Die museale Aufarbeitung der historischen Realität könne so lediglich einen Kompromiss darstellen.

Die Museumskuratorin EMMA HARDY (London) stellte in ihrem Beitrag „The Geffrye Museum, London: from English Interiors to Museum of the Home“ ein ehemaliges Armenhaus aus dem 18. Jahrhundert vor, das seit 1914 als Museum dient. Die Ausstellung besteht aus sogenannten period rooms, in denen jeweils ein spezifisches Wohnzimmerinterieur – in erster Linie aus der middle class – vorgestellt wird. Die präsentierten Einrichtungen stammen aus verschiedenen Epochen ab dem Ende des 17. Jahrhunderts bis in die 90er-Jahre des 20. Jahrhunderts, und erlauben damit eine Sichtbarmachung der Progression verschiedener Stiltendenzen und Wohnvorstellungen. Hardy betonte, dass die Einrichtung der verschiedenen Räumlichkeiten nicht auf der Rekonstruktion real bestehender und tatsächlich bewohnter Häuser basiere, sondern lediglich Einblicke in verallgemeinerte Vorstellungen von Wohnkulturen aus unterschiedlichen Zeiten geben solle. Dezidiert zeigte Hardy dabei ein kunsthistorisches Interesse, indem sie während ihrer Präsentation ihr Augenmerk primär auf die Darstellung sichtbarer Veränderung des Möblierungsstils legte. Als Grundlage für die Ausstattung der Innenräume dienten in erster Linie Inventarlisten unterschiedlicher Mittelklassebauten, wobei diese jedoch vermehrt kostbare Objekte anstatt Alltagsgegenstände aufgelistet hätten. Neben der Tatsache, dass die Räumlichkeiten in der Form, wie sie heute präsentiert werden, gar nicht existiert haben, zwingen die lückenhaften Inventarlisten zu einer äußerst fiktiven Raumgestaltung, was die Authentizität der Räume deutlich schmälert. Zukünftiges Ziel des Museums ist es laut Hardy, mit einer mehr sozialhistorischen Perspektive die Gestaltung der Ausstellungsräume zu organisieren und damit den Blick für mikrohistorische Wohnsphären zu schärfen.

Der zweite große Block der Tagung bestand im Besuch und der Vorstellung des Schweizer Freilichtmuseums Ballenberg. BEATRICE TOBLER (Ballenberg) bot in ihrem einleitenden Beitrag „Introduction to the History and Concept of the Open-Air Museum“ einen Überblick über die Geschichte und das Konzept des Freilichtmuseums. Erste Ideen zur Schaffung eines Freilichtmuseums in der Schweiz wurden durch die Bemühungen der „Aktion Bauernhausforschung“ Anfang der 1950er-Jahre lanciert. Nach einer staatlichen Prüfung des Vorhabens durch eine bundesrätliche Expertenkommission und der Gründung einer für die Finanzen aufkommenden Stiftung wurde das Freilichtmuseum mit zunächst sechzehn Bauernhäusern eröffnet. Alle Häuser wurden zu diesem Zweck an ihrem originalen alten Standort abgebaut und im Freilichtmuseum Ballenberg akribisch wiederaufgebaut. Der rege und zügig stattfindende Ab- und Aufbau der Bauernhäuser führte dazu, dass heute über 100 Gebäude aus der gesamten Schweiz auf dem Gelände stehen. Bis in die 1990er-Jahre wurde laut Tobler der Ansatz verfolgt, vor allem architektonische Diversität, und damit gekoppelt regionale Typologien der Schweiz, darzustellen. Dies hätte jedoch dazu geführt, dass innerhalb der einzelnen Häuser keine detailgetreuen Rekonstruktionen des ehemaligen Interieurs stattfand, sondern dass die Gebäude epochenübergreifend, vor allem mit regional typischen Gegenständen, ausgestattet worden wären. Diese aus heutiger Sicht fragwürdige Methode schließt Authentizität im Sinne einer genauen Rekonstruktion der häuslichen Lebenswelten der einzelnen Gebäude aus. Um diesem Defizit entgegenzuwirken, gestalteten die Verantwortlichen am Anfang des 21. Jahrhundert das Konzept soweit neu, dass man sich vom Fokus auf architektonische Merkmale der Regionen löste und vermehrt rurale Kultur und alltägliche Praktiken in den Mittelpunkt des Freilichtmuseums stellte. Durch die Einführung der Schwerpunkte „Ländliche Nutztierhaltung“ und „Agrarische Kleinproduktion“ sowie eine Vielzahl neuer Ausstellungen, in denen ländliche Ökonomiezweige und Handwerksberufe thematisiert werden, versucht das Museum, sowohl die ökonomische als auch die soziale Alltagspraxis Schweizer Bauernbetriebe als weitgehend autarkes System möglichst authentisch darzustellen. Im Anschluss an die Einführung von Beatrice Tobler fand unter der Leitung von BENNO FURRER (Ballenberg), Projektleiter der Schweizerischen Bauernhausforschung, eine Führung durch das Freilichtmuseum statt.

Als Fazit der Tagung kristallisiert sich heraus, dass den beteiligten Museen trotz dezidiert wissenschaftlicher und historisch affiner Methodik eine authentische Rekonstruktion vergangener Wohnwelten nur begrenzt gelingt. Teilweise wird dies aus guten Gründen auch gar nicht angestrebt. Dies liegt einerseits an dem durchwegs schwierigen Zu- und Umgang mit vorhandenem Quellenmaterial und zeitgenössischen Objekten, anderseits an dem mehr oder weniger ausgeprägten Wunsch der Museen, die sich weiterhin als normativ wirkende Lehrinstitution verstehen, spezifische Botschaften zu vermitteln, was dazu zwingt, historisch offene Fragen und Lücken mit Fiktion zu füllen. Helen Bieri Thomson äusserte sich diesbezüglich passend: „We used contemporary aesthetics to give an impression how it may have looked like“. Gleichwohl ist es sehr bemerkenswert, mit welcher Detailliebe versucht wird, in heutiger Zeit durchaus befremdlich wirkende Wohnkulturen vergangener Epochen einem breiten Publikum zugänglich zu machen, um damit das Nachdenken über materielle Lebenswelten und deren Historizität anzuregen. Schlussendlich nämlich gilt, so fasste dies Joachim Eibach treffend zusammen: „Research doesn’t need just critical questions, it needs also fascination“.

Konferenzübersicht:

Joachim Eibach (Bern), Introduction: „Domestic Life as Social Sphere and Material Culture‘

Anne Schillig (Luzern), Rural Housing in Switzerland: Material Culture and Domestic Relations

Eric Häusler (Bern), Bankruptcy as Historiographical Windfall: Examples of Domestic Life in Bern

Helen Bieri Thomson (Château de Prangins), Noblesse oblige! An Attempt to present Life at a Château in the Eighteenth Century

David Bagnall (Chicago), From Origin to Icon Curating Frank Lloyd Wright’s Early Interiors

Miriam Bader (New York), The Tenement Museum: Homes, Families, and the Power of Personal Stories

Keith Robinson (Birmingham), The Back to Backs – why relevance and authenticity matter

Emma Hardy (London), The Geffrye Museum, London: from „English Interiors” to „Museum of the Home”

Beatrice Tobler (Ballenberg), Introduction to the History and Concept of the Swiss Open-Air Museum Ballenberg

Benno Furrer (Ballenberg), Guided Tour through the Open-Air Museum