Herrschaft über fremde Völker und Reiche. Formen, Ziele und Probleme der Eroberungspolitik im Mittelalter

Herrschaft über fremde Völker und Reiche. Formen, Ziele und Probleme der Eroberungspolitik im Mittelalter

Organisatoren
Konstanzer Arbeitskreis für mittelalterliche Geschichte e. V
Ort
Reichenau
Land
Deutschland
Vom - Bis
04.10.2016 - 06.10.2016
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Von
Sandra Venzke / Lars Wolfram, Historisches Institut, Universität Paderborn

Die Eroberungspolitik, sofern auf die Herrschaft über fremde Völker und Reiche ausgerichtet, stand im Zentrum der jüngsten Herbsttagung des Konstanzer Arbeitskreises für mittelalterliche Geschichte. In der Einführung wies HERMANN KAMP (Paderborn) zunächst darauf hin, dass in der allgemeinen Wahrnehmung das Mittelalter im Unterschied zu Antike und Neuzeit nicht als ein Zeitalter der Eroberung erscheint und in der Tat militärische und ökonomische Ressourcen Eroberungen damals nicht begünstigten und diese nur selten grundlegende Veränderungen für die breite Bevölkerung nach sich zogen. Auf der anderen Seite sei es jedoch immer wieder zu Eroberungen mit nachhaltigen Wirkungen gekommen, so dass eine systematische, vergleichende Betrachtung und Analyse sinnvoll erscheine, die übergreifend Motive, Ziele und soziale Träger von Eroberungen, deren Rechtfertigungen, den Umgang mit den Eroberten, aber auch den Widerstand gegen die Eroberer herausstelle. Dies sollte einerseits durch den Vergleich zwischen verschiedenen Eroberern und andererseits durch die Behandlung grundlegender Aspekte der Eroberungspolitik im Längsschnitt geschehen.

Zur zweiten Kategorie gehörte der Vortrag von CHRISTIANE WITTHÖFT (Erlangen), die sich mit der Darstellung Alexanders des Großen als Eroberer in der mittelhochdeutschen Literatur beschäftigte, und dabei den Bogen vom frühhöfischen ‚Straßburger Alexander‘, über die Alexanderromane Rudolfs von Ems und Ulrichs von Etzenbach bis zum ‚Alexander‘ Johann Hartliebs spannte. Sie unterstrich dabei die Bedeutung, die die kognitiven Fähigkeiten, vor allem die Willenskraft Alexanders, bei der Rechtfertigung seiner Eroberungen besaßen. Generell changierten, wie sie aufzuzeigen verstand, die Bewertungen Alexanders in den untersuchten Texten zwischen zwei Polen, dem eines heilsgeschichtlich legitimierten Welteroberers, der die höfischen Tugenden verkörpert, und dem eines maßlosen, von Hochmut getriebenen Tyrannen. Dabei erscheint in den frühen Texten die Bewertung weniger eindeutig als in den späteren Adaptionen, in denen dann auch der Eroberungswille entweder mit dem Willen aller gleichgesetzt oder umgekehrt von der Vernunft in die Schranken verwiesen wird.

Mit zwei Eroberern der Übergangszeit zwischen Antike und Frühmittelalter setzte sich dann VERENA EPP (Marburg) auseinander und fragte nach den Gemeinsamkeiten und Unterschieden zwischen Theoderich und Chlodwig. Beide handelten ihr zufolge im Rahmen eines römischen Bürgerkrieges und agierten als Eroberer primär aus wirtschaftlichen Motiven, da sie den Unterhalt ihrer Gefolgsleute dauerhaft sichern wollten. Dabei strebten sie zusehends auch nach unabhängigen Siedlungsgebieten und Landeigentum. In beiden Fällen schien die Eroberung durch die Sogwirkung wirtschaftlich und kulturell weiter entwickelter Gebiete motiviert gewesen zu sein. Besonders betonte Verena Epp den Stellenwert der inneren Eroberung, durch die die gewonnene Macht konsolidiert und legitimiert wurde. Im Falle Chlodwigs und der Franken geschah dies über ein allmähliches Einsickern in die römischen Heeres- und Verwaltungsstrukturen. Unter Theoderich hingegen entwickelte sich zunächst eine separate Koexistenz zwischen den gotischen Siedlern und der ursprünglichen Bevölkerung. Zudem bediente sich der Gote der alten römischen Verwaltungsinstanzen, um seinen Einfluss zu vergrößern. Letztlich passte er seine Form der Herrschaft stärker den Gegebenheiten an, während Chlodwig neue Normen und Werte einführte und eine Elite aus Franken und Romanen schuf. In jedem Fall stießen beide nur auf wenig Widerstand.

Einen weiteren Vergleich zweier Eroberer nahm RUDOLF SCHIEFFER (Bonn) vor, der Karl den Großen und Otto den Großen gegenüberstellte. Er hielt für beide fest, dass sie ihre direkten Vorgänger mit ihren Eroberungen übertreffen wollten und somit qualitativ neue Ziele suchten. So wandte sich Karl den Sachsen zu und wollte sich nicht mit Tributzahlungen begnügen. Otto hingegen zog gegen die Elbslawen, die er in die christliche Welt einbeziehen wollte, was kaum gewaltfrei gelingen konnte. Während Karl wiederholt als die treibende Kraft bei seinen Eroberungen erscheint, spielten, so Schieffer, bei Ottos I. Zügen gegen die Slawen die sächsischen Fürsten die aktivere Rolle. Der Widerstand gegen die Eroberungen bei Karl wie bei Otto rührte vor allem aus den jeweiligen Christianisierungsbestrebungen. Beide Eroberer etablierten in gewisser Weise eine Herrschaft über fremde Völker, aber in unterschiedlicher Ausprägung. Wurden die Sachsen letztlich ins multiethnische karolingische Großreich integriert, so beabsichtigten Otto und die sächsische Führungsschicht dies offenbar zu keinem Zeitpunkt bei den Elbslawen.

Der Rechtshistoriker BERND KANNOWSKI (Bayreuth) übernahm die Aufgabe, nach der Bedeutung des Erobererrechts im Mittelalter zu fragen. Er näherte sich dem Thema, indem er vier zentrale über das Mittelalter verteilte Geschichten bzw. Texte auf ihre Aussagen über das Recht des Eroberers befragte: Zuerst zur Sprache kam dabei die von Gregor von Tours geschilderte Episode von Chlodwig und dem erbeuteten Krug, in der in Abkehr von einem bis dato praktizierten Kollektivverteilungsverfahren dem Anführer eine privilegierte Stellung bei der Beuteverteilung zugeschrieben wird. In einem zweiten Schritt befasste sich Kannowski mit den normannischen Vorstellungen vom Erobererrecht und zeigte, wie sich Wilhelm der Eroberer mehrerer einander überlagernden Legitimationsstrategien bediente und damit auch eine Unsicherheit in Bezug auf sein Recht als Eroberer zum Ausdruck brachte. Die Goldene Bulle von Rimini Kaiser Friedrichs II. wiederum stellte, so Kannowski, einen rechtlichen Vorgriff auf ein durch den Deutschen Orden noch zu eroberndes Gebiet dar und schuf damit einen legitimen Erwerbstitel für die Eroberung, dem Vorstellungen des kanonischen Rechtes zugrunde lagen, wonach dem Kriegsherrn auch das Beutegut zustand. Zuletzt behandelte der Rechtshistoriker den „Tractatus de insula“ des Bartolo von Saxoferrato, in dem darauf abgehoben wird, dass im Falle neu entstehender bewohnter Inseln die Erlaubnis eines superiors zur Eroberung notwendig ist, womit lehnsrechtliche Vorstellungen in das Erobererrecht einzogen.

War zuvor der Fokus der Beiträge stark auf die Eroberer gerichtet, so nahm LIOBA GEIS (Köln) mit den Klöstern und Städten Süditaliens zur Zeit der normannischen Eroberung nun die Eroberten in den Blick. Sie fragte danach, welche Handlungsspielräume sich den Klöstern und Städten angesichts des normannischen Vordringens boten, wie sie sich auf die neuen Herren einstellten und gegebenenfalls Widerstand leisteten. Dabei bedeutete die Eroberung für die Klöster keine tiefergehenden Einschnitte. Sie wurden von den Normannen systematisch gefördert und erkannten die neuen Herrscher an, durch die sie sich Erfolg bei der Sicherung des Klosterbesitzes erhofften. Auch den Städten widerfuhren, so Geis, keine substantiellen Einschränkungen. Allerdings reagierten sie auf das normannische Vordringen ganz unterschiedlich, indem sie Zahlungen an die Eroberer leisteten, sich mit den Normannen gegen den langobardischen Adel verbündeten oder aber bei diesem Schutz gegen die neuen Herren suchten. Auch die Städte nutzten die Gelegenheit der zunächst instabilen politischen Situation, um eigene Interessen zu verfolgen. Sowohl für die Klöster als auch für die Städte lässt sich vor allem von einem hohen Maß an Kontinuität sprechen. Durch diese Perspektive wurde die Vorstellung einer zielgerichteten Eroberungspolitik in Frage gestellt und ein erweiterter Eroberungsbegriff eingefordert.

JÖRG ROGGE (Mainz) stellte die Frage ins Zentrum seines Vortrags, inwiefern Heinrich II. und Eduard I. von England tatsächlich eine Eroberungspolitik praktiziert hätten. Als Kriterium diente ihm zum einen die englische Wahrnehmung der Nachbarvölker, der Schotten, Waliser und Iren. Da sie in den zeitgenössischen Quellen als unkultiviert und barbarisch dargestellt wurden, konnte ihre Fremdheit dann auch als Legitimation für die englischen Eroberungsbemühungen dienen. Zum anderen nahm Jörg Rogge die Herrschaftsform der beiden Könige über die eroberten Gebiete in den Blick und stellte hier deutliche Unterschiede fest. Während Heinrich II. allein die Anerkennung als Oberlehensherr suchte, strebte Eduard I. die direkte Herrschaft und die Integration der walisischen und schottischen Gebiete in sein Reich an. Die Unterworfenen kooperierten in Teilen, leisteten aber auch Widerstand und grenzten sich von den eingewanderten Engländern ab, so dass es letztlich nicht zu einer tiefgreifenden Assimilation kam. Während in Wales und Irland eine dauerhafte Etablierung des englischen Königtums gelang, scheiterte dies in Schottland. Die Eroberungsbemühungen unter beiden Königen trugen insofern durchaus Züge einer Kolonisierung, als die Könige und ihre Barone auf die wirtschaftliche Ausbeutung der landwirtschaftlichen Erträge abzielten. Zugleich kann man auch eine verstärkte ‚Modernisierung’ der randständigen Gesellschaften (Lehen, Rittertum, höfische Kultur) beobachten, wobei Rogge offenließ, ob die Eroberer wirklich daran glaubten oder nur zur Rechtfertigung darauf verwiesen.

Die Unterschiede und Gemeinsamkeiten, aber auch die Interdependenzen zwischen der Eroberung des Heiligen Landes und der Reconquista in Spanien standen im Zentrum des Vortrages von NIKOLAS JASPERT (Heidelberg). Er entwickelte die Theorie, dass der Konnex von Land-Sakralität-Wiedereroberung ein Muster darstellt, das seinen Weg von Spanien nach Palästina nahm. Mit Blick auf die Legitimationsstrategien konstatierte er, dass auf der iberischen Halbinsel die Eroberung im 11. Jahrhundert von der Idee der Rückeroberung, also der Wiederherstellung des einst christlichen Westgotenreiches lebte. Dagegen prägte im Falle Palästinas und Jerusalems der Bezug auf das besitzrechtliche Argument des Erwerbs des Landes durch Christi Blut die Legitimation. Verstärkt wurde das Motiv der Rückeroberung durch eine Sakralisierung des Landes im Rückgriff auf die im Alten Testament geschilderte israelitische Landnahme. Die muslimischen Herrscher wurden dementsprechend nicht nur als unrechtmäßige Besatzer angesehen, sondern in ein Schema der Reinheit und Unreinheit eingeordnet. Auch wenn in der Levante wie auf der iberischen Halbinsel bei den konkreten Auseinandersetzungen pragmatische Überlegungen im Vordergrund standen, es immer auch zu Verhandlungen und zur Zusammenarbeit mit dem Gegner kam, trugen, so Jaspert, die Sakralisierung des Raumes und die damit einhergehende ideologische Überhöhung nicht nur einen wichtigen Teil zur Entwicklung einer christlichen Gewalttheologie bei, sondern ließen in beiden Gebieten den Gedanken der Reconquista wirkmächtig werden.

Mit den dänischen Eroberungen des 12. bis 14. Jahrhunderts setzte sich OLIVER AUGE (Kiel) auseinander und zeigte, dass Waldemar I., Knut VI. und Waldemar II. mit ihren Zügen im Ostseeraum kein homogenes Imperium schufen, sondern Gebiete mit sehr verschiedenen sozialen, wirtschaftlichen und politischen Strukturen unter ihrer Herrschaft vereinten, wobei sie sich zumeist mit der Anerkennung ihrer Oberhoheit zufrieden gaben. Die militärische Expansion um 1200 erfolgte in enger Verbindung, so Auge, mit dem dänischen Reichsepiskopat und wurde vom Papsttum unterstützt. Darüber hinaus waren auch die Fürsten und Adeligen mit ihren Aufgeboten an den Unternehmungen der Könige beteiligt oder führten sie in deren Auftrag aus. Dabei war der Wille zur Eroberung vielfach nicht von Anfang an vorhanden, sondern entwickelte sich erst allmählich aufgrund bestimmter militärischer oder politischer Konstellationen. Neben dem militärischen Vorgehen spielte die Diplomatie nicht selten im Vorfeld der Eroberungen eine wichtige Rolle. Die Gründe für die Eroberungen waren vielfältig. So verwies Oliver Auge für die Waldemarszeit auf die Bedeutung der Kreuzzugsideologie, den Missionsgedanken, aber auch das Bestreben, den eigenen Herrschaftsraum abzusichern. Wirtschaftliche Motive traten erst bei den Eroberungen im 14. Jahrhundert in den Vordergrund und wurden zum entscheidenden Faktor.

Ebenfalls im Ostseeraum bewegte sich dann JÜRGEN SARNOWSKY (Hamburg) mit seinem Beitrag zur Eroberung Preußens und Livlands. Er betonte die zentrale Rolle, die dabei die christlichen Institutionen gespielt hatten, und verwies auf die gleichzeitige Schwäche der benachbarten weltlichen Herrscher. Diese Schwäche führte dazu, dass, anders als in den zuvor betrachteten Fällen, die Hauptakteure der Eroberungen Missionsbischöfe und Ritterorden waren. Dass Preußen und Livland von nicht-christlichen Bevölkerungen bewohnt waren, lieferte dabei die Rechtfertigung für die Eroberung, deren Erfolg nach anfänglichen Schwierigkeiten durch den Einsatz der Kreuzfahrerheere und dann vor allem des Deutschen Ordens sichergestellt wurde. Als wichtig für die Herrschaftsetablierung stellte sich, so Sarnowsky, die Gründung von Burgen und Städten sowie die Anwerbung deutscher Siedler heraus. Zudem zeigte man sich einer Zusammenarbeit mit dem indigenen, lokalen Adel gegenüber offen. Dieser konnte somit seinen Einfluss erhalten, wenn er bereit war, den neuen Glauben anzunehmen und sich den neuen Herren unterzuordnen. Abgeschlossen sah Sarnowsky die Eroberung jedoch erst mit der beginnenden Integration der bäuerlichen Bevölkerung in die neue Gesellschaft.

In seiner Zusammenfassung nahm ANDREAS BIHRER (Kiel) die strukturellen Gemeinsamkeiten der vorgestellten und diskutierten Fallbeispiele in den Blick und fragte nach den typischen Merkmalen mittelalterlicher Eroberungen. Dazu zählte für ihn der Umstand, dass sie in vielen Fällen nicht das Ziel übergeordneter politischer Konzepte, sondern das Ergebnis der Eigendynamik von Konflikten waren. Dem entsprach eine große Variation bei den vielfach erst im Rückblick geäußerten Motiven, Begründungen und Rechtfertigungen. Nicht minder unterschieden sich die Akteure und Trägergruppen, so wichtig die Könige im Einzelfall auch waren. Besonders hob Bihrer den offenkundigen Zwang für die Eroberer hervor, mit den Eroberten zu kooperieren, ihre Zustimmung zu erwirken und sie zu integrieren. Angesichts der Vielzahl der Belege für eine Zusammenarbeit erschienen Bihrer die Eroberungen Eduards I. eher wie eine Ausnahme, weshalb die Tagung insgesamt auch einige Korrekturen am Masternarrativ Robert Bartletts vornahm, demzufolge die mittelalterlichen Eroberungen allein zu kultureller Homogenität im Sinne der Eroberer geführt hätten. Mehr als einmal sei deutlich geworden, wie die Eroberten zu den Veränderungen beitrugen, indem sie selbst zu Akteuren wurden, denen sich mit den Eroberungen neue Handlungsspielräume boten, die sie ganz unterschiedlich nutzen konnten. So wies Bihrer noch einmal auf die Perspektive der Eroberten hin, wie sie auch in den Diskussionen nach den einzelnen Beiträgen mehrfach angemahnt wurde.

Konferenzübersicht:

Hermann Kamp (Paderborn): Einführung in das Tagungsthema

Christiane Witthöft (Erlangen): Der Eroberer im literarischen Urteil: Zur Legitimation von Herrschaft in der mittelhochdeutschen Alexanderdichtung

Verena Epp (Marburg): Chlodwig und Theoderich als Eroberer

Rudolf Schieffer (Bonn): Karl der Große und Otto der Große als Eroberer

Bernd Kannowski (Bayreuth): Das Recht des Eroberers im Mittelalter

Lioba Geis (Köln): „Tota terra inhorruit“? Die Folgen der Eroberung Süditaliens für Klöster und Städte

Jörg Rogge (Mainz): Heinrich II. und Eduard I. von England als Eroberer

Nikolas Jaspert (Heidelberg): Eroberung - Rückeroberung - Glaubenskampf - Gotteskrieg. Die Levante und die Iberische Halbinsel im Vergleich.

Oliver Auge (Kiel): Im Zeichen des Kreuzes: Eroberungen der dänischen Könige vom 12. bis zum 14. Jahrhundert

Jürgen Sarnowsky (Hamburg): Die Eroberung Preußens und Livlands

Andreas Bihrer (Kiel): Zusammenfassung

Schlussdiskussion


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