3. Nachwuchsworkshop Universitätsgeschichte des 19. und 20. Jahrhunderts

3. Nachwuchsworkshop Universitätsgeschichte des 19. und 20. Jahrhunderts

Organisatoren
Ute Schneider / Timo Celebi, Abteilung für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte, Historisches Institut, Universität Duisburg-Essen
Ort
Essen
Land
Deutschland
Vom - Bis
31.03.2017 - 01.04.2017
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Von
Marie-Christin Schönstädt, Universität Duisburg-Essen

Universitäten generieren Wissen, doch was wissen wir über Universitäten und die Wissenschaft? Bereits zum dritten Mal fand der Nachwuchsworkshop zur Universitätsgeschichte des 19. und 20. Jahrhunderts statt, bei dem aktuelle Projekte aus der Universitäts- und Wissenschaftsgeschichte vorgestellt und der Frage, was wir über die Wissenschaft wissen, nachgegangen wurde. Ausgerichtet war die zweitägige Veranstaltung vom Lehrstuhl für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte der Universität Duisburg-Essen sowie der Gesellschaft für Universitäts- und Wissenschaftsgeschichte (GUW).

Da dem Call for Papers bereits zahlreiche Antworten gefolgt waren, konnten die Organisatoren Ute Schneider und Timo Celebi ein abwechslungsreiches Workshop-Programm zusammenstellen. Die Essener Historiker begrüßten neben den Referentinnen und Referenten aus ganz Deutschland, den Niederlanden, Österreich, der Schweiz und Italien weitere interessierte Nachwuchswissenschaftler. Den Teilnehmern bot sich die Gelegenheit zur Vernetzung und zum Kennenlernen aktuell laufender Forschungsprojekte im Bereich der Universitäts- und Wissenschaftsgeschichte. In den Forschungsvorhaben zeigte sich vor allem, wie vielseitig die Zugänge zur Universitäts- und Wissenschaftsgeschichte sein können und welche Perspektiven und Akteure in den Blick genommen werden können.

Der Workshop war in fünf Panels unterteilt, die sich nach den inhaltlichen Zuschnitten der Projekte gliederten. In PANEL 1 wurden Forschungsprojekte präsentiert, die sich unter das Stichwort Universität und Politik zusammenfassen lassen. Dazu stellten SUSANNE KORBEL (Graz) und GEORG GÄNSER (Graz) stellvertretend für das Forscherteam zur Entnazifizierung der Universität Graz einen Teil des Gesamtprojektes vor. Die Geschichte der Universität Graz während des Nationalsozialismus, Kontinuitäten und Diskontinuitäten über die Zeit des NS hinaus seien für die Universität Graz – im Gegensatz zur Universität Wien - bisher noch nicht systematisch aufgearbeitet worden, deshalb standen diese im Fokus der Untersuchung. Die zentrale Frage des Projektes sei die nach der personellen Erneuerung und Reorganisation nach dem Zweiten Weltkrieg, die anhand von biographischen Studien untersucht werde. DIANA MORGENROTH (Hamburg) präsentierte ihre Doktorarbeit zum Studieren in beiden deutschen Staaten von 1949 bis 1975, in der sie exemplarisch am Studium der Elektrotechnik auf Gemeinsamkeiten und Unterschiede der Universitätssysteme, insbesondere in Bezug auf das Frauenstudium aufmerksam machen möchte. In ihrem Vortrag stellte sie vor allem die Studienorganisation in der BRD und der DDR gegenüber, die sich im Laufe verschiedener Hochschulreformen in beiden Staaten entwickelten. Ein zentraler Punkt in der Diskussion war die Bedeutung der Systemkonkurrenz, die stärker herauszustellen sei, um die grundlegenden Unterschiede der Studienzulassungen und -bedingungen klar zu machen.

PANEL 2 war der Thematik von Wissensproduktion, Wissensordnung und Wissenschaftsdisziplinen gewidmet. In dem Vortrag von BARBARA HOF (Zürich) wurde die Etablierung und Entwicklung der außeruniversitären Großforschung in der Bundesrepublik dargestellt und am Beispiel der Arbeitsgemeinschaft Großforschungseinrichtungen (AGF) skizziert. Die These des Vortrags war, dass die in der Arbeitsgemeinschaft versammelten Forschungsbetriebe zwischen 1969 und 1977 verstärkt miteinander in Kooperation traten, um sich in der Konkurrenz zu den Universitäten und der Max-Planck-Gesellschaft durchzusetzen und mehr politisches Gewicht zu erlangen. In der Diskussion wurde der Aspekt der Finanzierung hervorgehoben, der nicht außer Acht gelassen werden dürfe, da er für die Forschungsorganisation eine zentrale Rolle gespielt habe. SIMONE PICHLER (Graz) stellte ihre praxeologische Arbeit zum philologischen Seminar und dem professionalisierten Sehen im 19. Jahrhundert vor. Sie legte überzeugend dar, wie sie ausgehend von der Spezifität des Seminarortes als sozialem Setting mikroperspektivisch die Praktiken und Materialitäten des Philologie-Seminars erforsche. Metaphorisch lasse sich „die Literatur als Mikroskop“ umschreiben, das Sehen als Analysetechnik der Textwahrnehmung stehe damit im Fokus der Untersuchung. Darüber hinaus solle das Projekt einen Beitrag zum sich entwickelnden Selbstverständnis der Geisteswissenschaften leisten, da für das 19. Jahrhundert mitbedacht werden müsse, dass es die heutige Trennung von Geistes- und Naturwissenschaften (noch) nicht gegeben hat, sondern im Begriff war, sich zu entwickeln.

Tag zwei begann mit einem Panel zu Universitäten und Personal (PANEL 3), das mit dem Vortrag von SARAH DELLMANN (Utrecht) eröffnet wurde. Sie stellte ihr Post-Doc-Projekt vor, in dem es um Bilder von Wissenschaft und Wissenschaftlern zwischen 1900 und 1954 ging. Bei den Bildern handelt es sich um eine etwa 60 Glasdias umfassende Lichtbilderserie von Expeditionen aus der Botanik, der Geologie und der Astrologie, die im Universitätsmuseum und dem Archiv Utrecht zufällig überliefert worden seien. Ausgehend von den spannenden Fotoquellen untersucht die Historikerin, welche Bilder Wissenschaftler von ihrer Disziplin transportieren wollten und welche Funktion den Lichtbildern dabei zukomme. Evidenz, Forschungspolitik und die Verwendung für Vorträge könnten mögliche Funktionen darstellen, so Dellmann. Daran anschließend präsentierte ANDREAS NEUMANN (Jena) sein Dissertationsprojekt, in dem es um die Einschreibung von Frauen an Universitäten zwischen 1870 und 1933 geht. Das Forschungsvorhaben knüpft an Fragen des Wissens im Sinne der Gesellschaftsordnung, der Zeit und des Raumes an. Zentral sei die Entwicklung einer neuen Subjektposition der Studentinnen und das Idealbild der Frau im universitären Kontext. Der methodische Zugang erfolgt über die historische Diskursanalyse einerseits und einer skalierten Strukturierung als quantitativer Methode andererseits, wodurch ein großer Quellenkorpus erschlossen werden kann.

In PANEL 4 ging es um Universitäten und Wissenschaft im Spiegel gesellschaftlichen Wandels. CHRISTA KLEIN (Freiburg) präsentierte ihr bereits abgeschlossenes Dissertationsvorhaben, in dem es um Expansion und Selbstbehauptung der Philosophischen Fakultät Freiburg von 1945 bis 1965 geht. In ihrer mikrohistorischen Untersuchung wurde der Frage nachgegangen, welches Universitätsverständnis, Ideale und Elitevorstellungen die Professoren gehabt haben. Klein argumentierte nachvollziehbar, dass sich ein Wandel in der Verwendung des Humboldt-Mythos nachzeichnen lasse, der durch einen Generationenwechsel innerhalb des Untersuchungszeitraumes zu erklären sei. Die Professoren ab 1966 hätten liberalere Einstellungen und mehr Pluralität zugelassen. ADRIANO MANSI (Rom) stellte seine Doktorarbeit zur italienischen Massenuniversität zwischen 1961 und 1973 vor. In dem Vortrag wurde argumentiert, dass die studentischen Initiativen zur Reform der Universität bereits Anfang der 1960er-Jahre begonnen hätten und sich seitdem ein kultureller und sozialer Wandel angebahnt hatte, der seinen Höhepunkt in der 1968er-Bewegung fand. Die Untersuchung zeichnet die Auseinandersetzung zwischen der konservativen staatlichen Bildungsplanung auf der einen Seite und den reformorientierten Studierenden auf der anderen Seite anhand von lokalen Fallbeispielen nach.

Um Ökonomie und Wettbewerb ging es im letzten PANEL 5, in dem ALEXANDER MAYER (München) sein fortgeschrittenes Projekt zur Deutschen Universität im Wettbewerb (1980-2012) darlegte. In seiner Präsentation befasste er sich mit der Frage, wie Konkurrenz früher aussah, wie sie sich veränderte und wie die Akteure mit der steigenden Konkurrenzsituation umgegangen sind. Seiner These nach tauchte das „Wettbewerbsparadigma“ in den 1980er-Jahren auf und wurde seither verstärkt implementiert, was sich zum Beispiel an einer stetigen Orientierung an betriebswirtschaftlichen Konzepten zeige. Die Etablierung der Corporate Identities könne als Identifikations- und Autonomieprozess bei gleichzeitiger Profilbildung an allen Universitäten gedeutet werden.

Abschließend waren die Teilnehmenden einig, zwei ertragreiche Tage miteinander verbracht zu haben, die durch anregende gemeinsame Diskussionen und gewinnbringende Impulse gekennzeichnet waren. Die Marga und Kurt Möllgaard-Stiftung im Stifterverband für die deutsche Wissenschaft unterstützte den Workshop freundlich, dafür gilt ihr ein herzlicher Dank.

Konferenzübersicht:

UTE SCHNEIDER (Essen). Begrüßung und Vorstellung

PANEL 1: UNIVERSITÄT UND POLITIK

SUSANNE KORBEL / GEORG GÄNSER (Graz): Die Entnazifizierung der Universität Graz, 1945-55

DIANA MORGENROTH (Hamburg): Geteilte Bildung!? Das Studium der Elektrotechnik in der BRD und der DDR (1949-1989)

PANEL 2: WISSENSPRODUKTION, WISSENSORDNUNG UND WISSENSCHAFTSDISZIPLINEN

BARBARA HOF (Zürich): Die Etablierung der außeruniversitären Großforschung in der Bundesrepublik Deutschland

SIMONE PICHLER (Graz): Die Arbeit des Seminars: Studien zu einer Praxisgeschichte der deutschen Philologie, 1850-1910

PANEL 3: UNIVERSITÄTEN UND PERSONAL

SARAH DELLMANN (Utrecht): Lichtbilderserien: Bilder von Wissenschaft & Wissenschaftler*innen

ANDREAS NEUMANN (Jena): Die Einschreibung der Ausnahmen: Frauen im universitären Feld, 1870-1933

PANEL 4: UNIVERSITÄTEN UND WISSENSCHAFT IM SPIEGEL GESELLSCHAFTLICHEN WANDELS

CHRISTA KLEIN (Freiburg): Strukturwandel, Krisenrhetorik, Wissenschaftsorganisation. Die Expansion der Philosophischen Fakultät Freiburg, 1945-65

ADRIANO MANSI (Rom): Mass University in Italy (1961-1973): history of a change

PANEL 5: ÖKONOMIE UND WETTBEWERB

ALEXANDER MAYER (München): Deutsche Universitäten im Wettbewerb, 1980-2012

Abschlussdiskussion


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