Public Authorities and National Socialist Exclusion Camps

Public Authorities and National Socialist Exclusion Camps

Organisatoren
Frédéric Bonnesoeur, Berlin; Janine Fubel, Berlin; Christoph Gollasch, Berlin; Borbála Klacsmann, Budapest; Denisa Nešťáková, Bratislava
Ort
Berlin
Land
Deutschland
Vom - Bis
03.02.2017 -
Url der Konferenzwebsite
Von
Katja Grosse-Sommer, Amsterdam; Mareike Otters, Oberhausen

Im Berliner Dokumentationszentrum Topographie des Terrors fand am 3. Februar 2017 der von fünf Doktoranden/innen aus Berlin, Budapest und Bratislava organisierte Workshop „Public Authorities and National Socialist Exclusion Camps“ statt. Er wurde durch die Topographie des Terrors, Paideia – The European Institute for Jewish Studies in Sweden, das Slowakische Institut in Berlin und den AStA der Technischen Universität Berlin gefördert.

Zum Auftakt begrüßte ANDREAS SANDER (Berlin) von der Topographie des Terrors die Teilnehmer/innen. MICHAEL WILDT (Berlin) eröffnete den Workshop mit einem einleitenden Vortrag über die nationalsozialistischen Exklusionslager. Er verortete diese innerhalb des modernen und globalen Phänomens des Lagers im 20. Jahrhundert und verwies hierbei insbesondere auf Zusammenhänge mit den kolonialen Lagern. Die Wahrnehmung der nationalsozialistischen Lager sei, so Wildt, auf die Konzentrations- und Vernichtungslager verengt. Tatsächliche hätten neben der SA und SS verschiedenste Akteure die Lager als Möglichkeit genutzt, ihren Machtbereich gegenüber etablierten bzw. konkurrierenden Institutionen und dem herrschenden Recht auszuweiten. Verschiedenste öffentliche Institutionen, darunter die Wehrmacht, deutsche Zivilverwaltungen, kollaborierende Schutzmannschaften oder die Organisation Todt hätten zwischen 1939 und 1945 Lager gegründet. Gerade im Falle der osteuropäischen Lager, so betonte Wildt, bestehe noch ein erheblicher Forschungsbedarf.

Der erste Teil des Workshops legte den inhaltlichen Schwerpunkt auf die Beziehung staatlicher Institutionen zu den Konzentrationslagern. Moderiert wurde er von JULIA PIETSCH (Berlin). CHRISTOPH GOLLASCH (Berlin) eröffnete das erste Panel mit einem Beitrag zur Geschichte des Konzentrationslagers Sonnenburg. Das KZ wurde im April 1933 auf Initiative des preußischen Innenministeriums und der Justiz in einem ehemaligen Zuchthaus eingerichtet. Es war somit das erste staatliche KZ in Preußen. Geleitet wurde es zunächst von der Berliner Polizei, dann von der Gestapo. Bis April 1934 waren dort mindestens 1000 Häftlinge, die meisten von ihnen Kommunisten, inhaftiert. Gollasch zeigte auf, dass Polizeibeamte, die bereits zur Zeit der Weimarer Republik im höheren Staatsdienst standen, die Verwaltung und Bewachung des Lagers bestimmten. Dafür nahmen sie bewusst die Hilfe von SS und SA, die die Wachmannschaft stellten, in Anspruch. Im Rahmen dieser Kooperation sei es, so Gollasch, aber auch zu Konflikten gekommen. Während die Polizisten innerhalb einer „normenstaatlichen“ Logik handelten, wandten die nationalsozialistischen Akteure exzessive Gewalt gegenüber den Häftlingen an. Zudem habe das Direktorialsystem, das neben dem KZ-Direktor auch einen Kommandanten der Wachmannschaft vorsah, zu Kompetenzstreitigkeiten geführt. Dieser Konflikt sei laut Gollasch ein Anlass zur Reorganisation der Leitung der KZ im Jahr 1934 und zur Einführung des "Dachauer Modells" in Preußen gewesen.

JANINE FUBEL (Berlin) beleuchtete in ihrem Beitrag die Praxis der Notdienstverpflichtung für die Wachmannschaften des KZ-Außenlagers Berlin-Haselhorst (1944-1945) durch die Polizei und die Arbeitsämter. Fubel legte dar, dass die Arbeitsämter seit Oktober 1938 im Rahmen der allgemeinen Verpflichtung zum Arbeitsdienst auch (Zwangs-)Rekrutierungen für die KZ-Wachmannschaften durchführen konnten. Hierbei kooperierten die Ämter eng mit der SS. Die SS unternahm laut Fubel vor allem seit 1944 Anwerbereisen durch Rüstungsunternehmen, um geeignete Kandidaten für eine Bewerbungs- und Aufnahmeuntersuchung zu finden. Auch die Arbeitsämter warben in Berufsberatungen für die Tätigkeit im KZ-Wachdienst. In vielen Fällen erfolgte die Dienstverpflichtung durch das Arbeitsamt nach der Bewerbung der Kandidaten und diente laut Fubel vorrangig dem Zweck, die Bewerber mit Hilfe der Notdienstverpflichtung aus ihren bestehenden Arbeitsverhältnissen herauszulösen. Das notdienstverpflichtete Personal wurde nach seiner Einstellung weltanschaulich geschult und mit Waffen und Dienstbekleidung ausgestattet. Trotz der Veränderungen in der personellen Zusammensetzung der Wachverbände in Berlin-Haselhorst bestimmten Gewalt sowie die schlechte Versorgung und Unterbringung weiterhin den Lageralltag der Insassen und Insassinnen. Die zwangsverpflichteten Wachleute hätten sich, so Fubel, in ihrem Verhalten gegenüber den Häftlingen nicht vom regulären SS-Personal unterschieden. Die Motivation einzelner Notdienstverpflichteter für ihre Bewerbung für den KZ-Wachdienst, sei den vorhandenen Quellen jedoch nicht eindeutig zu entnehmen.

Im zweiten Teil des Workshops, der von PAUL MOORE (Leicester) moderiert wurde, rückte die Beziehung zwischen den Lagern und der kommunalen Verwaltungsebene sowie der direkten Umgebungsgesellschaft in den Fokus der Betrachtung. Der erste Beitrag von FRÉDÉRIC BONNESOEUR (Berlin) beschäftigte sich mit der Rolle der Stadtverwaltung bei der Organisation der Zwangsarbeit im KZ Oranienburg. Das KZ wurde am 21. März 1933 durch die lokale SA-Standarte 208 in einem leerstehenden Brauereigebäude eingerichtet. Bonnesoeur legte dar, dass die Mehrheit des Stadtrates von Oranienburg dieses Projekt aus vorwiegend wirtschaftlichen Erwägungen unterstützte. Die Stadtverwaltung sicherte der SA-Standarte frühzeitig die Versorgung des Lagers durch lokale Unternehmen zu und stellte ihr Darlehen für den Auf- und Ausbau des Lagers zur Verfügung. Schließlich organisierte das städtische Bauamt im Rahmen eines staatlich subventionierten Arbeitsbeschaffungsprogramms gar den Einsatz der KZ-Häftlinge zu Arbeiten im Gebiet der Stadt und den angrenzenden Gemeinden, um so die Rückzahlung der ausgezahlten Darlehen zu gewährleisten. Das Beispiel Oranienburg belege, so Bonnesoeur, dass die Errichtung des Konzentrationslagers und auch die Organisation der Zwangsarbeit Prozesse waren, die maßgeblich durch lokale Akteur/innen in Verwaltung und Wirtschaft beeinflusst und gefördert wurden.

Mit dem Beitrag von BORBÁLA KLACSMANN (Budapest) über das Transitlager in der ungarischen Stadt Monor erweiterte sich der bisherige Betrachtungsraum über die Grenzen des Deutschen Reiches hinaus. Vom 30. Juni bis zum 9. Juli 1944 wurden dem Durchgangslager aus ca. 9000 Jüdinnen und Juden in das Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau deportiert. Klacsmann schilderte in ihrem Vortrag die herausragende Rolle der ungarischen Behörden bei der Einrichtung, Verwaltung und Bewachung des Lagers. Danach widmete sie sich den Reaktionen der nicht-jüdischen Anwohner/innen auf die gewaltsamen Geschehnisse in ihrer Stadt. Deren Handlungsweisen hätten, so Klacsmann, zwischen Passivität, Kollaboration und Hilfe für die Opfer rangiert. Schließlich konnte sie im Rahmen der Untersuchung der Handlungsweisen der jüdischen Insass/innen des Lagers sowohl Beispiele von organisierter Selbsthilfe als auch von Mittäterschaft an den Verbrechen nachweisen. Im Großen und Ganzen, so fasste Klacsmann zusammen, sei es aber nahezu unmöglich, die Verhaltensweisen der verschiedenen Akteur_innen in scharf voneinander abgrenzbare Kategorien wie etwa „Widerstand” oder „Kollaboration” einzuordnen.

Einen Ansatzwechsel vollzog DENISA NEŠT'ÁKOVÁ (Bratislava) in ihrem Beitrag zu den genderspezifischen Erfahrungen von Männern und Frauen im slowakischen Lager Sered. Das Lager wurde 1941 als Arbeitslager vom slowakischen Innenministerium in der Ortschaft Sered eingerichtet. Die Gründung wurde von der Jüdischen Zentrale unterstützt, da diese sich davon eine Milderung der wirtschaftlichen Nöte der jüdischen Bevölkerung sowie den Schutz vor der Deportation erhoffte. Zwischen März und September 1942 – noch vor der Übernahme des Lagers durch die SS 1944 – wurde das Arbeitslager auch als Transitlager genutzt. Anhand von Berichten ehemaliger Einwohner_innen des Ghettos aus dem Visual History Archive zeigte Nešťáková, dass die Verfolgung und Inhaftierung nicht zu einem Zusammenbruch der Geschlechteridentitäten der Lagerinsass/innen führte. Im Gegenteil seien traditionelle Geschlechterrollen im Lager verstärkt worden. Für die jungen Männer der Zionistischen Jugendbewegung barg das Lager Sered innovative politische und wirtschaftliche Möglichkeiten. Obwohl die Frauen in Sered an der Arbeitsproduktion beteiligt waren, wurden ihnen bspw. eine Beteiligung an der politischen Untergrundorganisationsarbeit verwehrt. Laut Nešťáková sei Sered keine neugeordnete Gesellschaft gewesen, sondern eine „Männerwelt“, in der die Frauen ihren Vorkriegs-Geschlechterrollen als Töchter, Schwestern, Freundinnen und Ehefrauen verhaftet blieben.

In der abschließenden Diskussions- und Auswertungsrunde wurde deutlich, dass die zentrale Frage nicht die oft gestellte nach dem Einfluss der Lager auf ihre Umgebung sei, sondern vielmehr, inwiefern die Umgebungsgesellschaft bzw. die normenstaatlichen Institutionen selber die Entstehung der Lager, ihre innere Struktur und ihre weitere Entwicklung beeinflusst hätten. Die nationalsozialistischen Lager seien keine ahistorischen Orte und müssten deswegen im Hinblick auf die Gesellschaft, die sie hervorgebracht habe, beschrieben werden. Schlussendlich formulierten die Teilnehmer/innen mögliche Forschungsperspektiven für eine zukünftige KZ-Geschichtsschreibung. Vorstellbar sei die Beschreibung der NS-Zwangslager als Teil von Stadtgeschichte oder im Rahmen einer vergleichenden NS-Lagerforschung. Ein Perspektivenwechsel könne auch durch eine stärkere Einbindung der Perspektiven der Lagergefangenen oder von Genderaspekten vollzogen werden.

Konferenzübersicht:

Keynote Lecture
MICHAEL WILDT (Berlin)

Panel I
Moderation JULIA PIETSCH (Berlin)

CHRISTOPH GOLLASCH (Berlin): Die „günstige Gefangenenanstalt“ Sonnenburg. Zur Ausschaltung von Kommunisten und anderen Gegnern des Nationalsozialismus durch die alten Funktionseliten der Weimarer Republik und neuen faschistischen Gewaltakteure am Beispiel des frühen KZ Sonnenburg

JANINE FUBEL (Berlin): „Die Notdienstverpflichtung ist nach Anhörung des Arbeitsamtes erfolgt.“ Die Dienstverpflichtung zum KZ-Wachdienst durch die Berliner Polizei und Arbeitsämter am Beispiel des Sachsenhausener KZ-Außenlagers Berlin-Siemensstadt 1944

Panel II
Moderation: PAUL MOORE (Leicester)

FRÉDÉRIC BONNESOEUR(Berlin): The role of the local municipality in implementing forced labor for the inmates of the Oranienburg concentration camp in May 1933

BORBÁLA KLACSMANN (Budapest): 10 Days in the Brick Factory: The Monor Transit Camp. A presentation concerning the role of the au-thorities and local non-Jews, and the circumstances inside one of the biggest transit camps of the 6th deportation zone of Hungary

DENISA NEŠT'ÁKOVÁ (Bratislava): Gender related experiences of Women and Men in the Labor Camp Sereď, Slovakia in 1941-1944


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Deutsch
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