Computing is Work!

Organisatoren
Thomas Haigh / Sebastian Gießmann, Universität Siegen
Ort
Siegen
Land
Deutschland
Vom - Bis
06.07.2017 - 08.07.2017
Url der Konferenzwebsite
Von
Martin Schmitt, Zentrum für Zeithistorische Forschung, Potsdam

Die Einführung des Computers veränderte grundlegend die Art und Weise, wie Menschen arbeiten. In öffentlichen Debatten über „Industrie 4.0“ drückt sich diese Veränderung zuletzt in der Sorge selbst der kreativ Tätigen aus, ihren Arbeitsplatz an einen Computer zu verlieren. Dieser Wandel hat allerdings eine lange Vorgeschichte. Sowohl den gegenwärtigen Problemlagen in der Arbeitswelt, als auch deren Genese gingen Medienwissenschaftler, Digitalhistoriker und Informatiker auf einer internationalen Tagung in Siegen mit dem Titel „Computing is Work!“ vom 6. bis 8. Juli auf den Grund.

Computer arbeiten mit uns, für uns, miteinander und mitunter auch gegeneinander. Diesen fundamental neuen Bedingungen und den historischen Wechselspielen zwischen Computer und Arbeit wurde auf der Siegener Tagung aus ganz unterschiedlichen Perspektiven auf den Grund gegangen. Sie war gleichzeitig die Auftaktveranstaltung des Instituts für „Social Studies of Information“ innerhalb der Siegener iSchool, die 2016 aus den internationalen Vernetzungsbemühungen des Instituts für Medienforschung hervorgegangen ist.1 Das Konzept der iSchools, die überall auf der Welt existieren, vereint dabei deren Interesse an dem Verhältnis zwischen Menschen, Informationspraktiken und Technologie – im Falle der Tagung das spezifische Interesse an der Informationstechnologie in Arbeitsprozessen. Dementsprechend strukturierten die Organisatoren der Tagung, der Medienwissenschaftler SEBASTIAN GIEßMANN und der Technikhistoriker THOMAS HAIGH, die Tagung unter dem Rubrum „X is work!“, wobei die Variable X mit dem jeweiligen Erkenntnisinteresse der vortragenden Wissenschaftler/innen in Hinblick auf „sichtbare“ und „unsichtbare Arbeit“ gefüllt wurde.

Um auf einer solch interdisziplinären wie internationalen Tagung Sprachfähigkeit herzustellen, verhandelten die Konferenzteilnehmer zu Beginn in einem Round Table die Grundlagen ihrer Erkenntnismethode. Dabei stand ein spezifisch Siegener Signum im Mittelpunkt, die in den Science and Technology Studies entstandene Theorie der Grenzobjekte Susan Leigh Stars für die Geschichte und Ethnografie von „Medien der Kooperation“ zu operationalisieren.2 Grenzobjekte ermöglichten es nach Star unterschiedlichen Akteursgruppen, miteinander zu kommunizieren und zu kooperieren. Grenzobjekte wie beispielsweise eine Tabelle überwinden Sprach- und Denkgrenzen, ohne diese zu überschreiben. Bemerkenswert und inspirierend für einen Historiker war dabei die konsequente Bereitschaft aller Beteiligten, den Objekten wie der Tabelle erst einmal beobachtend zu folgen, beispielsweise auf ihrem Weg durch einen Betrieb, und sich schlicht anzuschauen, wie verschiedenartige Akteure sie ausfüllten, markierten oder einsetzten. Damit vermieden die Teilnehmer, mediale Objekte und historische Situation bereits im Vorhinein mit Interpretation zu überfrachten und damit deren Reise über die Grenzen sozialer Welten zu unterbinden. Explizite Anleihen nahmen die Vortragenden bei der Labour History3, gerade auch in Verbindung mit der sozioinformatischen Forschung zur Computer-Supported Cooperative Work, die z.B. durch VOLKER WULF (Siegen) und KARI KUUTTI (OULO) auf der Tagung vertreten war. Referenzobjekt stellte dabei stets die Computertechnologie dar, für deren Geschichte der Siegener Medientheoretiker ERHARD SCHÜTTPELZ gleich zu Beginn betonte, dass sich keine Differenz zwischen „Medium“ und „Werkzeug“ ausmachen ließe. Vielmehr seien kooperative Praktiken von Anfang an konstitutiv für den Bau und die Nutzung von Computern gewesen. Mit diesem methodischen Rüstzeug versehen führten die Vortragenden durch ein umfassendes Tableau an Themen der Digitalgeschichte (History of Computing). Auf Grund des vielschichtigen Programmes werden im Folgenden diejenigen Beiträge der Tagung ausführlicher dargestellt, die aus Perspektive der Zeitgeschichte besonders gewinnbringend erschienen.

Im Digitalen Zeitalter beruht jede Arbeit auf Daten. Den Auftakt setzte daher MATTHEW JONES (Columbia), der sich in seiner Keynote aus ideengeschichtlicher Perspektive den Praktiken der Datenarbeit nährte. Jones analysierte die Attribuierung von Arbeit als historische Kategorie, beispielsweise was eigentlich Arbeit sei und was nicht. Er machte dabei deutlich, dass „data mining“ – heute ein großer Trend – anfangs ein pejorativer Begriff war, eine Pathologie der Computerwissenschaft. Er entstand, als Computer in den 1960er-Jahren plötzlich einfach zu nutzen waren. Der „intime Kontakt“ zu den Daten verdarb den Wissenschaftler, der nur noch Theorien von Daten ableitete, statt selbst zu arbeiten, so der Vorwurf. Im Angesicht der Datenmassen des Digitalen Zeitalters sahen sich die Wissenschaftler allerdings gezwungen, effektive Methoden zu deren Analyse bereitzustellen. Sie ersannen Algorithmen, beispielsweise um Fragen zu beantworten, welcher Kunde kreditwürdig sei. Dabei griffen sie in den 1980er-Jahren auf Entscheidungsbäume zurück, ein Grenzobjekt, das empirische Statistiker, Datenbank-Techniker und KI-Forscher miteinander in Verbindung brachte. In den 1990er-Jahren, die Jones als markante Umbruchsdekade ausmacht, feierte diese Melange beispielsweise im Google-Algorithmus ihren Durchbruch. Die computergestützte Arbeit des „data mining“ in den riesigen Datenbeständen des Web war jetzt auch auf Standardhardware wie dem PC möglich und erfuhr eine deutliche Aufwertung. Jones’ Argumentation überzeugte vor allem damit, dass er Programmcode nicht scheute, sondern ihn als historische Quelle bearbeitete: Die intellektuellen Debatten sind eingeschrieben in die Algorithmen.

Mit der Frage, wie sich solch ephemere Artefakte wie Softwarecodes archivieren lassen, setzte sich der niederländische Technikhistoriker GERARD ALBERTS (Amsterdam) auseinander. Dabei verwies er nicht nur auf verkörperlichte Formen der Erinnerung in den Fingern und Muskeln ehemaliger Programmiererinnen, die selbst 50 Jahre nach dem Ende ihrer Arbeit in Zeitzeugengesprächen einen „Tanz mit der imaginierten Maschine“ vollziehen konnten. Die dauerhafte Arbeit am Computer, so konnte Alberts nachweisen, hatte sich in ihre Körper eingeschrieben. Am Beispiel der „Digitale Stad“ aus dem Amsterdam der 1990er-Jahre zeigte er vielmehr auch, wie die Archivarbeit im Digitalen Zeitalter gleichzeitig die Wahrnehmung von Archivierung und Bewahrung veränderte. Gemeinsam mit Studenten rekonstruierte er die zugrundeliegende Software nicht nur als Snapshot, sondern als Emulation mit dynamischem Ansatz. Die „Digitale Stad“ lebte wieder auf, sie wurde wiederverwendbar in ihren Praktiken der Kommunikation. So müsse kein Historiker unbedingt Code lesen können, aber könne nichtsdestotrotz Software analysieren.

Eine Hilfestellung bei historischer Softwareforschung sei das Grenzobjekt der Flussdiagramme, wie der Digitalhistoriker NATHAN ENSMENGER (Indiana) hervorhob. Ensmenger, der 2010 seine Dissertation über die Sozialgeschichte der Software publiziert hat4, widmete sich dem Grenzcharakter der Datenflussdiagramme im Konflikt zwischen Programmierern und Management. Ursprünglich sollte ein Flussdiagramm als eine Skizze der Programmelemente dienen und dem Programmierer bei der Arbeit helfen. Das Management von Unternehmen setzte sie allerdings vielmehr dazu ein, industrielle Disziplin und Standardisierung in der stets von Krisen und Verzögerungen geprägten Softwareproduktion zu schaffen. Datenflussdiagramme wurden gleichsam zu Karten der technischen, organisatorischen und sozialen Struktur der jeweiligen Institution. Für den Historiker ein Schatz, so Ensmenger – selbst wenn Flussdiagramme auch immer kollektive Imaginationen blieben, ein Schnappschuss angestrebter Realität. Ironischerweise wurden diese dann in den 1990er-Jahren zur Grundlage des Outsourcing der Softwareproduktion nach Indien, deren weiblicher Prägung ROLI VARMA (New Mexico) nachspürte. Im Vergleich zwischen den Motiven von Frauen in Indien und den USA, Informatik zu studieren, ermittelte sie warum Informatik in Indien einen hohen, in den USA hingegen einen niedrigen Frauenanteil hat. Letztlich sei es das Image des Geeks, was Frauen in den USA von einem Informatikstudium abhalte, während es in Indien soziale wie finanzielle Unabhängigkeit und Prestige verspreche.

Der emeritierte Soziologieprofessor KJELD SCHMIDT (Kopenhagen), früher selbst IBM-Programmierer, verließ schließlich die theoretische Ebene und begab sich in Mitten der Arbeitspraktiken in Unternehmen der 1980er- und 1990er-Jahre. Dabei stellte er sich die Frage, welche Artefakte die komplexen Arbeitsprozesse zwischen verschiedenen Menschen und Aufgaben innerhalb großer Unternehmen koordinierten. Mit seinen ethnographischen Methoden der teilnehmenden Beobachtung inmitten von Arbeitspraktiken schlug er dabei die Brücke zu neueren Ansätzen der vortragenden Medienwissenschaftler, indem er eben nicht von vornhinein darauf abzielte, eine historische Kontextualisierung vorzunehmen oder etwas im Lichte einer Theorie oder Narration zu sehen. Beispielsweise betrachtete er den Prozess der Stahlverarbeitung in einem schwedischen Stahlwerk der 1980er-Jahre. Produktionspläne in Listenform, Kontrollräume mit Displays oder Notationen in Kalendern stellten dabei für ihn die materielle, Vibrationen, Lichtintensitäten oder die Geräusche der Anlagen die immaterielle Seite zwischenmenschlicher Koordinationsprozesse dar. Schmidt analysierte den modernen Arbeitsplatz in seiner Schlussfolgerung als Ort koordinativer Artefakte – Einschreibungen in den Raum, deren relative Position einen Unterschied macht. Sofort stand die Frage im Raum, wie sich solche Informationen im digitalen Raum abbilden ließen – eine Frage, die auch JENS SCHRÖTER (Bonn) in seinem Vortrag zu Imaginationen von 3D-Arbeitsplätzen im zeitgenössischen Science-Fiction-Film umtrieb. Er leitete diese aus einer Mediengeschichte volumetrischer Displays her und arbeitete hierfür den gegenwärtigen Imaginationscharakter von 3D-Arbeitsplätzen heraus, an denen zukünftige Arbeitspraktiken prospektiv via „diegetischer Prototypen“ eingeübt würden. MARIA HAIGH (Milwaukee) lieferte hingegen eine Analyse von Peer-to-Peer-Gegenpropaganda als innovativer Arbeitspraktik, wie sie aktuell im Konflikt zwischen der Ukraine und Russland entwickelt wird. Sie verortete diese Praktiken innerhalb einer grundsätzlichen Destabilisierung von Kategorien des sozialen Lebens – inklusive eines Vertrauens in Nachrichten – und knüpfte darin an die Diagnose eines „Age of Fracture“ (Daniel T. Rodgers) an.5

In die Gegenwart des 21. Jahrhunderts katapultierte das Problem HALLAM STEVENS (Singapur), der die Arbeitspraktiken auf Elektronikmärkten in der ehemaligen chinesischen Wirtschaftssonderzone Shenzhen beobachtete. Shenzhen, geografisch gegenüber Hongkong liegend, wurde in den 1980er-Jahren aufgebaut, um den Wohlstand und die internationale Verflechtung des damals noch britischen Hongkongs zu kopieren. Eine Kopie stand damit bereits am Anfang von Stevens Narrativ, bei der an Hand praktischer Beispiele wie Smartphonehüllen und deren Kopien deutlich wurde, wie schmal die Grenzen zwischen Original und „Fälschungen“ auch materiell im Digitalen Zeitalter sein konnten. Im Zuge von Produktion und Nachbau entwickelte sich dabei ein innovatives Milieu, das er auf den zahlreichen Ebenen einer Elektronik-Markthalle nachverfolgte.

Was hatten die USA, die Sowjetunion und Chile Ende der 1960er-Jahre miteinander gemein? Sie alle bauten an landesweiten Computernetzwerken, die laut BENJAMIN PETERS (Tulsa) ganz anderen Implikationen folgten, als das ihre Entwickler ursprünglich vorsahen. Statt der Macht des Ingenieurs sah Peters vielmehr die institutionelle Prägung der Computernetzwerktechnologie als ausschlaggebend für deren historische Gestalt an. Hochtrabende kybernetische Visionen mochten vielleicht Impulse gesetzt und biologische Metaphern mobilisiert haben, letztlich dominierten politische Machtinteressen, was tatsächlich als Arpanet, Ogas- oder CyberSyn-Netzwerk in den jeweiligen Ländern gebaut wurde. In der Diskussion war seine Interpretation der Fälle durchaus umstritten. Nichtsdestotrotz macht sein Ansatz deutlich, wie Institutionengeschichte neue Perspektiven auf technische Implementationsprozesse eröffnen kann, gerade hinsichtlich der Widersprüchlichkeit von Werten der Entwickler, Organisationen und installierten Systemen.

Bisher wenig erkundetes und von Historikern oftmals despektierlich behandeltes Terrain beschritt LAINE NOONEY (New York) in ihrem furiosen Vortrag. An Hand der Geschichte dreier Frauen, die bei dem US-amerikanischen Computerspiele-Hersteller Sierra arbeiteten, erzählte sie die turbulente Geschichte der Computerspieleindustrie in den 1980er- und 1990er-Jahren. Dabei blieb sie allerdings nicht stehen, sondern setzte dies mit den Computerisierungsprozessen in den Haushalten in Verbindung, in denen sich zur selben Zeit der Personal Computer verbreitete. Auch die spezifisch weibliche Situation ungelernter Kräfte in einer männlich dominierten Branche, die sich sehr schnell spezifische Kenntnisse aneigneten und damit den Fortgang des Unternehmens entscheidend prägten, stellte sie gelungen dar. Vom Aufbau des Kundenservice über den technischen Vertrieb bis hin zum ersten Internetauftritt waren es eben auch Frauen, die dem aufstrebenden Unternehmen Sierra aus Oakhurst, Kalifornien, zu weltweitem Ruhm verhalfen. An den Bruchstellen ihrer beruflichen Laufbahn lagen oft die Bruchstellen in der Unternehmens- und Branchenentwicklung, wie sie an Hand von Zeitzeugeninterviews präzise herausarbeitete.

Daran anschließend präsentierte KSENIA TATARCHENKO (Genf) die spezifisch sozialistischen Bedingungen in der Formierung sowjetischer Programmierkollektive. Im Vergleich zweier Gruppen aus den 1960er- und 1980er-Jahren in der sowjetischen Wissenschaftsstadt Akademgorodok arbeitete sie den sowjetischen Fall als eine Vermischung von Professionalisierung und sich verschiebender Grenzen zwischen dem Privaten und der Arbeitsgemeinschaft heraus. Die Familien-Metapher war dabei konstitutiv für die Arbeitsgruppen in der Koproduktion menschlicher Verbindungen und Technologie. Im Anschluss an medienarchäologische Ansätze adressierte MATTHEW KIRSCHENBAUM (Maryland) die Frage nach der Verbindung von Computer und Mensch in der literarischen Schreibarbeit. An unterhaltsamen Beispielen der neueren Literaturgeschichte zeigte er die Auswirkungen und Implikationen des Computereinsatzes von Schriftsteller/innen und erzählte so eine erkenntnisreiche Geschichte der Textverarbeitung, die fast ohne eine Chronologie der Programme auskam, sondern die Praktiken der Menschen in den Mittelpunkt stellte, die sie benutzten.

Gekrönt wurde die Konferenz von FRED TURNERS (Stanford) Keynote im Museum für Gegenwartskunst in Siegen. Ausgehend von der Frage, warum im Facebook-Hauptquartier eigentlich ansprechende Kunst hinge, analysierte er deren Inanspruchnahme, einen spezifischen Produktionsmodus im Digitalen Zeitalter herzustellen: den der Bohème. In der steten Ungewissheit der nächsten technologischen Innovation würde Kunst zu einem gewichtigen Teil der Wertproduktion und der „sanften“ Steuerung des Unternehmens durch das Management. Im Gegensatz zur traditionellen Legitimationsfunktion soll Kunst bei Facebook dessen Identität imaginieren und seine Arbeitsplätze formen. Die Firma entwirft sich eben nicht als soziale Fabrik, sondern als Ort des Bohèmien. Daran wird laut Turner eine (unternehmens-)kulturelle Ordnung deutlich, die Dinge nicht per Regeln festzulegen, aber trotzdem zu ordnen und zu führen. Der offene Lebensstil des Bohèmien bietet ein Vorbild, soziales und betriebliches Miteinander zu regeln. Vom Flanieren über Treffen in Cafés und Kulturstätten bis hin zur selbstexpressiv kommunizierten Ungebundenheit stellt er den Prototyp des Facebook-Mitarbeiters wie auch des imaginierten Nutzers dar, denn er bleibt stets rückgebunden an eine Gemeinschaft, in die er wirkt und die er beeindrucken will. Das unterstützt der temporäre Charakter der Kunst. Mit ihr wird die Fabrik als neuer kreativer Raum der Bohème re-imaginiert. Die Mitarbeiter coden den Überwachungsstaat, während sie sich wie Künstler fühlen. Turner plädierte allerdings offensiv dafür, Facebook nicht kritisch zu verdammen, sondern wissenschaftlich ausgewogen zu beurteilen angesichts des eklatanten Widerspruchs zwischen kapitalistischem Überwachungskonzern und der Tatsache, dass seine Mitarbeiter zu den glücklichsten der USA zählen würden.6 Von dieser Beobachtung ausgehend ließen sich zahlreiche weitere Fragen anschließen, beispielsweise danach, wie zufrieden die Mitarbeiter in Polizei- und Sicherheitsbehörden repressiver Staaten eigentlich waren.

Abschließend lassen sich drei Schlüsse aus der Tagung ziehen: Erstens hat die Digitalgeschichte endgültig die Schwelle zu den 1990er-Jahren überschritten. Die präsentierten Analysen der Computerisierungsprozesse reichten über die Zeit des Mauerfalls wie selbstverständlich hinaus. Ja sie hinterfragten mit ihren Kontinuitäten sogar diese dominante Zäsur der Zeitgeschichtsschreibung. Zweitens fiel die methodologische Herangehensweise zahlreicher Vortragenden auf, deren sorgfältige Beobachtung an die Sozial- und Alltagsgeschichte der 1980er-Jahre erinnert, die nun durch die medientheoretische Herangehensweise unterstützt wird. Und drittens beruhigt die fundierte Analyse der Veränderung von Arbeitsprozessen im Angesicht alarmistischer Prognosen vom „Ende der Arbeit“. Es wurde aber auch klar, wie viel wissenschaftliche Arbeit noch zu tun bleibt, um das Verhältnis von Computertechnologie und Arbeit als die dominante Entwicklung der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts historisch angemessen zu analysieren. Vor allem Mikrostudien zur Büroarbeit, zu Fragen der Ergonomie am Arbeitsplatz und vergleichende Studien zur Rolle regionaler und nationaler Kontexte in globaler Perspektive versprechen hier gewinnbringende Erkenntnisse über die Geschichte der Arbeit hinaus.

Konferenzübersicht:

OPENING REMARKS. Computing is Work!
Thomas Haigh (University of Wisconsin–Milwaukee/Siegen University) and Sebastian Gießmann (Siegen University)

ROUND TABLE. Computer Supported Cooperative Work as Theory and Practice
Moderator: Dave Randall (Siegen University)

Erhard Schüttpelz (Siegen University)
Volker Wulf (Siegen University)

KEYNOTE.
Moderator: Carolin Gerlitz (Siegen University)

Matthew Jones (Columbia University): Data Mining is Work: Scaling Algorithms, Overcoming Friction, Redefining Knowledge.

PANEL. Scientific Workplaces
Moderator: Jörg Potthast (Siegen University)

Jens Schröter (University of Bonn): Work will be 3D: Imaginary Workplaces and Volumetric Displays
Gerard Alberts (University of Amsterdam): Archiving is Work, Archaeology Even More

PANEL. Structuring Labor
Moderator: Axel Volmar (Siegen)

Roli Varma (University of New Mexico): Women at Work: Decoding Femininity in Computing in India
Nathan Ensmenger (Indiana University): Documentation is Work: Flowcharts as Temporal Boundary Objects

KEYNOTE.
Moderator: Erhard Schüttpelz (Siegen University)

Kjeld Schmidt (Copenhagen Business School): Coordination is Work: The Problem of Computerizing Coordinative Practices

PANEL. Workflows
Moderator: Peter Tolmie (Siegen University)

Kari Kuutti (University of Oulo): “Muddling through” is Work: a Plea for Workflow Oriented Computing
Maria Haigh (University of Wisconsin–Milwaukee / Siegen University): Stopping Fake News is Work: The Work Processes of Peer-to-Peer Counter Propaganda

PANEL. Institutions and Markets
Moderator: Christian Henrich-Franke (Siegen University)

Hallam Stevens (Nanyang Technological University, Singapore): Copycatting is Work: The Diverse Labours of the Shenzhen Electronics Markets
Ben Peters (University of Tulsa): Networking is Work: How Computing Institutions Matter Even When Networks Fail

KEYNOTE.
Moderator: Ehler Voss (Siegen University)

Fred Turner (Stanford University): Bohemia is Work: Reimagining Digital Labor Inside Facebook

PANEL. Fun and Games
Moderator: Nadine Taha (Siegen University)

Ksenia Tatarchenko (University of Geneva): Leisure is Work: The Making of the Soviet Computing Collectives
Laine Nooney (New York University): Games are Work: Notes from the “Little Silicone Valley”

KEYNOTE.
Moderator: Till Heilmann (University of Bonn)

Matthew Kirschenbaum (University of Maryland): (Even) Literature is Work! Word Processing and Literary Labor

CLOSING REMARKS.
Thomas Haigh (University of Wisconsin–Milwaukee/Siegen University) and Sebastian Gießmann (Siegen University)

Anmerkungen:
1 Vgl. https://ischool.uni-siegen.de (13.07.2017).
2 Susan Leigh Star, This is not a boundary object: Reflections on the origin of a concept. Science, Technology & Human Values 35,5 (2010), S. 601-617. Vgl. auch Susan Leigh Star, Grenzobjekte und Medienforschung, hrsg.v. Sebastian Gießmann / Nadine Taha, Bielefeld (im Erscheinen 2017).
3 Kim Christian Priemel, Heaps of work. The ways of labour history, in: H-Soz-Kult, 23.01.2014, http://www.hsozkult.de/literaturereview/id/forschungsberichte-1223 (13.07.2017).
4 Nathan Ensmenger, The computer boys take over: computers, programmers, and the politics of technical expertise (= History of Computing), Cambridge, Mass. 2010.
5 Vgl. Daniel T. Rodgers, Age of fracture, Cambridge, Mass. 2012.
6 Vgl. bspw. Emily Peck, „Facebook Employees Are Insanely Happy With Their Jobs. Mark Zuckerberg must be doing something right“, in: Huffington Post, 02.03.2016, http://www.huffingtonpost.com/entry/facebook-employees-happy_us_56d7049ae4b0871f60ed564f (13.07.2017).