Verfolgung, Diskriminierung, Emanzipation

Verfolgung, Diskriminierung, Emanzipation

Organisatoren
Westfälische Wilhelms-Universität Münster
Ort
Tutzing
Land
Deutschland
Vom - Bis
26.05.2017 - 28.05.2017
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Von
Esther Abel, Gedenkstätte Hadamar

Unter dem Titel „Verfolgung, Diskriminierung, Emanzipation“ fand in der Akademie für Politische Bildung in Tutzing vom 26. bis 28. Mai 2017 eine Tagung statt, die sich der Geschichte der Verfolgung und Diskriminierung Homosexueller in Europa seit dem Zweiten Weltkrieg widmete. Es wurden neuere Forschungen zu Diskriminierung und Selbstbehauptung homosexueller Männer und Frauen vorgestellt, der Akzent lag auf dem internationalen Vergleich. In der ersten Sektion ging es um Erinnerungskultur und Gedächtnispolitik in der Bundesrepublik Deutschland, der DDR und Österreich nach dem Nationalsozialismus.

Zum Thema der Nicht-Anerkennung homosexueller Männer als Verfolgte des Nationalsozialismus sprach ESTHER ABEL (Hadamar) über die Bewertung von „typischem“ nationalsozialistischem Unrecht in der Bundesrepublik und der DDR von der unmittelbaren Nachkriegszeit bis 1968. In beiden deutschen Staaten war es so gut wie unmöglich für homosexuelle Männer, als NS-Verfolgte in materieller und politischer Hinsicht anerkannt zu werden. Abel verknüpfte den Umgang mit den verschiedenen Opfergruppen des nationalsozialistischen Terrors in den beiden Staaten mit der Fortführung der Strafverfolgung durch den § 175 und erläuterte, dass in der Bundesrepublik sowie in der DDR die jeweiligen Regierungen durchaus die Deutungshoheit beanspruchten, wer denn als „typisches“ NS-Opfer anzusehen sei.

Im Anschluss widmete TERESA TAMMER (Münster) ihren Vortrag der Frage nach dem Gedenken an die homosexuellen Opfer des Nationalsozialismus in der DDR 1983-1990. Hierbei beleuchtete sie das Gedenken von staatlicher sowie von gesellschaftlicher Seite, etwa in homosexuellen Arbeitskreisen. Zentrale Begriffe ihrer Überlegungen waren Gedächtnis, Gedenken und Geschichtspolitik. Zwei ausführlich erörterte Thesen lauteten, dass das Gedenken an die homosexuellen Opfer des Nationalsozialismus Teil eines schwulen aktivistischen Diskurses war, der nicht zuletzt die Durchsetzung schwulen- und lesbenpolitischer Interessen in der DDR zum Ziel hatte, sowie, dass die die Akteur/innen die Geschichtspolitik der DDR mit ihrem antifaschistischen Anspruch im Widerspruch sahen zum Gedenken an die homosexuellen Opfer des Nationalsozialismus. Als Fazit formulierte Tammer die „Gratwanderung“ zwischen Verfolgungskontinuität und der Anerkennung des von der DDR propagierten Bruchs mit der Vergangenheit.

JOHANN KARL KIRCHKNOP (Wien) beschäftigte sich in seinem Vortrag mit Kontinuitäten und Brüchen in der strafrechtlichen Verfolgung Homosexueller in Österreich nach 1945. Der § 129, der auch Frauen mit einschloss, stellte „Unzucht mit Personen desselben Geschlechts“ unter Strafe und bestand von 1852 bis 1971. In Ausmaß und Intensität der Verfolgung sah Kirchknopf keinen eindeutigen Fortbestand nationalsozialistischer Verfolgung – allerdings auch keine Zäsur. Vielmehr vermittelte er, dass entsprechende juristische Grauzonen, die sich etwa aus der Unbestimmtheit des Tatbestandes ergeben, das Fortwirken nationalsozialistischer Konzepte ermöglichten.

Nicht der strafrechtlichen Verfolgung, sondern erneut der Erinnerungspolitik widmete sich ELISA HEINRICH (Wien) in ihrem Beitrag zu erinnerungspolitischen Debatten um homosexuelle NS-Opfer in Österreich. Hierbei ging es um die staatliche Seite sowie um Zivilgesellschaftliche Akteure und Akteurinnen. Heinrich arbeitete heraus, dass sich in den Jahrzehnten nach 1945 eine Inklusion der homosexuellen NS-Opfer in die Gedenkpolitik Österreichs feststellen lässt. Auf symbolisch-politischer Ebene machte sie dies an der ersten offiziellen Erwähnung jener Verfolgten-Gruppe durch Bundeskanzler Vranitzky vor dem Nationalrat 1991 fest, auf rechtlicher Ebene führte Heinrich einige Beispiele an, wie etwa das Nationalfondsgesetz von 1995, das explizit eine „Gestenzahlung“ von umgerechnet etwa 5000 Euro für verfolgte Homosexuelle vorsah, oder die Einbeziehung der Verfolgten-Gruppe in das Opferfürsorgegesetz von 2005.

Die zweite Sektion beleuchtete Homosexualität in der frühen Bundesrepublik und teilte sich auf in biographische sowie regionalgeschichtliche Zugänge. Zu den biographischen Zugängen leistete zunächst RUDOLF MUHS (London) einen Beitrag über Theodor Auer. Der deutsche Diplomat fungierte von 1940 bis 1942 als Generalkonsul des Deutschen Reichs in Casablanca. Von britischen Agenten mittels gefälschter Dokumente angeschwärzt, wurde Auer 1943 wegen Wehrkraftzersetzung und Feindbegünstigung verhaftet und unterlag während seiner Tätigkeit im Auswärtigen Dienst nach dem Zweiten Weltkrieg dem Zwang, seine Homosexualität öffentlich zu verbergen, da er andernfalls sofort die Unterstützung durch das Auswärtige Amt verloren hätte.

Ähnlich ging es auch dem Staatsanwalt Fritz Bauer, der bei einem Aufenthalt in Dänemark in den Fokus der homophoben Polizeibehörden geriet, was zunächst lediglich durch eine Personenverwechslung geschehen war. Über diese prominente Biographie referierte WERNER RENZ (Fritz Bauer Institut, Frankfurt am Main). Er ging hierbei auf den Quellengeschichtlich spannenden Umstand ein, dass unterschiedliche Auffassungen über den Quellenwert der dänischen Polizeiakte bestehen. Fritz Bauer wurde vom Referenten von einer Seite beleuchtet, die durch sein Lebenswerk, die Frankfurter Auschwitz-Prozesse, in den Hintergrund getreten ist: Als Vorkämpfer für Liberalität und individuelle Freiheit hatte Bauer bereits Anfang der 1950er-Jahre in seinem Amt als Generalstaatsanwalt in Braunschweig auf die Abschaffung des § 175 Strafgesetzbuch gedrängt.

Die beiden Vorträge zu den regionalgeschichtlichen Zugängen drehten sich um Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz. Zum Südwesten der jungen Bundesrepublik und den dortigen Lebenswelten homosexueller Männer sowie deren Verfolgung sprach JULIA NOAH MUNIER (Stuttgart). Ihr Vortrag lehnte sich an ihr aktuelles Forschungsprojekt an, das die Erforschung der strafrechtlichen Verfolgungsgeschichte ebenso in den Blick nimmt wie den wissenschaftlichen Dialog mit Zeitzeugen als historische Quelle. An diesem außerordentlich groß angelegten Projekt, LSBTTIQ in Baden und Württemberg 1, sind die Universität Stuttgart, die Bundesstiftung Magnus Hirschfeld sowie das Institut für Zeitgeschichte beteiligt. Munier ist, wie sich auch in ihrem Vortrag niederschlug, mit der Erforschung der Verfolgungsschicksale homosexueller Männer betraut. Sie machte deutlich, dass dies über die Verfolgungsgeschichte hinaus auch subkulturelle Lebenswelten und die Geschichte der landesspezifischen Sexualpolitiken berührt.

Mit einem der ganz wenigen Vorträge, die sich ausschließlich mit lesbischen Lebenswelten beschäftigten, berichtete KIRSTEN PLÖTZ (ehemals Forschungsprojekt LSBTTIQ Baden-Württemberg) von staatlicher Repression gegen lesbische Frauen in Rheinland-Pfalz. Hierbei machte sie deutlich, dass allein durch die Fixierung auf den § 175 die Verfolgung homosexueller Männer deutlich besser erforscht ist, als jene lesbischer Frauen. Geschlechterklischees und die Tatsache, dass Homosexualität zur Zeit der strafrechtlichen Verfolgung stets männlich gedacht wurde, fanden auch in der Aktenlandschaft Niederschlag. Plötz ging auf ihre Suchgeschichte der Dokumente ein, mit der sie beim Forschungsprojekt „Sexualität“ als Definitionsbasis umgangen hatte. Die Untersuchung von staatlicher Repression und anderweitiger Diskriminierung war beispielsweise möglich durch die Erforschung von Entmündigungen, Disziplinierungsvorgängen oder auch Zensur. Die erstmalige Dokumentation staatlicher Repression lesbischer Liebe durch das genannte Forschungsprojekt wurde vom Plenum in der Diskussion als hoch politisches Moment anerkannt.

Die nächste Sektion beschäftigte sich mit dem Thema „Homosexualität und Armee“. Dem Anspruch der Tagung gerecht werdend, internationale Vergleichbarkeit herzustellen, begann MICHAEL MAYER (Akademie für Politische Bildung, Tutzing) mit einem Überblick über die Bekämpfung von Homosexualität in der britischen Armee seit 1950, und gab damit Einblicke in einen Teil seiner Habilitationsarbeit. Als Forschungsfrage führte er an, wie sich die gesellschaftliche Liberalisierung in Großbritannien in den 1960er- und 1970er-Jahren auf den internen Umgang der Armee mit Homosexuellen ausgewirkt hatte, die seit dem Jahr 2000 Homosexuelle Soldaten akzeptiert. Mayer arbeitete vor allem heraus, inwiefern Homosexuelle in der Armee als Sicherheitsrisiko angesehen wurden.

Dem folgte ein Vortrag von KLAUS STORKMANN (Potsdam), seines Zeichens Oberstleutnant. Er beschäftigte sich mit dem Umgang der Bundeswehr mit homosexuellen Soldaten 1955 bis 2000. Angelehnt an den Grundsatz der US-Streitkräfte „don't ask, don't tell“ kam es zur Bestrafung und Entlassung von Soldaten vor allem dann, wenn ein vermeintliches Erpressungsmoment und die angeblich fehlende nationale Sicherheit postuliert werden konnte. Storkmann erläuterte im Weitergehen die bemerkenswerte Tatsache, dass bis zum Jahr 2000 homosexuelle Männer in der Bundeswehr nicht zu Offizieren befördert wurden.

Mit einem ganz konkreten Beispiel schloss NORMAN DOMEIER (Wien) das Panel, nämlich mit der Wörner-Kießling-Affäre 1983/83, über die bis heute keine wissenschaftliche Monographie existiert. Diese Affäre ist jedoch in zweifacher Hinsicht interessant: Einerseits wurde die Sexualität von Politikern zu Kampagnen herangezogen bzw. schien für „Skandale“ tauglich zu sein. Andererseits wurde nach dem Wörner-Kießling-Skandal anerkannt, dass Homosexualität kein Dienstvergehen sei. Domeier stellte klar, dass die Kießling-Affäre keinen Durchbruch der Bundeswehr im Umgang mit Homosexuellen bedeutete und blieb auch skeptisch, ob das Ende des Skandals die endgültige Aufhebung des § 175 im Jahr 1994 erleichtert habe. Vielmehr sah Domeier hier vielfältige Faktoren gegeben, nicht zuletzt einen neuerlichen Wertewandel nach der Wiedervereinigung.
Die Sektion IV, Homosexualität und Kirchen, bot ebenfalls internationale Vergleiche: So referierte KATHARINA EBNER (Bonn) zu „Religion im Parlament. Homosexualität als Thema parlamentarischer Debatten in der Bundesrepublik Deutschland und im Vereinigten Königreich (1945-1989)“. Sie zeigte unter anderem auf, dass die parlamentarische Auseinandersetzung mit – selbstverständlich – männlicher Homosexualität keineswegs einem linearen Emanzipationsnarrativ folgte. Gleichzeitig berücksichtigte Ebner in ihrem Vortrag Konfessionelle Unterschiede ebenso wie regionale Besonderheiten.

CHRISTIAN NEUHIERL (München) setzte sich mit kirchlichen Arbeitskreisen Homosexualität und dem Begriff der homosexuellen Gruppenidentität auseinander. Die Arbeitskreise, so Neuhierl, seien wesentlich vom Umfeld der evangelischen Kirche geprägt worden. Als „diskursives Wirkungsfeld“ bot sie einen geschützten Raum, um früher als im medialen oder wissenschaftlichen Umfeld Begriffe wie „Emanzipation“ oder „Gleichberechtigung“ mit Inhalt zu füllen.
Sektion V beschäftigte sich mit dem Thema Homosexualität im Sozialismus. ANDREA ROTTMANN (University of Michigan, Ann Arbor) beschäftigte sich in ihrem Beitrag mit der früheren NS-Widerstandskämpferin Hilde Radusch, die durch Aussehen und Lebenswirklichkeit nicht den gängigen Geschlechtermustern entsprach, die auch in der sich liberal gerierenden DDR vorherrschten. Hilde Raduschs Entlassung aus einer Kommunalbehörde in Ost-Berlin wurde von langer Hand durch Entwendung von Gegenständen aus ihrem Büro vorbereitet. Mit ihrem Arbeitstitel „Hilde Radusch kommt dem Sozialismus in die Que(e)re“ setzte Rottmann einen deutlichen Akzent auf einen Forschungsansatz, der zugeschriebene Geschlechter in Frage stellt, während viele der Vorträge dieser Tagung sich durchaus im CIS-Normativen Bereich bewegten – ein Phänomen das zeigt, wie jung die LSBTTIQ-Berücksichtigung in der etablierten Forschung ist.

Auf schwule und lesbische Lebenswelten in der DDR der 1950er- und 1960er-Jahre ging MARIA BOROWSKI (Berlin) ein. Dem Forschungsergebnis lagen 13 Interviews zugrunde. In der Auswertung dieser Gespräche wurde die Diskrepanz klar, die in der DDR-Gesellschaft herrschte. Einerseits wollten viele im jungen „antifaschistischen“ Staat die Bestrafung von Homosexualität abgeschafft sehen, andererseits wurde in westlichen und östlichen Besatzungsgebieten gleichermaßen die Einheit von Mann und Frau als Lebensmodell idealisiert, um nach den Kriegsjahren eine „heile Welt“ heraufzubeschwören. Neben der starken Prägung durch massive Tabuisierung des Themas Sexualität in der DDR-Gesellschaft wurde bei den Interviewten deutlich, dass es für Männer mehr Möglichkeiten gab, homosexuelle Partner zu finden als für Frauen, was Borowski auf eine fehlende lesbische Subkultur zurückführt, bei gleichzeitig stärkerer gemeinschaftlicher Verbindung von Männern, bis 1961 auch in den Westen hinein.

Dem Bestreben, in jedem Panel Methodenvielfalt und internationale Vergleichbarkeit zur Geltung kommen zu lassen wurde mit dem Beitrag von MARKUS PIEPER (Europa-Universität Viadrina, Frankfurt an der Oder) genüge getan, der zu homosexuellen Männern in der DDR und in Polen referierte. Parallel zu einer Analyse sexualwissenschaftlicher Diskurse in der Forschungsliteratur beider Staaten wurde deutlich, dass es in sozialistischen Staaten sehr unterschiedliche Handhabungen geben konnte. Fand Homosexualität im Strafgesetzbuch in Polen zwar keine Erwähnung, erlebten schwule Männer doch mit Polizeirazzien und Verhaftungen eine große Diskrepanz von Gesetz und Wirklichkeit.
Die sechste und letzte Sektion setzte sich mit Homosexualität in den 1970er- und 1980er-Jahren auseinander. Zur Schwulen- und Lesbenbewegung jener Zeit sprach ANDREAS PRETZEL (Magnus-Hirschfeld-Gesellschaft Berlin), der die beiden Jahrzehnte, wie auch der Veranstalter, als „Zeitenwende“ und gleichzeitig für das Geschichtsbewusstsein der Schwulen- und Lesbenbewegung als „legendär“ bezeichnete. Grund hierfür seien außerordentliche Erfolge in der Emanzipationspolitik, die sichtbar nicht zuletzt zur Abschaffung des § 175 im Jahre 1994 führte. Diesen Befund differenzierte Pretzel jedoch dahingehend, dass Vergleiche zwischen der Lesben- und Schwulenbewegung wie auch der Ost-West-Vergleich nicht unbedingt Parallelen zulassen. Als gemeinsamen Topos jedoch nannte der Referent die Auseinandersetzungen um Autonomie und Integration, was seinerseits wiederum zu einer Neuausrichtung emanzipationspolitischer Strategien geführt habe.

Zum Abschluss des Panels und der Tagung hörten die Teilnehmenden zwei Vorträge zur Verbindung von Homosexuellenbewegung und der Krankheit AIDS. MICHAEL SCHWARTZ (Münster) erklärte im Ergebnis, dass AIDS gerade nicht zu mehr Ausgrenzung geführt hatte, sondern zum „Ende der großen Ideologien“.2 War AIDS in der pseudowissenschaftlichen Kommentierung noch in den frühen 1980er-Jahren als „Krankheit unter Homosexuellen“ bezeichnet worden, so arbeitete Schwartz heraus, dass unter anderem durch die Aufklärungsarbeit der 1983 gegründeten AIDS-Hilfe eine verstärkte Integration zu verzeichnen sei. Bei der Analyse dieses Entwicklungsweges ging er auch auf die Spaltung in der Schwulenbewegung ein, die sich besonders in Rosa von Praunheims Kritik an etwaiger sexueller Konsumorientierung vieler homosexueller Männer als Ausdruck einer falsch verstandenen sexuellen Befreiung zeigte. Von Praunheim wiederum sah sich dem Vorwurf eines „öffentlichen Kniefalls“ vor der heterosexuellen Mehrheitsgesellschaft ausgesetzt.

ADRIAN LEHNE (Berlin) stellte zum Abschluss seine Masterarbeit vor, in der er, an Schwartz thematisch anschließend, die diskursive Verflechtung von HIV / AIDS und Homosexualität in der DDR behandelt hatte. Lehne zeigte auf, dass die DDR-Regierung trotz ihrer Beteuerung, Stigmatisierung verhindern zu wollen, keine Auflösung der Verknüpfung von Homosexualität und AIDS erreichte, sondern im Gegenteil homosexuelle Männer ausdrücklich in der „Risikogruppendefinition“ erwähnt wurden. Ebenso wie in der Bundesrepublik führten Aufklärung und Wissenstransfer auch in der DDR langfristig zum Abbau überkommener Feindbilder.

Alle Vorträge boten Perspektiven auf verschiedene Forschungsansätze. Die Erforschung von Diskriminierung und Verfolgung Homosexueller in Europa nach dem Zweiten Weltkrieg ist nicht nur ein weithin unterschätzter Beitrag zur jüngsten Geschichte. Gleichzeitig bietet sie , Möglichkeiten interdisziplinären Arbeitens sowie eine deutliche Methodenvielfalt durch biographische Zugänge, Analyse von Gesetzgebungen, Strafrecht, internationalen Vergleichen oder Körper- und Gesundheitshistorie. In den Diskussionen, in denen Vergleichbarkeit, besonders internationaler Art, immer wieder eine Rolle spielte, wurde unter anderem der Wunsch nach methodischer Erweiterung der Forschungen und nach Verknüpfungen mit anderen Disziplinen deutlich. Die Veranstalter resümierten, dass das Thema Homosexualität(en) über die Erforschung von Diskriminierung und Verfolgung hinaus bislang unterrepräsentiert ist und die Tagung diesem Umstand ein wenig Abhilfe schaffen konnte.

Konferenzübersicht:
Eröffnung und Begrüßung
Michael Mayer (Tutzing) / Michael Schwartz (Münster)

Sektion I: Der lange Schatten des Nationalsozialismus

Esther Abel (Hadamar): Die Diskussion um „typisches NS-Unrecht“ im Kontext der Nicht-Anerkennung homosexueller Männer als NS-Opfer in der Bundesrepublik und der DDR 1945-1968
Teresa Tammer (Münster): Zwischen staatlicher Geschichtspolitik und grenzübergreifendem Gedächtnis: Das Gedenken an die homosexuellen Opfer des Nationalsozialismus in der DDR 1983-1990
Johann Karl Kirchknopf (Wien): Die Strafverfolgungen wegen „gleichgeschlechtlicher Unzucht“ in der Zweiten Republik – Kontinuitäten und Brüche in der österreichischen Strafrechtspflege nach 1945
Elisa Heinrich (Wien): „Rosa Wirbel“ – Erinnerungspolitische Debatten um homosexuelle NS-Opfer in Österreich

Sektion II: Homosexualität in der frühen Bundesrepublik

Rudolf Muhs (London): Theodor Auers Passion, oder: Wovon man nicht sprechen kann, darüber reden andere
Werner Renz (Frankfurt am Main): Fritz Bauer und die Homosexualität
Julia Noah Munier (Stuttgart): Lebenswelten und Verfolgung homosexueller Männer im Südwesten der jungen Bundesrepublik
Kirsten Plötz (Forschungsprojekt LSBTTIQ in Baden-Württemberg): Von staatlicher Repression und anderer Diskriminierung. Lesbisch im jungen Bundesland Rheinland-Pfalz

Sektion III: Homosexualität und Armee

Michael Mayer (Tutzing): Sicherheitsrisiko: Die Bekämpfung der Homosexualität in der britischen Armee seit 1950
Klaus Storkmann (Potsdam): Der Umgang der Bundeswehr mit homosexuellen Soldaten 1955 bis 2000
Norman Domeier (Wien): Die Rückkehr der „Rosa Angst“. Der Wörner-Kießling-Skandal 1983/84

Sektion IV: Homosexualität und Kirchen

Katharina Ebner (Bonn): Religion im Parlament: Homosexualität als Thema parlamentarischer Debatten in der Bundesrepublik 1945-1989
Christian Neuhierl (München): Homosexuelle Identitäten in der DDR im Umfeld der evangelischen Kirche in den 1980er Jahren

Sektion V: Homosexualität im Sozialismus

Andrea Rottmann (University of Michigan, Ann Arbor): Liebe und (Staats-)Verrat: Homosexuelle und Ost-Berliner Behörden vor dem Mauerbau
Maria Borowski (Berlin): Schwul-lesbisches Leben in der DDR in den 1950er und 1960er Jahren
Markus Pieper (Berlin): Warme Brüder. Homosexuelle Männer in der DDR und der Volksrepublik Polen

Sektion VI: Zeitenwende? Homosexualität in den 1970er und 1980er Jahren

Andreas Pretzel (Magnus-Hirschfeld-Gesellschaft e.V., Berlin): Zur Schwulen- und Lesbenbewegung der 1970er und 1980er Jahre
Stefanie Krautz (Bautzen): Lesbisches Engagement in Ost-Berlin 1978-1989 (entfallen!)
Michael Schwartz (Münster): Die Homosexuellenbewegung und die Immunschwächekrankheit AIDS in der Bundesrepublik
Adrian Lehne (Berlin): „… eine solche Krankheit macht doch nicht an der Grenze halt“. Diskursive Verflechtungen von HIV/AIDS und Homosexualität in der DDR

Anmerkungen:
1 LSBTTIQ in Baden und Württemberg. Lebenswelten, Repression und Verfolgung im Nationalsozialismus und in der Bundesrepublik Deutschland. http://www.lsbttiq-bw.de (04.09.2017).
2 Ina Hartwig, „Abschied von der Subversion. Die Homosexuellen-Ehe, ihre Gegner und die allgemeine Not mit der Normalität“, in: FR v. 11.7.2000.


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